Gestern twitterte ich: „Wer mir immer noch ertrunkene Kinder in die TL spült und nicht begreift, dass es pietät und respektlos ist, passt nicht zu mir.“ Ja, das war die pure Verzweiflung, weil ich den Schmerz nicht mehr aushalten konnte und es war auch Wut auf die Menschen, die mir das immer wieder antaten. Eine hilflose Entfolge-Androhung. Blöde, ich weiß.
Das Bild rüttelt mich nicht wach. Auf das Bild reagiere ich nicht als politisch denkender Mensch. Ich reagiere als Mensch, als Mutter. Obwohl ich kaum hinschauen konnte, kurze Sekunden nur, hat es sich in mein Hirn gebrannt. In mir wuchs der Wunsch, ja das Verlangen, diesen kleinen Jungen aufzuheben und in den Arm zu nehmen. Mein eigener Sohn ist nur wenige Monate älter als Aylan, gerade vier geworden; Aylan wurde nur drei. Ich will ihn aufheben und beschützen, trösten. Aber Trost kommt zu spät. Er erinnert mich an meinem Jungen. Ich nehme meine Kinder in den Arm, werde demütig und dankbar und denke an Aylan und seine Familie. Ich weiß, dass es uns allen so geht. Uns alle schmerzt es.
Ich finde, das Bild zu teilen, und sei es mit den besten Absichten, widerspricht der Würde der toten Menschen, weil es ihre Körper instrumentalisiert. Als politisch denkender Mensch wird mir umso mehr bewußt, dass wir offene, freie und sichere Fluchtwege brauchen. Aber andere, die Angst haben, die Flüchtlinge würden ihnen etwas wegnehmen? Könnten solche Fotos ein Umdenken bewirken, würden sie längst anders denken. Diese Fotos mit ertrunkenen syrischen Flüchtlingen gibt es seit Monaten. Erst seit Wochen werden sie zunehmend in Social Media geteilt. Natürlich mit der besten Absicht, das Bild möge aufrütteln, möge zum Umdenken bringen. Bringen diese Fotos die Betrachter denn auch zum Handeln, zum Helfen?
Durch das Teilen in Social Media eignet man sich das Schicksal an und bemächtigt sich diesem, man verfügt über das Abbild dieses Schicksals. Es ist mehr als würdelos, es ist ein Missbrauch dieses Schicksals. Für einen Kick aus Schock, Ekel, Sensationslust, Faszination Hilflosigkeit. Und was weiß ich noch alles.
Ein Argument für das Teilen der Bilder ist oft, das sei nun mal die Realität. Es gäbe eben schreckliche Dinge, die wir nicht aushalten könnten. Sich davor zu verschließen sei unser Luxus, wenn auch verständlich. Aber das Bild solle zeigen, was ist. Ich verstehe das Ansinnen. Aber das schlimme Schicksal der Flüchtlinge werden wir niemals ganz verstehen können, wir können uns hineinfühlen, aber komplett umfassen nicht. Fotos wie diese bringen nicht noch mehr Empathie oder mehr Hilfe. Und auch nicht mehr Verständnis.
Viele Gegner des Teilens argumentieren mit ihren Gefühlen, davon, den Anblick des toten Kindes nicht mehr aushalten zu können vor Schmerz. Mir geht es genauso. Aber natürlich geht es hierbei nicht um uns, nicht um unseren Schmerz oder was wir aushalten können oder nicht. Unser Schmerz ist unwichtig.
Pro und Contra. Und Pro. Und Contra.
Das Problem ist nur: Man kann dieses Bild nicht aushalten. Wir schauen weg. Wie oft sollen diese Bilder noch geteilt werden, bis wir in wenigen Tagen nur weiterscrollen, mit einem leichten Stich im Herzen, aber kein Schock mehr, keine Diskussionen, keine Tränen. Es ist ja auch nicht auszuhalten. Das Herz macht zu.
Es kommt auf Inhalte an, nicht auf visuelle Schocks. Es kommt darauf an, inhaltlich nicht wegzuschauen, nicht zu ignorieren. Es kommt darauf an, eine Stellung zu beziehen, klare Worte zu finden. Es kommt darauf an zu helfen, so wie man kann. Und dabei ist es übrigens tatsächlich egal, wie man hilft.
Worauf es aber vorallem ankommt sind politische Entscheidungen und Veränderungen. Jeder, der dieses Foto geteilt, deswegen weinen und den Atem anhalten musste, sollte damit eigentlich für den sicheren Transport für Flüchtlinge sein. Für Fähren über das Mittelmeer, für Züge durch Europa.
Es gibt sehr gute Texte und Statements darüber, warum das Teilen dieser Bilder doch befürwortet werden kann. Es werden Beispiele aus der Geschichte herangezogen, wie es in solchen Fällen auch sinnvoll und lehrreich ist. Beispielsweise das vietnamesische Mädchen Kim Phuk, das nach dem Napalm-Angriff durch die USA schreiend über die Straße lief. Präsident Nixon hätte durch die so losgetretene Debatte die Niederlage eingestehen und den Vietnamkrieg beendet.
Wir verstehen Bilder nur, wenn wir etwas wissen
Das stimmt. Aber ich sage aber. Denn bereits vor den Bildern von Nagasaki und Hiroshima gab es eine breite, gesellschaftliche Debatte über den Sinn des Krieges und die Sehnsucht nach Frieden. Diese Fotos fielen auf einen von Wissen und Diskussionen vorbereiteten Grund.
So wie heute. Hoffe ich. Denn was wir brauchen, sind keine Fotos, die wir teilen, die dann wach rütteln und zum Handeln (?) bringen sollen. Was wir brauchen, ist eine gesellschaftliche Debatte über unsere Asylverfahren, über unsere Europapolitik, über unseren Waffenhandel und unsere Verantwortung in Deutschland, in Europa. Diese Debatte fängt hoffentlich gerade an. Sie ist die Grundlage dafür, dass diese Bilder jetzt auf soviel Mitleid und Schock hervorrufen. Weil wir etwas wissen, weil wir etwas erfahren haben. Das Bild allein gab es vor Monaten schon.
Wir brauchen klare Worte, klare Positionen und kein zündeln am rechten Rand, wie das unser Innenminister und andere Politiker es dieser Tage – achwas – immer wieder tun. Klare Worte und schnelle Entscheidungen, die Menschen nicht einfach sterben zu lassen.
Und ja, wir brauchen auch eine Debatte über den Zusammenhang von Menschenwürde und Medienethik.
Helfen hilft
Wer helfen will, kann das tun. Sogar vom Sofa aus, und daran sehe ich nichts ehrenrührendes. Bei Blogger für Flüchtlinge könnt Ihr spenden, mit dem Geld werden zahlreichen Projekte und Hilfsaktionen in ganz Deutschland finanziert. Wer aktiv vor Ort helfen möchte, hier habe ich in einem älteren Blogpost eine Liste zusammen gestellt. Ergänzungen für die Liste sind mir jederzeit willkommen.
Du hast das meine Gefühle da gut auf den Punkt gebracht.
Mich hat dieses Bild so sehr mitgenommen, dass ich nun gar nichts mehr lesen und sehen will. Und das ist ja auch der falsche Weg, weil weggucken eben falsch ist, man muss ja was tun.
Deshalb ist für mich dieses Bild der falsche Weg.
Ich bekam gestern die Kritik es sei egoistisch, dass ich meine Gefühle nenne wieso dieses Bild nicht geteilt werden soll. Aber ist es wirklich so falsch auch auf seine eigenen Gefühle Rücksicht zu nehmen?
Ich gucke ja dennoch weiter Nachrichten, informiere mich und helfe.
Ich denke auch. Wir müssen nicht das Bild anschauen, sondern die Nachrichten und Inhalte verstehen. Und helfen. ;*
Ich kann dieses Bild von diesem Jungen auch nicht ertragen als Mutter eines ebenfalls dreijährigen Sohnes. Der Junge sieht aus, als wenn er schlafen würde. So süß. Man möchte ihn aufwecken und mit ihm weiterspielen.
Ich hab‘ das Bild nicht geteilt. Weil es mir das Herz zerreißt. Mein Kleiner ist jetzt 2 1/2. Und trug jetzt im Sommer öfter eines der zwei dunkelroten T-Shirts mit einer kurzen blauen Hose. Und schläft gerne auf dem Bauch. Und hat kurze braune Haare.
Ich hab es nicht mal meiner Frau gezeigt, nur kurz erklärt warum ich abends beim heim kommen unser Söhnchen drücken wollte. Töchterchen kriegt gerade auch mehr Kuscheleinheiten als sonst, die ist aber auch sonst verschmuster.
… ich bin eine von denen, die Bilder auf Facebook geteilt haben. Nach der ersten Schockstarre, als ich die Bilder entdeckt hatte, konnte ich eine ganze Nacht nicht schlafen und am Morgen habe ich die Blider dann doch geteilt. Mir ist an den Bildern schlagartig etwas klar geworden, was ich davor nicht so gesehen habe: es ist wichtig und gut, wenn wir den Flüchtlingen, die es bis zu uns geschafft haben, helfen – aber wir tun als Weltgemeinschaft nicht genug dagegen, dass Eltern mit ihren Kindern unter größten Gefahren für Leib und Leben ihre Heimat verlassen müssen, in der Hoffnung auf eine friedliche reund sicherere Zukunft. Wir sollten hart daran arbeiten, dass keine toten Kinder mehr an unsere Küsten gespült werden!! Die Politik schafft es nicht, wir alle können uns nicht zurücklehnen – da muss an der Basis und in den Herkunftsländern noch viel mehr passieren, in allen Krisenregionen. Wir müssen „das Übel bei der Wurzel packen“, sonst wird es weiterhin dieses schreckliche Leid schon auf dem Weg zu uns – geben!
http://motherbook.de/bilder-von-ertrunkenen-fluechtlingskindern-und-mein-innerer-kampf/
Ich denke schon, dass ein paar Menschen durch solche Bilder noch energischer handeln bzw. argumentieren beim Thema Flüchtlingshilfe. Allerdings reicht es wohl, wenn die Medien diese Bilder zeigen, ich finde nicht, dass sie auch noch für Leser von Familienblogs vervielfältigt werden müssen. Das ist der falsche Kanal und die falsche Leserschaft. Ich denke nicht, dass viele Menschen, die unsere Blogs lesen, für Pegida auf der Straße waren oder Flüchtlinge bepöbeln oder schlimmeres. Sie sind Mütter und Väter, Frauen mit Kinderwunsch, Familienmenschen. Und die leiden unter diesen Bildern, so wie du. Sie verfolgen unsere Blogs, weil sie Interesse an uns als Familien haben. Wenn sie skandalöse und aufrüttelnde Bilder sehen und verkraften wollen suchen sie in anderen Portalen. Das ist, als würde die SZ plötzlich Porno drucken, weil es das nun mal gibt und die Frauen da oft keine gute Zeit haben…falsche Plattform!!!
Ich habe auch versucht, das Bild zu meiden (was nicht ging und es brannte sich in die Seele) und sehe es wie Du: Ich brauche keine Bilder, um das Leid im Ansatz zu erahnen. Mein jüngster Sohn ist 11 Monate und der kleine Aylan erinnert mich (natürlich) auch an meinen Sohn.
Ich habe geweint. Rotz und Wasser. Weil ich genau wie Du nur eine Reaktion hatte: Die einer Mutter. Ich wollte ihn hochnehmen, trösten, zurück holen und ihm sagen, dass alles wieder gut wird.
Stattdessen habe ich meine Jungs geknuddelt und bin einfach nur dankbar, dass wir so gut leben dürfen.
Um zu helfen, braucht es keine Bilder und die, die anders denken, zeigen ja leider nur allzu deutlich, wie blöd sie sind und nutzen dieses erschütternde Zeugnis für Freudentänze.
Liebe Grüße
Wenn es um das inflationäre „Teilen“ solcher Bilder geht, bin ich ganz bei dir. Aber dem kann man sich entziehen. Man muss nicht auf allen Kanälen präsent sein, man muss das Thema nicht überall verfolgen.
Man kann sich informieren, ohne von Bildern toter Kinder überflutet zu werden. Und oft reicht genau ein Bild, um dieses Drama wirklich wenn nicht begreifen, doch aber zumindest an sich heran lassen zu können. Denn Zahlen machen uns nicht empathisch.
Ein Bild kann wachrütteln und genau das ist passiert. Bei mir zumindest. Denn wie du schon selbst gefühlt hast: man möchte seine eigenen Kinder ganz fest umarmen und man hat eine kleine Ahnung davon, WIE schrecklich so eine Flucht ist.
Pietätlos ist so vieles. Ein Bild geht einem an die eigene Substanz und man kann nicht anders, als seine eigene Komfortzone zu verlassen.