„Was ist Feminismus für Dich?“ Heute geht die Rosa-Hellblau-Falle aka Almut Schnerring und Sascha Verlan an den Start. Meine Interviewreihe geht in lockerer Regelmäßigkeit weiter. Mir ist es ein Anliegen, die unterschiedlichen Standpunkte, Sichtweisen und Arbeitsbereiche des Feminismus aufzuzeigen.
Die Rosa-Hellblau-Falle ist nicht nur ein mittlerweile weit bekannter Begriff für Gendermarketing und Sexismus, sondern auch Titel eines Buchs* und des Blogs von Almut Schnerring und Sascha Verlan. Beide Publikationen zeigen Rollenklischees im Alltag und im besonderen im Familienkontext auf und zeigen, wie wir ihnen entkommen können.
Um den Sexismus und die Sinnlosigkeit von Gendermarketing zu entlarven haben die beiden auch „den Goldenen Zaunpfahl“ ins Leben gerufen. Mit dem Preis wird jedes Jahr das Produkt ausgezeichnet, dessen Werbestrategie besonders plump und unreflektiert einengende Rollenbilder reproduziert. Die Preisverleihung findet am 18.04.2018. Wenn Ihr Euch am Crowdfunding beteiligen wollt, das läuft noch bis 31.03.2018
Interview „Was ist Feminismus für Dich?“
Bezeichnet Ihr Euch als Feministin und Feminist?
Almut:
Ja, denn ich wüsste keine passende Alternative. Auch wenn manche meinen, damit sei auch schon alles gesagt, ganz so, als ob das Wort eine homogene Gruppe von Menschen beschreiben würde, die alle denselben Standpunkt vertreten. Das ist natürlich Quatsch, aber genau da kann ja ein interessantes Gespräch darüber beginnen.
Sascha:
Es sind leider viele Männer unterwegs, die sich feministische Forderungen zu eigen machen, aber eigentlich frauenfeindlich sind. Wenn sich Kai Diekmann mit einem #heforshe-Plakat vor die Kamera stellt, dann wird es für mich schwierig, mich auch mit diesem Begriff zu bezeichnen. Aber ja, ich bin Feminist, weil wir das Feld ja auch nicht solchen Typen überlassen dürfen.
Was ist Feminismus für Euch?
Almut:
Feminismus bedeutet für mich ein gleichberechtigtes Miteinander von Menschen unabhängig vom Geschlecht und eine Chance, sich über Rollenzuschreibungen bewusst zu werden. Und das kann nur gelingen, wenn auch Männer erkennen, dass Geschlechterklischees ihnen persönlich schaden, dass auch für sie das Leben reicher wird, wenn wir diese Schubladen und Zuschreibungen überwinden.
Feminismus ist für mich aber vor allem eine politische Haltung, und das bedeutet für mich anzuerkennen, dass Frauen durch die Jahrhunderte hinweg mit anderen Zuschreibungen, anderen Rechten und Pflichten aufgewachsen sind und weiterhin anders aufwachsen als Männer, und dass deshalb der Begriff ‚Humanismus’, der in dem Kontext gerne als angeblich fairere und umfassendere Alternative vorgeschlagen wird, nicht funktioniert, da er diese Unterschiede leugnet.
Wie seid Ihr zur Feministin / zum Feminist geworden?
Almut:
Ich gehöre zu denen, die erst Kinder bekommen mussten um zu realisieren, dass die gerechte Aufteilung von Familienarbeit, die freie Interessens- und Berufswahl nichts Selbstverständliches sind und dass auch im Hier und Jetzt Frauen durchaus nicht dieselben Rechte haben. Ich musste erst mit unserer Jüngsten in die Rosa-Phase, um zu bemerken, dass da im Unterschied zur nur vier Jahre älteren Schwester in ganz kurzer Zeit eine Rückwärtsentwicklung Schwung aufgenommen hat, und dass an der Aussage „Heute sind wir da ja weiter“ leider nicht so viel dran ist, dass der Kampf heute vielleicht ein anderer ist, aber wichtiger denn je.
Sascha:
Für mich war es sehr lehrreich, diesen Doppelstandard zu erleben. Was auch immer ich mit und für unsere Kinder getan habe, es war toll: du kochst, du wickelst, bringst die Kinder ins Bett, bist mal ein paar Tage ganz allein mit ihnen, was auch immer … ich wurde gelobt für Dinge, die so viele Frauen jeden Tag machen, die von Müttern einfach erwartet werden, und dann gar nicht mehr der Rede wert sind. Im Gegenteil, wenn eine Mutter diese Rolle nicht übernimmt und dem Vater der Kinder die Betreuung überlässt, dann muss sie sich rechtfertigen. Gehe ich ins Büro, ist es es toll, weil ich die Familie ja versorge, kümmere ich mich persönlich um meine Kinder, ist es auch toll, während es bei Müttern immer problematisiert wird, zu viel Arbeit, zu wenig, zu viel Zeit mit den Kindern, zu wenig. Ja, ich dachte, wir seien da schon weiter.
Was ruft Deinen Feminismus auf den Plan?
Almut:
Eigentlich ständig, er begleitet mich durch den Alltag. Sobald man auf andere Menschen trifft, gibt es ja nur wenige Situationen, in denen Geschlecht keine Rolle spielt, und das ist mir oft bewusst. Ob ich nun ein Shampoo kaufe und zwischen matt-schwarz oder seidenglatt entscheiden muss, ob ich um ein Vortragshonorar verhandle oder ob eins meiner Kinder mir erzählt, die Sitzordnung in der Klasse sei wieder geändert worden, ab heute gelte Mädchen-Junge-Mädchen-Junge.
Was ist Sexismus für Dich?
Almut:
Sexismus beginnt in vielen zunächst harmlosen Momenten des Alltags. Das für mich anschaulichste Beispiel ist, dass „Du Mädchen!“ als Schimpfwort funktioniert. Und das oft unwidersprochen! Ich finde erschreckend, wo doch die Hälfte aller Menschen entweder Mädchen war oder ist, dass dieses Wort als Herabsetzung funktioniert und Erwachsene zu einem weindenden Jungen sagen: „Was heulst denn du jetzt, Du bist wohl ein Mädchen?“ Oder sich Gleichaltrige untereinander damit beleidigen, weil ein Junge etwas tut oder mag, das die Mehrheit als etwas Weibliches abgespeichert hat. Da genügt schon, wenn ein Fünfjähriger rosa Hausschuhe in der Kita trägt oder ein Zehnjähriger Ballettstunden nimmt.
Wie gehst Du persönlich mit Sexismus um, wenn Du ihn erlebst bzw. beobachtest?
Sascha:
Früher habe ich mitgelacht oder sexistische Sprüche ignoriert, denn sich wegzuducken als hätte man nichts gehört, damit lebt es sich natürlich im ersten Moment einfacher, aber eben nur, wenn man nicht selbst betroffen ist. Deshalb nehme ich inzwischen auch öfter mal in Kauf, die Ach-so-lustige Stimmung zu stören, ich übe mich darin einzuschreiten anstatt ihn hinzunehmen. Ich frage zumindest: „Kannst Du mir erklären, warum das lustig sein soll?“ Im besten Fall beginnt an der Stelle ein Gespräch, im schlechten ist das Treffen eben beendet.
Sind die Geschlechterrollen biologisch begründet oder sind sie sozial geprägt?
Almut:
Es gab noch nie eine Generation, die derart durch Werbung und Medien zugeschüttet wurde mit einschränkenden Botschaften, wie echte Jungen zu sein haben, was richtige Mädchen mögen, wie die wahre Frau aussieht und was der Mann schlechthin angeblich will. Diese Botschaften erreichen ein Kind ab Tag Eins, und insofern werden wir nie die von vielen gewünschte Antwort auf diese Frage bekommen. Oder anders gesagt, wir wissen sie längst: beides!
Wenn die Tochter rosa Glitzer mag oder der Sohn schon früh alle Automarken kennt, ist es natürlich beruhigender, die Lösung in den Genen, Hormonen oder der Steinzeit zu finden. Sich damit auseinanderzusetzen, dass man selbst mit geschlechtlichen Zuschreibungen aufgewachsen ist, und mit dazu beiträgt, dass Kinder diese Zuschreibungen der Erwachsenen lernen, braucht natürlich die Bereitschaft, das eigene Handeln zu reflektieren. Dazu habe ich selbst auch nicht jeden Tag die Lust und Kraft, denn was man dabei entdeckt, kann erschreckend und auch traurig sein. Unser Stichwort dafür, das dieses ganze Phänomen zusammenfasst, ist „Die Rosa-Hellblau-Falle“ – in der stecken wir alle drin, mal mehr, mal weniger tief. Das ist aber keine Frage von Schuld und es ist auch nicht schlimm Geschlechterstereotype verinnerlicht zu haben, aber es ist fatal, zu glauben, man könne sich davon freisprechen.
Geschlechtergerechte Sprache – Wie sprichst und schreibst Du?
Sascha:
Wir achten sehr darauf, haben aber keine festen Regeln, das heißt wir wechseln zwischen den verschiedenen Möglichkeiten: Doppelnennung, Gender-Gap oder -Sternchen, Glottisschlag beim Sprechen. Es ist reine Übungssache und der Effekt zu groß, um sich mit „umständlich“ rauszureden: Viele verschiedene Studien belegen, dass Kinder sich freier und weniger klischeehaft für Themengebiete und Berufe interessieren, sobald diese in beiden Formen vorgestellt werden. Und Kinder sind da ja auch schnell, sie können oder könnten das ganz einfach als Teil ihrer Sprache erlernen. Oft sind es unsere Kinder, die uns korrigieren oder auch Lösungen haben: einfach mal ‚alle‘ sagen anstatt ‚jeder‘, und schon ist auch der Relativanschluss kein Problem mehr.
Wie versuchst Du Deine Kinder an Feminismus heranzuführen?
Almut:
Reden. Darüber sprechen. Ach, und das Gespräch suchen ☺
Natürlich sind auch sie Teil ihrer Peergroup, die mit Youtube und Castingshows aufwächst und mit ganz klaren Vorstellungen darüber, was geht bzw. was inakzeptabel ist. Auch wenn sie deshalb nicht immer dagegenhalten können, ist es trotzdem toll mitzuerleben, wenn sie beim Abendessen von Schulszenen erzählen, Aussagen anderer reflektieren, Sexismus in ihrem Alltag erkennen.
Sascha:
Ich bin viel in der HipHop-Szene unterwegs und da geht es für Jungs und Männer ja immer darum, Stärke zu beweisen, nicht der Unterlegene sein und bloß nicht, in der Neudeutschen Bezeichnung: zum Opfer zu werden. Das ist ein schrecklicher Diskurs. Wie lebt es sich denn als Täter? Ist das wirklich erstrebenswert? Weil als Täter hattest du die freie Wahl, du musst nicht zum Täter werden, was auch immer du getan hast, es war deine Entscheidung und und ist deine Verantwortung. Darüber rede ich zum Beispiel mit meinen Kindern, insbesondere mit unserem Sohn, was es bedeutet, Täter zu sein, und wie es sich vermeiden lässt, zum Täter zu werden. Denn die angeblichen Opfer, sie haben nichts Falsches gemacht, sie müssten sich nicht schämen, die Täter müssten sich beschämen lassen.
Rollenklischees und Sexismus in Kinderbüchern. – Welche Erfahrungen hast Du gemacht und wie gehst Du damit um?
Die meisten Bilderbücher haben die Kinder inzwischen aussortiert, aber für unsere Fortbildungen in Kitas oder für Vorlesetrainings haben wir ein paar vor dem Flohmarktverkauf gerettet. Die Reihe um Sophie und ihren kleinen Bruder Theo von Marie L Gay* ist oft im Einsatz und dass es das Buch Ich So Du So. Alles super normal* vom Labor Ateliergemeinschaft* nicht schon gab, als unsere Kinder kleiner waren, finden wir ja sehr schade!
Wenn Ihr einen Tag ein Mann bzw. eine Frau sein könntet, was würdet Ihr tun?
Sascha:
Wir haben vor einiger Zeit ein Blockstöckchen durchs Internet geschickt – #WasAndersWäre – unter anderem mit dieser Frage. Und direkt danach: „Durch welches Geschlechterrollenklischee fühlst du dich persönlich beeinträchtigt?” Das war sehr aufschlussreich, weil oft genau jene Klischees angeführt wurden, durch die sich die jeweils anderen beeinträchtigt fühlten. Das Klischee liegt also sehr nahe, wenn wir uns vorstellen, das jeweils andere Geschlecht zu sein, und wenn wir andere beurteilen, dann scheinen strenge Kategorien auch gerechtfertigt. Aber sobald wir selbst in Schubladen gesteckt werden, merken wir, wie einengend das ist.
Und um persönlich auf die Frage zu antworten: als 50/50-Vater, der für Einkaufen und Küche zuständig ist, werde ich immer wieder gelobt, wie gut ich das hinbekomme, dass ich das kann und so weiter. Als Frau und Mutter müsste ich mich dagegen fragen lassen und würde mich wohl auch selbst fragen, ob das genug, gut genug ist, was ich mache, weil die Konventionen andere sind. Ich könnte nicht so stolz und zufrieden sein mit meinem Anders-Sein. Ich denke, dass das mein Selbstbild stark verändern würde.
Almut:
Ich kann mir das gar nicht vorstellen. Meine Hoffnung wäre ja, dass ich immernoch Ich wäre und damit gar nicht groß etwas anders machen würde. Dann hätte ich damit eine Antwort auf eine Frage, die mich tatsächlich öfter mal umtreibt, und auf die es natürlich keine Antwort gibt, nämlich ob das, was ich mag, was mich interessiert, was ich gut kann, ob ich all diese Dinge mag und mache, weil wirklich Ich als Almut sie mag, oder was davon vielmehr Ergebnis meiner Sozialisation als Frau ist und gar nicht so individuell an meine Person gebunden, wie es sich zunächst anfühlt.
Welche feministisch begründeten Wünsche habt Ihr an die neue Bundesregierung?
Almut & Sascha:
Wir wünschen uns, dass auf politischer Ebene endlich der Zusammenhang zwischen Kinder- und Erwachsenenwelt anerkannt und erkannt wird, dass wir in unseren Bestrebungen für mehr Gleichberechtigung nicht an der Kinderzimmertüre aufhören dürfen mit der Begründung, die Kinder Kinder sein lassen zu wollen. Im Gegenteil, genau hier müssen wir ansetzen, wenn wir wirklich nachhaltige Veränderungen wünschen. Das ist wichtiger denn je, weil in den Spielzeugwelten der Kinder, in Filmen und Büchern wieder verstärkt Rollenbilder vermittelt werden, die den Initiativen in der Erwachsenenwelt widersprechen: da sind ausschließlich die Puppenmuttis für Haushalt, Kinderpflege etc zuständig, während die jungen Abenteurer raus gehen und die Welt mit allerlei technischer Hilfe entdecken und sich wahlweise Untertan machen oder vor dem Bösen retten. Das mag sich gut verkaufen und für die Unternehmen auszahlen, für uns als Gesellschaft ist das bedenklich, weil es Kinder in ihren Entwicklungsmöglichkeiten einschränkt, weil es viel Kraft und Willen braucht, sich gegen diese Konventionen zu stellen.
Was ist Euer größter feministischer Wunsch für die Zukunft?
In ihrem Text ‚Feminimus nervt‘ sagt Sarah Bossetti: „Feminismus schafft man nicht ab, indem man ihn bekämpft, sondern indem man ihm seine Notwendigkeit entzieht.“ Das gilt eigentlich für alle unsere Aktionen und Kampagnen: Equal Care Day, Goldener Zaunpfahl, Rosa-Hellblau-Falle. Unser größter Wunsch wäre, dass es all das nicht mehr bräuchte, dass wir uns über andere Themen und Dinge Gedanken machen könnten.
Meine weiteren Interviews der Reihe „Was ist Feminismus für Dich“
„Feminismus ist gesunder Menschenverstand!“ Juramama Nina Strassner
„Patriarchatskritik ist radikaler als Feminismus.“ – Rona Duwe
„Männer sollten sich mit feministischen Konzepten auseinander setzen“ – Robert Franken
Was ist Feminismus für Dich? – Antje Schrupp
Corinna Luca aka Makellosmag: Feminismus ist für mich mehr eine Haltung als ein Label
Was ist Feminismus für Dich, Jochen König?
Christine Finke: Feminismus begleitet mich als Grundhaltung immer
Stievie Schmiedel von Pinkstinks, was ist Feminismus für Dich?
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Das Titelfoto mit freundlicher Genehmigung von Die Rosa-Hellblau–Falle.
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