Gastbeitrag von Rahel vom Blog Mama denkt. Heute geht es um bedürfnisorienterte Erziehung und wie unsere Kinder das manchmal besser können als wir selbst. Von wem haben sie das bloß und was habe ich als Mutter da versäumt. Spannender Text!
Heute schreibt Rahel für uns, worüber ich mich sehr freue. Ich kenne sie von Twitter gefühlt schon seit Ewigkeiten und freue mich daher ganz besonders, dass sie mit so einem spannenden Text zum Thema Bedürfnisorientierung und was wir uns dabei von unseren Kindern abschauen können, dabei ist.
Mama denkt:
„Von Haus aus Sozialpädagogin, habe ich vor ein paar Jahren mit dem Bloggen begonnen. Nachhaltigkeit und Minimalismus sind die Themen, die mich umtreiben. Auch ein Leben in Achtsamkeit und liebevoller Zugewandtheit zu meinen Kindern hatte durch den Minimalismus viel mehr Raum und Zeit. Entweder unterwegs im Netz oder aber draußen im Garten, an der Luft, am Meer oder in Beziehung zu anderen Menschen – bin ich tatsächlich viel unterwegs.“
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Spieglein, Spieglein an der Wand – was Kinder sich abgucken oder auch nicht
Kennt ihr den Moment, in dem ihr vor eurem Kind sitzt und plötzlich damit konfrontiert seid, wir „streng“ ihr doch manchmal oder häufig oder oft seid? Ihr spielt gemeinsam in seinem Zimmer mit der Spielküche, quakt das Kleinkind oder auch das Kindergartenkind nach, weil euer Sohn unbedingt Mama spielen wollte und statt bei eurem inszenierten Geplärre auszurasten, sorgt er sich ganz liebenvoll um euch?!?
Mir geht das jedes Mal so, wenn wir zusammen im Kinderzimmer sitzen und „Mutter, Vater, Kind“ in veränderten Rollen spielen. JE-DES-MAL sitze ich da und staune über die Zugewandtheit und Bedürfnisorientierung meines Kindes. Davon kann ich noch so viel lernen. Ich möchte mal mutmaßen, dass er ein Paradebeispiel für eine adäquat umgesetzte bedürfnisorientierte Erziehung vorlebt.
Bedürfnisorientierte Erziehung
Kann mein Kind. „Besser als ich“, so geht es mir häufig durch den Kopf. Klar: ohne Konzept, ohne Methoden, ohne bewusst ausgesprochene Leitlinien. Aber mit den entscheidenden Zielen: Bindung, Beziehung und Bedürfnisorientierung.
Folgendes Beispiel: Wir spielen Mutter – Vater – Kind. K3 will unbedingt Papa sein, K2 die Mama und ich spiele das Kind. Natürlich klein, natürlich ein bisschen so, wie ich es von meinen Kinder gelernt habe. Und ja, ich will die Dinge, die sie sonst auch wollen. Gummibärchen zum Mittagessen, keine Zähne putzen, jetzt sofort.
K2: Hier ist eine Suppe für dich.
Ich: Ich will Gummibärchen essen.
K2 stutzt, dann: Okaay. Hier hast du Gummibärchen.
Ich: Und Pudding.
K2: Okaay. Mach ich dir.
Ich: Und niemals nicht putze ich meine Zähne.
K2: Ja, mein Kind. Musst du nicht. Heute machen wir das nicht.
Wisst ihr, ich möchte darüber kein pädagogisches Urteil fällen. Zudem gehe ich davon aus, dass jeder dieses Verhalten irgendwie anders interpretieren wird. Unabhängig davon, wie diese Interpretationen ausfallen, ich bin jedesmal erstaunt, welchem Ziel mein Kind den Vorrang gibt.
Zucker ist nicht nur ungesund, er macht krank
Ja, mein Kind kann a) die Konsequenzen seines Handelns noch nicht überblicken (faulige, schmerzende Zähne) und hat b) noch nicht den Erfahrungsschatz und die Infos, die ich die vergangenen drei Jahrzehnte sammeln konnte (Dokus hinsichtlich Zucker und so weiter und so fort). Klar, bin ich was das angeht im Vorteil. Doch das Verhalten meines Kindes ist zutiefst beziehungsorientiert und von Liebe bestimmt. Sein erstes und oberstes Ziel ist es, eine Beziehung zu mir zu haben. Egal ob als Mama oder als gespieltes Kind, es geht darum eine liebevolle Bindung zu mir umzusetzen. Zähne sind da nicht essentiell, so schlimm sich das in unseren erwachsenen Ohren anhören mag. Bei ihm bekomme ich meine Gummibärchen und Zähne putzen ist nicht relevant. Das sind die Prioritäten meines Kindes.
Wie setze ich als Mutter meine Prioritäten, wenn Gummibärchen gefordert werden? Ja, es macht einen Unterschied, ob wir gerade beim Mittagessen sitzen oder nachmittags nach dem Spielen nach was Süßem gefragt wird. Für uns macht das einen Unterschied. Für unsere Kinder erstmal nicht. Ich persönlich finde, es macht Sinn, ihnen diese Unterschiede vor Augen zu führen.
Allerdings macht es Sinn, in Liebe und mit viel Zuwendung diese Unterschiede zu vermitteln. Und ja, das Kind wird nicht immer mit Zustimmung reagieren. Tun wir das, wenn der Chef von uns etwas verlangt, was sich uns nicht erschließt oder in dem wir keinen Sinn sehen? Der einzige Unterschied ist doch, dass wir gelernt haben, diesen Unfrieden darüber, unsere fehlende Zustimmung situationsgerecht zu äußern und uns nicht schreiend auf den Boden zu werfen. Schließlich wissen wir um mögliche Reaktionen, können einschätzen. Diese Fähigkeit, das Einschätzen und Einordnen, müssen Kinder erst noch erlernen. Dabei macht es einen Unterschied, ob ich Mutter oder Arbeitgeber bin. Klar, natürlich. Aber wie gesagt: Ich bin Mutter. Ich bereite mein Kind nicht auf seinen Beruf in 15 Jahren vor, sondern habe zum Ziel, es zu einer starken Persönlichkeit begleitet zu haben.
Ich selber merke gerade, wie abstrakt dieser Text hier plötzlich wird. Was ich sagen will: Ich glaube nicht, dass unsere Kinder uns an der Nase herum führen wollen. Sie wollen uns nicht ärgern, indem sie anderer Meinung sind. Sie wissen es nicht anders und dürfen diese Unterschiede erst entdecke und an uns Verhaltensmuster oder -möglichkeiten abgucken, die Sinn machen.
Unsere Kinder sind auch Spiegel von uns selbst
Dass sie sich Dinge von uns abgucken und uns letztlich eigene mitunter fiese Verhaltensweisen spiegeln, beobachte ich in den Momenten im Kinderzimmer gleichermaßen. Zuerst wollte ich sagen: Leider. Doch ehrlich gesagt, bin ich ganz froh drum.
Wenn die beiden Minis sich unterhalten und K3 nimmt etwas in die Hand, was K2 nicht möchte, dann kann es schon mal tönen: „Leg das SOFORT wieder hin!“ Nun ja, es war die gleich Betonung und Lautstärke, wie ich sie zuvor im Wohnzimmer genutzt hat. Das hat mich in dem Augenblick tatsächlich irritiert und noch vielmehr: Es tat mir leid. Ich will einfach nicht, dass wir hier so miteinander reden. Dass wir uns mal streiten, ok! Gehört dazu. Auch mal laut, auch mal so, dass wir alle voneinander genervt sind. Hauptsache wir kriegen uns irgendwann (möglichst schnell) wieder ein und sind freundlich mit- und zueinander. Doch dieser herrische Tonfall im Alltag, der sich durch Müdigkeit und zu viele Aufgaben eingeschlichen hatte, der wäre mir sonst vermutlich erst sehr viel später aufgefallen. Daher kann ich das „Leider.“ durchstreichen und bin sehr froh, im Kinderzimmer beim gemeinsamen Spiel die unverblümte Wahrheiten unseres Zusammenlebens zu erfahren.
Die Herausforderung von liebevoller Zugewandtheit
Wie ich finde ich das jetzt?
In den vergangenen Wochen und Monaten ist viel bei uns Zuhause geschehen. Angefangen von einem Burnout des Ehemanns über den Wiedereinstieg in meinen erlernten Beruf als Sozialpädagogin bis hin zum Gestalten unseres großen Gartens und das Übernehmen der ein oder anderen Aufgabe seitens der Schule der Kids. Soweit so gut. Der Ton in unserer Familie hat sich daher auch immer mal verändert. Ja, das Burnout hat viel Kraft gekostet. Wir sind alle auf dem Zahnfleisch gekrochen und meine Geduld und Gelassenheit hat an vielen Stellen nicht ausgereicht. Oft gab es Abende, an denen ich ins Bett bin und furchtbar unglücklich darüber war, wie ich meinen Kindern geantwortet habe. Wie ich mich in meiner Erschöpfung nicht mehr zuwenden konnte.
Oft fällt es mir heute, ein Jahr später noch schwer, ruhig zu bleiben, wenn jedes meiner Kinder gleichermaßen versucht, seinen eigenen Willen umzusetzen. Manchmal ohne Rücksicht auf Verluste. Alle sind insgesamt noch dabei zu sortieren, wann welche Priorität zu setzen ist. Wann bin ich wichtig? Wann bestehe ich auf meinen Willen? Wann ist der Wille des großen Ganzen entscheidender? Wann geht es darum, sich selber mal zurückzustellen, weil die Familie oder ein anderes Familienmitglied jetzt mal Vorrang hat? Ich habe dabei Situationen vor Augen, wie wir gemeinsam am Essenstisch sitzen und alles schreit durcheinander, weil jeder sein Bedürfnis als erstes gestillt haben will.
K1 will vom Nachmittag beim Kumpel berichten.
K2 braucht sofort unbedingt was zu trinken.
K3 ballert den Riesenflummi in das volle Glas Apfelsaft und bricht in lautes Gebrüll aus.
Alles gleichzeitig.
Ja, dann komme ich an meine Grenzen. Dann fällt es mir schwer nicht gereizt und überfordert zu sein und dementsprechend ruhig und freundlich zu bleiben. Ich werde dann mal herrisch und laut und meines Erachtens auch zu streng. Ich fühle mich hilflos, weil einfach rausgehen aus dem Raum in den Momenten so gar keine Handlungsalternative darstellt. Also, was tun?
Wirken lassen
Ich nutze die Zeiten im Kinderzimmer inzwischen sehr bewusst, um mir Auszeiten zu schaffen und mir und meinen Kindern die Möglichkeit des Aufatmens zu geben. Meine Spielanleitung für diese Gelegenheiten, sieht dann ganz oft so aus:
Nimm dir Zeit.
Setz dich hin. (am besten mitten ins Spielzeug auf den Boden)
Beobachte. (deine Kinder, das Spiel)
Staune,
über deine Worte und Sätze, die du tagtäglich wählst,
die Sätze, die dein Kind für dich hat.
Und dann wählst du aus,
was gut für euch ist. “
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