„Was ist Feminismus für Dich“ frage ich wieder. Nina Jaros geht es um Biologie vs. Geschlechterrollen und einigen wichtigen Forderungen an die nächste Bundesregierung.
Nina Jaros ist Bloggerin auf „Frau Papa„. Ihre Offenheit und ihre Missions, zu bloggen um Transsexualität zu erklären und dabei möglichst noch ein paar Klischees über den Haufen zu werfen, sind für mich legendär. Beim Lesen ihrer Texte und ihren Alltagsschilderungen habe ich viel gelernt. Bloglesen bereichert, ich sage das ja immer wieder.
Was ist Feminismus für Dich?
Liebe Nina, bezeichnest Du Dich selbst als Feminist*in?
Ja, ich bezeichne mich als Feministin und das mit einem gewissen Stolz. Diese Haltung habe ich schon oft erklären und rechtfertigen müssen. Dass dies notwendig ist, zeigt mir, wie wichtig Feminismus noch immer ist.
Was ist Feminismus für Dich?
Für mich ist das Ziel Gleichstellung (= gleiche Rechte, Chancen und Pflichten) unabhängig von Geschlecht, Hautfarbe, Religion, usw…
Warum das Feminismus ist: weil Frauen nicht einmal in Ländern wie Deutschland gleiche Rechte haben, von vielen anderen Ländern ganz zu schweigen.
Wie bist Du zur Feministin geworden. Welche Auslöser gab es?
Es gab nicht das Schlüsselerlebnis. Auslöser waren eigentlich unzählige Gespräche, in denen ich merkte: Chancengleichheit existiert nicht. Und von alleine ändert sich nichts.
Was ruft Deinen Feminismus auf den Plan?
Am meisten der aktuell sehr beliebte Satz, „Ich brauche keinen Feminismus“. Diese Aussage halte ich für sehr bedenklich und hinterfrage sie deutlich. Aber auch Themen wie Gender und geschlechtliche Identität sind oftmals ein Grund für mich, Diskussion zu führen. Dabei bin ich schon oft an den binären Vorstellungen Anderer gescheitert.
Was ist Sexismus für Dich? Wann fängt er an?
Schwere Frage. Ich sehe in vielem, was andere Menschen Sexismus nennen, keinen. Gerade bei Sprache, Humor und Redewendungen fehlt mir oft das Kriterium der Unterdrückung oder Diskriminierung. Ich habe wahrscheinlich zu viel Spott erlebt und lege daher viele Worte nicht mehr auf die Goldwaage. Aber ich verstehe, dass andere Menschen die Grenzen anders ziehen
Wie gehst Du persönlich mit Sexismus um, wenn Du ihn erlebst bzw. beobachtest?
Ich kann meine Klappe nicht halten. Also ich spreche es an, schreibe darüber, wende mich wann immer es geht direkt an die beteiligten Personen. Und ich werde wütend… immer wieder.
Sind die Geschlechterrollen biologisch begründet; sind sie sozial geprägt?
Genitalien sind biologisch. Zuordnung des Geschlechts aufgrund von Genitalien ist praktisch (eigentlich, wenn man es genauer betrachtet) nur Brauchtum. Daraus entsteht eine soziale Grundordnung, die aber keine biologische ist. Biologie wird oft als „Begründung“ verwendet, wenn Menschen behaupten, dass es nur zwei Geschlechter gibt. Diese Betrachtung lässt alleine schon die vielen nichtbinären/Inter* Konstellationen außer acht, die die Natur zustande bringt.
Schwieriger ist es mit Rollen. Die Rollen basieren oftmals auf den Vorstellungen und den Regeln, die notwendig sind, um erfolgreich eine*n geeignete*n Parter*in zu finden. Bsp. „starke Männer“ haben in der Suche nach einer Partnerin einen gewissen Vorteil… Teilweise ist das ein Teil unserer Biologie, teilweise aber auch unserer Gesellschaft. Rollenbilder sind zu einem Teil wahrscheinlich also biologisch begründbar, was aber nicht heißt, dass sich jedes Individuum dieser vermeintlichen Ordnung unterordnen muss.
Geschlecht / Gender / Identität ist biologisch und sozial geprägt und demenstprechend komplex ist es, eine allgemein gültige Aussage zu treffen.
Wie erklärst Du Dir die Beobachtungen vieler Eltern hinsichtlich des geschlechtsspezifischen Verhaltens ihrer Kinder?
„Mein Sohn ist so ein echter Lausbub“, „Meine kleine Prinzessin“ – sagen wir mal so: für viele Menschen stimmt die Zuordnung des Geschlechts aufgrund der Genitalien (ich nenne es ja das Genitalienlesen). Daher ist es wahrscheinlich für die meisten Kinder kein Problem und wird entsprechend von den Eltern nie in Frage gestellt.
Gruselig finde ich, wenn ein Mädchen am Bagger oder ein Junge an einer Spielküche lautstark dafür gelobt werden. Das Kind spielt. Okay, es spielt mit etwas, das dem Rollenbild der Eltern offenbar nicht entspricht. Und wahrscheinlich hat es einfach Spass. Ich habe, wenn ich solche Sätze im sozialen Netzwerk finde, immer Angst, dass das Kind dann nur noch in diese Richtung gedrängt wird, damit die Eltern als möglichst liberal und weltoffen gelten.
Kinder finden ihre Rollen. Ich wurde eine Frau, obwohl in meinem Kinderzimmer fast nur „Jungsspielzeug“ war.
Wie ich mir die Beobachtungen erkläre? Eltern sehen etwas und bewerten es mit den Filtern, die sie haben. Ob sie ein Rollenverhalten unterstützen oder ablehnen, hat meist nichts mit dem zu tun, was das Kind spielt, anzieht oder sagt.
Geschlechtergerechte Sprache – was ist das für Dich? Wie sprichst und schreibst Du?
Wenn ich hier ehrlich antworte, werde ich wahrscheinlich Ärger bekommen. Im Englischen gibt es einen Artikel und kaum Gender in der Sprache. Trotzdem ist „doctor“ meinst männlich…
Ich kann künstlich genderneutral gemachte Texte oft extrem schwer lesen (Legasthenie). Daher halte ich den Ansatz über Sprache nicht für richtig. Eingriffe in die Sprache können das Denken verändern. Bisher sehe ich in der neutralen Sprache hauptsächlich eines: den Hauptgrund, warum Feminismus inzwischen falsch verstanden wird.
Wie versuchst Du Deine Kinder zu Feminismus heranzuführen?
Ich versuche nicht, meine Kinder an Feminismus heran zu führen. Ich versuche, dass sie Menschen einfach als Menschen sehen. Soweit ich kann vermittle ich, dass alle Menschen gleich viel wert sind, gleiche Chancen verdienen und gleiche Verantwortung tragen.
Rollenklischees und Sexismus in Kinderbüchern. – Welche Erfahrungen hast Du gemacht und wie gehst Du damit um?
Ich bin mit Liedern, Texten und Wörtern aufgewachsen, die heute nicht mehr politisch korrekt sind. Dennoch hat meine Familie geschafft, mir die Werte zu vermitteln, die ich jetzt vertrete. Wenn wir anfangen, die Bücher zu verbannen, die uns nicht zu 100% zusagen, oder sie umschreiben… erinnert mich das an Neusprech und Bücherverbrennungen. Da denke ich an Fahrenheit 450 und 1984…
Ich hab mit meinen Kindern Wilhelm Busch gelesen. Und darüber gesprochen. Besonders darüber, warum gewisse Worte heute nicht mehr verwendet werden.
Wenn Du für einen Tag das geschlechtlich Andere sein könntest. was würdest Du tun?
Hab‘ ich lang genug gemacht (fast 40 Jahre). War nicht so meins.
Welche feministisch begründeten Forderungen hast Du an die nächste Bundesregierung?
- Änderung des Transsexuellengesetzes.
- Die Rechte von Frauen mit Migrationshintergrund zu stärken (und das bedeutet nicht: Kopftuchverbot, es bedeutet: mehr Bildung, mehr Chancen, mehr Inklusion)
- Kampagnen, wie #metoo ernst zu nehmen und zu handeln.
- Stärkung Alleinerziehender und Kinder finanziell schwacher Familien, um eine Chancengleichheit zu schaffen.
Was ist Dein größter feministischer Wunsch für die Zukunft?
Dass das Wort Feminismus so positiv wahrgenommen wird, wie das, was dahinter steht: der Wunsch nach Gleichstellung.
Liebe Nina, vielen Dank für Deine Antworten.
Meine weiteren Interviews der Reihe „Was ist Feminismus für Dich“
„Feminismus ist gesunder Menschenverstand!“ Juramama Nina Strassner
„Patriarchatskritik ist radikaler als Feminismus.“ – Rona Duwe
„Männer sollten sich mit feministischen Konzepten auseinander setzen“ – Robert Franken
Was ist Feminismus für Dich? – Antje Schrupp
Corinna Luca aka Makellosmag: Feminismus ist für mich mehr eine Haltung als ein Label
Was ist Feminismus für Dich, Jochen König?
Christine Finke: Feminismus begleitet mich als Grundhaltung immer
Stievie Schmiedel von Pinkstinks, was ist Feminismus für Dich?
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An der Uni Bielefeld gibt es bald „Intersexuelle Toiletten“.
Schon mal der richtige Weg?
Was mich ärgert: ich erziehe meine Kinder nicht „hineingepresst offen für alles“, also wie oben Nina erwähnt hatte groß lobend, wenn „sie als Mädchen mit Autos spielen“. Ich verhindere aber auch nicht, dass meine Große z.B. Ninjago – Karten sammelt, was eher ein „Jungs-Ding“ an der Schule zu sein scheint. Ich kann auch zu meiner Großen eher Lausbub oder Rabauke als „Prinzessin“ sagen. Aber sie distanziert sich davon, ein Junge SEIN zu wollen. Sie ist eben eben DIE SPEZIELLE PERSON NAMENS L. Nix anderes. Die im Dreck wühlt, sich aber auch mal schminkt. Die sich die Knie aufschlägt, laut ist. Aber auch gerne Pferdchen spielt.
Was mich mehr ärgert, dass im Kindergarten noch so „gender-spezifisch“ gearbeitet wird.
Nach dem Motto „das macht aber ein Mädchen nicht!“. Oder die „Rollenbilder“ noch so stark gelebt und unterstützt werden: Frau erzieht die Kinder, Mann verdient das Geld. Und das auch noch in vielen Familien so gelebt wird, dass diese Form das einzig Wahre ist.
Und meine Kinder so, weil sie es von anderen mitbekommen, reagieren: guck mal, die hat eine Frau geküsst. Frauen können doch keine Frauen heiraten!
Dann muss ich wieder erklären: also man MUSS ja erstmal gar nicht heiraten. Man kann auch so zusammen leben. Man kann auch ohne heiraten Kinder bekommen. Und es können auch Frauen Frauen heiraten. Oder Männer Männer.
Aber es ist ein kirchlicher Kindergarten, die trauen sich an das Thema wohl nicht so dran.
Es wird ein schwieriges Thema bleiben, solange es immer noch Leute gibt, die sich in alten Rollenbildern bewegen und diese bewusst oder unbewusst weitergeben.
Gruß Silke
Danke für Deinen Kommentar. Ich kenne Kinder in bestimmte Rollen „hineinloben“ auch eher in der klassischen Besetzung. Letztendlich geht es gegen die freie Entwicklung der Kinder. Die kommt vielleicht sowieso aber warum sollten die Kinder sich gegen erlernte Muster wehren müssen?
Hallo Silke,
Ich kann dich sehr gut verstehen. Auch ich hatte große Probleme mit Kindergärten und auch Schulen. Es ist schwer, die Offenheit bei der eigenen Erziehung im Kontrast zu starren Rollenbildern (gerade im kirchlichen Kindergarten) zu sehen.
Liebe Grüße,
Nina