Was ist Feminismus für Dich? Jochen König erzählt heute unter anderem wie er mit dem Begriff und der Denktradition des Feminismus umgeht und was ihm Geschlechtergerechtigkeit im Leben mit seinen Kindern bedeutet.
Heute erzählt Jochen König, wie er es mit dem Feminismus hält. Jochen kennt Ihr vermutlich von seinem Blog, auf dem er über Familie, Geschlechter, Liebe und Sex, über Nachmittage auf dem Spielplatz, übers Scheitern und über Überforderung, über Väter und über die Aufteilung von care-Arbeit schreibt. Vielleicht auch über seine Bücher „Mama, Papa, Kind?: Von Singles, Co-Eltern, und anderen Familien“ und „Fritzi und ich: Von der Angst eines Vaters, keine gute Mutter zu sein“. Ich freue mich, dass Jochen heute mit seinem Antworten zu meiner Interviewreihe dabei ist.
Lieber Jochen, bezeichnest Du Dich selbst als Feminist?
Ich denke, es geht nicht so sehr darum, ob ich mich so bezeichne oder nicht. Ich werde gerne so bezeichnet. Ich beziehe mich in vielem, was ich denke und schreibe auf Feminismus bzw. auf Feministinnen. Ich sehe dort viele Inhalte und Kämpfe, mit denen ich mich identifizieren kann. Ich versuche in meinem Alltag eine feministische Kritik im Kopf zu haben. Ob aber mein Handeln ausreicht, um als Feminist bezeichnet zu werden, sollen lieber andere beurteilen.
Was ist Feminismus für Dich?
Feminismus ist für mich in erster Linie erst einmal eine Denktradition bzw. eine Bewegung, die historisch für die Gleichstellung von Frauen in der Gesellschaft gekämpft hat und die sich im letzten Jahrhundert in vielerlei Hinsicht ausdifferenziert hat und deren Kämpfe an unterschiedlichen Stellen der Gesellschaft geführt werden. Mich interessieren dabei sehr unterschiedliche Aspekte, wie beispielsweise die Forderungen der Abschaffung des §218 und Fragen der sexuellen Selbstbestimmung ebenso wie Fragen nach der Aufteilung von Care-Arbeit, aber auch Überlegungen eines intersektionalen Feminismus, der dazu aufruft, nicht nur das Geschlechterverhältnis zu betrachten, sondern auch danach zu schauen, wie sich dieses mit anderen Machtverhältnisse und Diskriminierungsformen überschneidet.
Wie bist Du zum Feminist geworden?
Es gibt keinen einzelnen Auslöser, der mich zum Feminismus gebracht hat. Es spielt sicherlich eine Rolle, dass ich bei einer feministischen alleinerziehenden Mutter groß geworden bin. In meinem Studium war Feminismus ein Thema, ich war Teil einer radikalen und in Teilen queeren Linken, in der über Feminismus diskutiert wurde. Ich habe im Laufe der Jahre viele Gespräche mit Freund_innen darüber geführt und ich habe mich irgendwann nochmal intensiver mit meinem eigenen Geschlecht und mit meiner Sexualität beschäftigt und durch die Auseinandersetzung mit Feminismus erkannt, dass es sich dabei nicht nur um individuelle Aspekte meiner Identität handelt, sondern dass ich über diese Kategorien auch irgendwie in gesellschaftliche Zusammenhänge und (hetero-)sexistische Machtverhältnisse eingebunden bin.
Was ruft Deinen Feminismus auf den Plan?
Ich versuche in vielen, vermeintlich privaten Situationen eine feministische Kritik im Kopf zu haben: Wer bleibt mit dem kranken Kind zuhause? Wer wäscht im Büro das Geschirr ab? Wer kommt in Diskussionen bei nem Bier in der Bar häufiger und ausführlicher zu Wort? Wer denkt beim Sex an die Verhütung? Wer spricht innerhalb einer Paarbeziehung offen über Gefühle und Bedürfnisse oder kümmert sich darum, dass Gespräche darüber stattfinden? Ich diskutiere auch manchmal gerne über Fragen der großen Politik, aber viel spannender finde ich es, diese vielen keinen angedeuteten Situationen und mein eigenes Handeln oder das Handeln anderer in diesen Situationen aus feministischer Perspektive zu reflektieren.
Was ist Sexismus für Dich?
Geschlecht ist eine so allgegenwärtige Kategorie, die viele Aspekte unseres Lebens bestimmt. Wir leben in einer durch und durch sexistisch strukturierten Gesellschaft. Nichts und niemand ist frei davon. Ich finde die Frage, wo Sexismus anfängt, deshalb gar nicht so spannend. In vielen Situationen geht es nicht darum, etwas unbedingt als sexistisch zu bezeichnen, sondern darum, ins Gespräch zu kommen und gemeinsam zu überlegen, inwiefern eine bestimmte Aussage oder Handlung eventuell unpassend war und problematisch sein könnte. Ziel sollte es sein, immer darauf zu achten, mit eigenem Sprechen und Handeln nicht noch zusätzlich sexistische Vorstellungen und Machtverhältnisse zu reproduzieren.
Sind die Geschlechterrollen biologisch begründet; sind sie sozial geprägt?
Ich glaube nicht, dass eine solche Unterscheidung sinnvoll ist. Auch das biologische Geschlecht ist sozial konstruiert. Wir haben gar keine Möglichkeit, Geschlechterrollen ohne soziale Prägung zu untersuchen, weil diese Prägung schon vor der Geburt beginnt und selbst unser Blick darauf immer sozial geprägt ist.
Wie erklärst Du Dir die Beobachtungen vieler Eltern hinsichtlich des geschlechtsspezifischen Verhaltens ihrer Kinder?
Kinder leben nicht in einem luftleeren Raum. 96% der Kinder erleben von Geburt an, dass es die Mutter ist, die im ersten Jahr die überwiegende Sorgearbeit für sie übernimmt. Kinder bekommen spätestens mit der Geburt ein Geschlecht zugeordnet und werden entsprechend dieses Geschlechts – nicht nur bewusst, sondern auch unbewusst – angesprochen und unterschiedlich behandelt. Kinder lernen von Geburt an, wie diese Gesellschaft anhand von Geschlechtern konstruiert und strukturiert wird und welche Rolle ihrem eigenen vermeintlichen Geschlecht in dieser Gesellschaft zugedacht ist. Wenn sich dann viele Kinder dementsprechend verhalten, ist das kein großes Wunder.
Geschlechtergerechte Sprache – was ist das für Dich? Wie sprichst und schreibst Du?
Sprache ist ein wichtiges Instrument, mit dem wir uns Zugang zur Welt verschaffen bzw. wir uns unsere Welt erklären. Deshalb finde ich es wichtig, dass auch in der Sprache, feministische Perspektiven deutlich werden, und Frauen beispielsweise nicht nur einfach in einer Fußnote vorkommen und dort behauptet wird, sie seien doch mitgemeint. In meinen Texten schreibe ich meist mit dem Unterstrich, um auch symbolisch Platz zu lassen für alle möglichen Ausprägungen geschlechtlicher Identität. Den Gap versuche ich auch in der gesprochenen Sprache mit einer kurzen Pause deutlich zu machen. Immer häufiger frage ich auch Menschen, nach dem Pronomen mit dem sie angesprochen werden möchten, um falsche Zuordnungen und Verletzungen zu vermeiden.
Versuchst Du Deine Kinder zu Feminismus/Geschlechtergerechtigkeit heranzuführen?
Ich versuche, meine Kinder ernst zu nehmen und als vollwertige Menschen zu betrachten. Ich glaube, dass damit schon viel gewonnen ist. Außerdem spreche ich mit meinen Kindern viel über die Welt und ihre Beobachtungen der Welt. Dabei kommt es auch immer wieder zu Gesprächen über Geschlechter und ich finde den Austausch mit meinen Kindern zu diesem Thema sehr bereichernd. Ich möchte meinen Kindern in dieser Hinsicht gar nichts beibringen, sondern glaube, dass wir bei einem entsprechend offenen Umgang mit diesem Thema gegenseitig viel voneinander lernen können.
Rollenklischees und Sexismus in Kinderbüchern. – Welche Erfahrungen hast Du gemacht und wie gehst Du damit um?
Ich selbst kann mit Büchern wenig anfangen, in denen unkritisch stereotype Geschlechterbilder vertreten werden. Solche Bücher möchte ich meinen Kindern dann auch nicht vorlesen. Es gibt leider noch immer vergleichsweise wenig Kinderbücher, in denen vielfältigere Perspektiven deutlich werden, obwohl es zum Glück immer mehr werden.
Wenn Du für einen Tag eine Frau sein könntest. was würdest Du tun?
Mein ganzes Leben wurde mir beigebracht, ein Mann zu werden. Für mich fühlt sich „Mann sein“ mehr nach (Fremd-)Zuschreibung an und weniger nach eigener Identität. Ich versuche, viel darüber nachzudenken, was das mit mir gemacht hat, warum ich so geworden bin, wie ich bin, und was das alles mit Vorstellungen über Männlichkeit zu tun hat. Vieles läuft unbewusst und ist schwer genauer herauszuarbeiten. Deshalb finde ich es auch sehr schwer vorstellbar, wie es wäre, für einen Tag eine völlig andere Geschichte zu haben und völlig anders betrachtet und behandelt zu werden. Ich hoffe, ich wäre auch mit einer anderen geschlechtlichen Zuschreibung immernoch derselbe Mensch. Vielleicht würde ich als Frau noch ein wenig länger schlafen, weil die Auseinandersetzung mit der Welt noch etwas ermüdender ist.
Welche feministisch begründeten Wünsche und Forderungen hast Du an die nächste Bundesregierung?
Die Liste meiner Wünsche ist so lang wie leider auch in vielerlei Hinsicht unrealistisch. Manchmal erscheint es so, als müssten wir vor dem Hintergrund der aktuellen weltpolitischen Lage froh sein, wenn in Zukunft viele feministische Errungenschaften nicht wieder zurückgenommen werden. Konkret würde ich mir beispielsweise eine Abschaffung des sogenannten Ehegattensplittings sowie des §218 wünschen. Statt einer Obergrenze für Geflüchtete wünsche ich mir eine Untergrenze als humanitäre Selbstverpflichtung, beispielsweise pro Jahr mindestens einer Million Menschen Schutz vor Krieg und Verfolgung zu gewähren und die Möglichkeit für Menschen aus diesen Gründen legal und sicher nach Deutschland zu kommen. Ich wünsche mir, dass die Bundesregierung den Kampf gegen Rassismus und Rechtsextremismus als ihre Aufgabe betrachtet. Ich wünsche mir eine Bekämpfung von Armut und sozialer Ungleichheit. Ich wünsche mir flächendeckend wirklich inklusive Kitas und Schulen sowie die Bereitstellung der dafür nötigen Mittel durch die Bundesregierung und vieles mehr.
Was ist Dein größter feministischer Wunsch für die Zukunft?
Ich wünsche mir eine Welt, in der Menschen in ihrer Unterschiedlichkeit wertgeschätzt werden, in der Vielfältigkeit als positiv und wünschenswert wahrgenommen wird. Ich wünsche mir eine Welt, in der Menschen mit ihren individuellen und unterschiedlichen Bedürfnissen gesehen werden und ich wünsche mir, dass sich möglichst viele unterschiedliche Menschen (nicht nur überwiegend alte weiße Männer) an der Gestaltung der Welt und unseres Zusammenlebens beteiligen können.
Vielen Dank für Deine Antworten, lieber Jochen.
Meine weiteren Interviews der Reihe „Was ist Feminismus für Dich“
„Feminismus ist gesunder Menschenverstand!“ Juramama Nina Strassner
„Patriarchatskritik ist radikaler als Feminismus.“ – Rona Duwe
„Männer sollten sich mit feministischen Konzepten auseinander setzen“ – Robert Franken
Was ist Feminismus für Dich? – Antje Schrupp
Corinna Luca aka Makellosmag: Feminismus ist für mich mehr eine Haltung als ein Label
Christine Finke: Feminismus begleitet mich als Grundhaltung immer
Stievie Schmiedel von Pinkstinks, was ist Feminismus für Dich?
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