Ihr wißt sicherlich alle, dass es Kinderrechte gibt, die von den meisten westlichen Ländern, auch Deutschland, bei der UN unterzeichnet und somit anerkannt wurden. Dazu gehören das Recht auf Sicherheit, auf Fürsorge, auf Schutz bei Krieg, auf Hilfe bei Behinderung, Schutz vor Ausbeutung und Gewalt. Die großen Themen eben! Gewaltfreie Erziehung ist für die meisten Eltern heute eine Selbstverständlichkeit. Umso schlimmer ist es immer wieder zu erleben, wenn Eltern „einen Klaps“ nicht unter Gewalt einstufen.
Aber Kinderrechte gehen noch weiter als diese großen Themen. Kinderrechte gehören auch in die vermeintlich weniger großen Themen und sie gelten auch schon von Anfang an. Darüber möchte ich heute reden. Weil sie so schön sind, zähle ich die Kinderrechte mal auf und verlinke auf eine Seite, auf der die Kinderrechte kindgerecht für Kinder erklärt werden. Aber auch die Kinderechtskonvention der UN verlinke ich hier.
Kinderrechte
Recht auf Gleichheit
Recht auf Gesundheit
Recht auf Bildung
Recht auf elterliche Fürsorge
Recht auf Privatsphäre und persönliche Ehre
Recht auf Meinungsäußerung, Information und Gehör
Recht auf Schutz im Krieg und auf der Flucht
Recht auf Schutz vor Ausbeutung und Gewalt
Recht auf Spiel, Freizeit und Ruhe
Recht auf Betreuung bei Behinderung
Das Recht auf Privatsphäre, persönliche Ehre, Meinungsäußerung und Gehör
Das ist ungefähr die Domäne an Kinderrechten, die für die meisten von uns, mich eingeschlossen, nicht immer so eindeutig ist. Das liegt an Traditionen und Lebensweisen, die man einfach gewohnt ist, an der Art und Weise, wie man Babys und Kinder früher aufzog und behandelte und der eigenen Unsicherheit, auch wenn man vieles kindgerechter machen möchte, als Oma das noch tat.
Dazu gehören Themen wie, Babys nicht schreien lassen, keine sogenannten Einschlafprogramme / Ferbern anzuwenden. Es geht aber auch darum den Start und das Wie von vielen kleinen Entwicklungsstufen vom Kind bestimmen zu lassen. Ohne sanften Druck, ohne Belohnungsysteme oder ähnliches. Dazu gehören für mich beispielsweise der Start der Beikost und welche Art von Beikost und zwar auch dann, wenn es von allen anderen bekannten Babys des eigenen Umfeldes abweichen, die sogenannte Sauberkeitserziehung/Toilettentraining das Laufen lernen, das Sprechen lernen, das Spiel mit anderen Kinder, der Besuch von Sport-, Musik oder sonstigen Kursen und vieles mehr.
Grundsätzlich ist meine Haltung dazu: Es sind nicht wir Eltern, die Entwicklungsschritte und letztendlich Persönlichkeitswerdung bestimmen können, das machen die Kinder. Und zwar nur die Kinder. Es ist ihr Recht und ihre Freiheit. Das Kind „sagt“ ob und wie es auf die Toilette (oder zum Töpfchen) gehen möchte, ob es nachts alleine einschlafen kann oder ob es mal feste Nahrung ausprobieren möchte. Eltern können keinen Entwicklungsschritt beschleunigen oder erzwingen. Genauso dürfen Eltern ihre Kinder in späteren Jahren nicht in Sport- oder Musikkurse bringen, obwohl sie sich mit Händen und Füßen dagegen wehren. Das nur so als Beispiel, alles beobachtet. Es sind die Kinder, die darüber entscheiden, was sie wann wollen, können und machen. Wir Eltern dürfen Signale deuten, Meinungen anhören und den Kindern dabei helfen, ihr Wollen und Drängen zu erfüllen. Selbstverständlich kann es mal passieren, dass man Signale falsch deutet. Oder eben versucht, ein Angebot zu machen. Das ist ok. Die Kinder zeigen deutlich, ob sie essen mögen, auf der Toilette sitzen, oder sonstwas wollen. Wenn es nicht angenommen wird, dann ist das so, und es ist ok.
Wir sind alle frei geboren
Das sind kleine Beispiele, die sich immer wieder beobachte und die ich – das möchte ich hier deutlich sagen, ich bin schließlich kein Ratgeber – selber teilweise mit mir ausfechten mußte. Zum Thema Start der Beikost könnte ich besonders von Kind2 so einiges erzählen, der 11,5 Monate überhaupt nichts essen wollte, nur stillen. In meinem Umfeld hatte noch nie jemand von so einem Baby gehört. Ich sollte doch mal mehr sanften Druck ausüben und endlich zufütten.
Im Podcast „Mutterskuchen“ von Alu und Susanne zum Thema Kinderrechte, der Auftakt zu dieser Blogparade von Große Köpfe es war, an der ich mich mit diesem Text beteilige, gibt es ein schönes Statement von einer der beiden Fachfrauen zum Thema Kinderrechte aus dem Frankfurter Kinderbüros. Es geht um das Thema, Babys schreien lassen.
„Frage von Susanne: […] Babys schreien zu lassen und die Zimmertür zuzumachen – verstößt das gegen die Menschenrechte?
Antwort der Dame des Kinderbüros Frankfurt: Ja. Ganz ganz klares „Ja“ meinerseits. Das kann überhaupt nicht sein, dass wir darüber diskutieren, dass man Babys nicht verwöhnen soll und dass man sie auch mal schreien lassen soll. Und all diese Sachen, die man dann so hört. Es gibt ja all diese Ratgeber. […] Und dann kommen wir in diese Bereiche rein, wie „Jedes Kind kann schlafen lernen“. Natürlich kann jedes Kind schlafen lernen, aber dazu muß man Kinder nicht schreien lassen. […] Ansonsten haben wir eine jahrzehntelange Bindungsforschung und ich weiß nicht, warum wir noch immer darüber reden müssen, dass Babys schreien müssten. Wir reden hier von Säuglingen und nicht von Dreijährigen in der Trotzphase…“
Menschenrechte sind Kinderrechte
„Es sollte das erste Menschenrecht sein, selbst entscheiden zu dürfen, was man in den Mund nimmt und was man essen will“.
Damit ist eigentlich alles gesagt. Warum sollte ein Baby gegen seinen Willen etwas in den Mund nehmen, Brei essen oder überhaupt schon in den ersten Monaten essen, wenn es nicht selbst vehement und deutlich danach verlangt? Es geht einfach darum, diese Schritte und Entwicklungen von den Kindern beginnen zu lassen. Es ist ihr Mund, ihr Bauch, ihr Toilettendrang oder eben nicht.
Schwierig wird es eigentlich nur, wenn wir von Erziehungstraditionen zu sehr leiten lassen, glaube ich. „Babys müssen ab dann und dann durchschlafen, ab y wird Brei gefüttert, abends alleine einschlafen lernen ist wichtig, mal schreien lassen ist ok.“ Das sind alles Erziehungsmethoden und Überzeugungen, die besonders in älteren Generationen existieren und junge Eltern bis heute verwirren. „Mache ich wirklich alles richtig? Sollte ich vielleicht doch abends eine Flasche geben und Schmelzflocken reingeben?“ (Ja, machst Du. Und nein, still ruhig weiter.)
Schwieriger wurde es für mich dann sofort seitdem die Kinder 1,5 Jahre alt sind: Autonomiephase! Ich WILL und zwar sofort, ich weiß nur nicht WAS! Es ist nicht einfach, ein wütendes, sich in widersprüchlichen Wünschen verhedderndes Kind tagtäglich geduldig zu begleiten und es würdevoll und gleichwertig zu behandeln. Ich bin da mal gar keine Heilige, denn ich bin die Ungeduld in Person und dementsprechend schnell mal unwirscher als ich eigentlich möchte. Die Herausforderung liegt aber gerade hier und ich weiß darum. Ich will die Formung des kindlichen Willens begleiten und fördern, nicht brechen.
Update: Das so viel beschworene Bauchgefühl – macht mich skeptisch
Meistens heißt es von wohlmeinenden Menschen, dass sich Eltern einfach auf ihr Bauchgefühl verlassen sollen. Bei weniger schwierigen Fragen fand ich das auch recht hilfreich. Wenn ich mich aber mit meinen eigenen Ansprüchen, Vorstellungen im Konflikt mit dem Verhalten meines Babys sah, wurde das Bauchgefühl etwas diffus. Daher finde ich das Bauchgefühl keine verlässliche Quelle für alle Fragen. Sorry.
Das Bauchgefühl ist von Traditionen, von der eigenen Erziehung und ggf. auch von eigenen Traumata bestimmt. Das ist für mich nicht die ultamitive Herangehensweise. Mir geht es um die Kinderrechte, um wirkliche Gewaltfreiheit. Mir geht es auch darum, dass wir Eltern, die nun meistens nicht gewaltfrei, schon gar nicht mit gewaltfreier, manipulationsfreier Kommunikation groß geworden sind, eine wirkliche gewaltfreie Beziehung und Kommunikation erst bewußt machen und erüben müssen.
tl;dr
Allgemeinplätze?
Hm…. sind das Allgemeinplätze von denen ich hier gerade schreibe? Es fühlt sich so wenig pointiert an. Aber mir war es wichtig, das mal aufzuschreiben. Mich triggern Themen wie diese immer noch sehr an, gerade weil ich Kinderrechte sehr wichtig finde und meine Einstellung teilweise gegen Freunde und Familie verteidigen mußte. Ich finde auch, dass es auf die leisen, feinen Zwischentöne im Leben ankommt, die die Musik machen.
Wie seht Ihr das? Genauso? Anders? Erzählt es mir.
Hilfreiche Links:
Acht Sachen, die Kinder stark machen ist eine Broschüre des Kinderbüros Frankfurt. Sie
Starke Eltern, starke Kinder ist ein Schulungsprogramm für Eltern, das in Familienzentren beispielsweise aber auch in Abendkursen in den VHSen, bei der AWO und ähnlichen Einrichtungen angeboten wird.
Bin ganz deiner Meinung.
Mein Sohn (16M) hat von Anfang an ganz gute Nächte gehabt und immer wieder ist das Lob an mich gegangen… Ich habe mit einer Eselsgeduld erklärt, dass ich nix gemacht habe, sondern, dass er das selber macht.
Im Moment startet er mit Gehen und ich habe mir über Monate anhören müssen, was denn da los ist, warum er noch nicht geht… Ich erkläre mit einer Eselsgeduld, dass er das schon lernen wird. Sie sollen ihn in Ruhe lassen.
Es ist immer leicht, das Kind die Entwicklungsstufen selbst erreichen zu lassen, solange es in die Norm passt. Schwierig wird es, wenn ein Kind etwas außerhalb der Reihe macht. Dann muss man sich immer rechtfertigen, ob man will oder nicht, vor Fremden oder Freunden.
Ich habe deine Blog erst vor Kurzem entdeckt und finde ihn sehr erhellend, aber auch erheiternd und beruhigend.
Danke dafür.
LG, Brigitte
Recht hast du. Diese ganzen Erziehungsratgeber mögen auch alle nett gemeint sein, aber ich finde wenn man auf sein Bauchgefühl hört, kann man eigentlich nichts falsch machen. Gerade die ganz Kleinen entwickeln sich SO unterschiedlich, aber am Ende können sie doch alle laufen, sprechen, schlafen (durch, alleine und sowieso), auf Toilette gehen etc pp. Ich kenne zumindest niemanden, der das nicht beherrscht ;)
Doch, mit dem Bauchgefühl kann man meiner Meinung nach sehr viel falsch machen. Denn das Bauchgefühl ist es, was all die „einprogrammierten“ und an uns selber vorgenommenen Erziehungs“weisheiten“ vom Stapel lässt: Es sollte so langsam mal dies, es müsste doch endlich mal jenes können….
Ich verlasse mich da echt lieber auf die Argumente von Fachleuten, die mich in meinem Bestreben nach gewaltfreier Erziehung unterstützen, als auf all die „Weisheiten“ und „Stimmen im Kopf“, die zur Intervention und am Kind rumschrauben aufrufen. Sorry ist ein wenig wirr…
Danke für den Kommentar. Mir geht es hier ganz und gar nichts um das Ach so tolle Bauchgefühl. Eher im Gegenteil. Das Bauchgefühl ist von Traditionen, von der eigenen Erziehung und ggf. auch von eigenen Traumata bestimmt. Das ist für mich nicht die ultamitive Herangehensweise. Mir geht es um die Kinderrechte, um wirkliche Gewaltfreiheit und das stetige Bemühen der zumeist anders erzogenen Eltern, sich in ihrem Verhalten zu überprüfen.
Das beinhaltet, dass eben Kinder weder zu etwas gedrängt noch in Entwicklungsschritten „gefördert“ werden. Weil es ihnen eben nicht die Freiheit lässt, sich so zu entwickeln, wie es sich eben entwickelt.
Schade, wenn das nicht klar geworden ist. Danke für den Hinweis, werde das oben nochmal ergänzen.
Mein Kommentar versteht sich als Antwort an Berit, nicht auf Deinen Text. Sorry wenn das nicht klar rüberkommt!
Achso. Danke :)