Was ist Feminismus für Dich? Die Titel meiner Interviewreihe ist durchaus wörtlich gemeint, denn jede*r definiert Feminismus und Geschlechtergerechtigkeit anders, hat unterschiedliche Schwerpunkte oder radikalisiert das übliche Definitionsfeld. Heute: Patriarchatskritik.
Es geht weiter mit meiner Interviewreihe „Was ist Feminismus für Dich“. Ich freue mich, Euch heute Rona Duwe und ihr Verständnis und ihre Weiterführung von Feminismus vorstellen zu können. Ich finde ihre Ausführungen sehr spannend und die meisten finden ein großes Echo in mir. Wie geht es Euch mit Ronas Definition?
Rona Duwe kennt Ihr vom Blog Phoenixfrauen, der Frauen stärken will, die Beziehungsgewalt erleben mussten und müssen. Aktuell schreibt Rona vorwiegend an ihrem neuen Kooperationsprojekt Herstory-History.com. Lest dort unbedingt mal rein, ich könnte mir vorstellen, dass für den einen oder die andere Ronas Antworten etwas weit gehen. Unter „Fragen und Antworten“ findet Ihr erste kurze und knappe Antworten und in den Blogposts dann detailiiertere.
Liebe Rona, bezeichnest Du Dich selbst als Feminist*in?
Ich hatte schon immer Schwierigkeiten, mich einem -ismus zuzordnen, da ich mich in ständiger Entwicklung befinde und mich nicht über eine solche Zuschreibung eingrenzen möchte. Hättest Du mich vor einem halben Jahr gefragt, hätte ich wohl – vor allem aus Solidarität – gesagt: ja, ich bin wohl Feministin. Heute kann ich das so nicht mehr sagen. Inzwischen sehe ich mich eher als Patriarchatskritikerin.
Der heutige Feminismus ist mir zu beliebig geworden und geht in meinen Augen nicht wirklich an die Wurzel und die Herkunft unserer Probleme. Ich beobachte, dass spezifische Schwierigkeiten von Mädchen, Frauen und Müttern, die nach wie vor da sind (Sexismus, Sexuelle und Häusliche Gewalt, Gender-Pay-Gap, Hate, Care-Arbeits-Problematik, theologisch begründete Zuschreibungen / Diskriminierungen / Körperverletzungen), immer häufiger thematisch an den Rand gedrängt werden zugunsten einer vermeintlichen Gerechtigkeit und Gleichberechtigung allen gegenüber. Eine der wenigen Gruppierungen, die hier noch klare Position beziehen, sind für mich Terre des Femmes. Dafür werden sie von liberalfeministischer Seite massiv angefeindet.
Der Feminismus behandelt vor allem Symptome und ihre Auswirkungen. Die Wurzeln bleiben unangetastet.
Die Wurzeln sehe ich im Patriarchat und in patriarchalen Gesellschaftsstrukturen, in denen wir seit ca. 6.500 Jahren leben. Das ist im übrigen – mit Blick auf die gesamte Menschheitsgeschichte – ein sehr kurzer Zeitraum, der aber gereicht hat, um unsere Erde in einen verheerenden Zustand zu führen.
Für mich reicht es eben nicht, Mädchen, Frauen und Mütter in ein System eingliedern zu wollen und ihnen dort vermeintliche Gleichberechtigung zu gewähren, wenn das System an sich menschen- und lebensunfreundlich ist. Und genau das zeigt sich ganz besonders in dem Moment, wenn Frauen Mütter werden. Noch deutlicher zeigt es sich, wenn Mütter alleinerziehend werden. Und am allerdeutlichsten wird es, wenn Mütter wegen Partnerschaftsgewalterfahrungen alleinerziehend werden. An Müttern wird besonders deutlich sichtbar, wie es um eine Gesellschaft bestellt ist.
Da das mein Schwerpunktthema in den letzten drei Jahren war, betrachte ich vieles, was so täglich von feministischer Seite kommt, mit anderen Augen, als jemand, der/die diese Erfahrungen nicht gemacht hat. Gerade alleinerziehende Mütter fühlen sich vom Feminismus oft nicht abgeholt. Sie fühlen sich dann – genau wie Frauen, die bewusst mit ihren Kindern zu Hause bleiben – eher ausgerechnet von Aktivistinnen wie Birgit Kelle vertreten. Birgit Kelle füllt eine Lücke, die der Feminismus bisher nicht zu füllen imstande war. Sie spricht für Frauen, die einen besonderen Sinn und eine besondere Aufgabe darin sehen, Mutter zu sein. Parallel dazu vertritt sie aber klassisch patriarchale Rollenklischees für Frauen und Männer und agiert und argumentiert rechtspopulistisch. Sie stellt es als natürlich hin, dass Frauen zu Hause bleiben und dem Mann den Rücken freihalten. Sie betreibt Victimblaming, indem sie die Verantwortung für sexuelle Übergriffe den Frauen und ihrer Kleidung zuweist. Und sie ist der Meinung, dass Frauen selbstverschuldet alleinerziehend werden. Es entsteht dadurch eine Lagerbildung, die nicht zielführend ist und die auch unserer tatsächlichen Geschichte als Frauen und Mütter nicht entspricht.
Beschäftigen wir uns aber intensiver mit unserer weiblichen und menschlichen Frühgeschichte und dem Umbruch zum Patriarchat, entwickeln sich daraus zum einen klare Erkenntnisse über die Herkunft unserer Schwierigkeiten und zum anderen spannende Perspektiven für unser jetziges Leben und unsere Zukunft. Diese Erkenntnisse greifen in alle Lebensbereiche hinein.
Die Patriarchatskritik ist also radikaler als der Feminismus.
Denn: Für eine gesellschaftliche Veränderung reicht es nicht aus, dass Frauen sich einfach nur in ein auf Männer ausgelegtes Gesellschafts-, Wirtschafts- und Führungssystem einfügen, um öffentlich wahrgenommen und honoriert zu werden. Das Patriarchat selbst ist dysfunktional. Das bedeutet, dass viele Lebensbereiche ganz neu gedacht und gestaltet werden müssen. Zum Beispiel die Ökonomie, der Arbeitsbegriff, die Religion, das Verständnis von Familie, das Schulsystem, die Landwirtschaft, der Umgang mit der Natur etc. (Zitat aus herstory-history.com)
Wenn wir uns mit dieser Thematik beschäftigen, erübrigen sich viele Fragen, die Du in der Folge gestellt hast. Ich liste dennoch Kurzantworten aus Sicht der Patriarchatskritik auf.
Was ist Feminismus für Dich, bzw. was ist Dir besonders wichtig?
Mir ist besonders wichtig, dass Mädchen, Frauen und Mütter wieder ihre zentrale gesellschaftliche Rolle einnehmen. Das meint kein Matriarchat im Sinne von Frauenherrschaft, sondern die Position der Mutter im Zentrum (Matrifokalität). Die Rechnung geht nämlich ganz einfach: Wenn es Müttern gut geht, geht es Kindern gut, geht es allen gut. Das Mütterliche ins Zentrum zu stellen heißt dabei nicht, Männer (oder andere Geschlechter) auszuschließen. Es bedeutet im Gegenteil, ein lebenswertes und menschenfreundliches Leben in den Mittelpunkt aller Bemühungen zu stellen.
Wie bist Du zur Feministin geworden?
Insbesondere meine Arbeit für Frauen, die von Beziehungsgewalt betroffen sind, hat mich zur Feministin und später – auf der Suche nach den wahren Ursachen systemimmanenter Gewalt gegen Frauen – zur Patriarchatskritikerin gemacht.
Wann fühlst Du Dich im als Feministin angesprochen?
Unsere gesamte Art, derzeit zu leben, zu denken, zu arbeiten.
Was ist Sexismus für Dich? Wann fängt er an?
Sexismus ist ein wesentliches Unterdrückungsinstrument des patriarchalen Systems. Er betrifft dabei nicht nur Frauen, sondern auch Männer, denn er weist enge Rollen zu und legitimiert (sexualisierte) Gewalt. Sexismus fängt mit Denkmustern an und gipfelt in körperlicher Gewalt.
Wie gehst Du persönlich mit Sexismus um, wenn Du ihn erlebst bzw. beobachtest?
Unterschiedlich. Ich versuche, darauf hinzuweisen und zu erklären. Das gelingt aber nicht immer.
Sind die Geschlechterrollen biologisch begründet; sind sie sozial geprägt? Und wie erklärst Du Dir die Beobachtungen vieler Eltern hinsichtlich des geschlechtsspezifischen Verhaltens ihrer Kinder?
Wir SIND definitiv körperlich bestimmt durch unser Geschlecht. Frag mich bitte mal, wie es mir 3 Tage vor meiner Menstruation geht. Frag mich, was das Gefühl mit mir macht, ein Baby im Bauch zu haben oder zu stillen. Frag mich, wie scharf ich auf Sex bin, wenn ich meinen Eisprung habe und vor allem WEN ich dann auf einmal scharf finde (den Handwerker ;-)). Frag mich, wie es mir die letzten Monate geht, seit sich so langsam die Wechseljahre ankündigen. Der Körper HAT Einfluss auf unser Denken und dadurch auch auf unser Verhalten.
Was allerdings das patriarchale System damit gemacht hat ist, die Sexualität des Menschen zu pervertieren und zu verdrehen und Männern und Frauen (Jungen und Mädchen) starre Rollenmuster aufzuerlegen, unter denen ausnahmslos ALLE leiden.
Geschlechtergerechte Sprache – wie sprichst und schreibst Du?
Ich bin da nicht so streng mit mir und anderen. Ich finde die Denkweise wichtiger, als die mündliche und schriftliche Sprache.
Wie versuchst Du Deine Kinder zu Feminismus/Geschlechtergerechtigkeit heranzuführen?
Ich rede viel mit meinen Söhnen über diese Themen. Ich thematisiere das auch, wenn andere Kinder zu Besuch sind.
Wenn Du für einen Tag ein Mann sein könntest. was würdest Du tun?
Ich bin gern eine Frau.
Welche feministisch begründeten Wünsche und Forderungen hast Du an die nächste Bundesregierung?
Ich glaube nicht, dass wir derzeit über die existenten politischen Strukturen fundierte Änderungen erreichen. Dazu dienen diese Strukturen zu sehr unserem patriarchalen System. Die Veränderung muss von innen und unten kommen – über die Erkenntnis, dass es mal ganz anders und viel gesünder war, dass es so wie jetzt nicht weitergeht und dass wir ganz andere Strukturen brauchen.
Was ist Dein größter feministischer Wunsch für die Zukunft?
Mein Wunsch ist, dass mehr Menschen unsere wahre Frühgeschichte kennenlernen und die Zusammenhänge verstehen, warum wir heute so leben wie wir leben, warum wir diese Schwierigkeiten haben, warum es so auf keinen Fall weitergeht und wie es sehr lange anders ging und morgen gehen könnte. Erst durch Erkenntnis kann sich fundierte Veränderung entwickeln. An der Oberfläche zu kratzen, bringt nur oberflächliche Lösungen. Wir müssen in die Tiefe gehen. Wir haben nämlich ca. 500.000 Jahre friedlich auf dieser Erde gelebt. Wir können das.
Liebe Rona, vielen Dank für Deine Antworten.
Weitere bisherige Interviews der Reihe „Was ist Feminismus für Dich?“
- „Feminismus ist gesunder Menschenverstand!“ Juramama Nina Strassner
- „Männer sollten sich mit feministischen Konzepten auseinander setzen“ – Robert Franken
- Was ist Feminismus für Dich? – Antje Schrupp
- Nina Jaros: Kinder finden ihre Rollen. Ich wurde eine Frau, obwohl ich fast nur „Jungsspielzeug“ besaß
- Corinna Luca aka Makellosmag: Feminismus ist für mich mehr eine Haltung als ein Label
- Christine Finke: Feminismus begleitet mich als Grundhaltung immer
- Stievie Schmiedel von Pinkstinks, was ist Feminismus für Dich?
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Wow! Super spannendes Interview das in mir eine gewisse „mentale“ Überforderumg ob des ganzen Gedankenkonstruktes zurücklässt.
Werde mich aber ganz bestimmt mehr in diese Gedankenthematik einlesen.
Eine tolle Interviewreihe hast du da, Sonja!
Keep up the good work!
Dankeschön für diese Rückmeldung, Max. :)