Tag 9 war deutlich besser als Tag 8. Wir haben unseren Tagesablauf wieder aufgenommen und finden uns in die neue Normalität wieder ein. Mein Learning ist unsexy: Was uns hilft ist Arbeit und Struktur, kombiniert mit Spaß.
Mein Untertitel ist in liebevollem Andenken an Wolfgang Herrndorfs Tagebuch gewählt. „Arbeit und Struktur“. Absolut unvergleichbar sind die beiden Erfahrungen von unserem Social Distancing und seiner tödlichen Krebserkrankung. Dennoch habe ich in den letzten Tagen – und auch in anderen Stressphasen in meinem Leben – an Herrndorfs Haltung gedacht. Arbeit und Struktur hält mich mental stabil und wenn Selbstfürsorge, Motivation, Spaß und Lebenslust dazu kommt, hält es mich glücklich. Arbeit und Struktur – oder auch: Never forget yourself.
Homeschooling
Nach einem späten Frühstück haben die Kinder ihre Schularbeit wieder aufgenommen. Ich habe die meiste Zeit mit Laptop am gleichen Tisch gesessen und besonders einem Kind geholfen. Ich bin mir unsicher in meinem Lehrerinnen-Job. Was ist zu viel, was zu wenig erklärt. Eigentlich arbeiten beide Kinder recht selbständig. Aber ab und an gibt es halt Fragen. Ich erkläre dem jeweiligen Kind, was es nicht versteht. Kleiner Vorausblick: heute klappen die Mathe-Aufgaben von gestern schon viel besser. Noch immer kein Selbstläufer aber das Grundverständnis von dem, was ich gestern erkläre, ist jetzt schneller abrufbar. Läuft, würde ich sagen.
„Das bisschen Haushalt“ und ist schon wieder 1950?
Mittags gab es Linsensuppe, die ich kochte. Überhaupt haben hier die 1950er Jahre angerufen und fragen, warum ich keine Schürze über meinem Petticoatkleid trage.
Ich bereite gefühlt non-stop Essen zu und räume die Küche wieder auf, wische Arbeitsflächen und Kleckse vom Boden auf, wische Tischplatten vor und nach dem Essen, sauge unterm Tisch, in der Küche und im Bad, putze Waschbecken, wasche Wäsche, hänge Wäsche auf, falte Wäsche… Ja, die Kinder helfen im Haushalt bei Dingen wie Tisch decken, Waschmaschine befüllen etc. aber diese Versorger-Arbeit ist aufwändig und liegt nunmal zu 99 Prozent bei mir. Das wird im Zuge von Home Office und Kindern selten bis nie erwähnt. Es kommen so viele anscheinend unsichtbare Tätigkeiten hinzu.
Ich mache gefühlt 3 Vollzeitjobs:
- Haushälterin und Köchin (es fällt auch so viel mehr Wäsche, Putzarbeit und Essenszubereitung an als wenn wir nur morgens und nachmittags zu Hause sind)
- Lehrerin (Schularbeiten beaufsichtigen, erklären, korrigieren und während dessen Fragen beantworten)
- und meinen eigenen Job.
uuuuund: - Achja, ich vergaß: Dazu kommt Kinder Bespaßung und halbwegs mit gutem Input versorgen.
Selbstfürsorge einplanen
Sich um sich selbst zu kümmern, für das Wohlbefinden und mentale Gesundheit zu sorgen ist eigentlich ein weiterer Job, Auch Selbstfürsorge braucht Selbstdisziplin. Die fällt umso schwerer, je mehr verantwortungsvolle Aufgaben das Handeln und Denken beschäftigen.
Unser Tagesablauf hat jetzt drei Zeiten, in denen wir optional Spazieren gehen, Tanzen, Bett hüpfen, Sport machen oder meditieren können. Spaß- und Spielzeit für die Kinder war selbstverständlich von Anfang an im Tagesablauf inbegriffen. Nur eben für mich nicht.
Schöne Dinge des Tages
Wir haben geredet, die Kinder und ich. (Und wir haben gestritten.) Wir haben unsere Mental Map von Tag 1 noch einmal angeschaut und Prioritäten verschoben. Unser Tagesablauf hat jetzt die eben schon erwähnten Zeiten für Spiel, Spaß, Sport, Yoga etc. erhalten, weil das sonst hinten über fällt. Die Spielzeit gab es vorher natürlich schon, aber mir konkret Sport in den Tagsablauf zu schreiben, und wenn es nur 20 Minuten sind, hilft mir.
Die Kinder haben schon am verkorksten Tag 8 total schön und kreativ zusammen gespielt. Sie haben überall Buden gebaut, bastelten irgendwann eigenständig und aus eigenen Antrieb Osterhasen, lasen Bücher…
Wir hatten an Tag 1 Tomatensaat und Kürbiskerne gepflanzt und sie ins Wohnzimmer ans Fenster gestellt, damit sie besser aufgehen können. Die Tomaten zeigen schon erste Keimlinge.
Die Nähe zu den Kindern bringt außerdem ein ganz neues Level an Gesprächen. Es gibt philosophische Fragen, psychologische Fragen, es ist erstaunlich für mich und auch beglückend.
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