Die Tochter ist sechs Jahre alt, der Junge vier. Am liebsten würde ich meinen Kindern verschweigen, was für eine rohe, grausame und schreckliche Welt das sein kann, in der wir leben. Vom Terror in Paris habe ich Samstagmorgen über Twitter erfahren. Der Mann und ich gingen beide wortlos ins Internet, lasen wortlos in Spiegel Online und Süddeutsche Online, in unseren Timelines der Social Media – und klappten die Laptops wieder zu. Kein Radio und kein Fernseher wurde am Wochenende angemacht. Der Schock, die Bestürzung und Traurigkeit ist auch ohne Bilder und Details groß genug. Wir sprachen heimlich über unsere Eindrücke und Gedanken, während die Kinder hinten in ihrem Kinderzimmer spielten.
Der Terror ist hier. Bei unserem Nachbarn Frankreich, so viele Menschenleben. So viel Trauer. So viel Wahnsinn.
Die Traurigkeit wurde abgelöst von einer Angst vor säbelrasselnden Schlussfolgerungen von Politik und angeblich besorgten Bürgern. Wenn Menschen nicht verstehen, dass die Flüchtenden vor genau dem Terror fliehen, der jetzt in Paris verübt worden ist, dann fällt mir vor Fassungslosigkeit erstmal nicht viel ein.
Am Wochenende hielten wir uns von Radio und Fernsehenen fern. Wir machten einen Ausflug zum Ponyhof, wir spielten, backten, kochten. Familienleben eben.
Am liebsten hätte ich die Welt anders, schon allein, um meinen Kindern keine Angst einjagen zu müssen. Ich wünschte, die Welt wäre ein freundlicher, liebenswürdiger und freiheitlicher Ort, der die Kinder, alle Kinder willkommen heißt. Aber leider ist das nicht so.
Kann ich meine Kinder nicht doch einfach noch ein Weilchen vor der Welt bewahren?
Mir bricht es das Herz, aber nein, ich denke, das kann ich nicht. Was passiert, wenn andere Kinder in der Kita etwas erzählen? Was, wenn andere Menschen Wörter wie Krieg verwenden, wenn sie Angst verbreiten? Wenn sie mit ihren Äußerungen etwas vermitteln, das ich nicht vermitteln möchte?
Ich möchte verhinden, dass meinen Kinder Angst haben müssen vor den schrecklichen Ereignissen in dieser Welt. Aber ich möchte auch nicht, dass ihnen Angst gemacht wird durch Bemerkungen und Erzählungen von anderen Leuten. Wenn, dann soll die Tochter es von mir hören! Vorallem soll sie wissen, dass sie zu mir oder zum Mann kommen kann, wenn sie etwas für sich besorgniserregendes gehört hat.
Im Sommer und seitdem immer wieder, haben wir unseren Kindern ganz bewußt erzählt, warum so viele Flüchtlinge nach Europa kommen. Wir erklären seit den NoDügida-Demos, warum es richtig ist, die Menschen aufzunehmen und ihnen Schutz zu bieten. Unsere Kinder wissen, dass die Menschen vor Krieg fliehen, sie wissen, auch wenn sie das in ihrer kindlichen Vorstellung sicherlich noch nicht ganz ermessen können. (Das hoffe ich doch.)
Ich halte es für wichtig, den Kinder zu erzählen, was vor ihrer Haustür passiert, warum es passiert und was es zu bedeuten hat. Schon alleine, damit ihnen andere mit Erzählungen nicht so schnell Angst einjagen können. Auch, weil ich es richtig finde, ihnen die Welt nicht vorzuenthalten. Und wir erzählen es auch, damit sie – so hoffen wir es – auch schon eine Diskrepanz zwischen rassistischen und fremdenfeindlichen Bemerkungen feststellen, die sie vielleicht irgendwann mal auf der Straße, auf dem Spielplatz oder sonstwo aufschnappen könnten, und den Erklärungen, die der Mann und ich ihnen geben.
Den Terror in Paris in kindgerechte Form bringen? Mir schwand am Samstag, so frisch nach den Nachrichten jegliche Vorstellung dafür, wie das gehen soll. Und mir bricht es das Herz, ihnen einen Teil der heimeligen, harmlosen und freundlichen Welt rauben zu müssen. Mir wurde klar: Ich muß es eine kindgerechte Form bringen. Mein Ziel war es, den Kindern deutlich zu machen, dass nicht Kampf, Krieg und Abschottung die Antwort auf Terror und Angst ist, sondern Freiheit, Freundlichkeit und Empathie.
So habe ich vom Terror in Paris erzählt
„Kinder, Kind1 und Kind2, ich möchte Euch etwas erzählen.“ Komischerweise waren die Kinder sofort ganz Ohr. Sie saßen bei mir auf der Couch. Wir hatten gerade ein Buch zusammen gelesen und saßen noch beieinander. „In Paris, das ist eine große Stadt in Frankreich, 2 Stunden mit dem Auto von hier. Da ist gestern etwas schreckliches geschehen.“ Die Kinder sahen mich verwundert an. Sowas erzählt die Mama sonst doch nie.
„Da waren Terroristen. Das sind ganz böse Menschen. Die hatten Gewehren und Bomben. Sie sind in ein Restaurant gelaufen und haben einfach geschossen. Und andere sind zu einem Konzert gelaufen und haben eine Bombe gezündet. Das ist ganz schrecklich und traurig. Es mußten dadurch sehr viele Menschen sterben. Ganz viele Familien vermissen jetzt ihre Verwandten. Ich bin auch ganz traurig deswegen.“
Die Kinder schauen mich sehr ernst an. Auch erstaunt. Aber nicht verängstigt. Sie nicken. Ja, das ist traurig und schrecklich. Klar, das Mama traurig ist. Ich weiter: „Ich wollte Euch das erzählen, damit Ihr es von mir gehört habt. Falls Ihr in den nächsten Tagen andere Menschen von etwas schrecklichem sprechen hört, dann wird es das sein, wovon sie reden.“
Die Kinder werden unruhig. Sie verstehen den Sinn der Ansprache nicht so ganz. Ich muß zum Punkt kommen. „Wisst Ihr, die Terroristen machen das, um allen anderen Menschen auf der Welt Angst einzujagen. Aber wir brauchen hier keine Angst zu haben, weil…“ Ich habe den Satz kaum ausgesprochen, da sieht die Tochter mich an und sagt: „Ich glaub, ich muß da mal hingehen und ein ernstes Wort mit denen reden. Aber in streng!“ Sie war empört. Wütend! So darf das nicht bleiben, ihr Gerechtigkeitssinn war getriggert. Trotz allem mußte ich lachen. Ich war froh und stolz über ihre Wut, über ihr Handeln-wollen. Der kleinere Bruder war ganz derselben Meinung. Er wollte auch was sagen! Jawohl, schimpfen müssen wir. Dann brach sich die kindliche Phantasie Bahn. Sie wollten „denen“ die Pistolen abnehmen und in eine Mülltonne stecken! Ich fand die Idee super. Terroristen entwaffnen ist eine gute Idee, erklärte ich. Die Kinder nickten. Kinder kennen Streit und Konflikte. Zurückhauen ist nicht gut, davon hört das Hauen nicht auf.
Ich sagte den Kindern noch: „Die Flüchtlinge, die im Moment so viel hierher kommen, die fliehen vor genau diesen bösen Menschen. Darum ist es wichtig, dass wir denen helfen. Wir müssen alle zusammen halten gegen die Terroristen. Wenn wir die Menschen aufnehmen, die die Terroristen töten wollen, dann können wir gewinnen. Wenn wir weiter freundlich bleiben, anderen helfen und nicht zurück schießen, dann sind wir in der Mehrzahl. Dann haben die Terroristen nicht ihr Ziel erreicht.“
Die Kinder nickten. Der letzte Punkt kam sicherlich noch nicht gänzlich an. Eingeschüchtert wirkten sie aber gar nicht. Sie überschlugen sich mit Ideen, wie die Terroristen unschädlich gemacht werden sollen. Aus mir unerfindlichen Gründen war der Kinder Lösung die Terroristen mit Obst und Blumen zu bewerfen. Und mit Büchern. Ich fand es erstaunlich, dass der ihre Ideen friedfertig waren und eher gutmütig. Immerhin sind Obst und Blumen auch für die Kinder entwas schönes. Das sagte ich ihnen und sie waren ganz stolz auf sich. Ehrlich gesagt, ist das auch politisch eine komplett trifftige und großartige Idee…. Im Vergleich zu so manchen Äußerungen von Politikern, die am Wochenende, wenige Stunden nach den terroristischen Attentaten gefallen sind, ist das großartig klug. Und immer wieder: die Gewehre in Mülltonnen stecken.
Ich beglückwünschte sie zu ihren tollen Ideen. Das war es. Das Gespräch hatte keine 5 Minuten gedauert. Es wird sicherlich nicht das letzte Gespräch dazu gewesen sein. Ich bin gespannt, was hängen geblieben ist und wie sie es in ihren Köpfen und Herzen weiter bewegen. Aber ihre Reaktion, wirklich von beiden Kindern, zeigte Mut und Großerzigkeit, ohne dass ich viel dazu hätte sagen müssen. Demut, Dankbarkeit, Mutterstolz.
Update: Die Fragen, ob oder dass wir hier sicher seien kam gar nicht auf. Darin vertrauen sie offenbar total. Daher habe ich das Thema nicht angeschnitten. Nur heute Morgen kam ein: „Hier ist kein Krieg. Hier ist es gut.“
Ganz ehrlich, die Welt ist ein gute Ort, wenn wir unseren Kindern die Möglichkeit geben, Empathie, Freundlichkeit und Gerechtigkeit kennen zu lernen.
Hallo Sonja,
ehrlich gesagt: ich weiss ja nicht so recht, was Dich Da geritten hat, das Deinen Kindern dermaßen auf die Nase zu binden.
Meine Haltung hierzu ist klar: Das ist nichts für Kinder ! Jedenfalls nicht für Vorschul- und Grundschulkinder.
Da habe ich Samstag erst mal Nachrichtensperre verhängt, meine Frau hat mir da auch nicht widersprochen. D.h. insbesondere keine Nachrichtensender im Auto.
Charlie Hebdo habe ich erfolgreich von meiner Tochter ferngehalten und auch, dass Germanwings vom eigenen Piloten zum Absturz gebracht wurde.
Diese Ereignisse sind zu komplex für Kinder, das kann ihnen überhaupt nicht erklärt werden, die Zusammenhänge, die Vorgeschichte, usw.
Außerdem glaube ich nicht, dass jüngere Kinder so etwas emotional verarbeiten sollten.
Die Kinder sollten zuerst einmal die Welt als guten, schönen, sicheren Ort kennen lernen. Dieses Grundvertrauen sollte nicht gestört werden.
Islamistische Attentäter, die mit Schnellfeuergewehren in einer Konzerthalle um sich schießen, passen nicht dazu.
Viele Grüße
Dirk
Hallo, ich habe das Gefühl, dass du sehr behutsam & kindgerecht mit deinen Kindern gesprochen hast. Die Entscheidung, ob & wann & wie Eltern mit ihren Kindern über die Grausamkeiten die auf dieser Welt passieren sprechen, müssen Sie jeweils für sich selbst treffen. Aber es ist eben so: der kackmist passiert, & ich denke es ist gut, wenn Kinder davon in sicherem Rahmen erfahren & nicht alleine gelassenwerden, in einem unsicheren Gefühl von nicht greifbaren Bedrohungen. Wenn Sie dann noch so toll kindliche Lösungen entwickeln, wie du beschreibst, dann arbeitet das doch genau gegen diese Ohnmacht an. Liebe grüße Lisa*
Hallo Sonja,
ich finde Dein Vorgehen sehr plausibel und behutsam. Es ist auch spürbar, dass Du mit Deinen Kindern ohnehin schon im Gespräch über diverse angeblich nicht kindergeeignete Themen bist. Das ist für mich auch der ausschlaggebende Punkt: mit Kindern zunächst eine Gesprächskultur entwickeln, die auch Raum für unangenehme Themen lässt.
Ich selbst werde mit K 1 (5Jahre) zunächst noch abwarten, habe das Gefühl, dass WIR noch nicht soweit sind. Allerdings werde ich aufmerksam sein, und geeignete Gesprächsanlässe nutzen, um in diese Thematik einzusteigen.
Beste Grüße
Es gibt keine kindgerechte Möglichkeit,das Thema „terrorismus “ den Kindern Nähe zu bringen. Und wozu auch? Die Kinder im Alter deiner beiden sind damit überfordert und ich bin sicher, sie verstehen nicht, was du da gesagt hast. Nur um das von dir zu hören? Ob sie „Krieg“,“Bomben“ oder sonstiges woanders hören ist doch egal. Sie kommen anschließend zu dir und stellen Fragen und äußern Ängste, WENN es sie beschäftigt.
Das ist kein Thema, über welches man Kleinkinder aufklärt! Nein, also ich halte meine Kinder da raus.
Liebe Sonja,
ich finde das ganz großartig und sehr nachvollziehbar beschrieben und einfühlsam umgesetzt. Die gleiche Frage hat mich am Wochenende auch umgetrieben. Mein Kinder gehen schon in die Schule, aber trotzdem halte ich normalerweise die meisten Nachrichten von ihnen fern. Dieses Mal habe ich mich dafür entschieden, zu reden, denn sie gehen in eine deutsch-französische Schule und es war anzunehmen, dass die Attentate heute ein Thema sein würden. Ich hatte recht und die ganze Schule hat auch um 12:00 an der Schweigeminute teilgenommen. Ich war froh, dass die Kinder vorbereitet waren (soweit man das sagen kann). Ärgern musste ich mich dann über zwei Dinge: 1. mein Sohn bekam eine Ermahnung, weil er nach der Schweigeminute noch so im Thema versunken war, dass er die nächste Unterrichtsfrage der Lehrerin nicht mitbekommen hatte; und 2. eine geschwätzige Lehrerin meiner Tochter meinte, den Kindern Details über Facebook-Posts von Bataclan-Opfern erzählen zu müssen. Da bleibt mir die Spucke weg!!! Gerade Lehrer sollten einfühlsamer sein.
Viele Grüße
Jonna
Das ist ja unfassbar. Selbst ich halte mich von solchen FB Posts fern. Selbstschutz.
Ich habe auch darüber nachgedacht, mit den Kindern (6 J) drüber zu reden, auch aus dem Grund dass ich dachte, sie hören vielleicht im Kindergarten davon. Aber ich weiß (oder besser: „weiß“), eine meiner Töchter würde wirklich Angst kriegen. Bisher habe ich es gelassen, und aus dem Kindergarten kam bis jetzt zum Glück auch noch nichts.
Aber ich weiß nicht wirklich, wie damit umgehen. :(
Ich erzähle meinem 3-jährigen Sohn auch nichts davon. Sowas macht kleinen Kindern nur Angst. Sie verstehen das nicht.
Toll, dass du über dieses Gespräch berichtest und ich finde es gut, dass du deinen Kindern dieses schreckliche Thema nicht vorenthälst.
Ich habe auch mit meinem Sohnemann gesprochen, da ich wusste, dass er spätestens in der Schule damit konfrontiert wird. Er hat ebenso reagiert wie deine Kinder nur mit anderen Worten (er ist fast neun Jahre alt).
Ganz ehrlich, es ist mit Sicherheit schöner den Kindern eine heile Welt zu präsentieren und wie auf einem Ponyhof zu leben. Doch leider spielt die Welt da nicht mit. Meiner Meinung nach sollten Kinder schon wissen, dass nicht nur Gutes passiert und das es durchaus auch wirklich bösartige Menschen gibt. WIe sollen Kinder sonst lernen, in dieser alles anderen als heilen Welt klarzukommen!?!
Natürlich müssen die Worte weise gewählt werden und in kindgerechte Worte verpackt werden…aber kurzgesagt: du hast alles richtig gemacht!
viele Grüße
Rebecca
Klingt gut wie du es erzaehlt hast. Wir haben es bewusst der Kleinen(5Jhr.) nicht erzaehlt u. glaube auch nicht das sie im Kiga davon hoert, die meisten die ich kenne mit Kinder indem Alter halten sie fern davon u. das funktioniert ganz gut. Wenn Fragen kommen , dann kommt sie zu uns, das wissen wir.
Mit den 2 Grossen haben wir natuerlich geredet, die Groesste (16Jhr.) ist dann aber mehr u. vielleicht zurecht der Meinung, es geschieht doch jeden Tag soviel auf der ganzen Welt warum jetzt Paris soviel Aufmerksamkeit, alle anderen Opfer haben es genauso verdient u. wir hatten interessante Diskussion u. Gespraeche gehabt.
Die Mittlere(fast14) ist da schon mehr betroffen , auch gerade weil wir Weihnachten nach Paris fliegen, da schwingt dann naturlich Angst mit.
Sie hat dann gestern auch in ihrer Klasse die Schweigeminute initiert.
Danke für den aufschlussreichen Post!