„Blöde Mama! Iss bin nicht mehr Dein Freund. Bäh bäh bäh. Nie mehr im Leben!“ Wer so tief enttäuscht und verletzt herumbrüllt, ist mein dreijähriger Sohn. Er pöbelt richtiggehend. „Kacka-Mama!“, wütender Tonfall, schmollen, weggucken, in eine Ecke verkriechen, stampfend ab. Heute auch wieder, nachdem ich ihm erklären wollte, dass der Badezimmervorleger bitte nicht in den Wäschekorb mit der sauberen Wäsche gelegt werden soll. Etliche schmutzige Wäschestücke hatte ich in den letzten Tagen aus der sauberen Wäsche gefischt. Eigentlich wollte ich ihm das alles nur mal erklären. Aber soviel Regelwerk am Morgen war wohl nichts für ihn.
Wie merke ich, ob ich richtig reagiere, wenn es mit allen Varianten nie aufhört?
Das Schmollen und Schimpfen versetzt mir jedesmal einen Stich ins Herz. Mein armes Kind ist beleidigt und ich bin Schuld. Und gleichzeitig: Herrgottsackzement nochmal, ich werde ihm ja wohl nochmal etwas sagen dürfen, ohne dass er so austickt? Zwei Mutterherzen schlagen, ach, in meiner Brust. Ein liebendes, butterweiches, harmoniebedürftiges und eins, das Ordnung will und zack zack, es soll bitte auchmal funktionieren. In mir bohrt auch die Befürchtung: Wie lange bleibt das noch so? Wird er etwa so ein kritikunfähiger Erwachsener, der sich nichts sagen lässt und immer die Oberhand behalten will? – Machtspielchen und eine überbesorgte Mutter, die im Kopf schonmal 30 Schritte weiter ist. Nutzt niemanden, weiß ich. Hinterher.
Dieses „Ich bin nicht mehr Dein Freund. Du darfst nicht zu meinem Geburtstag. Nur Papa und Kind1. Kacka Mama“ höre ich nicht zum ersten Mal. Es wurde weniger, aber es ist noch nicht vorbei. Was hält ihn so daran, wann ist diese Frage abgeschlossen? Ich weiß, dass wenn Kinder eine Bemerkung oder Szenario immer wieder wiederholen, über viele Tage, dann ist daran etwas noch nicht zu Ende gefühlt, etwas noch nicht zu Ende besprochen. Aber was? Er wendet das alles auch beim Papa an, auch bei der Schwester. Ich habe es gefühlt mit allem versucht. Zunächst mit Verständnis und Offenheit.
– Du bist wütend, weil x. Das ist schade, dass x so ist.
– Kind schimpft weiter und kündigt mir erneut die Freundschaft.
– Das ist aber schade, dass Du nicht mehr mein Freund sein willst. Ich will immer Deine Freundin sein.“
– sehr wütendes Kind: „NEIN! GAR NISS! DU BIST NIE MEHR MEIN FREUND!“
Meine Freundlichkeit machte das Kind noch wütender. Ich darf dann nicht trösten und nicht mit ihm sprechen. Erst später darf ich erklären, dass wir eine Familie sind und ich immer für meine Kinder da sein werde, egal ob wir uns gestritten haben oder nicht. Ich werde immer ihre Mama sein. Das gefällt dem Sohn. „Du bisst wieder mein Freund, Mama.“
Bei der nächsten Kleinigkeit geht es von vorne los. „Sohn, es tut mir leid, dass ich Dein Brot schon durchgeschnitten habe.“ Letztens wollte er das. Heute nicht. Mir lagen diesbezüglich keine Informationen vor. „Sohn, beim nächsten Brot darfst Du wieder alleine schneiden!“ Wüste Beschimpfungen vom Kind. Ich verbitte mir diese Schimpfwörter. Das ist bei den Kindern bekannt. Doof und blöd darf man hier sagen, bei „Kacka“ frage ich, ob sie mal auf die Toilette gehen wollen, um solche Wörter zu sagen. Alles über kacka geht gar nicht. Er war weit über kacka. Ich werde deutlich, dass das eine Grenze ist, dass diese Wörter wie Hauen sind. Dann haut mich das Kind. Ich halte die Hände und sage, dass ich das nicht will. Er entzieht sich mir und schimpft weiter.
Spiegeln, Verständnis und authentisch wütend werden – alles falsch
Einen solchen Ausbruch mit Spiegeln zu begegnen bringt nichts. „Ich sehe dass Du wütend bist, weil x. So wütend, ja?“ „Bähbähbähbähbäääähbäh! Blöde Mama!“ Aber nachdem das monatelang schon so läuft, habe ich des öfteren auch völlig entnervt ausgerufen. „Maaan ey, Kind2! Wir sind eine Familie und wir sind immer Freunde.“ Oder auch: „Kind2, das macht mich wirklich traurig, wenn Du das immer sagst. Ich will so gerne mit Dir befreundet sein…“ „NEIN NIE MEHR IM LEBEN!“ ruft der Kleine dann. “
Was habe ich bloß falsch gemacht? Warum ist mein Kind so agressiv, so verzweifelt, so enttäuscht? Warum nutzt nichts, was ich tue? Was fehlt? Bin ich nicht authentisch genug? War ich vorher zu streng, zu reglementierend? Aber meistens sind es winzige Kleinigkeiten, die ihn so ausbrechen lassen. Was ist da vorher passiert und warum erkenne ich es nicht?
Soll das Pazifismus sein?
Dieser Phase vorausgegangen war eine lange Phase des Hauen und Stechens, des Tretens, Schubsens und körperlich aggressiv werden. Immer mal wieder schlugen sich die Geschwister, schlugen mich, wenn auch selten. Phasenweise hatte ich Erfolg damit, die Kinder sich selbst zu überlassen. Aber wenn ein Kind kommt und weint, tröste ich. Also kommen sie jetzt wegen jeder Kleinigkeit und wollen getröstet werden, nicht ohne dem anderen Kind noch eins versetzt zu haben. Für Erklärungen haben sie dann selten ein offenes Ohr. Ich muß erst mit beiden ruhigen Boden gewinnen. Nicht selten habe ich beide Kinder im Arm oder auf dem Schoß und sie streiten sich über den besten Platz oder den meisten Bein-Freiraum. Und fragt nicht, wie meine Nerven mitspielen.
Mich darüber zu freuen, dass er weniger haut und nun „nur“ noch verbal aggressiv wird, kommt mir zynisch vor. Aber tatsächlich wird das Hauen weniger, je mehr er schimpft. Da das Aufkündigen der Freundschaft eine so große Wirkung erzielt, scheint es ein probates Mittel. Und ich habe schon wieder Angst, dass er ein Erwachsener wird, der durch Konfliktunfähigkeit einsam wird und Machtspiele spielt.
Heute ist so ein Tag..
Heute ist ein Tag, an dem ich mich für alle Erziehungsfehler und Fehlleistungen selbst zerfleischen könnte. Kennt Ihr sowas auch? Ich habe den wunderbaren Text von „gewünschtestes Wunschkind über hauende Kinder“ gelesen und fühle mich in so vielen Dingen ertappt. In den ersten beiden Jahren mit zwei Kindern, besonders im ersten Babyjahr vom zweiten Kind, fiel es mir sehr schwer, im steten Kontakt mit Kind1 zu bleiben. Hätte ich das Baby öfter liegen lassen sollen und mich um die Erste kümmern? Hätte ich beide gleichmäßig vernachlässigt, wäre es besser gewesen? Ich kann mein Dilemma von damals heute immer noch nicht lösen. Kind1 forderte mich aus Verunsicherung noch viel mehr, als eh schon. Sie wollte auf den Arm, jammerte, heulte und knatschte. Unglücklicherweise ist Knatschen etwas, das mich unheimlich triggert. Küchenpsychologisch könnte man jetzt folgern, dass es mir als Kleinkind auch „verboten“ wurde. Ich weiß es nicht mehr, meine Eltern würden das verneinen. Knatschen macht mich kirre und es ist mir noch nie gelungen, länger als drei Minuten ruhig zu bleiben. Kind1 ist jetzt fünf und ich muß leider sagen, dass ich sie oft emotional nicht besonders gut begleitet habe. Ich habe es ihr regelrecht verboten zu jammern. Viel zu spät erst fiel es mir das auf.
Wenn die Große mit 5,5 Jahren so oft so verständig ist oder mal aus Enttäuschung allein in ihre Kissen weint, ist das dann gut oder habe ich sie zu angepasst erzogen? Habe ich ihre Gefühle nicht genug begleitet, so dass sie sie heute nicht mehr ausleben kann und lieber „funktioniert“?
Der Schlüssel: Gefühle ausleben dürfen. Aber wie?
Wenn Kind2 so wütend und enttäuscht ist, dass er nicht mehr mein Freund sein will, und wenn Kind1 alleine ins Kissen weint, wie kann ich den Kindern zeigen, dass sie die Wut und Enttäuschung fühlen dürfen? Was kann ich tun, damit sie ihre Gefühle nicht verstecken müssen bzw. unnahbar werden und sie besser ausleben können? Wie kann ich trotzdem erreichen, mich nicht „Kacka Mama“ nennen zu lassen, oder Kündigungen der Freundschaften zu erhalten? Muß ich das hinnehmen, bin ich zu empfindlich, wenn mich das enttäuscht bis wütend macht? Was aber, wenn mein Protest und meine Erklärungen beim Kind nur mehr Wut auslösen, als beschwichtigen? Was habe ich falsch gemacht, dass er so reagiert?
Tief durchatmen
Selbstzerfleischung bringt nichts. Eine komplett zerrissene Mutter nutzt mal gar nichts. Ich kann mir nur vornehmen, erneut auf Anzeichen von Wut, Enttäuschung oder auch Freude bei der Großen zu achten – und diesen Gefühlen zu begegnen. Ich kann versuchen, im Gespräch zu bleiben, nach ihrem Befinden und Gefühlen fragen. Ich werde wieder versuchen, mehr Zeit für die Gespräche unter dem Traumfänger einzuplanen. Denn Kind1 hat schon verstanden. „Wir reden darüber, was passiert ist. Aber auch über die Gefühle:“ Letztendlich scheint mir die emotionale Aufarbeitung des Tages für mein Kind1 besonders wichtig zu sein. Leider werden ihre schlimmen Träume wieder häufiger.
Und für Kind2, der so oft enttäuscht ist und statt zu hauen mir die Freundschaft kündigt. Muß ich hier noch wachsamer sein, nicht zu streng zu sprechen, ihn nicht zu oft zu ermahnen? Ja. Aber vielleicht reicht es auch mal, vor einer Ermahnung oder Erklärung tief durchzuatmen. Mir Zeit geben, nicht sofort in einem Atemzug alles regeln. Mich zum Kind runter zu hocken, seine Hand nehmen und in drei Sätzen und einem freundlichen Gesicht die Sache zu erklären. Das hilft. Ich habe das getestet. Mein Kind2 braucht Zeit für Erklärungen und für Gefühle. Er ist ein Bauch-Mensch, rational und mal auf die Flotte läuft bei ihm nicht.
Mama, wenn man weinen muß, muß man weinen
Und dann muß ich nochmal tief durchatmen und mir verzeihen. Und anerkennen dass ich trotz aller Fehler eine hinreichend gute Mutter bin. Weil ich so viele Sachen auch richtig mache. Das ist so. Beispielsweise den Raum und das Ohr schaffen für diesen wunderbaren Satz. „Mama, wenn man weinen muß, dann muß man weinen!“, sagte er, als ich ihn tröstete, weil er etwas verschüttete. Ich wischte und sagte, „Ist nicht so schlimm!“ „Doooch. Das ist schlimm!“. „Aber ich schimpfe nicht. Es ist ok.“ Er weinte weiter und sagte dann diesen Satz. Für mich heißt das: Wenn man weinen muß, muß dieses Gefühl erstmal durchlebt werden. Gib mir Zeit dafür.
Das ist eine weitere Einsicht aus dem Kapitel, „von Kindern lernen“: Zeit nehmen. Auf Kinderhöhe begeben und erstmal das eine Gefühl fertig erleben lassen, dann das nächste.
Es ist nicht Lieblosigkeit von mir, dass ich das offenbar zu wenig mache. Es ist mein gehetztes Wesen. Aber dem würde genau das auch gut tun:
Hören und Zuhören. Gefühle fühlen. Gedanken denken. Atmen. Und verzeihen.
Schöner Text! Einfühlsam und klug. Vielen Dank dafür.
Vielleicht mache ich mir da wieder mal zu viele Gedanken, aber ich würde das als „ist nur so eine Phase“ sehen. Das gibt sich sicher von alleine. Es ist eben die Art und Weise wie das Kind zur Zeit mit Konflikten umgeht. Das wird mit der Zeit anders werden. Ich als Vater sage da auch gerne zu meiner Frau: Warten wir erstmal ab ob sich das über eine längere Zeit (und damit meine ich eine Zeit wie ein halbes Jahr oder so) bestand hat und überlegen dann, wie man das lösen könnte. Zunächst einmal halte ich alles für „Nur eine Phase“. Ich kann aber auch verstehen, wenn man sich da etwas mehr Gedanken macht, versuche mich aber zum Beispiel durch Dinge die meine Kinder in emotional aufgewühlten Situationen sagen nicht verletzen zu lassen. Die meinen das nicht so.
Hallo, klar meinen die daws nicht so und sind sich der Tragweite ihrer Worte noch nicht bewußt. Aber ich frage mich halt, welcher Druck dahinter steckt, verbal austeilen zu wollen. Abgesehen davon bin ich auch nur ein Mensch und hab auch Gefühle. Manchmal ;)
Einfach eine herzliche Umarmung einer anderen – ich zitiere: „Arschlochmama“ – Zitat Ende.
Danke :)
oh – das kenne ich auch.
Interessanterweise macht meine Jüngste das im Gegensatz zu ihren Brüdern nur bei mir. Auch fies.
Aber es geht vorbei. Zum Glück
Ich habe den ganz dringenden Wunsch, dich fest in den Arm zu nehmen und dir zu sagen, dass du eine prima Mama bist. Es tut mir so leid, wenn mein Text in dir das Gefühl ausgelöst hat, inadäquat zu reagieren. Das sollte er ganz und gar nicht. Ich habe das Gefühl, das Lesen hat dich ganz stark in die Perfektionismus-Falle gedrängt, dabei sollte er doch gerade das Gegenteil auslösen. Es reicht, nein, es ist sogar besser, eine ‚good enough mother‘ zu sein, keine ‚perfect mother‘!
Ich kann dir sagen, warum ich fest davon überzeugt bin, dass du die beste Mutter bist, die sich deine Kinder wünschen können. Weil dein kleiner K2 so dermaßen bei sich ist, dass er schon in so jungem Alter so weise seine Gefühlszustände kommentieren kann: ‚Wenn man weinen muss, muss man weinen.‘ Oder auch, in einem frühreren Artikel von dir das ‚Argh, iss weiß auch niss, was iss will. Gnah!‘ Wie besser kann man denn das Zerrissene ‚Komm her- Geh weg‘ der Autonomiephase verbalisieren?! Er ist ein ganz Großer, dein K2 und ja, du hast Recht: Wir Erwachsenen können noch von ihm lernen.
Und das er das kann, dass er ausspricht, was er fühlt und seine Zerrissenheit ausdrücken kann, das ist dein Werk. Normalerweise können Kinder das nicht einfach so. Sie können es fühlen, das ja, das von Geburt an. Aber verbalisieren, was sie fühlen? Du musst da schon zu beigetragen haben, musst ihnen Worte verliehen haben. Also hör auf, dich selbst zu zerfleischen und nach der perfekten Reaktion zu schielen. Bist du noch authentisch, wenn du dir Juuls Worte einverleibst und beim nächsten Mal einen zitierbaren pädagogisch wertvollen Satz nachplapperst? Nee, oder? Also bleib mal lieber bei dir, das hilft deinen Kindern viel mehr.
Das, was du machen kannst, machst du schon: Du merkst, wenn was schief läuft, du denkst drüber nach, du holst dir Rat in deiner Elternblogger-Bubble. Manchmal schaffst du es, in der nächsten Situation diesen Rat umzusetzen, wenn dieser dir und deinem Charakter entspricht. Dann bleibst du auch authentisch dabei und das merken deine Kinder und reagieren darauf. Was mehr wünscht du dir?
Liebe Grüße, snowqueen
P.S. Dass er jetzt verbal austeilt ist ein riesiger Schritt in Richtung Impulskontrolle und ich finde für einen Dreijährigen ziemlich bemerkenswert, dass er das schon kann. Daran ist nichts Zynisches, es ist einfach ein Lernprozess, der sehr sehr lange dauert und sehr schwierig ist.
Danke. Mir sind deine Gedanken und deine ganze Art nachzudenken so vertraut, als ob ich den Text selbst geschrieben hätte.
Was ich gerade versuche: Achtsamkeit. Was ist, das ist. Annehmen und nicht dagegen ankämpfen. Die Kinder. Mich. Das Leben.