Gastbeitrag von Carmen Raschka
Was stimmt nicht mit unserem Schulsystem? Warum stresst Schule unsere Kinder so sehr und was können wir ändern. Das sind unter anderem die Fragen, die sich Carmen in ihrem Forschungsprojekt „Sozialraumentwicklung und -organisation“ stellt. Für uns hat sich ihren sozialwissenschaftlichen Ansatz einmal aufgeschrieben.
Carmen ist Sozialwissenschaftlerin an der Hochschule in Fulda. Unter anderem arbeitet sich im Forschungsprojekt „Familienbilder im Netz – Blogs von Müttern und Vätern“, von dem wir hoffentlich noch einmal mehr hören werden. Sie ist außerdem auch Mutter mit zwei Töchtern (2003 und 2005).
Gastbeitrag: Moderne Kindheitsforschung und was fängt die Schule damit an?
Einführung in die Perspektive der modernen Kindheitsforschung und was fängt Schule damit an…Ein wissenschaftlicher Einblick (und weil wissenschaftlich auch mit zwei Quellen☺)
Der gesellschaftliche Blick auf Kinder und Kindheit hat sich in den vergangenen hundert Jahren verändert. Die moderne theoretische Grundlage der Teilhabe von Kindern an Prozessen in ihrer Umwelt liegt u.a. in einem Paradigmenwechsel der Soziologie begründet. Zugrunde liegt hierbei die Sicht auf Kinder weg vom ’sozialisationsbedürftigen‘, unfertigen Wesen hin zu einer Soziologie der Kindheit, welche die Einflüsse und Beteiligungen von Kindern in und an ihrer jeweiligen Umgebung untersucht.
Bis in das letzte Drittel des 20. Jahrhunderts befasste sich Soziologie nur dann mit Kindern und Kindheit, um Rahmenbedingungen von gelingendem und misslingendem Sozialisationsgeschehen zu erforschen. Kinder wurden per se für nicht fähig gehalten, eigenständig am gesellschaftlichen Geschehen teilzunehmen. Dies werde, im Sinne der Sozialisationstheorien, einzig durch den Prozess der Sozialisation, welcher von Institutionen wie der Familie, Schule sowie den Peers beeinflusst und gestaltet wird, ermöglicht, indem sich das Kind zum gesellschaftsfähigen Erwachsenen entwickelt. Der Erfolg der Sozialisation wird dabei hauptsächlich an den „Normen der westlichen Gesellschaft“ gemessen (vgl. Bühler-Niederberger, D. 2010: 438).
Heute herrschen in der Kindheitsforschung zwei Konzepte vor:
1. Das Konzept des Kindes als sozialer Akteur (agency) und
2. das der generationalen Ordnung.
Paradigmenwechsel: Das Kind ist sozialer Akteur
Das erste Konzept spiegelt wesentlich den Paradigmenwechsel von der Sozialisationstheorie zum „Kind als sozialen Akteur“ wider. Hier werden Kinder und ihre Fähigkeiten, Situationen selbst zu (mitzu-)gestalten, untersucht. Kern ist, dass Kinder einen aktiven Beitrag leisten bei der Gestaltung ihrer sozialen Umwelt und der Gesellschaft.
Damit werden Kinder als eigenständige Gruppe mit eigenen Bedarfen und Interessen in den öffentlichen und politischen Blick genommen. Das Konzept der generationalen Ordnung befasst sich, u. a. mit „machtbezogenen Relationen zwischen Älteren und Jüngeren“ (Heinzel, F. 2012: 24f.). Dies setzt voraus, die Gesellschaft soziologisch in Kategorien zu unterteilen, u.a. in „Kinder“ und „Erwachsene“. Daraus folgt insbesondere, dass Gesellschaftsmitgliedern aufgrund ihres Alters und dem damit verbundenen Entwicklungsstand Rechte und Pflichten zugeteilt und mit ihren Fähigkeiten und Bedürfnissen begründet werden.
Wie muss aber nun Schule sein, damit Kinder und Jugendliche sich darin entfalten können?
Wie muss Schule…als Raum gesehen…sein, damit ihn die Personen, die sich darin entwickeln sollen, annehmen?
Schule als Raum…das klingt zunächst etwas abstrakt. Die Dinge, die sich dahinter verstecken sind im Grunde jedoch sehr einfach: Schule muss so gestaltet sein, dass Kinder Freude am Lernen empfinden, ihre eigene individuelle Lernbefriedigung erfahren und auch ihre eigenen individuellen Fehler in genau diesem Setting machen dürfen.
Kinder haben ein Recht auf Mitbestimmung
Kinder haben ein Recht darauf, in der Schule gehört und geachtet zu werden und eigene Wünsche und Bedürfnisse äußern zu dürfen. Der Dialog mit den Erwachsenen muss auf Gleichberechtigung basieren. Kinder wissen sehr genau was echte Partizipation ist…und auch wenn sie das Wort vielleicht nicht kennen, wissen sie wie es sich anfühlen muss, wenn sie wirklich beteiligt werden.
Ein sehr gut ausgearbeitetes Konzept in Form einer Hochglanzbroschüre kann hier sicher nicht ausreichen…ist zwar hübsch…aber das war es auch schon!
Die Worte, die sich darin befinden, müssen mit Leben gefüllt werden. Wenn von Mitbestimmung die Rede ist, sollte dies auch umgesetzt werde. Es geht darum, die Themen der Kinder zu hören und wahrzunehmen. Gemeinsam aufgestellte Regeln werden sicher viel leichter eingehalten.
Und mit Blick auf die eben aufgeführte Kindheitsforschung, kann das nur gemeinsam mit den beteiligten Kindern und Jugendlichen geschehen. Denn, um diese geht es! Kindliche Teilhabe kann hier als Kern kindlichen Wohlbefindens gesehen werden.
Ich bin selbst Mutter von zwei zauberhaften Töchtern im spannenden Alter von 13 und 14 Jahren. In der nun schon 7 und 8-jährigen Laufbahn als „Schulkindmama“ stoße ich diesbezüglich immer mal wieder auf große Fragezeichen.
Immer dann, wenn die beiden in Projekte der Schule eingebunden waren, wenn sie diese „in echt“ mitgestalten konnten und „gehört“ wurden, funktionierten Prozesse des Lernens ganz natürlich und ohne Stress. Hier bekommt der Aspekt der Mitgestaltung einen besonderen Stellenwert zugesprochen.
Um was muss es in der Ausgestaltung von Schule grundlegend also gehen?
- Bereitstellung sicherere Orte…Orte, in den sich Kinder entwickeln können.
- Anerkennung von Heterogenität
„Es ist normal verschieden zu sein.“
Jedes Kind hat sein eigenes und individuelles Tempo.
- Unterschiede = Normalität
- Perspektive der Beteiligten beachten
Eigentlich ganz einfach, oder?!
Es muss darum gehen die Ressourcen jedes Einzelnen zu erkennen und anzuerkennen.
Ich persönlich finde es sehr spannend zu erkunden was Wissenschaft sagt und Gesellschaft tut und es vielleicht an manchen Stellen etwas kritisch zu hinterfragen, um vielleicht an der ein oder anderen Stelle sensibel zu machen.
Literaturnachweise:
Bühler-Niederberger, D. (2010): Soziologie der Kindheit. In: Georg Kneer/ Markus Schroer (Hrsg.): Handbuch Spezielle Soziologien. Wiesbaden, S. 437-456
Heinzel, Friederike (Hrsg.) (2012): „Methoden der Kindheitsforschung- ein Überblick zu Forschungszugänge zur kindlichen Perspektive“, 2.überarbeitete Auflage, Weinheim Beltz, Juventa Verlag, S. 22- 35
Liebe Sonja, ein sehr interessantes Interview, allerdings fiel mir ein Fehler auf: da steht „Carmen ist nicht Sozialwissenschaftlerin an der Hochschule in Fulda.“ das „nicht“ ist vermutlich überflüssig, oder? ;-)
LG, Julia
Ich mag den Beitrag sehr. Besten Dank für die Quellen unten.