Letzte Woche hatte ich ein länger geplantes Gespräch bei der IHK zum Thema Vereinbarkeit von Familie und Beruf sowie zur Förderung meiner beruflichen Weiterbildung. Es wurde mir in einem persönlichen Anschreiben, zusammen mit anderen Beratungsangeboten von der IHK unterbreitet. Ich hatte keine besondere Hoffnung in dieses Gespräch gesetzt und machte eher aus Neugierde, denn aus Vertrauen in die Nützlichkeit dieses Termins mit. Wie so oft, waren das auch hier die besten Bedingungen für ein gutes Gespräch. Vor mir saß eine Unternehmenspsychologin, die vom Kompetenzzentrum Frau und Beruf des Landes Nordrhein-Westfalen beauftragt worden war. In NRW heißt das CompentiaNRW. Es gibt das ganze noch in Baden-Württemberg, für andere Länder habe ich es in meiner schnellen Google-Suche nicht gefunden. Wenn Ihr in einem dieser beiden Bundesländer wohnt, holt Euch so einen Termin, es ist kostenlos und lohnt sich. Soweit schon mal vorab.
Beratung zur Vereinbarkeit von Familie und Beruf und zur beruflichen Entwicklung
Was ich befürchtete: Jemand erklärt mir von oben herab, dass sich Familie und Beruf mit der richtigen Organisation ganz wunderbar vereinbaren lassen. Was ich erhielt: Eine individuelle Beratung auf meine persönliche, berufliche Situation. Das war toll, richtig richtig gut!
Competentia NRW bietet kostenlose Sprechstunden und Beratung für die Vereinbarkeit von Familie und Beruf im Unternehmen und in der Selbständigkeit an. Die Beratung erfolgt im Einzelgespräch auf individueller Ebene und hat zum Ziel, die Frau in ihrer beruflichen Positionierung und Entwicklung zu fördern. Denn die EU hat erkannt, dass Frauen aus strukturellen Gründen häufig beruflich auf der Strecke bleiben, egal ob Mutterschaft oder nicht. Nach dem ersten Gesprächstermin wird man nicht nur mit Checklisten, Infomaterialien versorgt, sondern auch mit Möglichkeiten zur weiterführenden Beratung. Großartig.
Mutterschaft ist oft der Wendepunkt in der beruflichen Positionierung von Frauen
Klassischerweise ist es wohl aber oft die Mutterschaft, die Frauen aus ihrer bisherigen beruflichen Bahn kippt und sie sich, aus intrinsischen oder extrinsischen Gründen, beruflich neu positionieren müssen. Entweder weil sie Teilzeit arbeiten und ihre bisherige Position aufgeben müssen, weil sich dadurch auch Schwerpunkte und Fokus verschieben oder aber, weil tatsächlich die Mutterschaft neue Prioritäten ins Leben gebracht hat und der alte Beruf nicht mehr recht passt.
So ähnlich ist es bei mir und ich will da mal als Beispiel herhalten: Mein bisheriger Beruf, den ich jahrelang ausübte, gefiel mir bereits vor den Kindern nicht mehr so recht. Mir fehlte die Komponente der Kunst- und Kulturarbeit und ich versuchte mich mit einer Selbständigkeit im Kulturbereich neu aufzustellen. Parallel wurde ich jedoch nach einem Jahr wieder von einer anderen Agentur aus dem früheren Bereich angeworben. Mein Kunst- / Kulturprojekt litt darunter. Irgendwann wurde ich schwanger mit Kind 1, dann mit Kind2. Das Unternehmenskonzept für mein Kunstprojekt, das ich in der Babyzeit und dem gefühlten Sabbatical aus dem Job eigentlich schreiben wollte (weil Babys doch angeblich so viel schlafen), enthält bis heute keinen einzigen ausformulierten Satz. Das Sabbatical nennt sich nämlich Elternzeit und ist ein 24/7-Job, aber das wusste ich zu dem Zeitpunkt nicht.
Wiedereinstieg in den Beruf nach der Elternzeit
Nach der Elternzeit kehrte ich in meinen alten Angestellten-Job zurück und merkte schnell, wie wenig ich – aus zahlreichen Gründen- noch hinein passte. Die Vereinbarkeit von Familie und Beruf mit Kindern von 1 und 3 Jahren war eher Horror als alles andere. Kind2 war 10 Tage nach meinem Wiedereinstieg STÄNDIG krank. Bronchitis, Lungenentzündungen (zu Hause), Mittelohrentzündungen, Erkältungen, alles mehrfach. Es ging drunter und drüber – und ich schämte mich noch dafür. Verrückt. Die beiden Großeltern sprangen laufend ein, damit ich nicht vom frisch gestarteten Job fort bleiben mußte, aber der Stress lastete dennoch auf mir.
Also entschied ich mich in einem Anflug von Mut Verzweiflung, mich selbständig zu machen. Gegenstand der Gründung sollte ein quasi von selbst laufendes Projekt sein, mit dem ein Bekannter seit Jahren erfolgreich tätig ist. Ich mach es mal kurz: Zeugs im Internet, von dem ich nur wenig Ahnung hatte, ich aber in Gesprächen und Einzelschritten von ihm erhalten sollte. Das Ende vom Lied könnt Ihr Euch denken: Es funktionierte nicht .
Jetzt ist jetzt und ich versuche für mich den goldenen Mittelweg aus meinen bisherigen Kompetenzen zu finden. Die Schwierigkeit für mich hier: Worin ich bisher arbeitete und was ich nach dem Studium gelernt habe, ist nicht das, was ich machen möchte. Die Reise wird etwas mit Texten, Schreiben, PR, Social Media Management zu tun haben, aber wohin sie gehen soll, wie ich meine Schwerpunkte setzen soll, weiß ich noch nicht.
Das erzählte ich – in etwas kürzer – der Beraterin. Sie schaute mich unerschrocken an, trotz meiner verschlungenen beruflichen Laufbahn, wie ich immer finde. Und dann fragte sie mich die schwierigste Frage, die man mir überhaupt stellen kann:
„Was können Sie denn besonders gut?“
Ähm … öhm … ich weiß es nicht. Schreiben? Präsentieren? Konzeption? Kreativität? Können das nicht alle anderen viel besser als ich? Die Beraterin malte mir ein kleines Schaubild auf. Wie erkläre ich Erfolg oder Misserfolg? – Mit internalen oder externalen Gründen, dauerhaften Eigenschaften oder flexiblen. Und was stellte sich heraus?
Ich befinde mich in einer klassischen Genderfalle. Frauen neigten dazu, ihre Erfolge mit externalen, flexiblen Gründen zu erklären, erzählte sie mir. Zum Beispiel: „Ich erhielt diesen tollen Anruf mit dieser Anfrage.“ Oder „Ich war da halt gut vorbereitet. (In diesem einen Moment.)“
Männer hingegen erklärten Erfolge mit „Ich kann einfach sehr gut präsentieren und habe überzeugt“ oder „Als XY-Fachmann ergänze ich das Team einfach perfekt und konnte somit den Erfolg Y verbuchen.“
„Ich kann eigentlich nichts so richtig gut“ kann auch heißen „Ich bin Generalist.“
„Ich bin halt in Gesprächen eher gut“ heißt „Ich kann phantastisch präsentieren und komme gut rüber.“
Oder „Ich bin für die Branche nicht geeignet, weil mir vieles so oberflächlich und dumm vorkommt“ heißt, „Ich habe die Branche verstanden und kritisch hinterfragt. Ich habe einen besonders kritischen Geist und habe den Mut, bestehende Strukturen erfolgreich zu hinterfragen.“
„Als Quereinsteiger hat man es eben immer schwer“, heißt eigentlich, „Als in XY ausgebildete bringe ich den Blick von außen mit in den Job und kann besonders kreative, neue Lösungen entwickeln.“
Und die Tatsache, dass ich in den Jobs immer mehrere Jahre hintereinander beschäftigt war bedeutet, daß ich mich immer in den neuen Jobs, Branchen und Anforderungen einarbeiten und selbständig aufstellen konnte.
Mentale Blockaden begegnen und was Theaterspielen mit Erfolg zu tun hat
Ehrlich gesagt, war das Gespräch mind-blowing für mich. Vermutlich spricht das für die Stärke meiner Blockade, die mich in beruflichen Fragen im letzten Jahr aufhielten. Denn so zusammen geschrieben wirken die Sätze nicht wie grandiose Entdeckungen, von denen man nirgendwo liest. Man liest ständig und überall davon, dass Frauen ihr Licht nicht unter den Scheffel stellen sollen. Aber dass das tatsächlich bedeutet, meine eigenen Zweifel nicht komplett zuzulassen, habe ich erst in dem Gespräch begriffen. Denn natürlich bringen einen große Zweifel nicht weiter.
Ihre zwei Sofort-Tipp für alle blockierten Zweifler und Unschlüssigen:
1. Die eigenen Aussagen kritischen Gedanken umdrehen und in positive Aussagen verwandeln, wie das Spiel oben.
2. Alle negativen Stimmen zulassen und danach mit ihnen reden und sie lächerlich machen. – Ja. Absurdes Theater. Gelebte, kleine Schizophrenie. Ich musste herzlich lachen. So etwas gefällt mir.
„Du kannst halt nichts richtig“, „Das hast Du noch nie gut gekonnt“ oder „Willst Du das Risiko wirklich eingehen?“ einfach anhören und reden lassen. Distanz aufbauen und einfach NICHT glauben. Und denen dann zurufen: „Jajajaja! Redet Ihr nur. Das dürft Ihr. Aber ich mache jetzt aber trotzdem xy! Pffrt!“ Das klingt so herrlich absurd, dieses Selbstgespräch mit den eigenen kritischen Gedanken, das ist was für mich.
Eine andere lustige Sache kam auch zum Vorschein: „Fake it till you make it“ ist so etwas wie meine Devise. Den Spruch kannte ich zwar bisher nicht, aber tatsächlich bin ich oft in extrem herausfordernden Positionen gelandet, in denen ich mich nicht nur zu Hause fühlte, sondern denen ich inhaltlich noch gar nicht gewachsen war. Neben dem Bücherlesen und Weiterbilden habe ich dann immer im Erfahrungsschatz meiner Laien-Schauspielertums gegraben und spielte eben diese Rolle. Theater!!!! Ich spielte dann halt die selbstbewußte, versierte Head of x und y. Kleidete mich so, wie ich dachte, dass man sich so kleidet in der Position, kaufte mir ein passendes Parfum, das ganz anders roch als ich bisher roch und schwupps – spielte ich eine Rolle. Ich habe das bisher immer nur als Witz und lachend erzählt, und es ist ja auch lustig, finde ich. Aber die Beraterin machte mir deutlich, dass genau das Faken eine Gabe ist, sich in Rollen einzufinden, sich Selbstbewußtsein aufzubauen und zu schwimmen, nicht unterzugehen. Auch die leichte Distanz, die man durch das Schauspielern dabei erhält, hilft unter dem Druck der Herausforderung nicht abzusaufen. Abgesehen vom Faken habe ich mich in diese Jobs eingearbeitet und weitergebildet, so dass ich diese Positionen dann einige Jahre bekleiden konnte. Schauspielern und Faken gehen im Job natürlich nur zu einem gewissen Grad, irgendwann muß man auch etwas können.
Was mir daran gefällt ist, dass beides zunächst unprofessionell anmutende Absurditäten sind, die menschliches Unvermögen mit Ehrgeiz und Zielstrebigkeit verbinden. Ich finde das einerseits witzig und andererseits ist das etwas, auf das ich tatsächlich einmal stolz bin.
Weiterführende Beratung der ZWD Bildungsberatung
Das Beratungsgespräch hat mich daher auf vielen Ebenen inspiriert und mir Schwung gegeben. Ich erhielt noch eine Broschüre zur weiteren Beratung zur beruflichen Entwicklung. Ein Beratungsangebot besonders für Frauen der ZWD-Bildungsberatung. Diese Beratungen werden EU-gefördert, um besonders Frauen zu beraten. Noch hatte ich da keinen Folgetermin, aber ich freue mich darauf!
Wow! Das klingt super und sehr danach, dass Du nicht meh länger auf der Stelle treten willst und wirst!
Super!
Ich kann dir nur meine Erfahrung mitteilen. Mit 39Jahren habe ich unseren Nachzügler bekommen und wusste er ist ein Glücksfall um meine berufliche Zukunft zu ändern. Mit 1.9 Jahren konnte er in die Krippe gehen und ich begann eine berufliche Ausbildung zur staatlich anerkannten Erzieherin. Jetzt bin ich im zweiten Ausbildungsjahr, mein Spatz ist drei und die Ausbildung macht Spaß. Ich merke aber auch wie anstrengend es für mich in meinem Alter ist wieder die Schulbank zu drücken und zu Hause Haushalt und drei Kinder (17, 14 und 3 Jahre ) zu haben. Trotzdem habe ich es bis jetzt noch nicht bereut. LG Hilke
Vielen Dank für das Teilen Deiner Erfahrung. Mit Ende 30 noch eine neue Ausbildung anzufangen finde ich sehr mutig. Gratulation dazu!
Da ich beruflich diese EU-Förderprogramme (vermutlich der Eur. Sozialfonds) mitgestalte, ist es mir eine Riesenfreude davon zu lesen, dass das Geld vernünftig so eingesetzt wird, dass es Gutes tut.
Dann hat sichs doch gelohnt, endlos für „Gender“ gekämpft zu haben gegen das Ewige „hammwanich-wollnwanich-brauchnwanich“.
Zumal ich selbst weiss, wie segensreich gute Berufsberatung sein kann
Oh wie schön. Danke für Deine Rückmeldung und danke fürs Gender-Kämpfen! Du bist toll! <3
Das freut mich sehr, dass du einen Weg für dich gefunden hast, auch wenn noch keine Entscheidung steht. Aber es klingt schon mal super.
LG
Suse