Was ist Feminismus für Dich? Meine Interviewreihe geht weiter. Ich möchte einige der vielen Standpunkte, Schwerpunkte und Betrachtungsweisen von Feminismus und Geschlechtergerechtigkeit vorstellen. Heute: Männer und Feminismus.
Robert Franken kenne ich aus dem Internet, und Ihr kennt ihn vermutlich auch. Er nennt sich in seinem Twitter Account „Feminist“, ist „Digital & Diversity Consultant“ und außerdem Mitgründer bei Male Feminists Europe, das eine Europäische Plattform für Artikel und Perspektiven über Feminismus, Diversity und Geschlechtergerechtigkeit aufbauen will.
Übrigens, liebe Leser*innen! Wir freuen uns über Feedback zu unseren Interviews. Ergänzungen, Kritik, „Word!“ oder Lobhudelei sind alle willkommen. Wenn Eure Diskussionen über unsere Gespräche nur in abgeschlossenen Facebookgruppen stattfänden, wäre das sehr schade. Danke.
Lieber Robert, bezeichnest Du Dich selbst als Feminist*in?
Ja, auf jeden Fall. Allerdings hat es lange gedauert, bis ich mich das getraut habe. Das liegt einerseits daran, dass man durch seine Privilegiertheit vermutlich nicht so schnell zum Feminismus findet wie durch permanentes Diskriminiertwerden. Andererseits hatte ich auch Hemmungen mich als Mann an der Debatte zu beteiligen. Inzwischen meine ich erkannt zu haben, dass auch und gerade Männer sich dringend mit feministischen Konzepten auseinandersetzen sollten.
Was ist Feminismus für Dich?
Feminismus bedeutet für mich die gleichberechtigte Teilhabe von Frauen* und Männern* an der Gesellschaft. Mir liegt dabei die komplementäre Kraft der Geschlechter am Herzen: Ich glaube, dass wir unser großes Potenzial nur gemeinsam entfalten können. Und deshalb brauchen wir Augenhöhe und Gleichstellung sowie ein neues Miteinander. Für Männer* bietet sich durch den Feminismus die große Chance zu einer neuen Rollendefinition mit erheblich größerem Repertoire an Möglichkeiten als bisher.
Wie bist Du zum Feminist geworden. Welche Auslöser gab es?
Ich habe ganz einfach viele unterschiedliche Rollen innegehabt: Angestellter, Kollege, Sohn, Vater, Freund, Partner, Chef, Selbstständiger uvm. Die Perspektivenwechsel waren stets bereichernd und haben mein Bild erweitert. Zudem habe ich in Umfeldern mit sehr weiblichen Zielgruppen gearbeitet, etwa bei urbia.de oder Chefkoch.de. Das hat mich sehr geprägt. Und ich hatte im Studium eine gute Freundin, die mich sehr für die Themen Gender und weibliche Rollen(bilder) sensibilisiert hat.
Irgendwann hatte ich eine Sensibilität dafür entwickelt, was meine Privilegiertheit (weißer, mittelalter, heterosexueller cis-Mann in Deutschland etc.) ggf. mit Menschen macht, die das Privileg nicht oder nur zum Teil besitzen. Ausschlaggebend war bei mir der berufliche Kontext. Ich fühlte mich in den männlichen Monokulturen, in denen ich z.T. agieren musste, zunehmend unbehaglich. Lange Zeit schob ich dieses Gefühl auf ein Defizit auf meiner Seite.
Später erkannte ich, dass das System strukturell und flächendeckend auf das Fortkommen von Männern* ausgelegt ist und in diesem Zuge v.a. Frauen* diskriminiert. So will ich nicht leben und arbeiten, daher möchte ich mich für ein System einsetzen, das auf Chancengleichheit und Miteinander basiert. Selbstverständlich ist mein Handlungsspielraum sehr begrenzt, aber dennoch habe ich das Gefühl etwas beitragen zu können.
Was ruft Deinen Feminismus auf den Plan?
Wenn ich Ungerechtigkeiten oder überkommene Normen entdecke, etwa in Vorstandsetagen oder bei Events, auf denen nur Männer sprechen. Und wenn mir Alltagssexismus und Diskriminierung begegnen: im Web, in der U-Bahn, auf der Straße. Und natürlich dann, wenn ich veraltete Rollenbilder und Zuschreibungen identifiziere, zum Beispiel in der KiTa, in der Werbung oder bei Charakteren im Fernsehen. Ich entwickle in all diesen Kontexten zunehmend ein seismografisches Gespür. Viele nennen das Überempfindlichkeit, aber es braucht m.E. diese Art von Sensibilität.
Gleichzeitig weiß ich natürlich, dass „mein“ Feminismus z.T. recht elitär ist, wenn ich davon ausgehe, dass Frauen* und Männer* eine Wahl haben. Das schließt mitunter Menschen aus, die aufgrund bestimmter Umstände nicht entscheiden können, in welchen Umgebungen sie arbeiten wollen und in welchen nicht. Das beschäftigt mich sehr. Außerdem bin ich mir eines weiteren Privilegs bewusst: Als Mann hört man mir bei diesen Themen gelegentlich eher zu, weil ich einen gewissen „natürlichen“ Abstand zu ihnen habe. Einige Feministinnen sagen daher (völlig zu recht) „Was Du erzählst, erzähle ich seit Jahrzehnten. Kaum sprichst Du es an, finden das die Leute plötzlich spannend.“ Dass das nervt, verstehe ich gut. Und: Mein Feminismus ist alles andere als radikal. Ich bewundere die vielen sehr konsequenten, die sehr intellektuellen und die manchmal sehr aggressiven Stimmen in der Szene. Sie sind für den Diskurs unbedingt notwendig.
Was ist Sexismus für Dich? Wann fängt er an?
Beim Mangel an Respekt. Das kann explizit oder implizit geschehen. Die Grenze ist nie trennscharf zu ziehen, umso wichtiger ist unsere Sensibilität. Die Frage „Was macht das mit anderen Menschen?“ ist ein guter Startpunkt, den man auch Empathiefähigkeit nennen könnte. Ich habe keinesfalls die Deutungshoheit über Sexismus. Ich wehre mich aber vehement dagegen, wenn nicht betroffene Menschen eine solche für sich beanspruchen. Sexismus fängt in frühester Kindheit an, wenn wir Menschen in bestimmte Rollenmuster zwingen. Auch hier benötigen wir ein hohes Maß an Sensibilität.
Wie gehst Du persönlich mit Sexismus um, wenn Du ihn erlebst bzw. beobachtest?
Ich versuche ihn zu antizipieren und einzuschreiten. Letzteres kann verbal und nonverbal geschehen. Und manchmal kann selbst Schweigen und Aushalten die adäquate Reaktion sein – je nach Kontext. Grundsätzlich möchte ich Teil eines Korrektivs sein, das schützt, benennt und hilft die Norm zu verändern. In vielen Fällen ist natürlich Zivilcourage und sofortige Intervention die richtige Vorgehensweise.
Sind die Geschlechterrollen biologisch begründet; sind sie sozial geprägt?
Beides ist in Teilen richtig. Ich finde die Frage bzw. eine klare Antwort darauf jedoch gar nicht so entscheidend. Wichtig ist, dass Kinder Angebote jenseits aller Geschlechterzuschreibungen bekommen. Dass der kleine Mensch im Zentrum steht, nicht vermeintliche Rollenbilder. Dass wir in der Summe aller Unterschiede zwischen den Individuen eine komplementäre Kraft erkennen und fördern. Und dass wir nicht auf den kleinsten Nenner der Identitätskonstruktion hereinfallen.
Wie erklärst Du Dir die Beobachtungen vieler Eltern hinsichtlich des geschlechtsspezifischen Verhaltens ihrer Kinder?
Vielleicht suchen viele Eltern schlicht nach Orientierung. Sie mussten möglicherweise z.T. selbst entsprechende Rollenerwartungen erfüllen und geben diese nun an ihre Kinder weiter. Aber egal, woher so etwas kommt: Oft hilft bereits ein kleiner Schritt zurück, hin zu einer entspannten Haltung gegenüber diesen Klischees.
Geschlechtergerechte Sprache – was ist das für Dich? Wie sprichst und schreibst Du?
Ich finde Sprache extrem wichtig. In ihr drückt sich unsere Wertschätzung für Menschen aus. Wenn wir wirklich inklusiv sein wollen, dann sollten wir das auch so sagen und schreiben. Ich bemühe mich sehr um eine gendergerechte Sprache. Ich nutze beim Schreiben neutrale Begriffe oder das Binnen-I. Beim Sprechen verwende ich ebenfalls neutrale Begriffe oder beziehe Frauen und Männer ein. Ich bin da längst nicht perfekt, aber allene das Bemühen ändert bereits die Perspektive. Reine Übungssache, wie ich finde.
Wie versuchst Du Deine Kinder zu Feminismus und Geschlechtergerechtigkeit heranzuführen?
Ich werde versuchen meinem Sohn (knapp drei Jahre alt) die Dinge zu erklären und vorzuleben, die mir in diesem Zusammenhang wichtig sind. Ich kann und will hier aber nicht perfekt sein. Es braucht gelegentlich auch Reibung und Meinungsunterschiede um sich den Themen zu nähern. Ansonsten bekommt er mit, dass wir manchmal klassische Geschlechterrollen leben, manchmal aber eben auch gar nicht. Wir versuchen Dogmen zu vermeiden. Aber er soll Erfahrung damit sammeln dürfen, wie wir mit unterschiedlichen Menschen umgehen. Und das ist nicht oimmer leicht, wenn die Lunte so kurz ist wie gelegentlich der Nachtschlaf.
Was ist Dir für Deine Kinder in dieser Hinsicht besonders wichtig?
Respekt und der Wille und Versuch sich in andere Menschen hineinzuversetzen. Außerdem sollte man viel Erfahrung mit Diversity sammeln dürfen. Das prägt und legt die Grundlage für die eigene Urteilsfähigkeit.
Rollenklischees und Sexismus in Kinderbüchern. – Welche Erfahrungen hast Du gemacht und wie gehst Du damit um?
Ich hörte selbst neulich zum Einschlafen „Fünf Freunde“, eine Aufnahme aus den 1980er Jahren. Da stolpert man über sehr viele Klischess und muss sich schon fragen, ob das noch zeitgemäß ist. Und vor ein paar Wochen haben wir ein Vorlesebuch „für Jungs“ geschenkt bekommen. Statt es wegzuwerfen, gendere ich einige der Charaktere beim Vorlesen um – das ist abends manchmal eine ganz schöne Herausforderung…
Wenn Du für einen Tag eine Frau / das geschlechtlich Andere sein könntest, was würdest Du tun?
Ich würde vermutlich ein paar Chauvi-Runden aufmischen und ein Gefühlstagebuch schreiben, das ich meinem regulären Ich anvertrauen würde.
Welche feministisch begründeten Wünsche oder Forderungen hast Du an die nächste Bundesregierung?
Mir gefällt die schwedische feministische Außenpolitik. Das wäre ein spannender Orientierungspunkt auch für Deutschland. Ich mache mir Sorgen, dass das Thema zu kurz kommt. Wir brauchen Politiker_innen und Aktivist_innen, die Feminismus in alle Ressorts tragen. Das ist schließlich kein alleiniges Thema des BMFSFJ.
Was ist Dein größter feministischer Wunsch für die Zukunft?
Dass mehr Männer sich auf das Abenteuer einlassen ihre Gefühle und Bedürfnisse zu erkunden, zu artikulieren und den Transformationsprozess anzugehen und auszuhalten. Und dass wir auch darüber zu einem neuen Miteinander finden. Oder kurz: mehr Reflexion, weniger Empfindlichkeit.
Lieber Robert, vielen Dank für Deine Antworten.
Weitere bisherige Interviews der Reihe „Was ist Feminismus für Dich?“
„Feminismus ist gesunder Menschenverstand!“ Juramama Nina Strassner
„Patriarchatskritik ist radikaler als Feminismus.“ – Rona Duwe
Was ist Feminismus für Dich? – Antje Schrupp
Corinna Luca aka Makellosmag: Feminismus ist für mich mehr eine Haltung als ein Label
Was ist Feminismus für Dich, Jochen König?
Christine Finke: Feminismus begleitet mich als Grundhaltung immer
Stievie Schmiedel von Pinkstinks, was ist Feminismus für Dich?
@@@@@@@@@@@@@@@@@@@@@@@@@@
Dir gefallen meine Artikel? Hier kannst Du mir eine Freude machen und etwas in meinen virtuellen Hut werfen. Lieben Dank! <3
@@@@@@@@@@@@@@@@@@@@@@@@@@