Eines meiner großen Talente ist die Küchentischpsychologie. Ich kann alles analysieren und habe für alles eine Herleitung. Herrlich. Für die Länge einer Tasse Milchkaffee mit Kuchen sitzt meine Küchentischpsychoanalyse prima. Erworben habe ich diese Fähigkeit in meinem Studium, genauer gesagt, an Küchentischen diverser WGs. Wie sich das eben so gehört für die 1990er.
Die Sache mit dem Scheitern ist nämlich ganz einfach: Das Über-Ich hat Wahnsinnsansprüche. Als anspruchsvolle Diva will es Familien-Bullerbü, bei mir gerne in der urbanen Version, wertvolles Kinderspielzeug, viel Freiraum aber auch Tischmanieren. Ausgeklügeltes, einfaches und mordsgesundes Essen sowie verbindende Familienerlebnisse, geduldige Eltern usw. Ihr habt das Bild? Genau. Hammwa alles nicht. Mal kurz, als Lichtblick: ja. Als versehentliche Phase oder stellenweise geglückte Planung. Ansonsten scheitern wir vor uns hin und wenn wir richtig gut drauf sind, finden wir das auch noch witzig. Das Es, der Schweinehund, der das mit dem Spocht, dem gesunden, planvollen Einkaufen und dem ganzen Supermuddikram torpediert, lacht sich ins Fäustchen, während das Ich vor sich hin seufzt oder – bei gute Laune – über das Chaos lachen muß.
Der Kompromiss: Scheitern wird Maxime
Von Zeit zu Zeit tut mir das Ich leid. Es hat so gute Pläne und sich alles so schön überlegt! Ist ist ein sympathischer Träumer, ein Idealist, dem muß man doch helfen. So ein nettes Ich! Und dann sage – äh – ich: „Hörmal, Ich, das ist echt alles eine super Idee. Nimm es nicht so krumm, wenn es mal nicht klappt. Nobody is perfect und so.“ Das Ich nickt tapfer und sieht alles ein: „Ja, ich weiß. Perfektionismus ist nicht das Ziel. Es darf ja auch ein bisschen chaotisch sein. Aber könnte nicht ein bisschen Bullerbü, ein bisschen mehr Organisation, ein bissl mehr Geld, mehr Spaß, gute Laune und Entspanntheit sein?“. Doch ja, das finde ich auch. Als pragmatische Realistin finde ich einen ganz tollen Kompromiss: „Ich hab eine Idee, Ich. Wir machen das jetzt so: Alles, was wir nicht können, müssen wir akzeptieren. Keine schicke Wohnungseinrichtung? Wurscht, ist kein Garant für das Glücklichsein. Glücklich werden wir, wenn wir das schätzen, was wir haben. Also uns. Also uns chaotische uns. Wir sagen jetzt einfach: Das Scheitern (im Eltern-sein, im Erwachsen-sein, im was auch immer sein) ist unsere Maxime! Juhu. Schon sind wir entspannt, können viel mehr Lachen über alles und schwupps – sind wir viel glücklicher! Außerdem hat es so viele Vorteile für die Kinder, wenn wir nicht perfekt sind. Das sagen sogar führende Pädagogen, die im Zweifel deutlich mehr Ahnung von Freud haben, als wir!“
Uns leuchtet alles ein und wir leben jetzt glücklich und zufrieden. Ungefähr bis 19 Uhr. Dann beginnt die Zubettgehzeit und wenn Ihr Eltern seid, muß ich das jetzt nicht weiter erklären.
Das Scheitern der Scheitern-Maxime
Und dann hocke ich um 21.00 wieder auf dem Sofa und grübele. Mist! Autonomiephase? Geduld? Empathie? Belastbarkeit? Wo war denn nur die Entspanntheit, die wir doch so wollten? Und dann, spätestens, komme ich an die Grenzen der Küchentischpsychologie: War es nun das Über-Ich, dass zu sehr auf den Prinzipien rumgeritten ist oder das Es, dem alles egal ist, Hauptsache kein Stress. Oder war es das Ich, ein wenig überfordert, weil Es oder Über-ich reingegrätscht sind? Das liebe Leser*innen ist Scheitern auf der Meta-Meta-Ebene!
Blogparade: Geschichten vom Scheitern
Und nun kommt auch noch der sehr lesenswerte Blog „Grosse Köpfe“ und startet eine Blogparade mit Geschichten über das Scheitern. Eine großartige Idee, aber schreibe ich nicht eh nahezu täglich von unserem unperfekten Familienalltag und dass das aber ok so ist? Worüber könnte ich nur schreiben? Alle anderen Elternblogger schreiben fröhlich drauflos, wie und wo sie alle scheitern. Momentaufnahmen des Alltags, alles sehr klug, pointiert und lustig zu lesen. Ich lese sie alle. Herrliche Texte! Natürlich könnte ich vom Zubettehen berichten oder vom Aufräumen, von meinen pädagogischen Ansprüchen oder sonstwas. Aber ich komme nicht auf den Punkt. Ich scheitere daran, das Scheitern zu erklären und bekomme verdammt schlechte Laune.
„Scheitern“ ist eine gescheiterte Idee
Richtig, tiefe schlechte Laune. Und ich bekomme Zweifel an unserer Welt. Das meine ich wirklich so. Diese Scheiterei geht mir auf die Eier! Es nervt mich so richtig. Mir tun all diese lieben, tollen Ichs so leid, die das Scheitern so quält, die sich grämen für unpädagogische Ausrutscher, für unaufgeräumte Wohnungen, Plastikspielzeug, Gendergleichwertigkeit, Freiraum, Erziehung und hohe Ziele genauso wie über Fertigpizza oder ungewaschene Kinderhände. Es ist die Haltung dahinter, die schlimm ist. Eigentlich ist dieser Begriff vom Scheitern doch krank. Oder macht krank. Und ich schließe mich ja ein in diesen Reigen. Es wird mir gerade wahrscheinlich besonders bewußt, denn in meinem Familien- und Freundeskreis mehren sich die stressbedingen Krankheiten. Burn-out, Herzinfarkt, Depression, Niedergeschlagenheit, Arbeitsmüde. Ich habe eine Abwehrhaltung gegen das Scheitern, nein gegen den Begriff des Scheiterns. Ich habe keinen Bock mehr!!!
Ich könne jetzt ewig darüber fabulieren, woher dieses Wahnsinnsanspruch kommt, ob das ein persönliches Problem ist oder ein strukturell-gesellschaftliches. Beim Lesen der ganzen Blogbeiträge denke ich eher letzteres, gespickt mit der persönlichen Note eines jeden Elternpaars.
Mir geht dieser Leistungsanspruch, den ich dahinter spüre, gegen den Strich. Dieser Performen-müssen, das Abliefern, das Bewertet werden (egal von wem) und das angepasst sein an etwas anderes, gesellschaftliches, wirtschaftliches. Nach einem Traum über einen Text über das Scheitern, ein fulminanten Plädoyer für mehr Scheitern, mehr Jammern und Wundenlecken, mehr Scheiß-egal-Haltung und weniger Leistung, scheiterte ich natürlich daran, mich zu erinnern, was ich in dem Traum schrieb. Ich versuchte es und kam ins Trudeln bei einer oberflächlich-naiven Gesellschaftskritik. Den Teil erspare ich Euch.
Scheitern ist menschlich. Trial and Error ist menschlich, soweit ich weiß. Hat nicht die Wissenschaft festgestellt, dass die frühen Menschen so gelernt haben? Forschen, Spielen, ausprobieren, neu ansetzen. Nicht scheitern sondern neu machen, anders machen, Varianten finden. Lachen, kichern, aha-Erlebnisse. Frust auch, wer weiß schon, ob nicht durch Frust der erste Funke sprang, als zwei Feuersteine (wie nennt man diese Steine wirklich?) aufeinander trafen?
Es schlagen also mindestens drei Herzen in meiner Brust. Eins, dass ein urbanes, fröhliches, gesund ernährtes, pädagoisch wertvolles und ausreichend hedonistisches Bullerbü möchte, eins dass das zwar toll aber Quatsch findet und das Scheitern zur Maxime erheben will, damit mehr Entspanntheit und Spaß kommt. Und eins, dass das alles total oberbescheuert findet. Das am liebsten nicht halb witzig, halb ernsthaft über das Scheitern schreiben möchte, weil es die Wichtigkeit des Scheiterns so betont. Ein Herz, das eine ganze andere Haltung möchte.
Ich möchte gerne den Druck rausnehmen,
möchte den Stress, rausnehmen, die Leistungsbereitschaft, die Selbstaufgabe. Ich möchte mehr Lust und Laune zulassen, mehr Spontaneität und Abschweifen. Mehr Trial und Error, weniger Perfektion. Vielleicht ist der erste Funke aber auch entstanden, als die frühen Menschen ein Steinchen-Schmeiß-Spiel spielten, nicht als sie Frust hatten! Wer kann am besten den Stein dahinten treffen? Oder so. Boule, quasi! Mehr Boule spielen. Rosewein, Füße im Sand, ne ruhige Kugel schieben, Kinder rumspringen lassen und dann – da! – entsteht ein Funke.
So hätte ich das gern. Ich glaub, ich brauche Urlaub in der Provence!!! :)
Hallo,
ich finde Deinen Ansatz sehr interessant. Ich las mal einen Artikel, in dem sinngemäß stand: „Wenn Dir ein erfolgreicher Mann erzählt, er sei durch harte Arbeit reich geworden, dann musst du immer fragen: durch wessen harte Arbeit?“
Also frage ich mich in Bezug auf das elterliche, besonders auf das mütterliche Scheitern: Wer scheitert eigentlich noch, außer den einzelnen Müttern (und Vätern), die jeden Tag an der Alltagsfront drölftausend Ansprüchen gerecht werden sollen? Ich sammele nur mal ein paar Ideen:
– die Medien, die seit Jahrzehnten daran festhalten ständig die alten Familienidyllen zu reproduzieren, statt mal nicht nur zu Randzeiten kreativ und innovativ mit dem Thema Familie umzugehen.
– die Politik, die sich ebenso wenig vom Familienbild der 50er Jahre lösen kann und sich in Symbolhandlungen ergießt, statt wichtige Reformen in Angriff zu nehmen
– die Unternehmen, die an verknöcherten hierarchischen Strukturen festhalten, die total familienunfreundlich sind, aber sein Personal auszubrennen imponiert halt den Aktionären, mimimimi, es geht eben nicht anders, mimimimi
Eigentlich sind wir, die wir am untersten Ende der Entscheidungsketten in dieser Gesellschaft stehen, wir Mütter (und Väter) an der Alltagsfront, diejenigen, die noch am wenigsten scheitern. Wir werden kreativ, wir arbeiten an uns, wir reflektieren und versuchen im Umgang mit unseren Kindern eine bessere Gesellschaft herbeizuführen. Wir haben Mut, gehen Risiken ein, sind innovativ, versuchen Diskriminierung und Unterdrückung zu lindern, diskutieren, gehen neue Wege, denken nach, schreiben Blogs, unterstützen uns gegenseitig, machen unseren Kindern Mut, hinterfragen alte Ideale und sind selbstkritisch in einem Außmaß, da können sich die DAX-Vorstände noch so mehrere hundert Scheiben von abschneiden.
Wenn wir es so sehen, dann scheitern wir Mütter (und Väter) nicht. WIR NICHT! Wir könnten den Politiker*innen sagen: macht erstmal eure eigenen Hausaufgaben, bevor ihr uns sagt, wie wir uns optimieren sollen. Wir könnten den Medien sagen: Eurer altbackenen Kram geht uns auf den Keks, eure Mutlosigkeit kotzt uns an, hört auf mit dem Finger auf uns zu zeigen! Hört auf uns mit den Idealen von vorvorgestern zu nerven! Und ihr Unternehmer? Wollt ihr morgen und übermorgen auch noch Gewinne machen? Und in 10, 20 Jahren? Und auch noch gut ausgebildetes Personal finden? Ja? Dann zeigt mal die Dankbarkeit den Müttern (und Vätern), die die nächste Generation aufziehen, die angebracht ist, angesichts der Steine, die ihr ihnen bisher in den Weg legt!
Eltern scheitern, weil es ihnen die Gesellschaft kaum möglich macht, nicht zu scheitern. Weil die Rahmenbedingungen denkbar schlecht mit den allgemeinen Anforderungen zusammenpassen. Wenn wir Eltern also scheitern, dann können wir uns auch mal fragen, wessen Scheitern ging unserem Scheitern voraus? Wer, der mehr Einfluss und Entscheidungskapazitäten hat, legte die Grundlagen für unser Scheitern?
Liebste Grüße
Esther
Liebe Esther, vielen Dank für diesen ausführlichen, großartigen Kommentar. Hast Du ein Blog, wenn nicht, mach Dir eins und blogge darüber.
Ja, ähnlich sehe ich das auch. So viel ist im Privaten gar nicht zu leisten, was einem im politischen, öffentlichen, wirtschaftlichen nicht wieder zerhauen wird. Abgesehen vom Status- und Prestigeanspruch, den wir alle, vermutlich ohne größere Ausnahmen, irgendwie haben. Das macht auch alles Druck, finde ich. Aber was politisch und auf unternehmerisch-wirtschaftlicher Seite torpediert wird, ist schon ehrheblich. Ein Großteil des Versagensgefühls als Eltern kommt auch daher, dass wir im Arbeits/Job-Umfeld einen so großen Versagens- und Scheitern-Druck haben, dass uns schlicht Zeit und Energie für besseres Eltern-sein fehlt.
„Was denkst du?“ fragt Dein Kommentarfeld und ich denke, ich würde jetzt gern auf einen Milchkaffee und ein Stück Kuchen rumkommen.
Danke für diesen Text!
Komm rum, ich freu mich! <3
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Was für ein toller Text. Alleine der Satz zum Glücklichsein, 19h, Zubettgehzeit und der Unnötigkeit einer weiteren Erläuterung, ich musste lachen, mein Herz war erfreut über Form und Inhalt.
Herz erfreut, ja, und das ist auch das Stichwort. Druck rausnehmen, ja, total, ich bin dabei, ich mache mit, lass mich von dem Funken anfeuern Dir zu sagen, ich bin zutiefst überzeugt, dass das ist, was wir alle brauchen.
Um gesünder, glücklicher uns zu fühlen, weniger zerrieben zwischen den ganzen Ebenen unseres ichs.
Und dann möchte ich Dir noch eine Ebene hinzufügen, ganz im Sinne von Mütter-einfach-Frauen-Menschen-Synergie. Ich will Dir als Soziologin sagen, wir sind die, die die Gesellschaft sind und machen. Wir müssen uns nicht von ihr gegängelt und missverstanden fühlen in einem ohnmächtigen Sinn. Viel mehr uns gegenseitig anstiften genau dafür uns zu ermächtigen Verantwortung zu übernehmen, da wir sie haben. ‚Wir‘ sind ‚die‘.Also können wir es auch ändern, und zwar ganz genau da, wo du ansetzt: bei uns selbst.
Ganz toller Text finde ich und ich kann Dir nur beipflichten, kann nur sagen, genauso machst du es, genauso mache ich es und jedem gratulieren und dankbar sein, der die ‚Tiefenwirkung‘ davon spürt und mitgeht.
In diesem Sinne: LoveandPeace ;) <3
Ein wunderbarer Text!