Buchrezension und daher keine #Werbung
Der Verlag Fischer Scherz hat mir ungefragt eine Urlaubslektüre zugeschickt und einfach nur viel Spaß beim Lesen gewünscht. Ohne um eine Rezension zu bitten. Wie nett! Jetzt bin ich in Italien und habe schon mein zweites Buch ausgelesen: „Der Löwe büllt“ von Tommy Jaud.
Folgerichtig habe ich das Buch mit Tomaten, Orleander und diesen Stern-Blumen von den Dünen dekoriert. Denn ich bin nicht im Ferienclub, wie die gestresste Hauptfigur des Romans, der zwischen kapriziöser Mutter und Fitnesstracker am Handgelenk versucht zu entspannen, sondern ich bin auf einem Campingplatz, schwitze, werde im Schatten braun und lese Bücher. Zwischendurch esse ich Eis, Cannoli und Pasta.
Aber zurück zum Buch: Es ist witzig, treffend und oberflächlich zugleich und somit wirklich die perfekte Urlaubslektüre am Strand. Es liest sich so fluffig, dass es eigentlich keiner größeren Konzentration bedarf und ist dennoch so amüsant, dass es einfach fesselt. Ich habe vom Autor Tommy Jaud bereits „Resturlaub“ und „Vollidiot“ als Hörbücher durch (großartig gelesen von Christoph Maria Herbst). Das ist schon Jahre her. Über die Hörbücher habe ich mich damals auch köstlich amüsiert.
Der Löwe büllt ist nach seinem anscheinend sehr erfolgreichen Rezept gestrickt: aggressiv-depressive männliche Hauptfigur, Nico Schnös, mit goldenem Herzen und sympathischen Zügen schimpft sich sarkastisch und eloquent durch seine spätkapitalistische Kommerzwelt.
Aufgerieben zwischen Job, Beziehungsstress, Meditation, Fitnesstracker und Designer-Turnschuhen versucht er sein Leben in den Griff zu kriegen und die drohende Job-Kündigung abzuwenden. Der Auftrag seines Chefs: Entspannen, aber ein bisschen plötzlich! Per Fitbit und Passwort überwacht der Chef Nicos Ruhepuls und es könnte nicht treffender und witziger sein. Nico muss Zwangsurlaub nehmen und nebenbei einen PR-Termin begleiten und – das alles in Begleitung seiner Mutter! Die Mutter ist so ein Exemplar, das selbst Buddha aus dem Zen schubsen würde. Ach ja, Buddha, Meditation, und Chakra spielen auch so eine Rolle in dem Roman. Zum Schreien komisch!
Einen Blick für das Zeitgenössische hat er ja, der Jaud, der auf dem Buchcover seine grünen Augen hinter der schwarzen Besserwisserbrille vermutlich nachretouchieren liess. Vollkommen egal eigentlich, aber das fiel mir gerade auf und außerdem beschreibt Jaud auch das Foto eines Buchautors in seinem Roman, allerdings witziger als ich und er sieht dem beschriebenen Roman-Autor kein bisschen ähnlich. Jauds Haar ist nämlich frisch gewaschen.
Jaud nimmt im Buch zeitgenössisches Büro-Deutsch auf‘s Korn „das ist fein für mich“, plaudert sich und seine Figuren munter durch die Popkultur der letzten Jahrzehnte und hat einen Dialogstil gefunden, der mir einerseits etwas geziert vorkommt, aber andererseits mit so viel zeitgenössischen Formulierungen gespickt ist, dass mir alles so bekannt vorkommt, als würde ich die Hauptfiguren persönlich kennen.
Und doch folgen seine Romane – oder eben die drei, die ich gelesen habe – einem Schema-F. Der depressive Sympathieträger macht ein paar strategische, moralische und charakterliche Fehler, die Leserin findet, er hat es aber auch schwer und außerdem so Recht mit seinem eloquenten Kommentaren auf die Welt, und dann passieren Entwicklungen, Verwicklungen und ein bisschen Katastrophe, was aber alles mit viel Menschlichkeit, Situationskomik und perfekter Unperfektion gelöst werden kann.
Trotzdem, und das mag an meinem Alter liegen, an dem alles Rührselige funktioniert, besonders das, welches vorgibt, kurz vor der großen Höhepunkt des Schmalzes umzukippen und gar nicht mehr kitschig zu sein, das funktioniert bei mir bestens. Und so lache und schmunzle, nicke und grinse, schlucke und klimpere ich mich durch die Lektüre und bin trotz sich streitender Kinder und schwüler Hitze im Hier und Jetzt der Geschichte. Lesen wie früher, als alles noch so einfach war und die Gefühle griffbereit. Der Jaud kann das, ohne existenziell zu berühren oder gar weh zu tun. Wundervoll so für den Urlaub, denn, eine Kalenderblattweisheit aus dem Roman sei mir gestattet: Wir haben alle Zeit der Welt. Zwar kann das Ende um die Ecke lauern, aber in der Zwischenzeit können wir uns getrost die Zeit nehmen, nichts zu tun. Und um, wie im Fall von Nico Schnös, zu sich und die eigenen Gefühle zu finden. Oder wie in meinem Fall, zurück zum Lesen, zurück zum Urlaub und zu meinen Cannoli.