Put on your red shoes and dance the blues…
Heute Morgen habe ich die Nachrichten über twitter gelesen. „David Bowie ist tot.“ Die Nachricht sackte. Während der Mann den Kindern ein Buch vorlas, weinte ich heimlich in meine Kaffeetasse und staunte über mich selbst.
Ich weine nicht, normalerweise, wenn ich lese, dass ein*e Künstler*in gestorben ist, oder eine andere Person aus dem öffentlichen Leben. Mal bin ich betroffen, wie im Falle von Joe Cocker oder or Amy Winehouse. Geweint habe ich nur bei zwei Künstlern, nämlich Robin Williams, was ich hier verbloggte, und bei David Bowie.
Den ganzen Tag über versuchte mein Kopf, meinem Bauch die Tränen zu erklären. Oder umgekehrt? Jedenfalls verbrachte ich den Tag mit Wundern und mit Erinnerungen an David Bowies Musik und mir. Wie ich das erste Mal bewußt „Ground Control to Major Tom“ hörte – und den Text (so halbwegs) verstand und mich wunderte, wer denn nun zuerst den Major Tom erfunden und das Lied geschrieben hat. Tom Schilling oder David Bowie?!
Ich muß so 14 oder 15 Jahre alt gewesen sein als ich David Bowie das erste Mal bewußt hörte. Ich war instantly gepackt. Von der Atmosphäre des Songs, der Geschichte, dieser weichen, melancholischen Stimme, die trotzdem so markant lauter werden und schreien konnte, von der Musik, dem Sound, allem. Irgendwann hörten wir David Bowie nicht nur zufällig im Radio, sondern kauften uns Platten und nahmen sie einander auf Kassette auf. Wir hörten uns in die Platten rein, wie man so sagte. Wer auf Partys Heroes oder Ashes to Ashes auflegte, war cool. Und wer daraufhin die Tanzfläche stürmte, auch. China Girl, Let’s Dance, aber vor allem Heroes. Immer wieder Heroes. Wir wurden 17, 18 und 19.
Ich kann gar nicht beschreiben, warum genau mir David Bowie so wichtig war. Denn genau das war er gar nicht. Er war einfach ein Teil meiner Jugend, ein wichtiger Teil, einer der sich in den persönlichen Musikschatz einbrennt, ohne bombastisch daher zu kommen wie Bruce Springsteen, wie Aerosmith, wie Metallica oder auch The Cure. David Bowie war einfach der Andere, die Kühle, der Exzentrische, der Androgyne, der Arrogante, der sexy Superkünstler mit seinen Verwandlungen und Personae, mit der sehnsuchtsvollen Melancholie, den funkigen obercoolen Beats.
Einmal mit 17, sah ich David Bowie live
Ich bin mit einer Freundin heimlich ausgebüxt. Ich glaube, meine Eltern wissen heute noch nichts davon. Ich habe ihnen erzählt, dass ich mit einer anderen, ihnen bekannten Freundin bei ihren Eltern in Lüdenscheid bleibe. Eine Stadt ein gutes Stück weiter weg von wo wir wohnten. Ich zog mit Fahtima los. Wir hatten in der Schule gar nicht viel miteinander zu tun. Sie war eine stark geschminkte exotische Schönheit und ich war eben ich. Aber wir wollten beide unbedingt auf dieses Festival, ich müßte googeln um mich zu erinnern, wo. Irgendwo im Norden, nördlich von Münster.
Egal. Wir waren 17 und hatten keinen Plan, kein Geld und nichts zu Essen mit genommen. Auch keine Tampons, wie Fahtima auf dem Festival feststellte. Das wahre Abenteuer. Wir hatten eine Flasche Wein aus dem Keller meiner Eltern. Und weil wir so ungeplant, so jung und unbedarft dorthin gefahren sind, hatten wir noch nichtmal genug Geld für die Eintrittstickets dabei. Wir verkauften die Flasche Wein für 5 Mark (!) vor dem Einlass und kamen damit und unserem restlichen Geld rein.
Den ganzen Tag standen wir auf dem Festival, ich kann mich nur noch an unseren Hunger, an den Durst und diese eine australische Band erinnern, mit irgendeinen damals total angesagten Song über die Aboriginals, der in diesem Sommer rauf und runter gespielt wurde. Midnight Oil hießen die, glaube ich.
Richtig erinnern kann ich mich nur noch an David bloody Bowie, der als letztes auftrat, als es so langsam dunkel wurde. Er trug einen dunklen Anzug und bewegte sich so gut wie nicht. Seine Show war minimalistisch, um es mal positiv auszudrücken. Aber dafür war er natürlich auch bekannt. Ich bekam kaum etwas von seinem Auftritt mit. Außer von seiner Stimme und seiner Musik. Ich weiß noch, dass er Ashes to Ashes sang. Ich wartete die ganze Zeit auf Heroes, das kam aber erst in der Zugabe. Dieser verhaltene, sehnsüchte Pathos in Heroes war genau das, was in dieser Zugabe die Herzen zum Glühen brachte. Wird in Zugaben sonst immer der Pathos und Euphorie noch einmal heraus gehauen, singt David Bowie Heroes und ist dabei so voller Extase und Coolheit – es bleibt unerreicht.
Zurück von dem Festival kamen wir übrigens auch ohne Geld und mit mehr Abenteuer. Wir trampten. Mitgenommen wurden wir von einer Gruppe uns missbilligend anschauender Frauen, eine WG aus Münster. Die Frauen waren uralt, so Mitte 20 und nahmen uns nur mit, damit uns nichts passiert. Sie machten uns keine Vorwürfe, aber wir waren uns sicher, dass sie uns total bescheuert fanden. Wir schämten uns ein bisschen, waren aber dankbar für das freie WG-Zimmer und den Futon mit warmer Decke.
Am nächsten Tag lehnten wir ein Frühstück ab und liefen zum Münster Hbf. Wir bettelten (!) uns Geld zusammen mit einer Lüge, dass uns noch genau 2 Mark für das Rückfahrticket fehlten. Mit unseren Schülerausweisen war es nicht so wahnsinnig teuer, anscheinend, denn wir bekamen das Geld zusammen.
Meine Eltern haben davon nie erfahren, denn ich war ein braves Mädchen, das sowas eigentlich nicht machte. Verrückte Dinge wie einen ungeplanten Ausflug auf ein Festival ohne Geld machte ich nicht. Bis dahin zumindest.
Wer sind die Heroes meiner Jugend?
Nach dem Aufschreiben dieser Geschichte verstehe ich auch, warum ich heute Morgen geweint habe. Weil es eben so ist, dass sich solche Erinnerungen – und jetzt werde ich pathetisch – tief in meine Seele eingebrannt haben. Verbindung von Kopf und Bauch. Sowas macht die Musik.
Was ich vorher nicht wusste ist, wie tief das Gefühl für David Bowies Musik und meinen Erlebnissen mit ihr geht. Dass David Bowie einer meiner alten, ganz großen unantastbaren Helden ist, wußte ich, aber wie tief das geht, weiß ich erst heute.
Vermutlich gilt das auch für alle anderen Heldinnen und Helden meines Lebens. Auf Fragen nach meinen Lieblingsmuikern, Lieblingsautoren oder Lieblingsfotografen kann ich meistens nicht antworten. Dabei gibt es so viele, die meine Seele berührten mit ihrer Musik, Literatur, mit dem, wie sie mir begegneten als ich jung war und als alles einen Stempelabdruck hinterließ. Ich habe bis heute 43 Jahre lang gebraucht, um die Frage, „Wer sind die Heldinnen und Helden Deiner Jugend“ zu verstehen. Ich glaube, ich könnte diese Fragen nach Lieblingsautor, Lieblingsbuch, Lieblingsfilm, Lieblingsphilosphie – Fragen also, die ich noch nie beantworten konnte – immer noch nicht konkret beantworten. Aber ich könnte sie einkreisen und jede dieser eingekreisten Personen, jedes Kunstwerk, jede Musik mit einem Gefühl, mit einer Erfahrung, mit einer Prägung meinerseits verbinden.
Abschied nehmen: Give a little peace of your heart
Meine Tochter hat mich am Wochenende gelehrt, welche Strategien man entwickeln kann, um mit Gefühlen und Trauer umzugehen. Sie hat aus eigenem Wunsch und ohne, dass es in dieser Familie dafür ein Vorbild gäbe, der Uroma im Himmel ein besonders schönes Bild gemalt und es ihr ans Grab gebracht. Das Bild war bunt und wundervoll: krakelig, unbeholfen aber ganz unmittelbar und echt. Sie hat der Uroma etwas von sich gegeben. Darum habe ich meiner David Bowie Liebe heute diesen Blogtext geschrieben.
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There’s a starman waiting in the sky
Hed like to come and meet us
But he thinks he’d blow our minds
There’s a starman waiting in the sky
Hes told us not to blow it
Cause he knows it’s all worthwhile
He told me:
Let the children lose it
Let the children use it
Let all the children boogie
Fly on, bluebird. Be free.
Eine tolle Geschichte!!
Das ist ja wiedermal ein klasse Text von Dir! Ich bin & war zwar nicht so ein David Bowie Fan wie Du, aber 17 war auch bei mir das abenteuerlustigste Alter, obwohl ich sonst so brav war :-)