Ich bin immer da. Für die Kinder arbeite ich in Teilzeit. Ich bin nachmittags da, morgens und abends. Am Wochenende und immer. Wir gehen auf die St Martinszüge und die Kitatreffen, die Sommerfeste und Kindergeburtstage. Aber was passiert, wenn ich so langsam mehr arbeite und der Mann dafür öfters die Zeit mit den Kindern verbringt?
Ich sage es Euch was dann passiert. „Mama, Du bist NIE da. Immer nur Papa, Papa, Papa!“ So der Ausruf des Kindes als ich ihr ankündigte, dass ich dieses Jahr gar nicht auf den St. Martinszug gehen könne und stattdessen der Papa kommt.
Anscheinend habe ich nur geträumt, dass ich alle St. Martinszüge mit den Kindern verbracht habe, der Mann aber erst letztes Jahr das erste Mal dabei war. Und es war ziemlich stressig, mit einem Baby und Kleinkind und später mit zwei Kleinkindern auf einen St. Martinszug zu sein, das mal nur so nebenbei bemerkt. Aber das Kind hat das vergessen. Komplett. „Nein, Mama. Du bist nie da. Der Papa war bei St. Martin dabei“, sagt sie im Brustton der Überzeugung.
Was ist da los?
Ich hätte schreien und weinen könne, so frustriert hat mich das! Was ist da los? Wie kommt sowas? Ich bin die Teilzeitarbeitende, der Mann der Vollzeitfuzzi. Warum bekommt er die Erinnerung und ich nicht? Es machte mich wirklich traurig. Und auch wütend. Aber worauf eigentlich?
Gestern fand diese Unterhaltung mit meiner Tochter und mir statt. Wir fuhren gerade mit dem Rad zu Kita, um Kind2 abzuholen. Pädagogisch unzulänglich wie ich bin, empörte und beschwerte ich mich. Ich erzählte ihr, dass ich es war, die mit Baby und Kleinkind, mit zwei Kleinkindern, all die Jahre immer zu St. Martin mit ihnen unterwegs war und Papa letztes Jahr das erste Mal. Ich sagte ihr auch, dass mich es richtig traurig macht, dass sie das offenbar vergessen hat. Das Kind wurde richtig zerknirscht und entschuldigte sich sogar bei mir. Das wiederum machte mir ein schlechtes Gewissen, denn was kann das Kind bitteschön für seine Erinnerung? Darüber habe ich kein Recht mich zu empören, zumindest nicht bei ihr. (Und ja, ich hab mich an Jesper bloody Juul erinnert und ihr danach gesagt, dass es in Ordnung ist, wie sie sich erinnert. Aber das ich mich anders erinnere und nochmal überlegen muss, wieso das wohl so ist.)
Wenn Mama immer mehr arbeitet
In der letzten Zeit habe ich mich mehr und mehr aus dem Familienleben zurückgezogen und auf meine Arbeit konzentriert. Stattdessen war der Papa in charge. Er war in der Zeit der einzige, der kochte, die Wäsche machte, beim Zähneputzen half, Klamotten rauslegte, an die Mützen dachte und abends vorlas. Zwei Mal waren sie auch bei den Omas, die uns damit aushalfen. Aber, und das muss ich hier nochmal betonen, es geht hier so um die letzten 6 Wochen. Übrigens war ich es natürlich, die im Hintergrund alles organisierte und besprach. Am Nachmittag war ich immer noch für die Kinder da, nur am Wochenende und abends nicht mehr so richtig.
Der Mann ist oft einige Tage hintereinander gar nicht da, weil er morgens so früh geht und abends so spät kommt. Wenn die Kinder ihn dann nicht sehen, finden sie das zwar schade, aber er hat sich noch nie anhören müssen, es sei „immer nur Mama, Mama, Mama“ da. Und jetzt wird sogar vergessen, dass ich bei St. Martin und am besten noch auf allen möglichen Kitafesten anwesend war und Kuchen dafür gebacken hatte?! (Hier empörtes Einatmen- und Luftanhalt-Geräusch einfügen)
Bis es mir dann auffiel: Vielleicht vermisst sie mich einfach. Vielleicht ist das ihre Art, mir das mitzuteilen. Oder vielleicht ist das die Art und Weise, wie das Kindergehirn das registriert.
Es ist bestimmt ein Lernprozess für die Kinder, wenn die Arbeitszeiten sich langsam ändern und nicht nur die Mama allein sondern auch Papa mehr Alltagsdinge übernimmt. Ich bin trotzdem immer da, im Hintergrund und mit dem Herzen. Wenn ich nicht da bin (oder einfach nur im Nebenzimmer arbeite), ist der Vater für die Kinder da. Das ist genauso gut und auch genauso wichtig.
Ich werde mir mein Kind heute nochmal schnappen und ihr sagen, dass ich sie auch vermisse aber weiß, dass sie in guten Händen ist, die all das können, was ich auch kann. Und dass ich immer wieder komme und mich auf sie freue.
Ach Sonja…ich lese das und ich weiß, was du meinst. Kinder sind halt manchmal brutal mit ihren Worten. Es ist so gemein. Aber darf ich es mal wagen aus der Ferne ein wenig „neutrale“ Übersetzungsarbeit zu leisten?
„Mama, ich bin es halt gewohnt, das Papa nicht dabei ist. Der arbeitet viel, schon mein Leben lang arbeitet er mehr als du. Da war es letztes Jahr etwas Besonderes, dass er das erste mal beim Martinszug dabei war. Daran erinnere ich mich noch genau!“
„Mama, ich merke, dass sich etwas ändert. Ich kann es nicht ganz erklären und ich weiß auch noch nicht wie ich es einordnen soll, aber irgendwas ändert sich grad in meinem Leben. Da ich es nicht ganz verstehe kann ich es auch nicht genau benennen. Daher nehme ich manchmal unpassende Worte dafür.“
Es ist eine große Ungerechtigkeit, dass Väter-Erlebnisse, da sie nunmal rarer sind, irgendwie etwas besonderes sind und in Kindererinnerungen ganz oft viel präsenter sind. So gemein. Die Perle macht das auch oft. „Mit Papa fahre ich immer in den Urlaub.“
Äh…ja…wir auch…schon sehr oft.
„Nein, wir bleiben immer da, in den Urlaub fahre ich nur mit Papa.“
HALLO?!
Aber ja, viel ununterbrochene Zeit mit Papa ist sooo selten und daher viel größer in Sachen Erinnerungswert. Ich bin dafür etwas beständiges…normales…etwas, was so normal ist, dass man es kaum noch benennt. So wie du deinem Partner, wenn du ihm von deinem tag erzählst, vielleicht nicht sagst, dass du morgens Kaffee hattest…weil DUH, den hast du ja immer, den musst du nicht dauernd benennen. Hat ja auch irgendwie was…etwas vertrautes…weißt du?
Drück dich,
Janina
<3 Danke Dir, meine Liebe. Ja, das habe ich auch so erkannt.
Haha, das kenn ich! Mein Mann ist auch beruflich viel unterwegs und ich bin immer da (und arbeite „Teilzeit“, also so wie Du, bis nachmittags um 3 und abends…).
Und jetzt ist mein Mann gerade mal etwas mehr da (also ein paar Wochen am Stück) und ich nutze das und gehe auch mal abends alleine weg. Als ich am Samstag das ankündigte, war der Kommentar „Du gehst schon wiiiieder weg, Mama??“….
Die Macht der Gewohnheiten…
LG, Julia
Ich finde deine Reaktion absolut verständlich und ehrlich gesagt dem Kind gegenüber auch angebracht. Irgendwann müssen sie ja auch lernen, dass ihre Worte auch negative Emotionen hervorrufen können. juuls hin oder her ;)
Ein toller Denkanstoß mit dem gegenseitigem vermissen!
Danke für den , mal wieder, tollen Text. Mach weiter so.
Viele Grüße
-die Mutter von…-
Zwinker zwinker
Hallo
Kommt mir sehr bekannt vor. Das ‚vermissen‘ ist ein guter und vor allem schöner Gedanke. Ich werde es mir merken 😉
vg Julia von travelingkinder