Es gibt Erziehungsgrundsätze, die teilen fast alle. Nicht Schreien, zum Beispiel und: Konflikte friedlich regeln. Aber es gibt diese Tage, an denen alle unzufrieden sind und das ständige Gestreite der Kinder an die Nieren geht.
Ja, Schreien ist unschön. Es zeigt nur die eigene Hilflosigkeit, es diffamiert, beleidigt, ist unfair, macht klein. Das wissen alle Eltern. Und niemand will schreien. Aber manchmal, wirklich, manchmal …. dann schreist Du doch. Aber der Reihe nach.
Ein unerwartet verregnetes Sommerwochenende, Papa ist auf Reisen, die Kinder und ich hängen zu Hause ab. Ich mühe mich leidlich den ganzen Tag mit Wasserfarben, Hörspiel, Vorlesen, Burgen bauen, Sprungschanze bauen, Kikaninchen auf Youtuube gucken lassen. Zwischendurch müssen wir noch Einkaufen, also raus in den Regen, ohne Auto, und wieder zu Hause. Alles doof. Kind2 erwacht unleidlich aus dem Mittagsschlaf und knatscht, die Große erwacht gar nicht, weil sie keinen macht, langweilt sich und knatscht. Und es regnet weiter. Wochenende from hell! Richtig. Aber was viel schlimmer ist als das Wetter, sind die miese Laune, das Streiten, das Knatschen, das Hauen der Kinder. Und das nichts helfen kann.
Manchmal ist authentisch sein, zu schreien
Es gibt diesen Text von Geborgen Wachsen und den Von guten Eltern über das elterliche Schreien und was dagegen helfen könnte. Und obwohl ich beide Texte grundsätzlich sehr gut finde (und auf meiner FB-Seite gerne verlinkt habe) fehlt mir etwas: Mir fehlt die Einsicht, dass es einfach auch menschlich ist, wenn die Mutter oder der Vater mal schreit. Und nein, das ist nicht schön und nicht pädagogisch wertvoll und ja wer schreit, hat Unrecht und es sollte nicht vorkommen. Aber es kommt vor. Es gibt diese Situationen, die Eltern SO wütend machen können und in denen sich dann die besten Erziehungsgrundsätze in Luft auflösen. Das ist nicht schön, aber menschlich. Und solange ich niemanden beleidige, ist es immerhin authentisch. Und das ist doch schonmal etwas! Das meine ich ernst.
Zen-Buddhismus und Elternschaft?
Ich bin nicht der Ansicht, dass Zen Buddhismus das Ziel der Elternschaft ist. Damit meine ich, dass ich meine Kinder nicht in Watte packen muß, um der Kinderseele nur ja keinen Schaden zuzufügen. Mit Jesper Juul denke ich (ja, bei dem Thema hole ich mir mal geschwind über’s Name-dropping Verstärkung! ;), dass solange grundsätzlicher Respekt vor dem Kind und seiner Persönlichkeit gewahrt bleibt, das Authentische, das Ehrliche und die echten Emotionen wichtiger sind, als ewig bemüht ruhige Eltern.
Es gibt nunmal unterschiedliche Temperamente. Es gibt Eltern, die ihre Kinder ÜBERALL dabei haben. Die Kinder machen das super mit, die Eltern sind nicht zu schnell gestresst, wenn das Kind bei den Aktionen weint, zwischen die Beine läuft, andere Bedürfnisse hat und alles aufhält. Und dann gibt es Eltern wie mich, die sind anscheinend schneller gestresst als andere. Ich würde nicht im Albtraum darauf kommen, bestimmte Aktionen wie Hausbau, Frühjahrsputz oder einen Kunstmuseumsbesuch mit Kleinkindern zu absolvieren. Und ich finde: Beides hat seine Daseinsberechtigung. Beides ist doch vollkommen in Ordnung!
Ich glaube sogar, dass selbst wenn Mama oder Papa an den berühmten „Tagen wie diesen“ mal schreien, weder die Kinderseele leidet, noch die Bindung, die Beziehung oder irgendetwas gestört wird. Nein, es wird einfach nur laut, emotional – und echt. Das Schwierige beim Thema Schreien ist natürlich, den schmalen Grad zwischen „authentisch und emotional“ und „zu oft, zu heftig und beleidigend“ nicht zu überschreiten. Aber wenn es „nur“ laut und heftig wird und der Stress, Frust und Konflikt eben so bewältigt werden, dann ist das eben manchmal so. So ist das Leben halt auch. Damit kann ein Kind umgehen lernen. Nach dem Schreien ist es wieder gut. Und Entschuldigen sollten sich Mama oder Papa hinterher auch. Und ganz wichtig: „Wir vertragen uns wieder!“
Danach ist die Stimmung wie nach einem Gewitter. Müde, es war anstrengend, aber entspannt und ruhig. Wir haben gemeinsam einen Konflikt ausgestanden, und nach dem Geschrei darüber gesprochen. Ein Konflikt, der durch gute Worte, Spiel und Ablenkung nicht auszustehen war. Weil die Eltern nicht perfekt sind.
Zählen hilft nicht
Und nein, vor dem Schreien hilft das Zählen nicht. Mir nicht. Weder bis 5, bis 10 oder bis 100. In ein anderes Zimmer zu gehen nutzt so ad hoc auch nichts, weil die Kinder einfach knatschend und sich hauend mitlaufen würden. All die guten Ratschläge nutzen mir nichts. Weil, wenn die Wut da ist, dann ist es halt impulsiv und nicht durch zählen zu beruhigen. Mir persönlich fällt das Zählen gar nicht erst ein, wenn ich die Faxen dicke habe. Wenn mir das Zählen einfallen würde, hätte ich wohl eh soviel Selbstkontrolle, dass ich nicht zählen müsste.
Die Klassiker sind nicht das Problem
Aber die Standardsituationen (ja, es ist gerade WM) sind eh nicht mein Problem. Also die Klassiker aus der Ratgeberliteratur, wie angemalte Möbel, verschütteter Kaffee oder eingeschmierte Wände, sind nicht die Dinge, die mich brüllen lassen würden.
Als meine Tochter die Wand „geputzt“ hat, war ich nicht wirklich wütend, nur ärgerlich. Das ist ein Unterschied. Ich kam nicht dahin, schreien „zu wollen“. Auch nicht, als sie und ihre Freundin die Wand mit wilder moderner, nicht abwaschbarer Kunst anmalten. Oder als der Sohn das letzte Kaffeepulver am Morgen verschüttete, die Tochter damals mit 2 Jahren mir einmal eine ganze Salzpackung in das Essen kippte, um mir zu „helfen“, oder als der Sohn so gut wie alle Gewürze auf dem Fußboden verteilte. Klar, ich war ärgerlich, und das äußerte ich auch. Aber Schreien war das nicht.
Denn eigentlich weiß man ja: Sowas passiert halt mit Kindern. Zu klassisch, zu typisch, zu „mein Kind hat etwas kaputt gemacht“ sind solche Situationen, als dass sie mich wie Rumpelstilzchen herum springen lassen würden. In diesen Situationen steht hinter dem Ärger ein in sich hinengrinsendes Mama-Ich, weil es doch auch irgendwie süß ist.
Nein. Für mich sind es die langsam anwachsenend Nervtage, in denen man keine Launenänderung hinbekommt, egal wie sehr man sich bemüht und wie viel man sich einfallen lässt. Eine schlechte Sitmmung und ein Frust, der sich aufbaut und nicht abebbt, weil immer jemand nölt. (Siehe dazu weiter unten: 2. Know your triggers)
Ein Problem ist es erst, wenn Schreien häufiger vorkommt
Wenn das Schreien zu häufig passiert, ist das eine ganz andere Frage! Dann ist es nicht „halt menschlich“, dann ist es schlimm und sollte nicht sein! Dann hilft allerdings das Zählen, meiner Erfahrung nach, erst recht nicht.
Was hilft, wenn Eltern bemerken, dass sie zu oft zu laut werden und ihre Kinder anschreien: Ein schlaues Buch oder Artikel zur Entwicklungsphase des Kindes, ein paar Tage oder Abende Auszeit, ein paar Nächte Schlaf. (Am besten in diesem Paket) Es kann auch helfen, eine Erziehungsberatung aufzusuchen, um das Erziehungsproblem oder das eigentliche Problem, das hinter dem häufigen Schreien steckt, zu bearbeiten. Kostenfreie und unabhängige Beratungsstellen bieten zB das Jugendamt, die Diakonie und andere Einrichtungen, manchmal auch die Kita.
Was gegen das Schreien hilft
Was gegen ein Schreien hilft, wenn es zu häufig passiert, wenn es die Kinder und/oder die Eltern richtig stört, sind langfristig angelegte Maßnahmen. Schnelle Lösungen gibt es nur nach Übung.
1. Gefühle bewußt machen, Achtsamkeit (mal wieder)
Was gegen das Schreien hilft, ist meistens ein Bewußtseinsprozess, der außerhalb der stressigen Situation stattfindet. Und der meistens über eine eher längere Zeit andauern muss, als ein paar Minuten vor der brenzligen Situation. Eine stressige Phase oder ein besonders nerviger Tag sind einfach hart! Es ist daher wichtig, die eigene Überforderung zu erkennen und zu „akzeptieren“. Das ist ein erster großer Schritt. Hinschauen, erkennen wo die eigene Problematik liegt, darüber sprechen; wenn Zeit ist, sich das Ganze aufschreiben.
2. Know your triggers!
Erkennen, was einen reizt.Absoluter Trigger bei mir ist das Dauerknatschen. Macht! Mich! Wahnsinnig! Es fällt mir ungeheuer schwer, das auszuhalten. Das allein schon zu wissen und den Trigger zu erkennen, sobald es „losgeht“, kann nur von Vorteil sein.
3. Ich bin nicht immer Schuld
Was mir grundsätzlich an schwierigen Tagen hilft, ist die Erkenntnis, dass ich trotz allem nicht Schuld habe, wenn es blöd läuft. Und dass ich mich auch nicht immer angesprochen, betroffen und „in charge“ fühlen muss, wenn die Kinder viel streiten, die Launen mies sind und es allgemein nicht so läuft, wie erhofft. Könnte ich hexen, würde ich es wegzaubern. Kann ich aber nicht. Daher bin ich nicht Schuld. So einfach, so wahr. Die Erkenntnis nimmt mir immer wieder den Druck raus und ich kann die Kinder in ihren Bedürnissen besser begleiten (und das Knatschen besser aushalten).
4. Zeit für mich
Unabhängig von einer akuten Konfliktsituation oder nicht: Es hilft, sich bewußt Zeit für sich zu nehmen. Und zwar während die Kinder dabei sind. Auf die paar freien Abende oder Tage zu hoffen, die ein Partner oder der Babysitter irgendwann gewähren können kann mitunter zu lange dauern. Man kann das mit seinen Kindern üben: Jeden Tag die Kinder einfach für einige Zeit ins Kinderzimmer zum Spielen bitten, damit man Ruhe für sicht hat. Um einen Kaffee zu kochen, Musik zu hören, gar nichts zu tun. Egal. Hauptsache es tut gut. Das habe ich geübt, jetzt es klappt. Und es hilft enorm!
5. Arbeiten gemeinsam verrichten
Auch eine grundsätzliche Sache, die meistens allen Beteiligten Spaß macht: Die Dinge tun, die getan werden müssen, während die Kinder dabei sind. Nicht abends, wenn sie schlafen und ich mir einen gemütlichen Abend machen könnte. Egal ob Wäsche waschen/falten/einräumen, Küche aufräumen, kochen, whatever – die Kinder mitmachen lassen. Ja, man schafft es weniger schnell als abends, wenn der Weg frei ist, trotzdem nimmt es den Arbeitsdruck raus. Das einzige, was nicht klappt während die Kinder dabei sind, ist Telefonieren oder am Laptop arbeiten. Wie alt müssen die Kinder dafür werden? 18? 25?
Ad-Hoc Hilfe kurz bevor der Puls rast
1. Ausweichmanöver
Wenn die Stimmung mal nicht so ist, wie sie sein sollte, hilft bei mir nur, die Stimmung zu erkennen, bevor der Puls rast. Sorry, wieder nicht ganz ad hoc. Wenn er rast, ist es mit Zählen, rausgehen oder Kaffee kochen vorbei. Idealerweise zeigt sich einige Minuten (oder gar Stunden) vorher, dass die Stimmung unleidlich wird, der eigene Puls sich beschleunigt, die Laune sinkt, die Anspannung steigt. Was ist dann zu tun?
- Rausgehen! Solange das Wetter es zulässt, egal ob Spielplatz, Einkaufen, Brötchen holen.
- Kuchen oder Brot backen. Im Idealfall mit den Kindern. Das mache ich öfter, wenn ich merke, die Kinder spielen heute nicht so schön und das Wetter ist fies.
- Singen!
- Tanzen! Bei meinen knatschenden Kindern bestenfalls zu „Chick Habbit“ von April March. Meine Kinder lieben den Song. Und die Tanzeinlagen bei „iuiuiuiuiuiu“ sind der Knaller.
- Atmen! Bewußt atmen. Geht für mich defintiv besser als zählen. Atmen kann ich! Und ich kann es unmittelbar auch in brenzligen Situationen einsetzen.
2. Ad Hoc Hilfe Deluxe – Der „Notfallkoffer“
In den Notfallkoffer gehört alles, was einen in brenzligen Situationen gedanklich und emotional herausbringen kann. Vorsicht: Besonderer Schwierigkeitsgrad!
10 Minuten auf den Balkon gehen oder die Kinder ins Kinderzimmer schicken! Das muß man natürlich mit den Kindern üben, spontan mal so eben klappt das mit knatschenden oder sich streitenden Kindern eher nicht. Wenn das aber geht, kann man in diesen 10 Minuten das tun, was die Gefühle und Gedanken total rausbringt. 1-2 Heavy Metal Songs auf voller Lautstärke hören (oder welche Musik auch immer), den Lieblingsgedichtband an der frischen Luft auf dem Balkon lesen, Tasse Kaffee trinken, Meditieren, Weinen, Singen, irgendetwas Beklopptes. Egal was es ist, und wie bescheuert es ist, was hilft, hilft.
Diese 10 Minuten Auszeit bei Gedicht, Heavy Metal oder Singen sind die Deluxe Version des Runterkommens. Ich kann das nicht, weil meine Kinder nicht mitspielen würden. Aber ich liebe die Vorstellung, eines Tages bei Heavy Metal und mit Gedicht auf meinem Balkon zu stehen und abzufeiern! :) Meine Kinder gehen nur ins Kinderzimmer, wenn es gerade entspannt ist. Wenn die Situation anfängt, angespannter zu werden oder gar Streit im Gange ist, kann und mag ich sie nicht wegschicken.
Fazit
Wenn das Schreien zu viel wird, und das kennen nun mal viele Eltern, hilft es, auf die eigenen Akkus, die Energie, die eigene Ausgeglichenheit und das Nervenkostüm zu achten. Und zwar immer und langfristig. Und wenn es MAL passiert, dann, ehrlich, können alle gut damit weiterleben.
Da sind wirklich gute Tipps dabei. Danke schön. :-)
Und wenn man die Kurve irgendwie grad gar nicht mehr kriegt: Aufs Sofa setzen und anfangen, vorzulesen. Kopf im Buch statt beim Kind und Kampfkuscheln, auch hier wird Oxytocin, das Liebhabhormon, ausgeschüttet. (Tipp nach Julia Dibbern, „Geborgenheit“).
Ja, stimmt. Habe auch genau KEIN Buch an diesem besagten Sommerwochenende vorgelesen. Also nichts tagsüber, nur morgens und abends. Aber ich werde das Lesen als Stresskiller im Hinterkopf behalten, danke! Dabei hab ich selber diese Erfahrung schon gemacht, aber manchmal … :)
die Idee mit dem Vorlesen finde ich ganz interessant. Das werde ich mal ausprobieren. Singen ist auch immer eine gute Methode, selber dadurch Dampf abzulassen, auf etwas „freundlichere“ Art und Weise. Lautstark. … Und dennoch, ich finde auch, dass es menschlich ist, dass man einfach manchmal laut wird. Nicht schön, natürlich, aber menschlich. Und wenn das Grundgerüst steht, dann darf man das auch. Ich habe mich davon verabschiedet, dass das laut werden mir nicht mehr passieren darf. Ich strebe es nicht an, ich finde es nicht schön und ich versuche auch, es immer wieder zu umschiffen. Aber wenn es passiert, dann ist es so. Dann entschuldige ich mich danach für meinen Ton und ich glaube auch, dass meine Kinder das auf ihre Art und Weise verstehen.
Ein bißchen mehr Mitgefühl für uns selber täte uns oftmals ganz gut.
Hallo,
ich möchte hier mal meine Erfahrungen schildern, als jemand, der als Kind selbst häufig angebrüllt wurde und vor allem verbale Gewalt erfahren hat:
– für mich war Anschreien an sich noch keine gewaltätige Erfahrung. Wenn aus der akuten Situation heraus für mich klar wurde, warum meine Mutter so wütend war, dann war es kein Problem, so lange sie nur schrie und nicht beleidigte. Also sowas schreien wie: „Jetzt ist aber mal gut, ich kann Euer Zanken nicht mehr ertragen.“ oder „Das macht mich jetzt wirklich sehr wütend!“ war kein Thema. Das konnten wir Kinder problemlos ertragen. Wir haben ja meist selbst auch gebrüllt. Hach, so richtig herzhaftes gegenseitiges Anbrüllen konnte zuweilen wirklich befreiend wirken.
– Wirklich schlimm war das Anschreien, wenn es für mich so völlig aus heiterem Himmel heraus kam. Einmal, da war ich fünf, es war Besuch da. Meine Mutter kochte in der Küche, mein Vater war im Wohnzimmer mit dem Besuch. Das Besuchskind und ich spielten. Meine Mutter rief mich vom Spiel weg und gab mir Geschirr zum Tischdecken. Ich ging damit ins Esszimmer und fragte mich, warum das Besuchskind nicht helfen musste. Ich drehte um und ging in die Küche, um meine Mutter das zu fragen. Meine Mutter sah mich mit dem Geschirr reinkommen und guckte mich sehr wütend an. Ich erschrak zutiefst und ließ deshalb das Geschirr fallen. Meine Mutter rastete völlig aus, schrie mich an und schüttelte mich, sperrte mich in mein Zimmer und war ewig stinksauer auf mich. Für sie hatte ich die Sachen fallen lassen, weil ich sie ärgern wollte. Ich versuchte ihr zu erklären, wie es sich verhalten hatte, aber sie glaubte mir nicht. Aus heutiger Perspektive weiß ich, dass meine Mutter durch den ganzen Besuch total gestresst war. Sie war auch schon sehr wütend gewesen, weil mein Vater den ganzen Tag nie seine Hilfe angeboten hatte und sie die ganze Zeit in der Küche stand, während er sich mit dem Besuch vergnügte. Also holte sie mich, damit wenigstens ich helfen konnte. Sie erklärte mir jedoch nichts. Und als dann das Geschirr runter fiel, das war der Tropfen, der das Fass zum überlaufen brachte. Für mich als Kind war das völlig unverständlich. Das ganze Geschehen hat sich in mein Hirn eingebrannt und ich weiß jedes Detail noch bis heute ganz genau. So starke Gefühle gegen mich, deren Heftigkeit ich überhaupt nicht nachvollziehen konnte, kam wirklich regelmäßig vor. Das war sehr schwierig für mich, damit umzugehen. Aber die Lautstärke war eben nicht das Problem, sondern die Heftigkeit der Gefühle auf Grund von, wie ich empfand, Kleinigkeiten. Denn in anderen Situationen da führte das gleiche Verhalten meinerseits zu keiner besonderen Reaktion. Das war für mich wirklich verwirrend. Und wenn meine Mutter sich, wie sie meinte, im Griff hatte, und in solchen Situationen nicht brüllte, sondern wütend zischte, dann war das kein bisschen besser. Denn der Punkt war für mich nicht, ob jemand brüllte, sondern die intensiven Gefühle, die ich nicht verstehen konnte und die, ob laut oder leise, an mir ausgelassen wurden.
Daher bin ich als ehemals selbst Betroffene ganz Deiner Meinung: die Lautstärke macht nicht die Musik, sondern der Ton. Und ob ich zu meinem Kind nun laut oder leise gemein bin, das macht eben keinen großen Unterschied, nur dass leise Gemeinheiten weniger stigmatisierend wirken. Und ich finde es auch völlig in Ordnung seinen Kindern die eigenen Gefühle ehrlich zu zeigen (so lange das nicht dazu genutzt wird eine Beleidigung oder eine Gemeinheit unterzubringen). Was sollen sie denn lernen? Dass Mama ein emotionsloser Klotz ist, der wie ein Bürokrat immer mit kühlen Regeln daher kommt? Oder dass Mama immer immer immer gute Laune hat und zufrieden und lieb ist, egal was andere tun? Wenn jemand wirklich in Konflikten die Entspannung pur ist, kein Problem, das ist super, solche Leute helfen anderen oft sehr dabei Konflikte zu bewältigen. Aber ich persönlich finde, man ist ja auch dadurch Vorbild für ein Kind, indem man ihnen vorlebt, wie man selbst intensive Gefühle bewältigt. Und wie soll ein kleines Kind wissen, dass man grade intensive Gefühle bewältigt, wenn man nie zeigt, dass man solche hat? Und kleine Kinder leben ihre Gefühle noch sehr lautstark und intensiv aus und dann ist es ok, wenn Mama oder Papa das auch mal tun und ihnen zeigen, wie man damit fertig wird.
Hilfe holen sollen sich dagegen Leute, die merken, dass sie ihre Kinder immer häufiger als Blitzableiter benutzen für Frust und Unzufriedenheit, die mit dem Kind gar nichts zu tun hat. Außerdem wäre es glaube ich insgesamt hilfreich, wenn man mal breitflächig anerkennen würde, dass Mütter/ Erziehungshauptverantwortliche regelmäßig guten Schlaf brauchen, um im Alltag ausgeglichen zu sein. Übermüdung macht fast jeden Menschen sehr reizbar und es ist wichtig das anzuerkennen und nicht als Mangel an Selbstbeherrschung darzustellen. Was bei Übermüdung hilft, ist guter Schlaf, der dadurch gewährleistet wird, dass für diese Zeit andere Menschen die Hauptverantwortung für die Kinder tragen. Was bei Übermüdung nicht hilft sind gut gemeinte Ratschläge, wie man gelassener werden kann.
Liebste Grüße
Esther
Liebe Esther,
ich danke Dir für Deinen offenen und so intensiv geschriebenen Kommentar, der mich wirklich sehr anrührt. Die Geschichte aus der Perspektive eines Kindes macht doch wirklich so viel deutlich und bestärkt mich so sehr in dem, was ich im Text oben versucht habe auszudrücken. Dass die Lautstärke bzw. ehrlich ausgedrückte (und damit auch mal in laut) Gefühle nicht das Problem sind, so lange das für das Kind nachvollziehbar bleibt. Aus diesem Grund ist es so wichtig, nachher darüber zu sprechen und die Dinge zu klären.
Die Situation Deiner Mutter kennen sicherlich auch viele Mütter, man reagiert schrecklich ungerecht und das Kind kann das absolut nicht nachvollziehen. Wenn so etwas passiert, ist das darüber sprechen umso wichtiger und auch, sich Hilfe zu holen, wenn es öfter passiert.
Und noch etwas hast Du sehr gut heraus gestellt: Wenn die Mütter die Erziehungslast UND die Schlaflosigkeit nicht meistens alleine leisten müssten, wären sie auch belastbarer und damit gelassener. Kindererziehung ist nämlich doch Aufgabe des Dorfes, der Familie, der Eltern, und nicht ein/e Hauptverantwortliche/r.
VIelen Dank für Deine Ergänzungen. Liebe Grüße!
Liebe Esther,
das, was du geschrieben und erklärt hast, hat mich sehr bewegt. Denn das ist immer meine größte Angst, dass sich solche Ereignisse in die Seele meiner Kinder einbrennen, weil ich für einen Moment die Fassung verloren habe.
Was mich interessieren würde, wenn Du es erzählen magst: wie ist Dein Verhältnis heute zu Deiner Mutter? Wie siehst Du ihre Rolle damals und kannst Du ihr verzeihen, dass sie sich „so“ verhalten hat. Hat sie sich bei Dir dann immer danach entschuldigt oder war ihr gar nicht so bewusst, wie sie sich verhält?
Du schreibst, dass sich ihr Verhalten eingebrannt hat, dass Du Dich noch so detailliert daran erinnern kannst…. was bedeutet das heute für Dich??
Ich danke Dir auch für Deine Offenheit. Das ist ein wirklich interessantes Thema.
Das ist ein wirklich interessantes Thema. Ich bin eher von der ruhigen Sorte und mir geht es genauso, dass mich „Kindertaten“ eher ärgern als so wütend zu machen, dass ich brüllen müsste. Wenn ich lauter werde – was auch öfters vorkommen kann – dann auch an Tagen, an denen die Kinder von einem Jammern/Streiten/gefrustet sein in den nächsten fallen und irgendwie keine Ruhe mehr reinkommt, in denen ich/das Kind sich erholen kann. Ich sage dann auch laut, dass es mir jetzt wirklich reicht. Zählen würde mir null helfen, in ein anderes Zimmer gehen zwecklos, da Kinder mir folgen werden. Ich bin auch der Überzeugung, dass es am besten ist, generell auf sich zu schauen (ich mache Hausarbeiten auch mit Kindern, gönne mir eine halbe Stunde Mittagszeit für mich, wenn beide Kinder Ruhezeit im Zimmer haben) und dass die Launen einer Mutter sehr vom nächtlichen Schlaf abhängt.
Raus gehen, Kuchen/Brot backen hilft bei uns auch prima wenn die Stimmung kippt.
Wenn ich mir jeden Tag schon Vormittags und dann auch Nachmittags wirklich Zeit (je ca. 15 min) für meine Tochter nehme (spielen, kuscheln, Puzzle…), dann verlaufen die Tage oft auch ruhiger
Der Tipp mit dem Buch vorlesen, wenn die Stimmung schon gekippt ist, muss ich mal ausprobieren.
Und zuletzt noch: Danke an Esther für ihren Kommentar. Ich glaube auch, dass wenn ich mal laut werde oft gar nicht mein Kind „schuld“ ist (klar es hat gejammert…..) sondern eher ich unausgeglichen bin (nicht mal vom Schlafmangel, sondern eher von den Gegebenheiten meines Umfeldes) und da schließt sich der Kreis, dass ich mehr auf mich und meine Bedürfnisse achten muss: was ich heute auch getan habe, habe mir den Samstagnachmittag von meiner Familie frei genommen und war nach ewigen Zeiten wieder mal shoppen!
LG
Petra
Hallo an Alle!
Bin heute auf diesen Beitrag gestoßen und ich muss sagen, dass es mir unglaublich gut getan hat zu erfahren dass ich nicht die einzige bin die nie enden wollende schlechte Laune und frustrierende Tage hat. Auch ich bin eher von der temperamentvollen Sorte und es fällt mir schwer immer ruhig zu bleiben vor meinem Kind oder meinem Mann, vor allem wenn der ganze Haushalt und das Kind an mir hängen bleiben, mein Mann immer zu unterschiedlichen Zeiten nach Hause kommt, mein Kind dann deswegen wieder voll aufdreht obwohl es schlafen müsste und ich einfach nicht zum Schlafen komme. Hinzu kommt, dass ich im Ausland lebe und mit den Müttern hier in der Umgebung trotz aller Mühe einfach nicht zurechtkomme. Jedenfalls habe auch ich nach jedem Laut werden und/oder intensiven Gefühlsausbruch ein furchtbar schlechtes Gewissen, auch wenn ich mich nachdem alle wieder etwas ruhiger sind entschuldige und darüber spreche.
Mein schlechtes Gewissen ruht auch auf der Angst meinem Kind ein so intensives Erlebnis ins Gehirn einzubrennen, dass es sein Leben bzw. sein Selbstbewusstsein schädigen könnte. Ich selbst habe als Kind nie Lob und Anerkennung von meinen Eltern bzw. meiner Mutter erhalten. Im Gegenteil, ständig wurde ich mit anderen Kindern verglichen, wurde als 8 jährige von meiner Mutter für dumm erklärt da ich Behördenbriefe nicht verstand (ich bin Deutsche mit Immigrationshintergrund) etc. Und sonst wurde auch viel gemeckert und an Prügel mangelte es auch nicht. Ich gab mich also als Engel vor meinen Eltern und meiner Verwandschaft aus und versuchte so wenig wie möglich Aufmerksamkeit zu erregen und ich musste ja gut in der Schule sein um von meiner Mutter anerkannt zu werden. Im Nachhinein, also jetzt wo ich selber Mutter bin kann ich das Gebrüll jedenfalls zu Teil nachvollziehen. Ab und zu wird man halt wütend und brüllt herum. Aber das bloße Herumbrüllen ist nur halb so schlimm, damit kommen Kinder zurecht. Womit ein Kind nicht zurechtkommt ist wenn das Gemecker und Geschrei die Seele verletzt. Meine Geschwister und ich mussten das Geschrei etc. ziemlich lange ertragen. Und ich muss sagen bei mir hat es ganz deutlich Spuren hinterlassen. Ich brauchte sehr lange um zu begreifen, dass ich nicht dumm bin und viele Dinge sehr wohl gut und auch besser als andere erledigen konnte. Und vor allem musste ich mir mein Selbstbewusstsein erstmal aufbauen. Es war und ist auch heute nicht einfach für mich etwas Neues anzupacken, da ich immer noch Angst habe ‚Versagen‘ zu können. Und ich habe meine Mutter lange Zeit gemieden. Mein Verhältnis zu ihr ist nicht gut. Auch wenn sie mir sagt sie liebe mich und vermisse mich (ich lebe ja im Ausland). Auch wenn sie versucht unser Verhätnis zu reparieren, ich meide sie. Und genau davor habe ich Angst! Angst die gleichen Fehler zu begehen und mein Kind und auch meinen Mann dadurch ungewollt von mir wegzustoßen.
Ich kann nur hoffen, dass alle die merken dass sie zu viel meckern sich irgendwie wieder Freiräume für sich selbst schaffen um wieder herunterzukommen. Das Singen hilft mir auch und im Nebenzimmer eine wilden schwungvollen Tanz aufführen hab ich auch schon gemacht. Heute hat mir ein laaaaanger Spaziergang mit dem kleinen ( ist erst zwei Jahre ) geholfen herunterzukommen. Mir hilft auch gegen die Wand zu drücken, mit voller Kraft! Dabei kann man so tun als würde man seine Beinmuskeln dehnen. Vorlesen und Kuchen backen probier demnächst mal aus! Manchmal leg ich auch die Matraze aus und dann kann der Kleine/ können wir ein bisschen hüpfen oder wir spielen Ringen. Da kommt dann auch wieder gute Laune auf. Hoffe ich lese wieder interessantes hier!
LG Heidi
Sehr gut. Einfach authentisch! Man muss wirklich unterscheiden, ab wann schreien zur Gewohnheit wird und wo es einfach eine normale menschliche Reaktion ist. Wenn Mama immer ruhig ist, ist das doch irgendwie komisch. Es gehören beide Seiten der Gefühle dazu und wenn sie sich dann in der Folge selbst nicht trauen, ihre Wut auch mal herauszulassen, lernen sie ja auch nicht, dass auch das zum Leben gehört und man sich TROTZDEM noch lieb hat.
Ich habe etwas ähnliches zu diesem Thema geschrieben, nämlich wenn es mit den pubertierenden Kindern mal so richtig kracht. http://sybillejohann.de/zusammengerauscht-entschaerfst-du-jede-krise/
Ist dann zwar noch eine etwas andere Basis, aber vom Grundprinzip her gleich.
LG
Sybille
Ich sage einfach mal nur DANKE!!
Ich finde den Beitrag gut. Mein Problem ist aber; jeden Morgen ist Zähneputzen der reine Terror und das Anziehen danach auch. Und wenn das Kind fast nichts gegessen hat und wir WIRKLICH losmüssen: „ich hab solchen Hunger!“ Und wenn Madame sich nicht entscheiden kann welches Kleidchen wir heute anziehen und die Uhr tickt, das halte ich nicht aus. Dann heule ich fast und sage der Kleinen: Wir MÜSSEN jetzt gleich los, BITTE beeil Dich! Dann gibts Extrazulage und ich werde irre und das Herzblatt trödelt ewig noch beim Schuheanziehen. Am Ende brülle ich und das Kind weint und auf der Straße sagt sie zu mir: „Heute habe ich aber wirklich keinen Zirkus gemacht morgens, Mama!“ und ich hab sie so lieb. Aber wenn Zeitdruck ist, kann ich eben nicht schnell noch einen Kaffee trinken oder Buch lesen. Dann ist die Not groß und ich weiß nicht was tun. Jemand einen Tipp?
Hallo Bendte,
Das Problem kenne ich auch.
Was bei uns geholfen hat: ich stehe freiwillig noch früher auf. Genieße die Zeit und Ruhe im Bad ganz für mich alleine.
Dann habe ich meine Tochter ein wenig früher geweckt. Nur 15 Minuten. Genug Zeit für die Kleiderfrage. Direkt wenn wir die Treppe runter kommen werden die Schuhe angezogen. Dann gibt es Frühstück. Wenn dann noch hunger ist einfach entscheiden lassen: du kannst noch eine Reiswaffel für die Fahrt haben oder im Kindergarten dein Frühstück essen. Seiddem klappt es besser!
Viel Glück!
….ein toller Artikel! DANKE!!!! Heute war bei uns genau so ein Tag.
Danke euch beiden <3
Das große Problem mit der Wut ist genau das, was Du beschreibst: ist man einmal drin, kommt man kaum noch raus! Deswegen: wehret den Anfängen! Danke auch, dass Du das Thema „schade ich meinem Kind“ nochmal aufgreifst – per se kann man das nämlich nicht sagen, sondern es geht tatsächlich um den Umgang im Nachgang damit.
danke für diesen tollen Artikel <3