Was ist Feminismus für Dich? In meiner Interviewreihe versuche ich zu zeigen, wie unterschiedlich Feminismus verstanden und wie individuell Geschlechtergerechtigkeit gelebt und ausgefüllt werden kann.
Was ist Feminismus für Dich? Diese und weitere Fragen habe ich in der letzten Zeit ein paar Menschen gestellt. Wie erwartet, geht das Verständnis davon, was Feminismus ist und wofür er steht, wie Geschlechtergerechtigkeit gelebt wird und vielleicht auch, wie die einzelnen Interviewpartner*innen Feminist*in geworden sind, sehr weit auseinander. Und das ist auch gut so.
Viel Spaß beim Lesen der spannenden, klugen und manchmal auch herausfordernden Antworten.
Nina Strassner wird diese kleiner aber feine Interviewreihe eröffnen. Sie ist Fachanwältin für Arbeitsrecht und bloggt außerdem auf ihrem Blog Juramama. Nina ist mir mit ihren jovialen, energiegeladenen und gesellschaftskritischen auf Punkt und Paragraphen genaue Texte aufgefallen. Ihr von vielen Seiten gelobtes Buch „Keine Kinder sind auch keine Lösung“ liegt ganz oben auf dem Stapel meiner zu rezensierenden Bücher. Trotzdem hat sie mir schon meine Interviewfragen beantwortet und dafür danke ich ihr ganz besonders.
Liebe Nina, bezeichnest Du Dich selbst als Feministin?
Ja. Aber eher notgedrungen. Ich ärgere mich nämlich wahnsinnig, dass etwas so selbstverständliches ein Label braucht. Ich kann mit dem Label „Feministin“ aber deswegen leben, weil mir eben die Thematik, die der Begriff umschreibt, persönlich besonders wichtig ist.
Was ist Feminismus für Dich?
Ganz ehrlich? Gesunder Menschenverstand. Es wird nur oft falsch verstanden und das liegt eben daran, dass nur hier ein „-ismus“ ausnahmsweise mal den erstrebenswerten Normalzustand des menschlichen Zusammenlebens beschreibt. Alle anderen „-ismen“ sind entweder extrem, oder zumindest irgendwie Besonders. Feminismus aber steht für die Forderung von gleichberechtigter Teilhabe an der Gesellschaft und den Abbau von geschlechtsspezifischen Nachteilen jeglicher Art. Das ist doch keine besondere Agenda? Was ist man denn, wenn man da dagegen ist? Wer stülpt sich schon gerne selbst einen Begriff über. Niemand muss sich „Pipistin“ nennen, nur weil man jeden Morgen Harndrang hat oder ist ein „Kümmerist“, weil er jemandem aufhilft, der gerade auf die Schnauze gefallen ist. Sowas selbstverständliches nicht zu tun, hat einen Begriff verdient, nicht andersrum. Sich in den Zielen des „Feminismus“ wiederzufinden, ist für mich so wenig extrem und so normal und selbstverständlich eigentlich, dass es zum Problem selbst gehört, dass es dafür überhaupt noch ein Wort geben muss.
Wie bist Du Feministin geworden?
Die lustigsten, klügsten und entspanntesten Frauen mit dem besten Sex, mit oder ohne Achselhaare, die ich kenne, sind glasklare Feministinnen. Die haben einfach irgendwann festgestellt, dass die bestehende Realität sie nicht einfach das sein lässt, was sie selbst gerne sein wollen oder könnten. Kleine Mädchen und Jungs sind ganz natürlich Feministen, bis die Gesellschaft Einfluss hält. Bei mir war es der Eintritt in die Arbeitswelt und das Mutter-werden, das mich aufgerüttelt hat. Da wurde sichtbar, wie unterschiedlich ich behandelt werde und welch andere Erwartungen an mich gestellt wurden, als an den Mann an meiner Seite. Sogar von mir selbst. Er hatte immerhin aber doch ganz genauso dieses Kind verursacht. Mir fiel dann erst auf, dass einiges auch schon vor den Kindern so war. Ich hatte nur die Symptome nicht als solche erkannt. Das schockiert mich immer wieder, macht mich aber auch nachsichtig 26-jährigen Autorinnen der ZEIT gegenüber, wenn die sinnwidrigerweise zum Thema „Feminismus“ sowas wie „alleine-Bohrmaschinen-bedienen-können“ oder „Lippenstift-benutzen-dürfen“ in diese Debatte einführen. Das eine hat mit dem anderen überhaupt nichts zu tun. Aber das kapieren die auch noch und dann heiße ich sie herzlich willkommen.
Was ruft Deinen Feminismus auf den Plan?
Dieses permanente, unsachliche und teilweise aggressive Bestreiten oder verharmlosen von ganz krassen Schieflagen in unserem Berufs- und Familienleben. Sobald beispielsweise auch nur in der Überschrift „Studie zu Gehaltsunterschieden“ steht, rennt eine überdurchschnittlich große Horde (meist männlichen Geschlechts) los und tippt hysterisch „Lüge“ ins Internet. Das ist doch Wahnsinn? Der immense Meinungsbedarf bei krasser Ahnungslosigkeit und sogar eigener Betroffenheit bei dem Thema, fasziniert und schockiert mich gleichermassen. Gleichzeitig aber auch das fehlende Unrechtsbewusstsein für die Themen, die ich als Arbeitsrechtlerin voranbringe. Da finden es selbst Frauen „irgendwie nachvollziehbar“ wenn ein junger Mann eher eingestellt wird, als eine junge Frau. Denn sie verwechseln das mit der Rechtfertigung bestimmter Bewerbungsmassnahmen, die Eltern benachteiligen. Ich finde das Bedürfnis nach ungestörter Nachtruhe auch „irgendwie nachvollziehbar“, bin aber trotzdem echt dagegen, die Kinder nachts im Gartenhaus unterzubringen. Den Unterschied muss man doch gehirnlich hinkriegen?
Was ist Sexismus für Dich? Wann fängt er an?
Sexismus wird leider oft mit „Beleidigung“ verwechselt. Deswegen ist auch die Diskussion um Komplimente oder gemeinsame Fahrstuhlfahrten vollkommen behämmert, zudem hat Sexismus rein gar nichts mit „Sex“ zu tun. Es muss mich jemand weder beleidigt haben, noch mich beleidigen wollen oder mit mir schlafen wollen, wenn er sich de facto sexistisch verhält. Wenn ein Richter meinen Mandanten fragt, ob seine Prozessvertretung denn heute auch noch erscheinen würde, weil er die Frau neben dem Mandanten (mich) nur für seine „hübsche Begleitung“ gehalten hat, dann wollte er mich weder beleidigen, noch mir wirklich ein Kompliment machen. Es war sein Fehler. Und der lag in purem Sexismus in diesem Moment: Jemand „wie ich“ sah in dem Moment „für ihn gar nicht aus wie eine Anwältin“. Das ist nicht etwas, was man hinnehmen muss oder worüber man sich gesellschaftlich nicht kümmern sollte. Es hat mich nämlich aus dem Tritt gebracht, es hat meine Kompetenz in den Augen meines Mandanten sicherlich kurz erschüttert und war eben nicht „einfach nur ein fehlgeleitetes Kompliment aus Verlegenheit“. Es war ein menschliches Versehen, ganz klar. Der Mann wollte mir nichts Böses, er nannte mich hübsch. Trotzdem war es aber sein Handeln zu meinen Lasten. Deswegen ist Sexismus immer relevant, weil man den strukturellen Nachteil eben ganz oft nicht sofort erkennen kann. Da Männern sowas zudem meistens eher andersrum passiert und sie für den attraktiven Chef gehalten werden, obwohl sie der schnuckelige Azubi sind, ist dieses reflexartige „auch Männern erfahren Sexismus“ meistens dazu gedacht, das Problem in dem Moment zu verharmlosen und ist nicht als Signal zu deuten, da gemeinsam in den Kampf reiten zu wollen. Glaube ich zumindest.
Wie gehst Du persönlich mit Sexismus um, wenn Du ihn erlebst bzw. beobachtest?
Wenn ich ihn erlebe, schnalle ich das oft in dem Moment gar nicht. Dann möchte ich zwei Stunden später die Zeit zurückdrehen, was voll Schlagfertiges sagen. Deswegen ist die Diskussion darüber so wichtig, sie macht nämlich schnell und sensibel. Wenn ich es dann tatsächlich wahrnehme, bekomme ich ein Resting-Bitch-Face und hab erstmal gar keinen Bock mehr, eine lockere, fröhliche und freundliche Mitmenschin zu sein. Interessant ist dann der Bumerang, der die Frauen da erwischt: Der Vorwurf der Verspannt- und Humorlosigkeit auf gesellschaftlichem oder beruflichem Parkett. Als wäre leicht angepisst sein nicht eine vollkommen normale Reaktion darauf, wenn einen jemand verscheissern will oder man merkt, das einem gerade die Kompetenz-Felle wegschwimmen und man sich ärgert. Das ist vollkommen natürlich.
Sind die Geschlechterrollen biologisch begründet; sind sie sozial geprägt?
Bestimmt beides, das meiste halte ich für soziale Prägung. Es ist nur extrem wichtig und schwer, nicht in die Falle zu tappen und das biologische unzulässig zu verdrehen und zur Rechtfertigung von Diskriminierungen ins Feld zu führen. Frauen können „biologisch“ sicher manche Dinge, die Männer nicht können und andersrum. Nur komischerweise sind die auf der Frauenseite monetär immer nichts oder nur wenig wert und die auf der Männerseite werden zur Rechtfertigung von finanziellen und beruflichen Vorrechten genutzt oder sind überhaupt Berufe. Das muss aufhören.
Solange zudem Familienarbeit und Kinderbetreuung in unseren Köpfen „weiblich“ geprägt ist und damit aber keine Rente erwirtschaftet wird, ist es bigott zu behaupten, es wäre ja jeder seines eigenen Glückes Schmied. So argumentiert nur der, der von der jeweiligen gesellschaftlichen Prägung in den Köpfen (noch) keine finanziellen Nachteile hat.
Wie erklärst Du Dir die Beobachtungen vieler Eltern hinsichtlich des geschlechtsspezifischen Verhaltens ihrer Kinder?
Ich behaupte ja selbst gerne, beide Kinder gleich erzogen zu haben. Das ist natürlich totaler Quatsch. Ich kann ja nicht mal selbst alle meine Prägungen ablegen. Manche nutzen mir ja auch und ich nutze sie leider manchmal sogar aus. Ich sage zu meinem Sohn, er soll sofort aufhören seine Schwester zu verhauen, sondern solle sie beschützen. Meiner Tochter sage ich aber, sie soll sofort aufhören ihren Bruder zu verkloppen, sondern solle lieb zu ihm sein. Trotzdem würde ich meiner Tochter ja niemals aktiv Stärke absprechen oder meinem Sohn den Sinn für liebesvolles Verhalten. Ich wollte doch nur, dass das Gehaue aufhört. Da fängt es halt schon an. Teufelskreis. Selbstgemacht.
Geschlechtergerechte Sprache – was ist das für Dich? Wie sprichst und schreibst Du?
Ich tappe da so oft selbst rein, aber immerhin fällt es mir immer öfter auf. Wenn ich eine kranke Freundin frage „was der Arzt gesagt hat“ ist das ja auch eine sprachliche Auffälligkeit. Anstatt zu fragen „Was hat die Untersuchung ergeben?“ Im Beruf moniere ich in Schriftsätzen und auch vor Gericht regelmäßig dieses „Sie sind Mutter. Haben Sie in den letzten 10 Jahren gearbeitet?“ Gearbeitet? THE FUCK – JA! 24 Stunden am Tag. Nur meistens unbezahlt. Ich möchte hier von allen Beteiligten „berufstätig“ hören und wenn ein älterer Kollege „Mutterurlaub“ statt „Elternzeit“ sagt, entgleisen mir die Gesichtszüge. Und das ist wichtig und gut so. Kleinvieh macht Mist, da wo es eben möglich ist. Sensibilität schadet einfach nicht.
Wie versuchst Du Deine Kinder an Feminismus und Geschlechtergerechtigkeit heranzuführen?
Was ist Dir für Deine Kinder in dieser Hinsicht besonders wichtig? Die Kinder sollen träumen und planen und anziehen was sie wollen. Nagellack geht für beide in Ordnung, genauso wie Wikingerhörner für beide. Ich greife da ein, wo die Kinder bewusst so komische Klischees aus der Schule und KiTa mitbringen, wie „ Aber die ist doch ein Mädchen“ oder „Haha, der Junge hat ne Puppe dabei“. Da werde ich recht deutlich. Sie leben aber zuhause auch ein sehr „Vater am Herd“-lastiges Familienbild.
Rollenklischees und Sexismus in Kinderbüchern. – Welche Erfahrungen hast Du gemacht und wie gehst Du damit um?
Das ist auch sowas, auf das ich erstmal aufmerksam werden musste. Wenn es einem erstmal einer gesagt hat, dann sieht man das nur noch in den Büchern und im Fernsehen! Manchmal thematisiere ich das ganz konkret mit den Kindern und beziehe sie in meinen Ärger mit ein. Die kapieren das ganz früh.
Wenn Du für einen Tag ein Mann sein könntest. was würdest Du tun?
Dieses Interview geben. Es erstaunt mich immer wieder wieviel mehr Beachtung und Applaus und damit auch Effekt es hat, wenn ein einziger Mann die Dinge sagt, die Tausende Frauen in seinem Umfeld seit Jahrzehnten laut anprangern. Jeder Schauspieler oder Politiker wird über Nacht zum Helden der Nation, wenn er hier mal Tacheles im Sinne seiner Kolleginnen redet. Und plötzlich hören die Leute zu und Männer verlieren die Angst vor dem „Feminismus“.
Welche feministisch begründeten Wünsche und Forderungen hast Du an die nächste Bundesregierung?
Ich möchte eine Reform der Rentenpolitik, die widerspiegelt, dass es die Eltern sind, die den Generationenvertrag einhalten. Kinder bekommen ist nachteilig für die eigene Rente, schon seit 60 Jahren. Dieser Fehler bricht meiner Generation das Genick. Es nervt mich, dass da nur die eigenen Pfründe gesichert werden, keine Partei hat da mutige Lösungen. Und die gibt es in andern Ländern längst. In meinem Buch hab ich das aufgedröselt.
Was ist Dein größter feministischer Wunsch für die Zukunft?
Dass all das für meine Kinder eines Tages kein „Ismus“ mehr ist, kein „Frauenthema“, nicht mehr „Frauenpolitik“, sondern die Ziele des heutigen Feminismus der Normalzustand. Ich möchte, dass sie mich bei unseren beruflichen Nachteilen oder dieser merkwürdigen Sexismusdebatte oder „Nein heißt Nein“ so anschauen, wie wir heute diese Werbungen aus dem 60igern oder die Argumente von 1997 gegen die Vergewaltigung in der Ehe im Bundestag.
Liebe Nina, vielen Dank für Deine Antworten.
Weitere bisherige Interviews der Reihe „Was ist Feminismus für Dich?“
- „Patriarchatskritik ist radikaler als Feminismus.“ – Rona Druve
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„Männer sollten sich mit feministischen Konzepten auseinander setzen“ – Robert Franken
- Nina Jaros: Kinder finden ihre Rollen. Ich wurde eine Frau, obwohl ich fast nur „Jungsspielzeug“ besaß
- Corinna Luca aka Makellosmag: Feminismus ist für mich mehr eine Haltung als ein Label
- Christine Finke: Feminismus begleitet mich als Grundhaltung immer
- Stievie Schmiedel von Pinkstinks, was ist Feminismus für Dich?
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Danke. Dankedankedanke! Tolles Interview, hab ich sehr gern gelesen.
Ein wirklich gutes Interview! Danke für die klugen Antworten. Ich werde das Buch mal direkt auf meinen Wunschzettel schreiben.