In meinen heutigen Notizen über Jesper Juul geht es um einen Klopper: Körperfixiertheit und ein zu stärkendes Selbstwertgefühl. Zwei Riesenthemen, wie ich finde. Und darum ist das Zitat heute auch ein Beispiel dafür, warum ich Jesper Juul so gerne mag: seine Worte beruhigen und bestärken mich, auch wenn die Aufgabe wirklich groß ist.
Unsere Kultur ist sehr körperfixiert, und wir haben nur begrenzte Möglichkeiten, unsere Kinder davor zu bewahren. Wir können aber alles dafür tun, um ihr Selbstgefühl zu stärken und während ihrer Krisen da zu sein.
Die Körperfixiertheit unserer Gesellschaft ist etwas, das mich wahnsinnig nervt. Es stört mich unglaublich und wenn ich darüber nachdenke, welch großen Einfluss die Werbe- Schönheits- und Modeindustrie auf mein Selbstwertgefühl gehabt haben – und immer noch haben kann – werde ich wütend. Ich möchte meine Kinder vor diesem inneren Kampf so gerne bewahren. Ich wünsche Ihnen mehr Freiheit in ihrer Jugend, als ich sie empfunden habe. Ich finde es eine himmelschreiende Ungerechtigkeit, dass wir unsere Körper mit einem Ideal vergleichen, das es kaum gibt. Und nicht nur das, die Bewertung unserer Körper wird auch von „den Anderen“, von „der Gesellschaft“ vorgenommen. Als sei das Aussehen nach einer Norm eine moralische und ethische Verpflichtung, die öffentlich am Pranger steht.
Das Thema führt sehr weit. Wer mag, kann sich meinen Text „Körpergefühl, Schönheit und was mich nervt“ durchlesen, da erkläre ich etwas genauer, was ich meine. Oder einfach mal auf pinkstinks.de gucken gehen. (Achso, und nein, es geht weder nur um Germanys next Topmodel noch um die Farbe pink. Pink und rosa sind genauso neutral wie gelb, grau oder grün. Es geht um den Gebrauch und die Rolle, die dieser Farbe und dem gesamten Rollenmodell zugeschrieben wird.
Es gibt Dinge in der Welt, vor denen kann ich meine Kinder nicht schützen
Ich kann meine Kinder nicht vor allen Ungerechtigkeiten dieser Welt bewahren, so gerne ich das auch täte. Der Schönheitskult und Körperfixierung und ihre Konsequenzen sind nur ein Beispiel dafür. Und so groß die Aufgabe und wie groß mein Respekt davor auch ist, der Kernsatz ist so komplex wie einfach: Sei einfach da für Deine Kinder. Stärke sie, wo und wie immer Du kannst. Und sei da in ihren Krisen.
Das menschenmögliche – nicht das ideale
Das ist das einzig menschenmögliche, das ich tun kann. Die Welt kann ich so schnell nicht ändern und meine Kinder davor verschließen kann und will ich auch nicht. Ich kann nur meine Werte (von Schönheit, von Moral, von Gerechtigkeit, von Vielfalt, Toleranz und so weiter) vorleben. Ich kann mit den Kinder sprechen und diskutieren. Und ich kann aufmerksam sein für ihre Gefühle und Bedürfnisse und zwar von klein an. Ich kann sie in ihren Gefühlen ernst nehmen, ich kann ihre Launen wichtig nehmen, ihr Weinen und Unzufriedensein. Das heißt ja nicht, dass ich mir alle gefallen lassen müsste, es geht „nur“ um das ernst nehmen. Darin genau liegt natürlich auch die Schwierigkeit und Komplexität der Aufgabe. Aber ich kann mich bemühen. Und selbst wenn das nicht immer und nicht hunderprozentig geht, weil meine Bedürfnisse oder das Leben (nämlich meine eigenen Päckchen, meine Erziehung, mein Selbstwertgefühl) dazwischen kommen, kann ich meine Kinder ernst nehmen, in dem was sie wollen. Ich kann ihnen vermitteln, dass ihre Gefühle in Ordnung sind, wie sie sind. Vielleicht kann ich erklären, warum mir dieses oder jenes gerade nicht möglich ist – und man kann gemeinsam einen Kompromiss finden. All das ist, in aller Kürze, doch das Aufbauen und Stärken eines Selbstgefühls.
Und selbst daran scheitere ich natürlich – wir alle übrigens ;) Weil ich ein Mensch bin, weil ich meine Päckchen mit mir herumtrage, so wie jeder von uns. Aber so ist das eben auf dieser Welt. Sinngemäß hat Jesper Juul auch mal gesagt, man muß keine perfekte Mutter oder Vater sein, hinreichend gut reicht aus.
Weil mir Bestärken und Selbstwertgefühl so am Herzen liegen, verlinke ich auf einige weiterführende Texte und Videos:
- Facebookpost vom Familylab zum Thema Selbstwertgefühl
- Kindererziehung: So stärkst du das Selbstwertgefühl deines Kindes – Interview mit Jasmin Schaffner, Familienberaterin und Familylab Seminarleiterin
- ein kurzes Interview mit Juul, in dem er den Unterschied von Selbstwertgefühl und Selbstbewußtsein erklärt
Wollte jetzt einfach mal schnell sagen, dass ich Deine Mama-Notes on Jesper Juul so klasse und treffend finde.
Freue mich noch auf ganz viele weitere davon
Herzlichst Tanja
Hallo
Ich finde Deine Gedanken zum Thema Körper immer sehr interessant. Ich frage mich auch oft, warum die Oberfläche so wichtig ist. Das bringt uns als Gesellschaft doch gar nicht weiter, aber so viel hängt dennoch davon ab. Grade in den Medien ist es so furchtbar zu erleben, wie anscheinend fast alles vom Aussehen abhängt. Das geht ja so weit, dass Leute häufig nicht „medien-schönen“ Menschen gar kein Talent (zum Schauspielern, Singen, Tanzen, sogar zum Sport oder anderen öffentlichkeitswirksamen Tätigkeiten) zutrauen. Bei Ragen Chastain habe ich genau zu dem Thema folgendes gelesen, was mich tief bewegt hat:
„This all leaves me to wonder, how many amazingly talented people are we missing out on as a society? How many horrible actors and actresses do we suffer through because the industry chooses them for their ability to fit a narrow stereotype of beauty before their ability to act? If we chose singers based on their ability to sing first would auto-tune even exist?“ (https://danceswithfat.wordpress.com/2015/06/15/everyone-should-have-expected-what-happened-next/)
Ich weiß nicht, wie ich mein Kind davor schützen kann. Es geht ja gar nicht. Ich versuche wirklich sehr intensiv als gutes Vorbild zu wirken: Meinen Körper so zu lieben, wie er ist und Mobbing wegen des Aussehens ganz offensiv entgegen zu treten. Noch ist mein Kind so klein und fühlt sich so wohl im eigenen Körper. Das macht mich sehr glücklich. Und ich denke gelegentlich daran, was kommen wird und der Gedanke, dass diese Selbstverständlichkeit den eigenen Körper zu mögen, untergraben werden könnte, macht mich traurig und wütend.
Ich bin wirklich froh, dass wir dann nicht allein sind. Dass ich im Internet ganz viele tolle Leute kennengelernt habe, die mich im Falle unterstützen werden. Das gibt mir Hoffnung, dass es für unsere Kinder besser wird, als es für uns war.
Danke vielmals, dass Du Deine Gedanken mit uns geteilt hast. Wir sind nicht allein. <3
Liebe Grüße
Esther