Ich liebe Jesper Juul, ich finde es großartig, was er sagt, nur mir kommt meistens das Leben dazwischen. Also gebe ich meine irrwitzigen, nachdenklichen und gänzlich unrühmlichen Juul-Versuche zum Besten. Heute: Regeln in der Familie.
„Jede Familie braucht Regeln, um die zwischenmenschlichen und sozialen Prozesse in der Familie zu fördern. Welche das sind, hängt von der Lebenseinstellung, der Wertvorstellung und Erfahrung der Eltern ab.“
Ich bin gut in Regeln! Ich bin sogar gut darin, zu entscheiden, welche Regeln sein müssen und welche nicht. Ich halte die Regeln ein, ich lebe sie vor, und den in den wichtigen bin ich ziemlich konsequent unumstößlich. Weil ich sonst durchdrehe. Eigene Grenzen wahren, I do it.
Unsere Regeln – eine Auswahl
Beispielsweise: wer nach Hause kommt, zieht sich vor der Tür die Schuhe aus und geht Jacke aufhängen, dann Händewaschen. Erst danach gibt es zu Essen oder zu Trinken. Vor dem Essen werden die Hände gewaschen, morgens und abends nach dem Essen werden die Zähne geputzt. Wem etwas runter fällt, der hebt es auf, wenn man jemandem weh getan hat, wird sich entschuldigt. (im Sinne von „es tut mir leid, dass Du Aua hast, aber ich wollte das nicht“). Im Wohnzimmer soll nicht getobt und nicht fangen gespielt werden, Wände dürfen nicht bemalt werden. Sowas halt. Auch eine Regel: Wir hauen nicht. Wie benutzen keine unflätigen Schimpfwörter jenseits von Kacka, es wird bitte und danke sagen geübt und die Kinder wissen, dass uns das wichtig ist. Ein freundlicher Tonfall sollte auch benutzt werden. Es ist aber auch die Regel, dass wir alle eine laute Stimme haben und eigentlich niemals jemand leise redet, obwohl wir Eltern das gerne wollen.
Regeln beugen keine Konflikte vor. Jedenfalls nicht bei uns
Vermutlich ist es ein zwischenmenschlicher und sozialer Prozess, die Kinder jeden Tag, jeden einzelnen verfluchten Tag darauf hinzuweisen, wie das mit dem Händwaschen, Sachen aufheben und Wohnzimmertoben so ist. Ich weiß nicht, ob Jesper Juul das weiß: Die Konflikte, die durch die Regeln eigentlich vorgebeugt werden sollen, haben wir alle trotzdem. Und wenn der Juul jetzt sagt, ich wäre nicht authentisch und bestimmt genug, dann ey! Es nervt mich wie Sau, wenn ich die Kinder davon abhalten muß, in die Küche zu rennen, bevor sie nach dem nach Hause kommen die Hände nicht gewaschen haben. Aber es passiert trotzdem so gut wie jeden Tag. Oder es gibt dramatische Szenen vor dem Waschbecken, weil Hände waschen plötzlich nicht mehr geht, Arme zu kurz, Wasserhahn zu schwergängig…
Die Kinder brauchen die Regeln nicht, ICH brauche sie
Ich finde trotzdem nicht, dass wir zu viele Regeln haben, weil: ich will das so und finde das richtig so. Alles andere würde mich wahnsinnig machen. Bei anderen Leuten darf man auf Wände malen? Super. Ich hasse es wie die Pest. Ich möchte das nicht. Basta. Natürlich haben wir dennoch bemalte Wände.
Ups – und wie wird das in der Pubertät?!?
Jesper Juul hatte den Satz mal im Zusammenhang mit Jugendlichen in der Pubertät geäußert. Da komme ich ja kurz ins Stutzen. Meiner Erinnerung nach hat das mit den Regeln bei mir in der Pubertät noch schlechter funktioniert als vorher schon. Müßte ich also NOCH STRENGER sein, um die Regeleinhaltung zu üben, bevor die Pubertät kommt? Aber wie? Mehr als darauf bestehen, dass die Kinder ihre Pfoten waschen, nicht im Wohnzimmer toben und das Messer aufheben, das runter fallen ist, kann ich ja nicht. Oder?
Warum wird mein richtiges Verhalten eigentlich nie belohnt?
Ist das jetzt Jesper Juul oder nicht. Fail oder Win? Wenn Win, wieso fühlt es sich dann nicht so an? Warum bekomme ich eigentlich so selten eine Rückopplung darüber, ob das gut ist, was ich mache? Pawlowsche Belohnung gibt es für Eltern nicht. Warum fühlt sich Regeln brechen manchmal einfach schöner an? Warum will ich keine Frollein Rottenmeier sein, die pedantisch jedes Mal das Messer nicht aufhebt. Weil: ich will auch mal Liebe. Ich bin eine Mama, keine Maschine. Ich möchte ein lächelndes Kind sehen, weil ich das Messer aufgehoben habe. Nur bei der Wandmalerei und der Hände- und Zähneputzerei bin ich ziemlich hartnäckig. Nutzt aber nichts, seit 6 Jahren täglich Geschrei deswegen.
Manche Regeln müssen sein und bei manchen muß auch mal eine Ausnahme drin sein. Weil Liebe, Mama und Mensch. Dass es Streit und Geschrei gibt, liegt daran, dass die Kinder müde sind, hungrig, durstig und generell ungeduldig. Das haben sie von ihrer Mutter. Ich merke aber an ihrer Reaktion, dass sie wissen, was bei uns eine Regel ist und was nicht.
Ich vermute, dass sich das Gemotze wegen Regeln niemals abstellen lassen wird. Vielleicht ist es irgendwann nicht mehr das Hände waschen sondern das Hausaufgaben machen, Zimmer aufräumen, pünktlich nach Hause kommen oder sich rechtzeitig abmelden. Aber dann habe ICH ja geübt, nicht am Regelverstoß zu verzweifeln. Hauptsache zwischenmenschliche Prozesse. Da ist man in mancher Pubertät sicherlich froh, wenn die nicht aussetzen.
Also denn, Hände wachen, Kinder! Mit Seife!
Update: Heute, am 2.7. wurde übrigens ein ganz wunderbar passendes weiteres Juul-Zitat über Familiab geteilt, das meinen Text ziemlich gut ergänzt:
„Die Qualitäten von Eltern bemessen sich nicht nach den Regeln, die sie ihren Kindern vorgeben, sondern nach der Art ihrer Reaktion, wenn diese Regeln gebrochen werden.“
Jesper Juul • familylab.de
Und Ihr so?
Wie seht Ihr das mit den Regeln? Halten Eure Kinder die ein, wenn ja, wie macht Ihr das? Wenn nicht, wie geht es Euch damit?
Weitere Posts meiner Rubrol „Mama notes on Jesper Juul“ findet Ihr hier.
Kenn ich. Fast alles. Ich verzweifele momentan an „Wir essen nichts vom Boden.“ Trotzdem nehmen regelmäßig Buntstiftspitzen und Co. den Weg Richtung Mund. Für mich ist aber die größte Herausforderung an der Sache mit den Regeln: alle anderen „dürfen“ offensichtlich ständig Ausnahmen machen. „Naja, heute ausnahmsweise, weil…“ höre ich dann vom Opa, Papa etc.
Wäh, das mit den Ausnahmen vom Papa würde mich nerven, das verstehe ich. Bei den Großeltern oder Tanten sehe ich das anders. Ich bin mir sicher, dass die Kinder unterscheiden können, wer die Regeln aufstellt. Da mach ich mir keinen Kopp mehr, wenn es bei Oma immer süßen Nachtisch gibt, beispielsweise.
Super Serie, ich lese da gerade sehr gespannt mit. Das Kiddo ist erst 1,5 Jahre alt, da gibt es bisher nur wenige grundlegende Regeln:
* An Straßen anhalten und meine Hand nehmen (klappt bisher nie, statt dessen wirft sie sich auf den Boden und schreit, weil ich sie nicht überfahren lassen möchte. Dass das so ein Drama ist, macht mich echt fertig, denn es gibt hier unendlich viele Straßen)
* Wir hauen Menschen und Tieren keine Gegenstände auf die Köpfe (klappt ganz gut)
* Wir putzen jeden Tag die Zähne (klappt scheiße, wird aber täglich neu gegen den Widerstand ausgefochten, hmpf)
*Irgendwelcher Müll von der Straße soll bitte nicht gegessen werden (klappt gut, weil sie mir total gerne Fundsachen erstmal bringt und in die Hand gibt, damit ich die begutachte)
* Hunde dürfen nicht einfach angefasst werden (klappt mit Unterstützung, also ich halte sie zurück, was aber meist klaglos akzeptiert wird)
Vielleicht gibts noch mehr, aber mir fällt sonst nix ein.
Ich habe ja ziemlich viel Juul gelesen, kann mich aber nicht daran erinnern dass er je behauptet hätte, Regel würden „funktionieren“ (im Sinne von: es reicht sie aufzustellen und dann halten sich alle daran) geschweige denn, Konflikten vorbeugen. Ich glaube eher, er sieht das Gemotze rund um Regeln als Chance, miteinander in Beziehung zu treten.
Ja, da hast Du sicherlich recht. Das ist mir beim Schreiben auch klar geworden. Was ich am Ende des Textes auch irgendwie verschwurbelt ausgedrückt habe. Kommt nicht so an, oder?
Deine Serie gefällt mir, ich werde mich dazu bei mir ausführlich äußern. Mir hat es einen kleinen Stich versetzt, als ich las, dass Du „auch mal Liebe“ wolltest. Dass Du Lob brauchst für das, was Du tust.
Meine Antwort darauf: a) Deine Kinder lieben Dich, sie zeigen es nur anders. b) Ich glaube ja, dass es nicht klappt, die eigenen Kinder dafür verantwortlich zu machen, dass Du Dich geliebt fühlst – dem können sie noch nicht entsprechen.
Sie zeigen ihre Liebe m.E. zum Beispiel darin, dass sie im Elternhaus komplett authentisch sind. Sie testen Grenzen/Regeln aus, weil sie spüren, dass sie nicht Deine Liebe verlieren, wenn sie diese überschreiten oder gar brechen. Sie dürfen bei Euch Eltern ganz sie selbst sein und tun das auch. Das ist für Dich/Euch anstrengend, ich weiß das nur zu gut, aber aus meiner Sicht auch ein Kompliment. Stell Dir vor, sie lebten ständig in Unsicherheit, ob Du sie noch liebtest, wenn sie nicht gleich die Hände waschen würden – Du verstehst sicher, was ich meine, oder?
Ich ertrage mit diesem Gedanken sehr viel besser die Launen meiner Mädchen, und Du ahnst sicher, dass mit der Pubertät da noch mal ein anderes Level erreicht wird ;-)
Ja, das ist ein wichtiger und richtiger Punkt. Ich schrieb es irgendwo, dass eine der Hauptaussagen von Juuls für mich sind. die Verantwortung anzunehmen. Dennoch gibt es widersprüchliche Gefühle, die es nicht immer leichter machen. Darin wollte ich authentisch bleiben – und das zunächst unkommentiert und nicht regulierend. Ich blogge ja noch ein bisschen über Juul. Vielleicht kann ich es nochmal deutlicher machen
Das mit den Regeln war mir wohl entgangen. Es geht doch darum, zu sagen was man will. Und es muss stimmen und es muss so vorgetragen werden, dass es keine „Beleidigung darstellt, sondern quasi einfach eine Aussage über einen selbst ist, gerne auch mit Emotion aber eben nicht indirekt oder in eine Abwertung gepackt.