Am Wochenende traf ich eine liebe Freundin. Sie ist eine meiner Mama-Freundinnen, die ich längst einfach nur „Freundinnen“ nenne. Wir haben uns vor sechs (!!!!!!!!!!!!! kreisch!!) Jahren im Geburtsvorbereitungskurs kennen gelernt. Im ersten Babyjahr – ach Quatsch – in den ersten Jahren trafen wir uns nachmittags sehr oft. Wir erzählten uns von unseren Unsicherheiten, Ängsten und Sorgen, wir trösteten uns und bauten uns gegenseitig wieder auf. Wir beantworten uns gegenseitig die unsagbarsten Fragen und sortierten unsere neuen Mama-Gefühle. Und wir konnten uns stundenlang erzählen, wie überaus nervig und wahnsinnig niedlich unsere Kinder sind. So haben wir die Nachmittage miteinander und mit allen durcheinanderpurzelnden Kindern verbracht. Wenn ich diesen Kreis von wunderbaren, starken und vorallem ehrlichen Frauen nicht gehabt hätte, ich weiß ernsthaft nicht, was aus mir geworden wäre. Wenn Ihr das lest: I love you!!! <3
Was würden wir uns mit dem Wissen von heute sagen?
Der Freundin erzählte ich von dieser „mein Brief an mich“-Blogparade. Ungefähr diese Unterhaltung fand zwischen ihr, nennen wir sie Andrea, und mir statt:
Ich: Was würden wir uns mit dem Wissen von heute sagen?
Andrea: MACH DISCH LOGGÄR, BABY! (wir lachen)
Ich: Absolut. Hätten wir uns geglaubt?
Andrea: Natürlich nicht!!!
Ich: Na toll. Und nun? Irgendwas müssen wir uns doch sagen können!
Andrea: Ich glaube, das muß man alles selbst durchleben. Weil man das einfach vorher nicht glauben kann: Mutter sein, das Baby so lieben, diese Verantwortung. Und nichts wissen!
Ich: Ich wünschte, ich könnte etwas finden, dass das aufbricht. Dass sagt: Mach mal Ruhe. Stille halt Dein Baby, wann es möchte und denke nicht darüber nach. Du machst alles richtig.
Andrea: Oh ja! Wundere Dich über nichts. Nicht, wenn das Baby nur kurz trinkt. Wundere Dich nicht, wenn es ewig trinkt. Wundere Dich nicht, wenn es mal länger als drei Stunden schläft und bitte, wundere Dich nicht, wenn es gefühlt ständig an der Brust ist. Stell Dir keine Still-App, schreib keine Zeiten auf. Mach einfach.
Ich: Weißt Du noch wie verunsichert wir waren, weil das Stillen STUNDENLANG dauerte? Ob das normal ist? Ob die Milch ok ist? Das Baby gut trinkt? Was mache ich falsch?
Andrea: Man kommt ja auch aus einem total anderen Leben! Vorher war man einfach nur ein Mensch. Hatte einen Partner, ne Wohnung, die niemals so dreckig war, wie heute an den guten Tagen. Und man hatte einen Job. Fertig.
Ich: Ja, der Job! Wir haben Projekte geleitet, hatten Führungspositionen. Überstunden geschoben. Nichts war wichtiger, oder? Das war doch die Lebensaufgabe für uns, für mich zumindest. Gut sein im Job, weiterkommen, mich weiter entwickeln. Mein Metier finden, meine Aufgabe, meine Berufung finden. Neuen Job ausprobieren, darin gut sein. Die Kollegen, die Chefin, die Aufgaben, die Deadlines. Multi-Tasking.
Andrea: JA. Und dann? Geburt! Bäm!
Ich: Und alles, was Du schaffst ist stillen und aufs Klo gehen.
Andrea: Kein Duschen, kein Aufräumen, keine To Do Liste.
Ich: Kein Wunder, dass wir uns mit Stillen und aufs Klo gehen etwas unausgelastet vorkamen. Und dennoch so erschöpft!
Andrea: Und das, obwohl nichts mehr zu tun war als mich um das Baby zu kümmern. Und obwohl ich wußte, dass die Wohnung mal verschimmeln darf. Nur zwei Sachen am Tag schaffen… Irgendwann ist man zwar auch geduscht und räumt mal ne Spülmaschine ein, aber das fühlt sich doch immer noch falsch an.
Ich: Und dann noch immer die Sprüche von irgendwelchen Leuten, den eigenen Eltern oder sonstwem, dass sie ja abends dem Mann noch ein Abendbrot bereitet hätten, die Wohnung aber so nie aussah…
Andrea und ich: GNAAA!!!!
Ich: Ich glaube, die Ansage wäre: SEI UNPRODUKTIV. Das ist jetzt Deine Aufgabe. Nichts machen, nur sein. Zur Not geh halt beim Stillen ins Online-Babyforum. Oder lies ein Buch.
Andrea: Ich war ja nie der Typ für so ein Babyforum. Mir haben die Stilltreffen geholfen. Und unser Mama-Freundeskreis! Ich würde sagen: SUCH DIR EIN NETZWERK!
Ich: Super, das schreib ich jetzt so auf!
:)
Mein Brief sieht folgendermaßen aus:
Liebes Erstlingsmama-Ich,
vor wenigen Wochen ist Deine Tochter geboren worden. Es war ein geplanter Kaiserschnitt und das Geburtserlebnis war für Dich und den Mann wunderschön. Mit der noch sitzenden Spinalbetäubung und dem schlafenden Baby auf der Brust war alles in Ordnung. Aber schon nach wenigen Stunden fing der Wahnsinn an und hat Dich bis jetzt, ich kann Dir sagen, bis noch lange, nicht losgelassen.
Der Wahnsinn war: das Baby versorgen, Mutter werden, stillen, Milchfluss, stillen, Mutter werden und stillen, Schmerzen, nicht gehen können, die Naht, stillen -und das Gefühl, nichts, aber auch gar nichts richtig zu machen. Das war nicht schön. Du hast Dir vieles sehr zu Herzen genommen, was die Schwestern mit bester Absicht sagten. Oder nur beiläufig sagten. Alles, was Du hören konntest, war Kritik, wenig hat Dich aufgemuntert.
Mittlerweile läuft die Milch und Dein Baby nimmt gut zu. Nein, sie nimmt nicht so viel zu, wie andere Babys. Aber sie nimmt zu und das reicht. Es ist schnurzepiepegal, dass die Mütter von den sehr viel zunehmenden Babys im Babyforum ihre Milch „Sahne“ nennen. Gönn Ihnen das, es hat nichts mit Dir zu tun und es hat auch nichts zu sagen. Nein, Deine Milch ist kein weißes Wasser. Vergleiche Dich nicht. Vergleiche auch Dein Kind nicht. Ihr zwei seid richtig so! Ihr seid füreinander bestimmt. Es ist Dein Baby und es ist in Deinem Bauch gewachsen, nichts ist besser für Dein wunderschönes Mädchen als Du!
Nimm Dir den Rat der einen Stillberaterin zu Herzen, die Dir nachts aufmerksam zuhörte und erkannte, wie es Dir wirklich geht. Sie sagte: „Machen Sie sich keine Gedanken mehr. Es wird alles richtig sein. Sorgen Sie sich gut um sich. Das ist wichtig, kümmern Sie sich auch um sich.“ Weißt Du noch, was Du geantwortet hast? Genau, Du warst ganz verwirrt und hast ernsthaft gefragt, „Mich um mich kümmern? Was heißt das denn? Was soll ich machen?“ Und sie: „Im Moment heißt das: Gut essen, gut trinken, gut schlafen.“
Das gilt auch jetzt, mit ein paar Wochen, mit ein paar Monaten oder auch mit ein paar Jahren nach der Geburt: Kümmere Dich um Dich. Sorge gut um Dich.
Lass die Dinge einfach geschehen. Du wirst immer mehr in das Gefühl hineinwachsen, Mama zu sein. Das Baby ist plötzlich einfach so da, aber das neue Sein braucht etwas. Das ist gut so, gib Dir Zeit. Dein Baby gibt Dir dafür die Zeit, ganz sicher. Verabschiede Dich von der alten Produktivität und dem Leistungsethos, auch wenn Du gar nicht dachtest, dass Du ihn hast. Komm einfach an und gibt Dir auch dafür Zeit. Das dauert mehr als die paar Wochenbettwochen.
Stelle nicht so viel in Frage, am besten gar nichts. Aber bleib wissbegierig, beobachte Dein Baby genau und lerne. Nur hinterfrage weder Dich noch das Kind. Wenn das Stillen ewig dauert, dann ist das so. Wenn Dein Baby kaum schläft und gefühlte 20 von 24 Stunden an Deiner Brust ist, dann ist das so. Es ist in Ordnung. Ja, das ist anstrengend aber Du machst nichts falsch dabei. Ja, Einschlafstillen ist das einzig richtige für Dich und Dein Kind. Ihr Stillbegehren zeigt Dir schon, ob sie einschlafgestillt werden möchte oder ob sie dich dannach noch anschauen möchte mit ihren runden Kulleraugen, während Du leise summst und über ihre Stirn streichelst.
Wenn Dein Baby in den ersten Monaten viel schreit und Du oft davor bist, zur Schreiambulanz zu fahren, dann ist auch das ok so. Es ist nicht Deine Schuld. Du hast alles richtig gemacht, nichts falsch.Halte durch, bleibe liebevoll, mit dem Baby, mit Dir und mit dem Mann. Diese Zeit wird eine Zerreißprobe, aber Ihr werdet das schaffen.
Und vorallem: Es ist nur eine Phase. Es hört wirklich wieder auf. Alles ist nur vorübergehend. Auch die Nächte. Es.wird.besser! Ich weiß, es fühlt sich mittendrin nicht so an, als könnte es jemals anders werden. Mit dem neuen Baby und dem neuen Ich, mit dem wunden Körper, dem wehen Herzen und dem unterschlafenen Gehirn fühlt es sich an, als bliebe das für immer so. Nicht mehr zu Hause im eigenen Körper sein, Stillen, Geben, Versorgen und kaum schlafen. Beim zweiten Kind wird es schon nicht mehr so sein. Beim zweiten Kind wirst Du mit dem Baby sehr sicher sein, über das Stillen schon gar nicht mehr nachdenken und auch vor dem Baby baden keine Angst mehr haben. Mit zwei kleinen Kindern wird die Ewigkeit etwas ganz anderes sein. Nämlich die Frage: welches Kind zuerst? Wie gleichzeitig? Aber das wird dann sein.
Jetzt will ich Dich wappnen und stärken für alles, was im ersten Babyjahr kommt. Denn eigentlich, ganz eigentlich, ist alles wunderbar in Ordnung. Du könntest Dich eigentlich zurück lehnen und genießen. Du wirst genau Deine Art finden, und zwar dann, wenn Du aufhörst zu vergleichen, Dich zu kritisieren und wenn Du Dich von allen Vorstellungen über das Mutter-sein verabschiedest. Wenn Du einfach machst, was Du jetzt wirklich willst.
Ich wünschte, Du wärst Deinen Weg gleich vollkommen selbstbewußt, sicher und fröhlich gegangen. Du mußt übrigens auch mit der Familie keine Diskussionen führen, die Du nicht führen willst. Mal nur lächeln, auf Durchzug schalten und nicht antworten ist auch eine Option. Ich wünschte, Du hättest von Anfang an gewußt, dass Du alles richtig machst. Und dass auch die Enttäuschung und Erschöpfung richtig so sind. Weil sie menschlich sind. Dein Baby ist übrigens auch ein Mensch, und findet es in Ordnung, von Anfang an menschliche Reaktionen mitzubekommen und keine nur funktionierende Mama.
Ach so: Ja, so ein lange Tag mit Baby ist oft LANGWEILIG! Eine Zeit ohne intellektuellen Input, ohne nennenswerte Diskussionen mit interessanten Menschen. Das Leben mit Baby ist einfach manchmal laaaaangweiliiiiiiiig. Es liegt nicht an Dir, Du bist deshalb keine schlechte Mutter. Auch das wird sich ändern. Nein, Du wirst nicht blöd dabei, die Blitzbirne kommt wieder! :)
Such Dir Deine Freund*innen, es werden Dir die richtigen Menschen begegnen. Nämlich die, bei denen Du Du selbst sein kannst, auch mit Kind. Redet offen miteinander, stell Fragen und beantwortet andere. Sei offen für andere Standpunkte aber bleibe bei Deinen Gefühl und Deiner Überzeugung.
Sei stolz auf Dein Baby und sei auch stolz auf Dich. Geh einfach Deinen Weg, probiere Dich aus. Lache über alles was nicht klappt und mach weiter. Es gibt keine Fehler, es gibt nur das Leben. Kümmere Dich gut um Dich. Ich weiß, um Dein Baby kümmerst Du Dich nämlich eh ganz wunderbar!
Deine Sonja
Diese Blogpost ist Teil der wunderschönen Blogparade „Mein Brief an mich“ von Janas Hebammenblog.
Danke! Ein ganz wunderbarer Brief.
Dann muss ich mal ganz schnell raus und mir ein Netzwerk aufbauen. ;-)
Mein Kleiner ist jetzt 4 1/2 Monate…die Zeit rast, weil ich außer Stillen, Wickeln, mit dem Baby spielen, dem Baby bei allem genau zuschauen und schlafen kaum etwas anderes schaffe….aber hey ich will auch gar nichts anderes. Gut, ein bisschen fehlt mir schon die geistige Herausforderung, daher baue ich gerade meine erste eigene Webseite. Gut wenn der Papa genauso vernarrt ist, wie die Mama. :D
Vielen Dank für diesen Brief!
Viele Grüße
Alexandra
Ein Netzwerk braucht auch Zeit. Nichts passiert innerhalb weniger Wochen :)
Ein wirklich schöner Brief. Denn hättest Du auch meinem früheren Ich schreiben können ;-) Bin inzwischen auch deutlich entspannter. Aber manchmal ist es leichter gesagt als getan. Ich merke, dass ich auch jetzt mit zweitem Kind hektischer bin, als mir lieb ist. … Ohmmm ;-)
LG Wiebke
Oh ja, diese Hektik mit dem zweiten Kind. Daran kann ich mich auch noch gut erinnern. Vielleicht sollte ich meinem Ich vor vier Jahren auch nochmal einen Brief schreiben.
Wenn Ihr Dir jetzt sage, mach einfach hintereinander, gleichzeitig und sich selbst zerreissen geht halt nicht, dann nutzt das nix, ne? Hab ich mir damals auch immer gesagt. Es sind die eigenen Ansprüche, die uns verrückt machen. Aber Geschwister können eben nicht wie zwei Einzelkinder behandelt werden. Isso.
Alles Liebe <3
Bin Mama einer 3 Monaten alten Tochter und möchte einfach DANKE für den Brief sagen, musste beim lesen weinen, weil es so wahr ist.
Super! Dieser Text trifft den Nagel auf den Kopf. Klasse formuliert, Besser geht’s nicht!