Die Rede ist von meiner Tochter. Diese Frage in der Überschrift will ich, um die Blogartikel schon vor Beginn zu beenden, nicht beantworten. Denn mein Kind ist ein Kind. Meine Kleine entwickelt sich, sie verändert sich und hat sich auch schon verändert. Ich wünsche meinen Kindern, daß sie sich mit sich selbst wohlfühlen und sicher auf ihre Gefühle und Wünsche achtgeben. Dabei wäre es mir dann vollkommen schnurz ob sie extrovertierte Rampensäue oder introviertierte Denkerinnen werden.
Unter Warum muß ich Erziehern Schüchternheit erklären? habe ich mich mit dem Unverständnis des ehemaligen Erziehers auseinander gesetzt, die Zurückgezogenheit meiner Tochter nicht als Verweigerungshaltung zu verstehen. Obwohl er schon Verständnis dafür hatte, daß sie ein stilleres Kind war, äußerte er doch immer wieder, wo meine Tochter noch dazulernen müsse, mehr Interaktion zeigen müssse, etc. Ich fand, das muß sie gar nicht. Ein Kind hat ein Recht auf seine Stille und Zurückgezogenheit. Selbst ein schüchterner Mensch muß nicht geändert werden.
Jetzt möchte ich ein Update dazu geben, wie das zweite Gespräch ausfiel und welche Beobachtungen ich an meinem Kind gemacht habe. Denn natürlich lohnt es sich immer genau hinzuschauen.
(Icb bin mir nicht sicher, wie interessant das alles für andere ist. Aber ich schreibe das Blog hier ja auch für mich. Wegklicken könnt Ihr immer noch. ;) )
Desinteresse am Frage-Antwort-Spiel ist keine Schüchternheit
Es ist richtig, daß sie gerade in der Kita eher still ist und wenig erzählt. Obwohl sie schon früh viel und gut sprach und ein ausgesprochenes Faible für schwierige Wörter hatte (Rasenmäher und Reißverschluss mit 1,5), erzählt sie wenig von dem, was sie erlebt hat. Sie wird bald 5 und damit fängt sei erst so ganz langsam an. Mit Fragen kann man ihr wenig bis nichts entlocken. Sie sagt dann: „Ich möchte nicht erzählen.“ oder auch nur „Weiß ich nicht, hab ich vergessen.“ Das sagt mir zweierlei. Zum Einen, daß sie ungern gefragt wird und darauf Antworten gibt, ich würde das als Small Talk bezeichnen.
Small Talk muß mit 4 nicht sein!
Es triggert sie einfach nicht, wenn ich Fragen über ihren Tag stelle. Selbst die Frage nach dem Mittagessen beantwortet sie teilweise falsch (es steht ja immer an der Küche, was es gibt, also weiß ich es richtig ;) ). Das war auch witzigerweise schon als 1 und zjährige so. Wenn man ihr eine Frage stellte oder sie etwas aus dem Bilderbuch nacherzählen sollte, sagte sie ganz oft: „Mh mh!“ und später „Will niss sagen“. Sie hat einfach nicht immer Lust auf ein Gespräch, schon gar nicht, wenn sie es nicht selbst begonnen hat. Allerdings kann sie, und das ist der zweite Eindruck, sehr deutlich machen, wenn ein Gespräch für sie uninteressant ist. Das ist nicht wirklich schüchtern und das habe ich auch nie so empfunden. Das ist für mich selbstbewußt und bei-sich-sein.
Was ich durchaus als Schüchternheit interpretierte war, dass sie in größeren Gruppen, auch wenn sie alle Personen gut kennt, erstmal sehr still und zurückgezogen ist, an mir hängt und nur beobachtet. Das war noch mit 3 selbst bei den Großeltern so, die sie alle 14 Tage traf. Heute ist das nicht mehr so. Egal wie zurückgezogen sie war, immer hatte sie diesen besonders ernsten, regungslosen aber hochaufmerksamen, intelligent-wachen Gesichtsausdruck. Aber sie hatte kein Intersse zu interagieren. Außer mit in der Familie, mit meinem Mann und ihrem Bruder, da gibt es keine Zurückgezogenheit. Im Gegenteil, da will sie fast nonstop Interaktion.
Mir als eher extrovertirern Menschen fiel es in den ersten Jahren mit dem zurückhaltenden Kind schwer zu glauben, daß es ihm dabei gut geht. War sie glücklich? Gefällt es ihr hier nicht, soll ich woanders mit ihr hingehen? Ständig überprüfte ich, ob ich etwas optimieren muß, damit das Kind aus sich heraus kommen kann. Mußte ich aber nicht. Denn mein Kind war und ist nunmal so. Sie wurde zwar mit der Zeit aufgeschlossener, aber im Kindergarten kam es immer wieder zum Tragen. Sie hat nie geweint, wenn wir sie morgens in die Kita gebracht haben. Auch nie beim Abholen. Wirklich nie. Aber sie braucht ihre Zeit, um anzukommen.
Mein Kind darf und soll so sein, wie es ist
Das zweite Gespräch mit der neuen Erzieherin verlief sehr gut. Eigentlich waren wir uns einig. Meine Tochter darf und soll so sein, wie sie ist. Wer nicht erzählen will, muß auch nicht, wer morgens noch kuscheln will, darf kuscheln und wer keine Lust hat, auf Aufforderung mitzubasteln, muß das ebenfalls nicht. Sie waren auch mit mir einer Meinung, daß meine Tochter für sich ein selbstbewußtes Kind ist, das sie genau weiß, was sie mag und das auch klar äußert, wenn es nötig ist.
Das zweite Gespräch war also prima und jetzt, einige Wochen danach, habe einen deutlich besseres Gefühl mit Kind, Kita und Erzieherin. Im übrigen hat sie sich meiner Tochter morgens bei der „Übergabe“ schon herzlich angenommen, noch vor dem Gespräch schon. Sie geht auf meine Tochter zu, begrüßt sie herzlich, bietet eine Umarmung an, drängt sich aber nicht auf und bleibt auch freundlich, wenn meine Tochter diese nicht möchte.
Meine Tochter macht einfach ihr eigenes Ding.
Nachdem ich den Schüchternheit-Artikel geschrieben hatte und mein Kind, vermutlich mit diesem Text im Kopf, erneut beobachtete, fiel mir schnell auf: Schüchternheit ist eigentlich nicht mehr der richtige Begriff. Sie macht nicht den Eindruck, als wolle sie etwas, was sie sich nicht traut.
Ich beobachte, daß sie manchmal geradezu erstaunlich mutig und sehr aufgeschlossen ist. Beispielsweise als vor Kommunalwahl die Parteien auf dem Wochenmarkt Luftballons verteilten. Da war sie genau 4,5 Jahre alt. Sie besaß bereits einen Ballon, ihre Freundin wollte auch einen. „Geht Euch doch einen holen“, schlug ich vor. Die sonst so kesse und selten um eine Antwort verlegene Freundin traute sich nicht. Meine Tochter hatte aber ihren tollen Tag: Sie zog los, Freundin im Schlepptau, und holte einen Ballon vom Parteistand. (Ihr könnt Euch mich als hinter den Büschen lauernde Vollbekloppte vorstellen, die unbedingt sehen wollte, wie Töchterchen sich schlug. Ohne von der Tochter bemerkt zu werden, sonst wäre die Natürlichkeit weg und ich hätte den Ballon organisieren müssen. Das wollte ich ja gar nicht.)
Ich beobachte, daß es tagesformabhängig ist – und mit wem sie zusammen ist – wie sie sich gibt. Mit mir- in unserer Familie und mit guten Freunden kann meine Tochter total aufdrehen, wirklich laut sein und merkwürdige, wilde Geräusche von sich geben. Mit ihr unterhalte ich mich, wenn wir ins Gespräch kommen, nicht, weil ich Fragen stelle. Sie klärt mich auch ungefragt über die Feen- und Zauberwelt auf.
Ich beobachte, daß sie auf dem Spieplatz, im Spielcafé oder im Parkt sofort losspielt, mit oder ohne Freunde. In Kindergruppen lässt sie sich nicht in eine Rolle drängen, wenn sie ihr nicht passt. Wenn mein Kind keine Mutter spielen will, will sie nicht. Sie ist Baby, oder Elfe oder Prinzessin! Basta. Passivität oder die Tochter als Randfigur kann ich nicht erkennen.
Noch ein letztes Döneken: Letztens hatte es ihr ein Kind besonders angetan: Ein großer Junge, der 2 Jahre älter als sie war. Das war in den Ferien auf dem großen Waldspielplatz. Sie kannte ihn nicht, aber irgendwie fand sie ihn wohl toll. Sie rannte an ihm vorbei, rief „Fang mich!“ und der Junge rannte ihr tatsächlich hinterher! Ich staunte nicht schlecht. Und dann rannten die beiden über die sehr weite Wiese, rüber auf die andere noch größere Wiese. Über kleine Hügel, verschwanden, tauchten wieder auf. Ab ab und an klangen ihre quietschigen Schreie zu mir. Es war wie im Kitschfilm. Und ja, dann flog mir was ins Auge.
Wie man es auch nennen mag, wenn sie so still ist und nur beobachten will, schüchtern, introvertiert, eigen – nennt es irgendwie. Vielleicht ist es alles auf einmal, vielleicht nicht. Diese Begriffe beschreiben mein Kind nur ungenau. Außerdem befürchte ich, dass dieses Schubladendenken „schüchtern“ oder „introvertriert“ oder „lebhaft“ oder sonstwas meine Tochter einengt. Denn das ist es dann, was man über sie denkt. Das beeinflußt doch! Mein Kind war durchaus mit 2 und 3 Jahren schüchterner und zurückhaltender als die anderen Kinder. Das ist sie auch heute noch. Aber sie ist gleichzeitig auch mutiger, selbständiger und ihrer selbst bewußt geworden, so daß die alten Vokabeln nicht mehr passen. Sie ist einfach, wie sie ist. Sehr eigen, sehr ernst, sehr beobachtend – und manchal auch überraschend aufgedreht, selbstbewußt und aufgeschlossen. Ich bin so stolz auf sie, mein unbeschreiblich tolles Mädchen. <3
Was für eine Liebeserklärung!
Die vorgegebenen Schubladen passen manchmal einfach nicht zu unseren Kindern und das ist auch gut so!
Mensch, das ist als hättest Du meine Tochter beschrieben ;-) Und ich mache mir auch immer Gedanken. Dein blogpost hat mich jetzt mal wirklich beruhigt und entspannt. Bei uns kommt noch hinzu, dass es eine großen, sehr extrovertierten Bruder gibt, der oft das Kommando übernimmt. Deshalb ist es mir auch erst sehr spät aufgefallen, wie schüchtern das Töchterchen ist. Allerdings muss man sagen, dass ich auch eher eine schüchternes, zurückhaltendes Kind war. Davon ist ehrlich gesagt nix mehr geblieben. ;-) Die machen schon ihren Weg.
Danke für den Blogpost!
Liebe Grüße aus Hamburg
Kathrin
Meine Tochter ist jetzt fast 4 Jahre und bis vor einem halben Jahr war sie sehr zurückhaltend, blickte fremde Menschen ernst an (was haben wir für Kommentare bekommen darüber: „die schaut aber grimmig“ und so ein Quatsch) und beobachtete alles. Sie machte oft nicht mit, aber Wochen später spielte sie das Beobachtete zu Hause nach! So langsam öffnet sie sich für neue Menschen (Onkel und Opa mussten lange nur zusehen, durften nicht mit ihr spielen, heute fordert sie deren Aufmerksamkeit ein :-) ) Auch im Kindergarten frägt sie jetzt die Erzieherinnen, wenn sie etwas braucht. Ich denke, dass zurückhaltende Kinder erst beobachten und manchmal – auch Jahre später – auf das Beobachtete zurückgreifen und wieder einen Entwicklungsschritt machen. Man muss ihnen nur die Zeit geben!
LG
Petra
Eigentlich ärgert mich das Thema ein bisschen!
Die Beschreibung deiner Tochter würde eigentlich auch ganz gut zu mir passen. Mehrheitlich zurückhaltend, aber es gibt auch viele Situationen, da verhalte ich entgegengesetzt. Nur bin ich halt kein Kind, sondern erwachsen.
Schüchternheit. Introvertiertheit. Das ist nichts, was man überwinden muss. Das ist nichts, was wegentwickelt werden muss. Das ist nichts, was eine Hinwendung bedarf.
Die Welt ist laut. Und Introvertierte werden in dieser Welt leider oft nicht gehört. Ja, richtig. Selber schuld, Welt. Der Welt fehlt der Input, den Schüchternen fehlt der Input nicht (die Lautstärke der Welt ist ja nicht zu überhören).
Nur weil Introvertierte hier nicht mitspielen, heißt das nicht, dass sie ihre Wege nicht gehen. Es heißt nicht, dass sie nicht „aus sich heraus“ gehen können. Introvertierte gehen einfach andere Wege und sie nutzen dabei andere Tools. Lautstärke gehört auch dazu, nur wird sie nicht per default eingesetzt.
Danke für den Text.
Und Sorry mein verstimmter Ton.
Danke für Deinen Kommentar und Deinen verstimmten Ton. Er bestärkt mich sehr! <3
Sehr gut geschrieben, wie ich finde. Ich habe die Erfahrungn gemacht, dass Verwandte und Freunde drumherum immer gerne Kinder in Schubladen reinstecken, ohne wirklich tief in das Kind hereinzuschauen. Ich merkte einfach, dass sie selbst gut da stehen wollten, und damit von sich abzulenken. Ich habe immer daran geglaubt, dass unsere Tochter nicht schüchtern ist. Das es ein Lebensabschnitt ist, der sich später ganz anders entwickelt. Jeder interpretiert nur das, was er am liebsten hören möchte.
Erst war unsere Tochter am fremdeln, was völlig normal ist, mit dem Alter von 5 Monaten. Man muss mit diesem Alter noch nicht das können, was andere immer wollen.
Und nun mit ihren 2 Jahren und 8 Monaten ist sie kaum zurückhaltend. Sehr laut, gibt den Ton an, beobachtet gerne. Ja, sie ist lebenslustig.
Ich lasse sie einfach sein, wie sie ist. Ich möchte nicht, dass sie anders werden muss. Schließlich schränkt das die Kinder auch ein, und sie werden zu das, was sie gar nicht sein möchten.
Liebe Grüße Nancy