Almut Schnerring, Autorin und Bloggerin über Genderfragen und Rollenklischees hat zu einem Blogstöckchen aufgerufen: #WasAndersWäre. Hier geht es um 6 Fragen zum Thema, was Frauen und Männer definiert, was sie unterscheidet, was sie sozialisiert. Andrea von Munichs Working Mum hat das Blogstöckchen an mich weiter gereicht, ganz lieben Dank dafür.
In Almuts Blogpost findet Ihr alle anderen Blogbeiträge verlinkt, darunter Anke Domscheit-Berg, mama-arbeitet.de, krachbumm.com, 40-something.de, Papa rockt, Berlinmittemom und last but not least Anne Wizorek und viele mehr. Lest sie Euch durch, es ist sehr unterschiedlich und sehr, sehr spannend!
Ich trage diese Fragen schon eine Weile mit mir herum und finde sie sehr schwer zu beantworten. Denn letztendlich sind es philosophische Fragen, die mich nach einem anderen Sein, einer anderen Identität oder auch „nur“ nach einer anderen Sozialisierung befragen. Natürlich kann ich nur vermuten, wie es wäre ein Mann zu sein. Ich kann die Fragen nur mit meinen jetzigen Gefühlen, Beobachtungen dessen wie „die Männer“ (welche genau?) sind, und mit meiner Überzeugung, was Frauen zu Frauen und Männer zu Männer macht, beantworten. Letztendlich habe ich durch mein Nachdenken über die Fragen weniger darüber erfahren, wie es wäre ein Mann zu sein, sondern vielmehr erneut betrachtet, was mein Frau-sein definiert, was es limitiert, wie ich Grenzen versuche auszuweiten und auch daran scheitere.
Zum Thema Sozialisierung ein aktueller Film darüber, wie Tamponwerbung womöglich aussähe, wenn Männer menstruierten. (Sie wäre wichtiger, aktiver, offensiver, von Heimlichkeit keine Spur.) Der Film ist kurz, lustig und sagt viel wahres. Seht ihn Euch an:
Die Fragen:
1. Was wäre anders in deinem Leben, in deinem Alltag, wenn du ein Mann/eine Frau wärst?
Ich würde vermutlich eher nicht Teilzeit arbeiten, vor allem nicht, weil ich mich als Vollzeitarbeitsmensch empfinde. Es ist aus diversen Gründen so passiert. Teils weil ich nach beiden Geburten körperlich sehr am Ende war und monatelang durch das nächtliche Stillen und Baby beruhigen keinen klaren Gedanken fassen konnte, teils weil ich nach der Geburt – wie viele Frauen – in eine berufliche Sinnkrise und Neuorientierung geraten bin. Eine Frage des „wer verdient mehr“ und „wer ist momentan eher abkömmlich“? Außerdem, das müssen wir selbstkritisch zugeben, haben wir im Stress, in geistiger und körperlicher Umnachtung (Schlafentzug) und Ratlosigkeit in traditionellen Bahnen entschieden. Und das, obwohl wir viele Eckpunkte vorab besprochen hatten und ich vorher auch schon feministisch war und großen Ehrgeiz für meine berufliche Laufbahn hatte. Durch die Ratlosigkeit bei Existenzdruck, körperlicher Erschöpfung und Last der Verantwortung (hab ich gerade beim 1. Kind so stark gespürt) fühlten sich die althergebrachten Bahnen für uns – für mich – irgendwie sicherer an. Was wäre, wenn ich mein Business einfach konsequent im Vollzeitjob aufgezogen hätte? Ich hätte darunter gelitten, nicht mehr für die Kinder dasein zu können und hätte mir das nicht verzeihen können. Mein Mann kann das.
Sozialisierung / Erziehung
Meine Eltern waren auch in den 70er und 80ern schon sehr emanzipiert in ihrer Sichtweise und Haltung, vor allem im Vergleich mit anderen Eltern damals. Obwohl sie das klassische Rollenmodell lebten. Ich wurde immer ermutigt, zB. aufs Gymnasium zu gehen, ein Auslandsjahr zu machen, im Ausland zu studieren, etc. Es gab nie die Frage ob ich etwas kann oder nicht kann. Mein Vater (!) lehrte mich Fahrräder zu reparieren, Möbel aufzubauen, mit Holz zu arbeiten, Feuer zu machen. Mit meiner Mutter lernte ich als kleines Kind sprechen, später lesen, noch später über Literatur und Gefühle reden sowie das Kochen, Putzen, Küche organisieren etc. Als ich 20 war und mein Bruder 15 (und auch danach), fiel mir unter anderem auf, dass er zwar ebenfalls Feuer machen konnte und auch gern Pfannkuchen buk, aber weder die Küche danach aufräumte, noch jemals so viel im Haushalt mit half, wie ich in dem Alter. Mein Bruder rebellierte in seiner Pubertät einfach so stark, das meine Eltern nicht die Nerven hatten, noch mehr Grenzen zu setzen oder Konflikte mit ihm auszufechten. Das mag eine individuelle Sache sein. Wer jedoch jemals mit unterschiedlichen Männern Wohnungen teilte (WGs, Lebenspartner, Freunde), sieht einen roten Faden. Es reicht auch, andere Frauen zu befragen.
„Aussehen“ und „Schönheit“
In meiner frühen Jugend (so ab 12 Jahre) wäre ich bestimmt weniger über mein Aussehen definiert worden. Es mag sein, dass ich besonders „empfindlich“ war, das hörte ich jedenfalls oft. Ab einem gewissen Alter wurde regelmäßig von Freunden meiner Eltern oder Verwandten bemerkt, ob ich zu- oder abgenommen hätte, ob ich hübsch sei, wie, ob und mit welchem Style meine Frisur gefiel usw. Obwohl das meiste davon bestärkend und als Kompliment gemeint war, fühlte ich fühlte mich unter die Lupe genommen, nahm mich selbst unter die Lupe – und ließ lange Zeit kein einziges gutes Haar an mir.
(Hierzu, weil es passt, ein aktueller Artikel aus dem Telegraph: „Worldwide sexism increases suicide risk in young women“, eine Erkenntnis der WHO. Ich lasse das hier unkommentiert stehen.)
Auftreten, Selbstbewußtsein
Genausowenig wäre wohl meine laute Stimme und mein selbstbewusstes Auftreten kommentiert worden. Vermutlich hätte ich eher ein anerkennendes Kopfnicken erhalten und der Ruf, „Führungsqualitäten“ zu haben, wäre mir vorausgeeilt. Stattdessen war ich als Kind „vorlaut“, später dann „bestimmend“oder „dominant“. Durch diese Kritik und um nicht anzuecken habe ich mich immer wieder versucht zu kontrollieren, um nicht zu laut zu sein oder mal wieder als erste Vorschläge zu machen. Ich sage nicht, dass das vielleicht eine gute oder schlechte Eigenschaft sein mag, aber ich habe nie beobachtet, dass laute, selbstbewußte Männer eine solche Selbst-Regulation vornehmen.
Mobbing
In meiner beruflichen Laufbahn gibt es so viele individuelle, private aber auch fachliche Stellweichen, dass ich nicht eindeutig sagen kann, was anders gelaufen wäre, wenn ich ein Mann wäre. Allerdings wäre ich in meinem ersten Job wohl eher nicht von meinen (drei männlichen) Chefs gemobbt worden. Ich wußte damals gar nicht, dass diese Verhalten unter Mobbing fällt. Heute weiß ich, alle Strukturen, Bemerkungen, Konflikte und meine Reaktion weisen auf eine Mobbing-Situation hin. Sehr, sehr unschön.
Lebens- und Jobplanung
Ich nehme auch an, dass ich mein Studium und meinen Beruf strategischer, wirtschaftlicher und finanzieller geplant hätte, als ich es tat. Ich ging meinen Leidenschaften und dem Spaß in der Studiums- und Berufswahl nach. Außerdem ließ ich mich etwas zu häufig von Träumen und Wünschen leiten, ohne substantiell genug dafür getan zu haben – oder die echte Möglichkeit gehabt zu haben, sie wahr werden zu lassen. Ob diese Naivität tatsächlich typisch weiblich ist, mag man diskutieren, ich glaube ja.
Selbstkritik und -verunsicherung
Als Mann wäre ich bestimmt weniger selbstkritisch und selbst-überprüfend. Ich hätte zwischenmenschliche Situationen im Job weniger auf meine Außenwirkung hin analysiert oder gar überlegt, ob meine Garderobe zu weiblich oder ich zu mädchenhaft, unerfahren (irgendwann fängt man halt mal seinen Job an) oder sonstwas gewirkt hätte. Das gilt insbesondere in den ersten Jahren im Job, als ich nur mit Männern zusammen arbeitete. Als Mann hätte mein Auftreten vermutlich nur danach beurteilt, was ich gesagt hätte. Und gesagt hätte ich wohl alles direkt, laut und ohne andere Gedanken im Kopf. Ich hätte darauf vertraut, dass die Inhalte, die ich kommuniziere, bei den Anderen ankommen, egal, wie laut oder leise, hoch oder tief ich spreche, ob ich einen Rock dabei trage oder lächle. Ich wollte in den ersten Jahren im Job den Spagat schaffen, einerseits nicht zu weiblich, und andererseits auch nicht zu „dominant und forsch“ zu erscheinen, was ich beides jeweils mit Unprofessionalität gleichsetzte. Ob das mein eigenes Problem, meine individuelle Unsicherheit gewesen ist? Meiner Beobachtung nach teilen diese Erfahrung viele Frauen und keine bis wenige Männer.
2. Was tust du nur deshalb, weil du eine Frau/ein Mann bist?
Tatsächlich das Teilzeit-arbeiten. Obwohl es so viele andere Gründe gibt, warum sich das bei uns so entwickelt hat, sind wir in diese Teilzeitfalle gerutscht.
Mode und Make-up machen mir vermutlich Spaß, weil ich eine Frau bin und dahingehend sozialisiert wurde. (Ich gehe aber immer noch nicht jeden Tag geschminkt oder gestylt aus dem Haus. Manchmal habe ich einfach keine Lust.) Achso, und die Achseln und Beine rasiere ich mir auch, weil ich eine Frau bin. Störende Blicke würde ich als Mann dafür nicht ernten, wenn unrasiert.
Außerdem gibt es körperliche Dinge, die ich mache, weil ich eine Frau bin: menstruieren, schwanger werden, Kinder gebären, stillen.
3. Was tust du nicht / welche Dinge lässt du lieber, weil du ein Mann/eine Frau bist?
Ich gehe extrem ungern im Dunkeln irgendwo spazieren. Die Angst, im Dunkeln überfallen und vergewaltigt zu werden, war in jungen Jahren sehr hoch. Ohne Angstgefühle und Herzklopfen ging oder radelte ich früher keine dunkle Straße entlang. Dass die Statistik das nicht als häufigste Ursache von Vergewaltigungen aufzeigt, hat mich nicht beruhigt…
Bis Mitte/Ende 20 ging ich aus diesem Grund auch ungern in Wäldern oder Parks alleine spazieren, auch tagsüber, obwohl mir das sehr gefallen hätte.
4. Durch welches Klischee fühlst du dich persönlich beeinträchtigt?
Grundsätzlich lehne ich alle Klischees und Stereotypen ab, insbesondere die Genderklischees. Und zwar nicht nur für mich oder „die Frauen“ sondern auch für die Männer, die ebenfalls ein Stück ihrer Freiheit durch Rollenzuschreibungen verlieren.
Als Mutter bin ich erneut und auf einer neuen Ebene sensibilisiert für das Thema. Ich versuche Genderzuschreibungen und -Verhaltensnormen zu vermeiden, nicht zu vermitteln oder sie kindgerecht kritisch zu hinterfragen. Momentan sind meine Kinder fast 4 und fast 6 und identifizieren sich stark mit ihren Geschlechtsgenossen. (Beim noch 3jährigen beginnt es gerade erst.)
Es ist ein Drahtseilakt, denn ich kann und möchte das seit Jahren hohe Interesse der Tochter an Prinzessinnen, Feen, den Farben rot und rosa, Pferden, Schmetterlingen und so weiter nicht ständig „untergraben“. Ich will anerkennen und mögen, wofür ihr Herz schlägt. Warum sollte sie auch nicht? Warum sollte ihre Vorliebe weniger wert sein als wildes Raufen, Radfahren oder Autos? Gleiches gilt für den Jungen: mit 2 und 3 hat er sich kurz für Puppen und Glitzer interessiert, wollte Prinzessin (oder Prinz) sein, aber seit Monaten spielt er fast nur noch mit Autos oder Eisenbahnen, er tobt viel und auch Rollenspiele sind eher körperbetont. Das Verhalten „einzuschränken“ halte ich für psychologisch äußerst fragwürdig, das mache ich also nicht. Ich kann nur durch Spielangebote, Bücher und unsere Gespräche Themen aufreißen, Neues anbieten, meine Sichtweise zeigen. Immerhin erklären meine Kinder anderen auf dem Spielplatz: „Alle Farben sind für alle Kinder da.“ oder „Alle Spielsachen sind für alle Kinder da.“
5. Erzähle von einer Situation, in der du bemerkt hast, dass es von Vorteil ist, zur Gruppe der Frauen/Männer zu gehören.
Auch wenn ich hier wieder einem Klischee erliege, ich genieße viele der klassisch weiblichen Merkmale oder Zuschreibungen. Frau zu sein, Mode, Schminke und Schmuck zu benutzen macht mich glücklich – solange ich darf und kann aber nicht muß.
Ich war immer froh, auf der gefühlsbetonten, hinterfragenden und zwischenmenschlich-orientierten Seite der Genderrollen zu stehen. Gespräche darüber erfüllen mich und machen mich glücklich. Ich schätze diesen Gefühle-achtenden, zwischenmenschlich-orientierten Fokus, der mir ein zutiefst menschlicher zu sein scheint und nur durch Sozialisierung „weiblich“ bedeutet ist. Dieser Fokus zieht sich auch durch Gedanken und Gespräche über Literatur, Film, Politik- und Gesellschaftsfragen.
Schwanger zu sein, ein Kind zu bekommen, Stillen zu können – all das sind Erfahrungen, die mich mit einer tiefen Dankbarkeit und Freude erfüllen, eine Frau zu sein.
Auf gesellschaftlich-sozialer Ebene, der Ebene von Einfluss, Macht und Behauptung fällt mir allerdings nichts ein.
6. Gibt es Situationen, in denen das Geschlecht keine Rolle spielt?
Hm. Nein, leider fällt mir dazu kein Beispiel ein.
Was wäre, wenn ich ein Mann / eine Frau wäre? Da ich den Überblick verloren habe, wer dazu bereits nominiert ist, gebe ich es an alle weiter, die diese Fragen gern beantworten möchten. Bloggt oder schreibt mir in den Kommentaren, was anders wäre…
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Liebe Sonia, das hätte ich geschrieben haben können. Stimmt für mich 1 zu 1. Ich arbeite zwar Vollzeit (in Frankreich und in meiner Firma sind das tatsächlich 35 Stunden/Woche), habe aber auch für meine Kinder zurückgesteckt und meine berufliche Karriere wird dadurch behindert, dass ich nicht bereit bin, zeitlich mehr zu investieren.
Sehr schön geschrieben. Vielen Dank fürs Aufgreifen!