Der heutige Gastbeitrag kommt von Verena Wirwohl. Ich freue mich wahnsinnig, dass sie mit dabei ist bei meinem Gastbeitragsprojekt. Verena ist Juristin, ihre Arbeit hat den besonderen Fokus auf NGOs und Public Affairs als Schnittstelle von Politik, Wirtschaft und Gesellschaft. Verena arbeitet außerdem als freue Redakteurin, besonders wichtig sind ihr dabei Gleichstellungsthemen. Verena ist übrigens auch Mutter.
Das Thema, das Verena anspricht könnte aktueller nicht sein. Gerade so kurz vor der Bundestagswahl gilt es genauer hinzuschauen, was den Schutz von Frauen, Kindern und Familien angeht. Wenn die Väterlobby bei zerstrittenen Elternpaaren das 50:50 Modell als Standard einfordert – und zwar ganz gleich ob der Vater gewalttätig gegen die Mutter geworden ist oder nicht – dann ist das mehr als nur eine familienpolitische Aussage. Das ist ein Rückschritt der Freiheiten und Rechte von Frauen. Diese Forderung ist übrigens von der FDP ins Programm und vorallem auch in die Wahlkampfdebatte einfügt worden. Aber dazu äußert sich Verena auch noch einmal.
Und noch etwas: Klickt auf Ihre Links. Dahinter hat Verena Quellen bzw. weiterführende Texte verlinkt, die allesamt sehr aufschlussreich und lesenswert sind.
Letzte Zuflucht in Gefahr – Wer rettet die Frauenhäuser?
Wer die 030-611 03 00 wählt, hat oft ein regelrechtes Martyrium durchlitten. Die Stimme am anderen Ende der Leitung darf dann keine Zeit verlieren. Rund um die Uhr leisten Mitarbeiterinnen der Berliner Hotline Hilfe bei häuslicher Gewalt. Mittel der Wahl in akuten Gefahrensituationen ist die Vermittlung von Aufenthalten in Frauenhäusern. Die sollen gewaltbetroffenen Frauen und ihren Kindern Schutz in der Anonymität bieten.
Schnelle und unbürokratische Hilfe?
Obwohl es bereits seit guten 50 Jahren Frauenhäuser in Deutschland gibt, ist deren Finanzierung ungeregelt. Vieles hängt vom guten Willen der Kommune ab. Sie entscheidet, wie die schützende Einrichtung personell und räumlich ausgestattet ist. Nur in Schleswig-Holstein schafft ein Gesetz eine verlässliche Finanzierungsgrundlage. Mit der kann von den Mitarbeiterinnen langfristig geplant und gewirtschaftet werden.
Die Kosten für die Unterbringung der 30.000 bis 34.000 Frauen und Kinder, die jährlich Zuflucht suchen, werden oftmals über Tagessätze finanziert. Es wird berechnet, welche individuellen Leistungsansprüche nach den Sozialgesetzen bestehen. Haben die Bewohnerinnen ein Einkommen, müssen sie die Kosten für den Frauenhausaufenthalt häufig selbst tragen. Ansonsten sind sie gezwungen, Sozialleistungen zu beantragen. Auch wenn sie die für den eigenen Lebensunterhalt sonst gar nicht bräuchten. Dies stellt für viele gewaltbetroffene Frauen ein nur schwer überwindbares bürokratisches Hindernis dar. Schnelle Hilfe sieht anders aus.
Keine Rettung, nur Verschnaufpause
Angesichts der chronischen Unterfinanzierung müssen Frauenhäuser sehr sparsam haushalten. Hiermit gehen konstant fehlende Plätze für Hilfsbedürftige einher. Allein in Berlin kommen ca. 827 Frauen und 1 042 Kinder jährlich auf die Warteliste. Die Knappheit der Plätze zieht sich wie ein roter Faden durch die Bundesländer. In NRW mussten 6.653 Aufnahmegesuche abgewiesen werden. Das betrifft überdurchschnittlich häufig Familien mit Kindern, welche die Einrichtungen vor finanzielle und logistische Herausforderungen stellen.
Selbst wenn ein Platz erfolgreich vermittelt werden konnte, unterbricht der Aufenthalt den Kreislauf von Drohungen und Gewalt nur kurz. Viele Frauen kehren zu ihrem gewalttätigen Partner zurück – mit den gemeinsamen Kindern. Das ist nicht überraschend. Denn der Aufenthalt soll in aller Regel nicht mehr als drei Monate dauern. Danach gibt es kaum eine Perspektive. Sozialwohnungen sind knapp. Jobs für Alleinerziehende oftmals Mangelware. Auch der Wohngeldzuschuss vom Amt ist alles andere als üppig.
Anschlussprojekte bieten Chancen auf eine gewaltfreie Zukunft
Realistische Möglichkeiten für den Weg aus der Gewaltspirale schafft ein Berliner Caritas-Projekt. Finanziert durch den Senat setzt „NeuRaum – Wohnen nach dem Frauenhaus“ gezielt an, wo andere Hilfen aufhören. Frisch aus den Notunterkünften rückkehrenden Frauen werden Wohnungen in Mietshäusern vermittelt. Mit über zwanzig Eigentümern wurden dafür bezahlbare Mietverträge in unterschiedlichen Stadtvierteln ausgehandelt. Die erste Chance auf eine gewaltfreie Zukunft. Nebenbei werden die Bewohnerinnen bei ihrem Start in die Selbstständigkeit unterstützt. Wer arbeitslos ist oder einen ungeklärten Aufenthaltsstatus hat, bekommt unkompliziert Hilfe. Ohne stundenlange Warterei auf den Fluren deutscher Behörden.
Familienkrisenzentrum statt Frauenhaus?
Einen anderen Ansatz bietet der Sozialdienst katholischer Frauen in Aachen. Neben der Betreuung hilfesuchender Frauen wurde dort seit 2015 ein Beratungsangebot für gewalttätige Männer ins Programm genommen. Perspektivisch solle das Frauenhaus zum „Familienkrisenzentrum“ werden. Risikopaare müssten gemeinsam lernen, „Ideen für ein gewaltfreies Leben zu entwickeln“.
So interessant das Konzept klingt, so fragwürdig ist es in der praktischen Umsetzung. Therapie für gewalttätige Männer erscheint zunächst als hilfreich. Doch oftmals leiden diese an schweren Persönlichkeitsstörungen. Zumindest ist das Entstehen von Gewalt ein Zusammenspiel aus komplexen Faktoren wie biologischen Voraussetzungen und Prägung durch das soziale Umfeld. Das in bis zu zehn Beratungsgespräche aufzuarbeiten ist unrealistisch. Noch zweifelhafter ist die gemeinsame Beratung in der Signalwirkung an das Opfer.
Wer in einem Frauenhaus landet, hat regelmäßige schwere Gewalterfahrungen gemacht. Die wenigsten Bewohnerinnen nehmen die räumliche Enge und die gesellschaftliche Stigmatisierung eines solchen Aufenthalts wegen einer Ohrfeige in Kauf. Wer jahrelang durch Gewalt eingeschüchtert wurde, ist in aller Regel leer, kraftlos, kaputt. Eine traumatisierte Frau erneut ihrem Peiniger auszusetzen, ist absolut kontraproduktiv. Indem man sie zur Reflektion über die gemeinsame Beziehung anhält, gibt man ihr eine Mitschuld an der häuslichen Gewalt. Durch die Paarberatung soll sie absurderweise noch darin bestärkt werden, die Beziehung wieder aufzunehmen.
Neue Wege im Gewaltschutz beschreiten
Die Möglichkeiten von Tätern, ihre Opfer zu drangsalieren, sind heute geradezu grenzenlos. Über Facebook und Whatsapp lässt es sich so einfach stalken, bedrohen und einschüchtern, wie niemals zuvor. Gewalt wird durch Videos, Computerspiele, Handyfilme jederzeit abrufbar gemacht. Zugleich nehmen die finanziellen Abhängigkeiten von Frauen aufgrund des geänderten Unterhaltsrechts zu.
Selbst, wenn der Ausbruch aus der Gewaltspirale gelingt, bringen gemeinsame Kinder nach der derzeitigen Rechtslage eine ganz neue Gefährdung für das Opfer mit sich. Der Täter hat ein kaum aussetzbares Recht auf Umgang mit seinen Kindern. Auch, wenn sich diese mit der Mutter im Frauenhaus befinden. Die früher übliche Flucht in die Anonymität der Großstadt bei schlimmen Gewalttaten des Partners ist versperrt. Umgangsrechte geben einem gewalttätigen Vater quasi ununterbrochen die Möglichkeit nicht nur seine Kinder, sondern auch seine Ex-Frau zu kontaktieren.
Sollte die vehemente Forderung von Väterrechtlern, die Kinder nach der Trennung automatisch hälftig „aufzuteilen“ von der allzu bereitwilligen FDP umgesetzt werden, könnte das schlimme Auswirkungen für weibliche Gewaltopfer haben. Dann kann strenggenommen keiner Frau mehr zur Scheidung von einem gewalttätigen Mann geraten werden. Zu groß wäre dabei die Gefahr, die Kinder über längere Zeiträume schutzlos dem Vater überlassen zu müssen.
Neue Wege im Gewaltschutz zu beschreiten, ist dringend notwendig. Gerade durch das Projekt des Berliner Senats besteht trotz der schwierigen finanziellen und rechtlichen Lage Hoffnung für Opfer von häuslicher Gewalt. Es bleibt ihnen zu wünschen, dass sich schnellstens Nachahmer in den restlichen Bundesländern finden.
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