Diese Beitrag ist gesponsert von der Familienmagazin ‚Baby und Familie’, die Ihr in der Apotheke bekommt. Text und Meinung stammen aber von mir.
Erziehen ohne Brüllen. Woher kommt die Wut in uns Eltern, warum Brüllen wir und wie kommen wir aus der Brüllfalle wieder raus? Meine Erfahrungen damit und Gedanken dazu habe ich hier aufgeschrieben.
Ganz ehrlich, wer kennt sie nicht die Momente voller Wut auf das eigene Kind? Momente, in denen ich das Kind anschreien will – und auch anschreie. Schrecklich fühlen wir uns danach und auch hilflos. Das war zu laut, zu aggressiv, so wollte ich niemals sein und schon gar nicht zu meinen Kindern.
Ich habe noch keine Mutter und keinen Vater kennen gelernt, denen es so nicht schon einmal gegangen ist. Wir alle sind unterschiedlich. Während es manchen Eltern anscheinend leichter fällt, ihre Gefühle, ihre Ungeduld und eben auch ihre Wut unter Kontrolle zu halten, fahren andere schneller aus der Haut.
Die Ausgangssituation
Wie ist das, wenn unsere Kinder in uns das Gefühl auslöst, hilflos zu sein und nicht anders zu können, als zu brüllen? Und wie kommen wir da wieder raus?
Spoiler: Gut für sich selbst sorgen und seine Gefühle kennen. Aber erstmal der Reihe nach. Schauen wir mal auf die Situation, in der Wut entstehen kann. Ein Beispiel:
Es ist morgens früh und wir sind bereits spät dran. Meine Dreijährige will sich nicht anziehen lassen, sie läuft weg und versteckt sich im Kinderzimmer. Das einjährige Baby ist schon fertig angezogen, inklusive Jacke und dicke Socken und es wird ihm sicherlich gleich sehr warm. Ich setze ihn im Badezimmer auf den Boden und fange die Dreijährige ein. Vor ihrem Kleiderschrank muss ich mir tatsächlich eine Diskussion darüber bieten lassen, was sie anziehen will: am liebsten nichts oder zu kalte Sommersachen. Das Baby fängt an zu moppern, ich eile und ziehe ihm die Jacke wieder aus. Zurück im Kinderzimmer hat die Dreijährige nicht etwa angefangen, die Hose anzuziehen, was sie durchaus schon alleine kann. Nein. Sie malt die Wand an. Mit dickem, schwarzen Wachsmalstift….!
Die Entscheidung: Brüllen oder nicht brüllen?
Na, merkt Ihr, wie es kribbelt und Stress sich breit machen will? Wir sind in Eile, wir müssen pünktlich zum Job und das Kleinkind schießt dazwischen, das Baby muss betreut werden. Wie schafft man es nur, sich in Situationen wie diesen zusammenzureißen und nicht die Nerven zu verlieren?
Wie oft habe ich solche Situationen erlebt! Jetzt sind meine Kinder 6 und fast 8 Jahre alt und es läuft morgens etwas geschmeidiger. Allerdings nicht immer. Wir sind vor 4 Monaten umgezogen und tatsächlich hat die Große in den ersten Wochen die Wand mit Filzstift in ihrem Kinderzimmer angemalt. Freunde der Nacht, ich hatte Puls….!
Die üblichen Ratschlage wie beispielsweise mal bis zehn zu zählen, helfen mir mit meinem Temperament überhaupt nicht. Wenn ich noch so viel Distanz zum Geschehen habe, dass mir einfällt, zur Beruhigung mal ein bisschen zu zählen, dann müsste ich nicht zählen, weil ich ja genug Distanz zum Geschehen habe. (Könnt Ihr mir folgen?) Ich brülle nur, wenn mir so derartig alles zu viel wird und die Emotionen so hochschlagen, dass eine Kontrollinstanz gar nicht vorhanden zu sein scheint.
Dabei es ist jedoch so: selbst wenn es sich eigentlich anfühlt wie ein Reflex, den man nicht unter Kontrolle hat, kann man lernen, seine Wut regulieren und somit den Abstand zwischen Entstehung der Wut und Brüllen vergrößern. Es klappt, ich übe das seit Jahren und es geht mittlerweile. In diesem vergrößerten Abstand gelingt es mir, aus der Brüllfalle heraus zu kommen.
Brüllreflex kontrollieren lernen
Ganz akut nutzt es am besten, aus der Situation heraus zu gehen. Am besten erstmal gar nichts sagen und wirklich die Situation verlassen. Es hilft mir, zur Beruhigung zu summen. Am besten finde ich jedoch atmen. Am Fenster stehen und wie in den Wehen Stress rausatmen. Du fühlst Dich vielleicht wie eine arme Irre dabei, aber zumindest nicht wie eine arme Irre, die ihre Kinder anschreit. Atmen und aus dem Fenster gucken, das schaffe ich. Ffffffff! Das ist Step 1.
Step 2 ist es dann, zum Kleinkind zurück zu gehen, spätestens dann den Stift aus der Hand zu nehmen und zu sagen: „Male bitte nur auf Papier.“ Und dann das Kind wie eigentlich vorgehabt, anziehen.
Wut-Szenen reflektieren
Mir hat es geholfen, die Situationen später, meistens abends auf der Couch, noch einmal gedanklich durchzuspielen. Hier geht es jetzt nicht darum, sich zu überlegen, was pädagogisch total wertvoll gewesen wäre oder mit welchen hocheffizienten Schachzügen ich Baby und Kleinkind noch besser aufeinander abstimmen kann.
Nein. Stop. Hier geht es darum: Wie habe ich mich gefühlt, als es losging? Was war die Situation vor der Situation? Wie habe ich mich gefühlt, als das Kleinkind sich nicht anziehen lassen wollte? Wie hat es sich für mich angefühlt, als es weg lief, als das Baby mopperte, als das Kleinkind die Wand anmalte? Kann ich im Nachhinein nachspüren, wann mein Puls anfing zu rasen, wann meine Wut sich aufbaute? Wichtig sind auch die Fragen wie es letztendlich zu der Gesamtsituation gekommen ist?
Dabei erkenne ich, dass es natürlich an mir selbst liegt, wenn ich explodiere und nicht am Kleinkind oder am Baby, ganz egal, was sie tun und wieviel Wände sie anmalen. Tatsächlich bin ich vielleicht zu spät aufgestanden und hatte dadurch zeitlichen Stress. Oder ich hatte einfach selbst viel zu viel vor, war müde, hungrig, gestresst.
Es kann nicht darum gehen, das Kind verändern zu wollen, damit es besser in meinem Erwachsenenleben „funktioniert“. Zuerst müssen wir Erwachsenen uns besser kontrollieren können, denn Kinder sind Kinder.
Kinder verstehen: Kinder sind Kinder
Kinder sind eben Kinder. Sie funktionieren nicht, zumindest nicht so wie wir Erwachsene. Sie funktionieren wie Kinder. Und das ist: Spielen, Erforschen, Entdecken. Kinder spielen den ganzen Tag und leben im Augenblick. Wie fühlt es sich an, mit dem dicken Wachsmalstift auf die Wand zu drücken und große Bewegungen mit dem Arm zu vollführen? Nein, das ist kein Ärgern, das ist Malen und Forschen. Dass ich, die Mama, das mit diesem „nur auf Papier malen“ schonmal gesagt habe, hat mein Kind in dem Moment vergessen.
Sich selbst den Wind aus den Segeln nehmen
Oft wird geraten, mit einer beständigen Routine, Tagesplänen, Uhren und Markern dem Kind eine Orientierung zu bieten, wann im Alltag was dran kommt. Kann man machen. Ich finde allerdings, dass dies letztendlich auch nur Versuche sind, das Kind in unser Erwachsenenschema zu pressen. Ich habe das letztendlich nicht gemacht, weil es bei mir sofort wieder einen Erwartungsdruck auslöste, dass mein Kind doch bitteschön etwas dabei lernen sollte und sich vielleicht doch morgens schneller anziehe.
Wichtiger als Pläne und Kinderuhren ist die Einsicht, dass Kinder eben kleine Forscher sind und alles ausprobieren wollen. Und zwar wiederholt. Wiederholung ist der Schritt vor dem Lernen. Wenn beispielsweise Malen im Stehen so viel Spaß macht, kann ich vielleicht eine Tafel kaufen oder in einer Malaktion große Papierbahnen an der Wand befestigen, damit das Kind einmal im Stehen malen kann. Ich hab öfter mal alte Tapetenrollen an die Wand gepinnt und auf der weißen Rückseite bemalen lassen.
Die Sache mit dem Anziehen und Kleidung aussuchen habe ich hier verbloggt. Mein Kind wollte Mitbestimmung, schließlich ist es ja ihr Körper und ihre Kleidung. Wir haben darum die Kleidung abends gemeinsam ausgesucht. Ich habe sie die verrücktesten Kombinationen wählen lassen, wenn es zu kühl oder zu warm war, haben wir Schichten dazu genommen oder weg gelassen. Lass sie doch aussehen, wie sie aussieht! Die Modepolizei kann mich mal! Ich nehme mir den Wind aus den eigenen Segeln. Ich war letztendlich total verknallt in die süßen Klamottenkompositionen meines Kleinkindes.
Für mich war das damals ein total lehrreicher Moment. Ich habe durch meine Elternberatung erkannt, was mein Kind wirklich bewegte: Mitbestimmung und Selbstwahrnehmung. Ich war so froh und letztendlich so stolz, diese riesige Stressaufgabe „Kleinkind anziehen“ so schön meistern zu können.
Laut werden = besser gehört werden?
Es ist ein Trugschluss zu glauben, dass wir bei Kindern oder auch bei Erwachsenen mehr Gehör für unsere Bedürfnisse finden, wenn wir laut werden. Manchmal hilft es tatsächlich, das Kind zu einer Reaktion zu bringen, wie in Gefahrensituationen beispielsweise. Aber erstens lernt das Kind nichts dabei und zweitens wird unsere Aussage nicht stärker, wenn wir brüllen. Nur lauter.
Wenn wir nicht gehört werden, ist es keine Frage von Lautstärke, sondern eine Frage von Kontakt. Als das Baby kam, habe ich zuerst zu viel versucht, über meine Stimme zu regeln und dem Kleinkind Anweisungen zu geben. Das funktionierte natürlich nicht. Kinder sind Kontaktwesen. Was sie brauchen ist Zuwendung und Nähe. Das vermittelt sich über Zugewandtheit, über körperliche Nähe. Ganz wortwörtlich: Zum Kind hingehen, es sanft an den Händen, am Arm berühren und in ruhigem Ton sprechen. Mein Kind merkt, dass es mir wichtig ist, wenn ich mein Anliegen ernsthaft (aber kindgerecht) erkläre. Wenn es dann schreit: seinen Frust aushalten. Das Kind will sich aber nicht anziehen? Wichtig ist, dass wir selbst ruhig bleiben und nicht zurück schreien.
Wege aus der Brüllfalle – langfristig und langanhaltend
- Sich bewußt machen, wie häufig man gestresst ist und wie oft man sein Kind angebrüllt hat. In einem ruhigen Moment später die Situationen gedanklich durchgehen und versuchen festzustellen, wann die Wut anfing und vorallem: was war davor? Woher kam der eigene Stress. was war der Auslöser?
- Sich beim Kind möglichst direkt nach der Situation entschuldigen und erklären, dass es nichts dafür kann und dass es geliebt wird.
- Gut für sich selbst sorgen. Darüber habe ich unter „Wie ich eine entspanntere Mutter wurde“ gebloggt. Nur wer gut für sich selbst sorgt, kann auch gut für seine Kinder sorgen. Wenn ich oft zu müde bin, so dass mir das rechtzeitige Aufstehen schwer fällt, wenn ich zu viel auf dem Zettel habe und unter Druck stehe, brauche ich Entlastung. Wo kann ich Hilfe holen, um den Alltag zu meistern? Was kann der Partner (noch mehr) tun, um hier Abhilfe zu schaffen? Hilft es, von seinen eigenen Ansprüchen herunter zu kommen? Was kann ich für mehr Entspannung für mich tun? Wen kann ich um Hilfe bitten, kann ich Hilfe z.B. über Putzhilfe oder Einkaufsservice einkaufen? Kann ich mir ein Netzwerk aus anderen Eltern aufbauen, die ebenfalls Unterstützung brauchen und geben können. Vielleicht hilft auch eine Elternberatung. Mir hat eine Mischung aus all dem geholfen und akut meistens eine Schlafkur.
Die Zeit mit kleinen Kindern kann hart sein, sie zehrt an unseren Kräften, am Nervenkostüm. Genau deshalb ist es wichtig, die eigenen Bedürfnisse wahrzunehmen und zu erfüllen. Ich bin kein schlechter Mensch, wenn ich meine Bedürfnisse ernst nehme, obwohl ich Kinder habe. – Im Gegenteil! Nur wenn ich gut für mich selbst sorge, habe ich ein Grundkapital an Eigenwahrnehmung und bekomme so in Stresssituationen mit, wie es mir geht. Wenn ich bemerke, wie sich Wut ausbreiten will, kann ich sie auch kontrollieren.
Baby und Familie
Der aktuelle Ausgabe von „Baby und Familie“ behandelt ebenfalls das Thema Brüllfalle, Selbstfürsorge und Entspannung für Eltern und Kinder. Ab 1. September liegt sie in Apotheken bereit.
Ab September findet Ihr auf der Webseite von Baby und Familie einen Relax-Track für Erwachsene zum Abschalten und Runterkommen vom Alltagsstress. Den Relax Track könnt Ihr vor dem Schlafen gehen, zum Entspannen oder zur Beruhigung in Stress-Phasen hören.
«Dass ich […] das mit diesem „nur auf Papier malen“ schonmal gesagt habe, hat mein Kind in dem Moment vergessen.»
Das stimmt, zumindest bei meinen Kindern, nicht. Es geht dabei sehr ums Grenzen austesten und ausprobieren, wie Mama oder Papa darauf reagieren. Mir fällt es ganz leicht, Verständnis aufzubringen, wenn das Kind den Becher am Tischrand vergessen hat und ihn nun beim Herumalbern umkippt (wie bei jeder Mahlzeit der letzten zwei Jahre). Mein Puls geht hoch, wenn ich spüre, dass das Kind mich provozieren, seine Grenzen neu ausloten will.
Gut fühlt es sich dann an, wenn ich mich zu meinem Kind unter den Küchentisch setze und wir dort jeder von seinem Teller essen, nachdem ich es vorher runter geschickt habe, um sein provokativ runtergeschmissenes Brot aufzuheben. Gut deshalb, weil die Reaktion überraschend ist für uns beide – und eine lustige Erfahrung. So lustig, dass dann auch die große Schwester dazu kommt und zuletzt auch die Mama. Aber so geduldig, verständnisvoll und humorig kann ich eben nicht immer sein. Ich bin ein Mensch, mit Launen und Fehlern. Das sollen meine Kinder wissen. Ich bin keine Maschine, und sie sollen auch keine Maschinen werden. Was sie aber bestimmt immer wissen: Auch wenn ich echt sauer bin und gar keine Geduld aufbringe, habe ich sie ganz doll lieb. Und das wissen sie auch genau. Deswegen benehmen sie sich ja auch ganz zwanglos total daneben und provozieren mich – weil sie sich bedingungslos auf meine Liebe verlassen können.