Was ist Feminismus für Dich? Heute stelle ich diese Frage Antje Schrupp, die ich seit Jahren aus dem Internet kenne. Irgendwann bin ich über ihren Blog „Aus Liebe zur Freiheit“ gestolpert und ihr über Twitter gefolgt.
Antje ist Journalistin, Bloggerin und Autorin. Ihre Themen sind „weibliche Kultur und Philosophie, Feminismus und Religion, ferne Länder und eine neue politische Praxis“, wie sie selbst beschreibt.
Vielleicht könnt Ihr Euch an ihren Beitrag über Feminismus aus der Zeit, „Lasst uns uneinig bleiben“ im November 2017 erinnern. Ihr Plädoyer war es, ganz grob umrissen, in einer Feminismusdebatte Andersdenke nicht als Anti-Feminist*en abzustempeln, sondern unterschiedliche Begriffe und Verständnisse von Feminismus zuzulassen.
Diesem Standpunkt stehe ich ähnlich gegenüber. Solange es den Andersdenkenden um Feminismus geht und er als dringend notwendig verstanden wird, kann ein uneinig bleiben wichtige Reibung erzeugen. Antje sagt, „Wir bewegen uns im Rahmen einer kulturellen Matrix, in der die Freiheit von Frauen strukturell nicht vorgesehen ist. In dieser Situation nach kohärenten feministischen Positionen zu suchen, ist sinnlos“.
Ich freue ich mich heute über das Interview mit Antje. Viel Spaß.
Liebe Antje, bezeichnest du dich selbst als Feministin?
Ja, durchaus, obwohl der Begriff ja eigentlich nichts aussagt und auch leicht zu Missverständnissen führt. Viele Leute meinen, eine Feministin hätte bestimmte Meinungen und Ansichten, aber das stimmt ja nicht, Feministinnen haben ganz unterschiedliche Meinungen. Ich habe deshalbmal eine Zeitlang versucht, auf den Begriff zu verzichten, aber das hat nicht funktioniert.
Was ist für Dich Feminismus?
Feminismus bezeichnet für mich weniger eine bestimmte politische Position, sondern eher die bewusste Zugehörigkeit zu einer sozialen Bewegung. Aber zweierlei gehört für mich schon unverzichtbar dazu: Feministinnen halten die Geschlechterdifferenz für eine relevante Analysekategorie, das heißt, sie tun nicht so, als wäre die Welt „geschlechtsneutral“. Und: Die Freiheit der Frauen ist für Feministinnen ein Wert an sich, sie muss nicht näher begründet oder gerechtfertigt werden.
Wie bist du zur Feministin geworden?
Früher, bis Anfang dreißig, dachte ich, dass Feminismus eigentlich erledigt ist, die Gleichstellung abgewickelt. Mir war zwar klar, dass es Frauen gibt, die große Probleme haben und die diskriminiert werden, und für die es durchaus noch feministische Kämpfe geben muss. Aber die Probleme, die ich persönlich durch mein Frausein hatte, fand ich nicht groß genug, um dafür eine politische Bewegung zu brauchen. 1994 lernte ich dann italienische Differenzfeministinnen kennen und deren Idee, dass es gar nicht nur um Gleichstellung mit den Männern und um Kampf gegen Diskriminierung gehen muss, sondern dass es um weibliche Subjektivität geht. Kurz gesagt: Feminismus hilft mir, auch wenn ich gar nicht diskriminiert werde. Ich kann nämlich alles Mögliche wollen und muss mich gar nicht an dem orientieren, was die männliche Ordnung bereits vorgegeben hat. Ich verstand, wie sehr die Idee der „Gleichstellung“ immer noch am Maßstab des Männlichen haftet, und dass Feminismus viel mehr als das ist. Das hat mir gefallen. Und so gesehen endet der Feminismus dann ja nicht mit erfolgreicher Gleichstellung, sondern ist potenziell unendlich, so unendlich wie das weibliche Begehren.
Was ruft deinen Feminismus auf den Plan?
Alles. Es gibt kein Thema, das nichts mit Feminismus zu tun hat. Eben weil es im Feminismus nicht um das Verhältnis von Frauen und Männern geht, sondern um das Verhältnis von Frauen zur Welt.
Was ist Sexismus?
Sexismus ist die Idee, dass Frauen im Vergleich zu Männern entweder ganz oder in bestimmten Hinsichten untergeordnet, nachrangig, minderwertig, unwichtig sind. Sexismus ist die Vorstellung, dass das Männliche das Normale, die Norm, das Neutrale und Unspezifische ist, und das Weibliche das Besondere, Parteiische, Markierte. Oder, wie Simone de Beauvoir es ausdrückte: das „zweite“ Geschlecht. Diese Idee von der Norm des Männlichen ist sehr tief in unserer Kultur verankert, sie ist tausende von Jahren alt und daher nicht so einfach abzuschaffen. Der neueste Trick, diese Geschlechterordnung zu erhalten, ist die Behauptung, es gebe auch „umgekehrten Sexismus“ gegen Männer. Den gibt es natürlich gar nicht. Was es gibt, das sind stereotype Vorstellungen von Männlichkeit, unter denen einzelne Männer auch leiden können. Aber das ist etwas völlig anderes als Sexismus, denn durch solche Stereotype wird das Männliche ja noch lange nicht zum symbolisch Nachrangigen und Nebensächlichen.
Wie gehst du mit Sexismus um, wenn du ihn beobachtest?
Das kommt natürlich immer auf die Situation an. Am Wichtigsten ist für mich, mich möglichst nicht auch noch selber daran zu beteiligen. Deshalb achte ich zum Beispiel sehr darauf, dass ich das, was andere Frauen sagen, wahrnehme, ernst nehme, mich damit wirklich auseinandersetze. Ich lese zum Beispiel deutlich mehr Bücher von Frauen als von Männern, weil männliche Ideen sowieso schon viel zu viel Raum im öffentlichen Diskurs einnehmen. Außerdem versuche ich, andere Frauen darin zu unterstützen, ihre Meinung zu sagen und sich für ihre Ideen einzusetzen, und zwar auch dann, wenn ich das, was sie wollen, vielleicht nicht teile. Weibliche Subjektivität ist ein Zweck an sich. Ich versuche, bei meinem Handeln die traditionellen Maßstäbe zu ignorieren, also zu eigenen Urteilen darüber zu kommen, was eine Frau denkt oder sagt, egal ob die männlich geprägte Ordnung ihr applaudiert oder sie verdammt. Ich versuche, möglichst wenig Wert auf die Anerkennung von Männern zu legen, was natürlich nicht immer gelingt. Aber gerade heute in Internetzeiten ist das alles auch eine Frage der Aufmerksamkeit: Wem widme ich meine Zeit und wem nicht?
Sind Geschlechterrollen biologisch oder sozial begründet?
Diese uralte Frage langweilt mich, ehrlich gesagt. Ich finde die Unterscheidung zwischen biologisch und sozial künstlich und nicht hilfreich. Es gibt ja sowieso eine permanente Wechselwirkung zwischen Natur und Kultur, und es ist doch eigentlich egal, wo genau da die Grenzziehungen verlaufen. Wichtig ist, dass die Natur uns nicht determiniert, das heißt, auch wenn etwas „natürlich“ ist, sind wir dem nicht ausgeliefert, sondern können es verändern. Und andererseits ist das Soziale zwar ein Konstrukt, aber deshalb ist es ja nicht eniger real und unter Umständen eben auch sehr beständig und prägend.
Wie beurteilst Du so genanntes geschlechtsspezifisches Verhalten bei Kindern?
Ich glaube, dass wir generell unsere Fähigkeiten überschätzen, „gerecht“ oder „neutral“ zu sein. Unsere Kultur ist in so vielfältiger Hinsicht geschlechtlich konstruiert, dass es praktisch unmöglich ist, Kinder unabhängig von Geschlechterstereotypen zu erziehen. Die meisten Konditionierungen geschehen unbewusst. Selbst wenn die Eltern es hinkriegen sollten, ihre Kinder völlig geschlechtsneutral zu erziehen, was ich nicht glaube, gibt es immer noch Großeltern, Nachbarinnen, andere Kinder. Unsere Welt ist generell geschlechtlich konnotiert. Es gibt eine schier unendliche Menge an Quellen, die Kinder darüber informieren, was „ein Junge“ und was „ein Mädchen“ ist. Deshalb ist alles, was wir an Kindern beobachten, immer schon sozial beeinflusstes Verhalten, auch das, was sie vermeintlich aus sich selbst heraus. Das kann übrigens auch in bester Absicht geschehen, wenn man zum Beispiel einen Jungen dafür lobt, dass er mit der Puppenküche spielt: Dadurch lernt er, dass es etwas Besonderes ist, wenn ein Junge mit einer Puppenküche spielt. Kinder können sehr gut beobachten, sie sind sensibel auch für unausgeprochene Botschaften und sie sind konformistisch. Die interessante Frage ist meiner Ansicht nach daher nicht, wie es gelingen kann, Kinder nicht nach Geschlechterrollen zu erziehen, denn das gelingt meiner Meinung nach einfach nie. Die interessante Frage ist: Was bringen wir ihnen über Geschlechterrollen bei. Da ist die derzeitige Hellblau-Rosa-Hölle leider ganz gruselig.
Wie hälst Du es mit geschlechtergerechten Sprache?
Eine eingeschlechtlich-männliche symbolische Ordnung ist, wie gesagt, meine größte Horrorvorstellung. Deshalb lehne ich auch das Sprechen und Schreiben im generischen Maskulinum ab, also die verbreitete Praxis, dass die männliche grammatikalische Form sowohl für rein männliche Gruppen als auch für geschlechtsgemischte Gruppen verwendet wird. Es ist schlicht erwiesen, dass Menschen sich unter „Chemikern“ Männer vorstellen und keine Frauen. Das generische Maskulinum ist eine der hauptsächlichen Ursachen dafür, dass die Norm des Männlichen trotz aller Emanzipationserfolge fröhlich weiter besteht. Ich selbst benutze entweder eine inklusive Sprache mit Gendergap (Leser_innen) oder Sternchen (Leser*innen) oder abwechselnd die weibliche und männliche Form. Manchmal schreibe und spreche ich auch ganz im generischen Femininum, das heißt, ich verwende die weibliche Form auch für gemischte Gruppen. Das ist deshalb wichtig, weil Männer auch endlich einmal üben müssen, „mitgemeint“ zu sein, einmal nicht sich selbst zum Maßstab zu nehmen, sondern das andere, das Weibliche.
Wenn ich das geschlechtlich andere sein könnte…
Ich weiß nicht, ich glaube, das würde ich erst wissen, wenn es soweit ist. Ich kann mir das nicht vorstellen. Der einzige Unterschied zwischen jetzt und dann wäre doch die Reaktion meiner Umgebung. Ich selbst empfinde mich nicht als weiblich oder männlich, ich bin einfach „Antje“, ich bin ich. Wenn ich sage „Ich bin eine Frau“, dann bedeutet das nicht „Ich bin dies oder jenes, so oder so“, sondern es bedeutet: „Ich akzeptiere, dass meine Umwelt mich als Frau bezeichnet und übernehme diese Bezeichnung für mich“. Es ist eher etwas Formales als etwas Inhaltliches, es sagt über mich ja nichts aus. Wenn du weißt, dass ich eine Frau bin, weißt du noch nichts über mich. Wenn also meine Umwelt plötzlich anfinge, über mich zu sagen „Du bist ein Mann“, dann würde sich für mich selbst erst einmal gar nichts ändern, sondern erst, wenn – was aber natürlich zu erwarten ist – mit dieser veränderten Bezeichnung auch ein verändertes Verhalten mir gegenüber oder veränderte Erwartungen an mich einhergingen.
Hast Du Wünsche und Forderungen an die nächste Bundesregierung?
Wünsche an die Bundesregierung sind ja ähnlich sinnlos wie Wünsche an den Weihnachtsmann. Deshalb habe ich eigentlich keine. Ich fände es gut, wenn wir das absurde Urteil gegen eine Gießener Ärztin wegen Werbung für Abtreibung nutzen könnten, um den §219 und idealerweise auch den §218 abzuschaffen. Wichtig wären ansonsten vor allem sozialpolitische Maßnahmen wie höhere Erbschafts- und Vermögenssteuern, weniger Sanktionen für Hartz IV oder idealerweise gleich ein bedingungsloses Grundeinkommen, ein Einwanderungsgesetz für legale Immigration sowie die Achtung des Asylrechts, Maßnahmen zur konsequenten Verfolgung rechtsextremer und rassistischer Straftaten, eine systematische Auseinandersetzung mit der Frage, wie in Zukunft Care-Arbeit organisiert werden soll… Aber das ist natürlich angesichts realpolitischer Entwicklungen alles nicht so wahnsinnig wahrscheinlich.
Was ist Dein feministischer Wunsch an die Zukunft?
Ich hoffe, dass die Frauenbewegung in den kommenden Jahren stark genug ist, um sich dem globalen Rechtsruck entgegen zu stellen. Außer dem Feminismus sehe ich nämlich momentan keine soziale Bewegung, der ich es zutraue, sich von den Trumps, Putins, Erdogans und so weiter nicht umpusten zu lassen. Der liberale bürgerliche Mainstream ist da leider nicht sehr standhaft, und die männerdominierten linken Gruppen liegen mit ihren Analysen größtenteils falsch, vor allem, weil sie den Feminismus weiter ignorieren. Sie sind politisch inzwischen vollkommen bedeutungslos, ihre einzige Chance ist es, sich den Frauenbewegungen anzuschließen. Die sind ja nun wirklich eine globale Bewegung, wie wir an den großen Demos in Polen, USA, der Türkei gesehen haben. Feminismus ist heut global statt nationalistisch, intersektional und pluralistisch statt männerdominiert. Um das zu schaffen, muss die Frauenbewegung aber auch noch radikaler und systemkritischer werden als sie in den vergangenen Jahren war. Deutschland ist bei diesen Prozessen momentan höchstens im hinteren Mittelfeld beteiligt, da gibt es noch einiges zu tun.
Liebe Antje, vielen Dank für Deine Antworten.
Meine weiteren Interviews der Reihe „Was ist Feminismus für Dich“
„Feminismus ist gesunder Menschenverstand!“ Juramama Nina Strassner
„Patriarchatskritik ist radikaler als Feminismus.“ – Rona Duwe
„Männer sollten sich mit feministischen Konzepten auseinander setzen“ – Robert Franken
Was ist Feminismus für Dich, Jochen König?
Christine Finke: Feminismus begleitet mich als Grundhaltung immer
Stievie Schmiedel von Pinkstinks, was ist Feminismus für Dich?
Wie steht Ihr zu Antjes Standpunkt? Habt Ihr Ergänzungen zu ihren Antworten? Sagt es mir!
@@@@@@@@@@@@@@@@@@@@@@@@@@
Dir gefallen meine Artikel? Hier kannst Du mir eine Freude machen und etwas in meinen virtuellen Hut werfen. Lieben Dank! <3
@@@@@@@@@@@@@@@@@@@@@@@@@@
Ich liebe dieses Interview so sehr, dass ich es gern tausendfach ausdrucken und in der U-Bahn verteilen möchte. So viele kluge Gedanken und Sätze. Der geistige Textmarker hat so viel angestrichen. Danke dafür!
Danke! <3