„Kommst Du mit?“, whatsappt mich meine Freundin an. „Wir gehen zu ‚Frau Höpker bittet zum Gesang‘ auf der Ratinger. Caro sagt, das sei was für die Seele.“ Bei „was für die Seele“ bin ich dabei, wenn ich mir auch nicht vorstellen kann, wie und was an diesem Abend passieren wird.
Gestern Abend stand ich also, dank babysittender Eltern, (der Mann war auf dem Musikschule-Info-Abend für die Kinder, wie passend), auf der Ratinger Straße vor dem Schlüssel, mit mir noch gefühlte 500 Leute, die eine lange Schlange die Straße runter bildeten. Es war ein lauer Frühlingsabend, die Jacken trug man über dem Arm.
Im Henkelsaal, erstmal Garderobe, dann Bar. Vorne war eine Bühne aufgebaut, dahinter eine große Display-Leinwand mit Frau Höpkers Konterfei, am Klavier, strahlend.
Frau Höpker bittet zum Gesang
und alle waren gekommen. Meine Begleitung waren vier Frauen, die ich bisher nur von entfernter zurückliegenden Geburtstags- und Karnevalspartys kannte. Wir trinken Weißwein, Limo und Wasser. In der Schlange draußen beim Warten habe ich schon gehört, worum es gehen soll: es wird gesungen, im Chor. Frau Höpker habe alle im Griff und es sei so laut, dass es nicht auffällt, wenn man mal schief singt.
Caro, die sagte, dass sei für die Seele schwärmt von Frau Höpkers Singabenden und erzählt. Heute ist ihr dritter Abend und bisher sei jeder Abend ganz anders gewesen, weil Frau Höpker jedes Mal ihr Programm ändert.
Es geht los: Frau Höpker kommt auf die Bühne, fragt wer schon mal da war und wer nicht und schon geht es los mit den Beatles. „Help“. Ganz passend für so einen Gesangsabend. Danach kamen tatsächlich alte Volkslieder im Medley: Im Frühtau zu Berge und sowas. Danach „Dancing Queen“ von Abba, irgendwann auch Love is in the Air, Songs aus den 60ern, den 50ern, den 70ern, Nena, Robbie Williams, ein Medley für Herbert Grönemeyer.
Was passiert beim Singen
Was passiert ist beim Singen ist folgendes: In den Höhen rutscht mir die Stimme weg und ich werde quietschig. Glaube ich, denn hören konnte ich meine Stimme nicht und auch nicht mehr fühlen, weil sie so hoch war. Vermutlich Kopfstimme.
Sobald der Kopf ausgeschaltet ist passiert beim Singen das: Erinnerung! „Help!“, wie ich das Lied von Papas Schallplatte gehört hatte, wie ich mir das auf Kassette aufnahm und im Walkman hörte, im Bus, auf dem Weg zur Schule. Wie meine Mutter früher bei Sonnenschein anfing, im Frühtau zu Berge zu singen. Frühmorgens hatte sie schon BLENDENDE Laune, während ich immer schon eher schwer aus den Kissen kam. „Wir sind hinaus gegangen den Sonnenschein zu fangen, kommt mit und versucht es doch selbst einmal!“ So eine kindliche Freude über das Fröhlichsein steckt in diesen Zeilen. Das ist mir schon als Kind aufgefallen und ich mochte das.
Dancing Queen – unzählige Partyabende, Klamauk und Getanze, wilde Ausdruckstanzbewegungen und mindestens ein glitzerndes Accessoire tragen! Ich denke zurück an meine Party- und Mensagang aus dem Studium und wie großartig und nachhaltig wir albern sein konnten.
Gleichzeit merke ich, wie der Chor um mich herum immer vollmundiger wird. Jeder traut sich mehr. Man probiert mal aus, wie das ganz tief und ganz hoch so geht. Es geht – irgendwie, nicht immer, aber egal. Das Gesamtergebnis klingt immer ziemlich gut.
Frau Höpker hat auf eine sehr beeindruckend entspannte Art alle im Griff. Sie ist ein Typ Frau für die Bühne, feste Stimme, sicheres Auftreten und diese Art von lässigem Humor, der mich zum Pferdestehlen animieren kann – oder eben zum lauten Singen.
Wir singen „Ich lass für Dich das Licht an“, dann ein Medley für Grönemeyers Geburtstag und einen für Roger Cicero „nach oben“. Ich bin froh, dass ich nicht dabei war, wie sie eins für David Bowie nach oben gesungen hat, da wäre ich vermutlich in Tränen aufgelöst gewesen.
Dieses Singen ist ganz eigentümlich. Es geht ganz nach innen. Ich bin ganz bei mir, bei meiner Geschichte mit der Musik, mit den Songs, mit den Gefühlen von damals. Gleichzeitig ganz bei meiner Gruppe von Frauen, die wir uns natürlich zwischendurch immer erzählen, wie das so ist, beim Singen, wie wir das Lied fanden. In der Pause erzählen wir uns von uns, lernen uns besser kennen. Jede erzählt mal so von sich, vom Job, von Erlebnissen, von den Kindern auch.
Dann geht es weiter mit dem Singen, insgesamt drei Mal 35 Minuten singen, dann eine Pause. Jedes Mal kommen mir die 35 Minuten kürzer vor und ich hoffe am Ende des Abends sehr, dass es noch nicht vorbei ist. Frau Höpker bedankt sich und kommt mit „My way“. Wir akzeptieren das nicht als Rausschmeißersong und lassen sie nicht gehen. Es gibt Zugaben, darunter auch „thank you for the music“, das ich für immer meinen lieben, mit 27 Jahren verstorbenen Freund widme und bei dem ich jedes Mal, auch nur wenn ich den Titel irgendwo lese, an ihn denken muss. Er fehlt für immer.
Das Publikum ist aus eigenen Gründen ebenso ergriffen wir ich. Wir lassen sie immer noch nicht gehen. Es wird geklatscht und als Frau Höpker hinter der Bühne verschwunden ist, erklingen so geraunte Töne aus dem Publikum: „O o o o oooo O!“ Das Intro von „Seven Nation Army“ – Frau Höpker kommt zurück und wir singen Queen. We are the champions.
Meine Musik
Heute denke ich über meine Musik nach, die Musik meiner Kindertage, darunter viele alte Volkslieder, die meine Mutter mir beigebracht hat und weil ich mit der Blockflöte und dem Klavier die rote Mundorgel durchgenudelt habe. Das Repertoire an Pop und vor allem Rockmusik, später Funk und Soul, Bossa Nova und generelle tschacka tschacka Musik, an Partys und die Menschen, die ich mit der Musik verbinde. Daran, dass der Mann und ich eher wenig gemeinsame Musik haben, weil er Free Jazz liebt und ich dabei wahnsinnig werde. Am ehesten können wir uns auf witzige Schlager und ein paar Funkstücke einigen. Er ist aber für mich vor ein paar Jahren mit mir aufs Bruce Springsteen Konzert gegangen und daran denke ich wiederum bei „Ich lass für Dich das Licht an“ an, was wir ebenfalls gestern sangen.
Heute ist Musik für mich eher im Hintergrund, weil mir das Leben und die Existenz so viel im Ohr rauschen, dass ich dankbar für Ruhe bin. Vor wenigen Tagen aber erst habe ich mir ein Küchenradio gekauft. Jetzt höre ich viel Funkhaus Europa, diese Pop-Weltmusik, die da läuft, mag ich sehr. Vielleicht kommen ja doch wieder ein paar bewusst erlebte Musiken und Musikerlebnisse dazu.
Mit den Kindern singe ich Gute Nacht Lieder, Weihnachts- und Osterlieder, eigentlich ein paar zu jeder Jahreszeit. Aber eigentlich wenig, eigentlich schade. Wenn wir ein schönes Lied hören, im Radio beispielsweise, dann tanzen wir zusammen.
Wie ist das bei Euch? Wann singt Ihr mit den Kindern? Mit oder ohne Musikbegleitung?
Ihr Lieben, „gemeinsam singen“ klingt ein bisschen nach Ommas Käsefüßen, ist aber so ein großartiges emotionales Erlebnis! Ihr müsst sowas auch mal machen.
Frau Höpker ist monatlich in Düsseldorf im Henkelsaal, am 19. Mai bin ich wieder dabei. Wenn Ihr woanders wohnt, könnt Ihr hier vielleicht einen Termin in Eurer Nähe finden.
Titelfoto: (c) Frau Höpker