Kind2 ist für drei Tage in der Jugendherberge. Im Sommer kommt er in die Schule und ich weiß nicht, ob ich stolz oder wehmütig oder ängstlich bin.
Es ist eigenartig, dieses Mutter sein. Als ich schwanger war, habe ich mir vorgenommen, meinen Kindern Nährboden zu bereiten und ihre Flügel wachsen zu lassen. Schön metaphorisch hab ich mir das so gedacht, weil man ja von nichts Konkretem eine Ahnung hat, wenn man das erste Mal schwanger ist. Ich hatte jedenfalls damit gerechnet, dass ich stolz sein werde je größer meine Kinder werden und ich sie frohgemut und leichten Herzens in diese Welt ziehen lasse. Ich erinnerte mich ja noch allzu gut an meine eigenen ersten Male ohne Eltern. Schullandheim, Sommerferien, Studium, Auslandsjahr.
Womit ich aber nicht gerechnet habe ist diese Wehmut! Dieses Ziehen im Herzen, dieser körperliche, kleine Schmerz, wenn das Kind einen Entwicklungsschritt gemacht hat. Und das geht mir so, seitdem ich die Stramplergröße 48 in den Karton gepackt habe. Ich schnüffelte, fand Grö0e 50 RIESIG und ging schnell wieder Baby kuscheln vor lauter Wehmut.
All mothers are slightly insane…!
Was war mit mir passiert? Hatte ich sie nicht mehr alle? War das neu oder hatte ich das schon immer und kann es mit Kindern nur besonders gut ausleben?
Schlaflosigkeit macht uns Mütter – uns Eltern im besten Fall – insane. Wir drehen ein bisschen durch, streiten uns, weinen und lachen, kuscheln das Kind und könnten es auf den Mond schießen. Alles ganz normal, alles soweit nachvollziehbar.
Aber diese Wehmut im Herzen in Momenten, in denen Du sie als Neu-Mutter nicht erwartet hättest, das ist ’ne Stufe drüber.
Niemand hat mir gesagt, dass Mutter sein ein ständiges Abschniednehmen ist. Ein ständiges Loslassen und winken, schlucken, tapfer gucken und bloß über den Gesichtsausdruck dem Kind nicht verraten, dass ich ihm selbst gerade ein paar Schritte hinterher hinke.
Geh schon mal ohne mich weiter! Du schaffst es auch allein! Ich komm schon klar!!! *abnibbel*
Seit wann ist Muttersein ein abgestandener Action Streifen mit Pathos? Aber genauso ist es doch. Der Junge freut sich so sehr auf die Jugendherberge, dass er am liebsten seinen neuen Koffer mit ins Bett genommen hätte. Das finde ich ja noch angemessen süß. Als er mich heute morgen in der Kita extra doll und lange umarmt hatte und dabei „Aaaaaahhhh!“-Umarmgeräusche machte, fand ich das ebenfalls wundervoll herzlich. Als er mich dann loslässt, „SO!“ sagt, sich umdreht und erklärt, dass er Hunger habe, war ich stolz und – wehmütig. Ich konnte jedenfalls nicht „SO!“ sagen und mich uneingeschränkt auf mein Frühstück freuen. Ich hinke dem Kind hinterher.
„Ah! Mein Baby!!! Da geht er hin und hat einfach Hunger! Und das, obwohl wir uns die nächsten drei Tage nicht sehen werden. Wie cool er ist, wie er so zum Tisch stravanzt und sich kein einziges Mal mehr umdreht. Ich bin ja so erleichtert, dass er keine Angst hat vor der Trennung von seiner Familie, vor möglichem Heimweh oder sonstwas, ich bin so stolz wie groß und selbstbewusst er geworden ist. ABER AH MEIN BEEEEBIIIII!“
So ungefähr sah es in mir aus. Und dann hatte ICH Angst davor, dass er Heimweh bekommt, nicht einschlafen kann, keine Freunde findet, weinen muss oder dass niemand mit ihm spielen will.
Ich biss mir halb die Zunge ab, um die Erzieherin nicht zu fragen, ob sie mich auch ja anruft, wenn er weint oder nicht einschlafen kann. Ich lächelte dem Kind hinterher, das mich gar nicht mehr bemerkte, weitere Eltern kamen mit ihren Kindern an und ich wurde so langsam aber sicher aus dem Raum geschoben.
Äh ja.
Cool geht anders. Ich bin keine coole Mutter. Ich bin eine peinliche Mutter, die ihren Kindern wehmütig lächelnd, tapfer nicht heulend mit wehem Herzen und Flugzeugen im Bauch nachschaut. Egal ob sie aus der Größe 48 rausgewachsen sind, krabbeln, laufen oder plötzlich alleine Rad fahren und von mir weg fahren können. Egal ob sie alleine in der Kita Mittagssschlaf machen oder in die Jugendherberge fahren können. So ging es mir auch beim 1. Schultag der Großen, als ihr Name aufgerufen und sie sich kein einziges Mal mehr umguckte und mit ihrer Freundin, der Lehrerin und der neuen Schulklasse aus der Aula stapfte.
Und all diese Sentimentalität, die Tränen und das wehe Herz beim Anblick des sich frei strampelnden Kindes ist mit der Hoffnung auf viele weitere kleine Abschiede, mit Hoffnung für die Zukunft und Freude darauf, vermischt. Dazu kommen Sorge sowie Zuversicht, ob beziehungsweise. dass die Kinder das Leben schon packen werden. Nur hoffentlich noch nicht so bald. Yo.
Wehmut, etymologisch gesehen
Wehmut ist ein Wort für eine wehe, schmerzende Stimmung. Ja, dieses Ziehen im Herzen, das ist es. Es besteht aus den Wortkernen „Weh“ und „Mut“, wobei letztes für Stimmung steht und nicht für Unerschrockenheit. Wehmut bedeutet „sanfte Trauer, leiser Schmerz um etw. Vergangenes, Verlorenes“ sagt DWDS. Aber nein, das ist es nicht nur. In meiner mütterlichen Wehmut steckt auch Freude und Stolz mit. Wikipedia hilft hier auf die Flotte weiter:
„In Friedrich Kirchner/Carl Michaëlis: „Wörterbuch der Philosophischen Grundbegriffe“ von 1907 heißt es zur Wehmut: Wehmut heißt der Affekt der Traurigkeit, der entweder der Erinnerung an eine vergangene Lust, an ein verlorenes Gut oder der Einsicht in die Unmöglichkeit, ein ersehntes Gut zu erlangen, entspringt. Es mischt sich in jene Traurigkeit auch ein Gefühl der Lust (»Ich besaß es doch einmal, was so köstlich ist« oder: »Es weilt so hoch, es blinkt so schön, wie droben jener Stern«), weshalb man von süßer Wehmut spricht.[1]„
Mit anderen Worten: die Wehmut ist nicht nur Leiden und Schmerz bei dem Gedanken an Vergangenes und Verlorenes, sondern auch so etwas wie Lust oder Freude, sich daran zu erinnern. Mütter / Eltern schaffen es, in ihre Wehmut noch eine Prise Hoffnung und Zukunftsneugierde – Lebenslust – zu packen. Wenn das nicht viele Gefühle auf einmal sind, dann weiß ich auch nicht.
Ich bin alles gleichzeitig
Diese Gefühle, alle auf ein Mal: Ängstlich, wehmütig und stolz. Hoffnungsvoll, zukunftsfreudig, lebensbejahend, sentimental, nostalgisch, sehnsüchtig. Und so bekloppt stolz auf jeden kleinen Entwicklungsschritt.
Mutter sein ist, wenn Du Gefühle hast, die nicht zusammen passen. Oder vielleicht passen sie doch zusammen. Man nennt sie – Mutterliebe.
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Schön geschrieben, habe vieles wiedererkannt! Grüße vom Krümel Blog
Ein sehr schön geschriebener Artikel über ein magisches Wort, das es in dieser Form wirklich nur im Deutschen gibt – das kann ich als Mehrsprachler und nicht-deutscher Europäer mal so völlig pauschal behaupten. Der Begriff drückt am besten dieses ganz spezielle Gefühl aus, mit dem man schon als Kind aufwächst resp. heranwächst. Verschiedene Menschen sind besonders prädestiniert für die Wehmutsempfindung; ich denke, dass es sich hierbei um besonders sensible, teilweise sentimentale (im positiven, ja besten Sinne des Wortes) und zumeist altruistische und stark mitfühlende Menschen handelt. Das Gefühl der Wehmut verstärkt sich noch einmal, wenn das Wundervollste überhaupt, nämlich Kinder ins Leben treten. Als Vater von drei Mädchen kann ich die oben beschriebene emotionale „Zerwühlung“ sehr gut nachvollziehen.
Es betrifft also keinesfalls nur Frauen – in meinem Fall ist es sogar eher umgekehrt. Ich muss mir sogar den „Vorwurf“ gefallen lassen, eine „fleur bleue“ zu sein, ein allzu stark melancholisch und fast schon naiv rückwärtsgewandter Mensch zu sein. Dabei ist dies mitnichten der Fall. Überdies hat die „Blaue Blume“ im Deutschen eine durchaus positive, poetische Bedeutung (anders als im Französischen). Wir Wehmütige hängen an diesen magisch-wundervollen, in jeder Lebenslage erwärmenden Erinnerungen – es ist gleichsam das Blattgold unseres Lebens, das wir hüten und intakt halten wollen. Gleichzeitig bestärkt die Wehmut uns, die Menschen, die wir lieben, stark zu machen und diesen stets zur Hilfe zu kommen, damit sie niemals „stürzen“; bei den eigenen Kindern ist dies dann noch einmal in besonderem Maße ausgeprägt. Ja, es schmerzt und wühlt auf, diese schönen Momente mit den Kleinen bzw. diese von echt kindlicher Begeisterung geprägten Entwicklungsphasen der Kleinen hinter sich zu lassen, manchmal hat man sogar den Eindruck, im Sog der Zeit zu ertrinken (bei besonders starker Wehmut) – da man ja nichts konkret festhalten kann -, aber gleichzeitig möchte man ja auch, dass es weiterhin positiv und „frohen Mutes“ weitergeht; also kann das Resultat der Wehmut nur ein fortschrittliches und bestärkendes sein – zum Wohl der Kinder. Wehmütige wissen vieles mehr resp. tiefer zu schätzen (ohne den Anspruch zu haben, bessere Menschen zu sein) und sie wissen um die Bedeutung der Zukunft.
Meine beiden Jüngsten sind im letzten KiTa-Jahr, in wenigen Monaten (d.h. ganz bald, ja in einigen Momenten sozusagen, wir kennen die Rasanz der Zeit…) ruft die Schule. Ein kleiner Kloß steckt da schon im Hals, es waren drei wundervolle, magische Jahre voller kleiner Abenteuer, Entdeckungen und Fantasiereisen, nun folgt gleich eine neue Etappe – die Verarbeitung dieser goldenen Zeit ist nur für den wehmütigen Papa ein bisschen schwieriger (der wird es aber auch schaffen…), für die Kleinen gar nicht, die freuen sich – und das ist natürlich auch gut und richtig so,