(Triggerwarnung: Probleme in der Schwangerschaft, Chromosomendefekt, Fehlgeburt und Abtreibung werden thematisiert)
Ein Gastbeitrag, der sehr traurig ist. Aber manchmal ist das Leben einfach unerbittlich und auch das hat Platz auf meinem Blog. Was tun, wenn das heißersehnte und geliebte Baby im Bauch einen Chromosomendefekt hat, so dass es nicht überlebensfähig sein kann. Wie kann ich das als Mutter, als Eltern überhaupt verarbeiten. Und was tun? Ist Abtreibung eine Option? Diesen Fragen musste sich noch vor gar nicht so langer Zeit meine Gastautorin Lady Bug stellen.
Ich weiß, dass Texte zum Thema Abtreibung schwer und belastend sind. Abtreibung ist noch immer ein Tabu-Thema, Chromosomendefekt des Babys ebenfalls. So etwas berührt uns alle tief und wühlt auf. Und dennoch sind Beiträge wie dieser wichtig. Vorallem, weil dieser Text uns Einblicke gibt, welche Reaktion und Hilfe sich Eltern in einer solchen Situation von Familie und Freunden wünschen würden.
Der Beitrag stammt von Lady Bug, die Ihr hier auf Twitter finden könnt. Vielen Dank für Deinen Text, liebe Lady Bug.
—
Die schwerste Entscheidung meines Lebens
Dieser Text ist schwer für mich, aber das ist auch kein Wunder: Auch das Thema war und ist schwer. Genauer gesagt: Mit großem Abstand das schwerste in meinem Leben. Es geht um mein Baby, mein lange ersehntes und heiß geliebtes Baby, das schwer krank war und noch in der Schwangerschaft gestorben ist. Das ist furchtbar genug und mit sehr vielen schrecklichen Details verbunden, die ich euch lieber erspare. Mir geht es hier aber um ein Thema, das ich als besonders belastend empfunden habe: die Frage nach einer Geburtseinleitung.
Zur Situation: In der 17. Schwangerschaftswoche fiel zum ersten Mal auf, dass unser Baby eindeutig zu klein war. In der 18. Woche stand fest: Da ist etwas ganz und gar nicht in Ordnung. Was es war, wusste zu dem Zeitpunkt noch niemand, das war dann erst in der 20. Woche so richtig klar: Triploidie, ein Chromosomendefekt, der gleichzeitig ein Todesurteil ist. Nur eines von 50.000 Kindern mit dieser Diagnose überlebt die Schwangerschaft, und auch dann höchstens für wenige Minuten oder Stunden. Lebensfähig ist ein Kind mit dieser Diagnose nicht, schon gar nicht, wenn schon so früh in der Schwangerschaft auffällt, dass etwas nicht stimmt.
Ausnahmesituation und die schwerste Entscheidung unseres Lebens
Wie man mit so einer Diagnose weiterleben soll, ist zunächst einmal unvorstellbar. Ich hatte ein Kind im Bauch, das sterben würde, ich wusste nur nicht genau, wann. Und ich würde dieses Kind in einer (fast) normalen Geburt zur Welt bringen müssen, wovor ich furchtbare Angst hatte. In Erfahrungsberichten las ich, dass manche Babys nach einer so frühen Diagnose noch bis in die 30. Schwangerschaftswoche oder darüber hinaus gelebt haben. Noch zweieinhalb Monate oder mehr mit einem sterbenden Baby im Bauch leben? Noch zweieinhalb Monate diesen Schmerz und diese Angst aushalten? Dem Bauch beim Wachsen zusehen und die Glückwünsche von anderen Menschen entgegennehmen, in dem Wissen, dass es kein Glück geben wird? Meinem großen Kind, das mit seinen elf Jahren natürlich alles mitbekommt, die Unsicherheit, die Angst und den Schmerz ebenfalls über so eine lange Zeit zumuten? Ich hatte keine Ahnung, wie ich das überstehen sollte. Ich aß tagelang so gut wie nichts und stand fast eine Woche nicht aus dem Bett auf. Ich hasste mich und meinen Körper, der mir diese Situation zumutete, zutiefst. Ich zerfleischte mich innerlich selbst in Schmerz, Verzweiflung, Angst, Zorn und Selbsthass. Und gleichzeitig mussten mein Mann und ich eine Entscheidung treffen: Leiten wir die Geburt ein oder lassen wir das Kind von selbst sterben, wenn es so weit ist?
Ich hatte Glück: Wir hatten sehr verständnisvolle und zugewandte Ärzte, die uns mit viel Zeit und Gefühl berieten und uns niemals in die eine oder andere Richtung drängten. Das ist bei vielen Paaren in einer ähnlichen Situation anders. Wir wussten: Wir haben die medizinische Unterstützung für beide Wege.
Unterstützung für beide Wege? Nicht von jedem.
Im direkten Umfeld sah das leider teilweise anders aus. Ganz besonders meine Mutter machte mir das Leben schwer. Nicht, dass sie uns nicht unterstützen wollte, im Gegenteil. Aber für sie gab es keine Situation, in der eine Abtreibung gerechtfertigt wäre (inzwischen sieht sie das ein wenig anders), und es war für sie nicht vorstellbar, dass wir uns vielleicht anders entscheiden könnten. Sie schlief nächtelang nicht, weil sie es so schrecklich fand, dass ihre Tochter vielleicht abtreiben würde. Und ich litt noch mehr, weil ich wusste, was ich ihr im Falle einer Geburtseinleitung zumuten würde.
Gleichzeitig wusste ich selbst überhaupt nicht, was richtig und was falsch war, genauso wenig wie mein Mann es wusste. Hätte man mich vier Wochen früher gefragt, unter welchen Umständen für mich eine Abtreibung infrage käme, hätte ich gesagt: „Unter gar keinen.“ Aber das Ausmaß des Leides, das man in einer solchen Situation empfindet, ist einfach nicht vorstellbar, wenn man es nicht selbst erlebt. Dazu kommen noch Gedanken wie: Empfindet mein Kind Schmerzen? Hat es Todesangst? Tue ich ihm überhaupt einen Gefallen, wenn ich sein Sterben noch länger hinauszögere? Auf solche Fragen gibt es natürlich keine Antwort, aber sie haben mich fürchterlich gequält. Ich wusste einfach nicht, was für mich, meinen Mann, unsere große Tochter oder das Baby der bessere Weg ist: aushalten und abwarten oder den Zeitpunkt des (ohnehin unausweichlichen) Todes mitbestimmen? Eine solche Entscheidung treffen zu müssen, das wünsche ich meinen ärgsten Feinden nicht.
Ich habe ein paar Bitten an euch:
Ich schreibe das alles nicht, weil ich Mitleid heischen möchte. Ich schreibe es vor allem deshalb, weil ich erst vor Kurzem einen Text gelesen habe, der mich sehr getroffen hat. Es war ein offener Brief von einer Frau, die Freunde in einer ähnlichen Situation überreden wollte, nicht abzutreiben. Das geschah in bester Absicht und dem guten Willen, sie vor einem vermeintlichen Fehler zu bewahren, aber für mich war trotzdem jeder Satz ein Schlag ins Gesicht. Falls ihr in eurem Freundes- oder Familienkreis mit einem Paar konfrontiert seid, das gerade dabei ist, ein Baby zu verlieren, habe ich deshalb ein paar Bitten an euch:
- Auch wenn ihr sehr einfühlsam seid: Glaubt nicht einen Moment lang, ihr könntet euch vorstellen, wie die werdenden Eltern sich fühlen. Das könnt ihr nicht. Seid froh und dankbar dafür.
- Seid euch sicher: Niemand trifft die Entscheidung für eine Abtreibung leichtfertig. Jedes werdende Elternteil wird sich unfassbar viele Gedanken darüber machen. Traut uns zu, dass wir uns informieren. Wir denken doch sowieso an nichts anderes.
- Aussagen wie „Ihr tötet euer Kind“ oder womöglich sogar Vokabeln wie „umbringen“ oder „Mord“ solltet ihr euch einfach verkneifen. Seht es für euer Seelenheil mal so: Wenn ein Mensch an einer Herz-Lungen-Maschine hängt und alleine nicht mehr lebensfähig ist, schaltet man irgendwann die Maschinen ab, damit der Mensch in Frieden sterben kann. Eine Gebärmutter ist nichts anderes als eine Herz-Lungen-Maschine: Sie hält einen kleinen Menschen am Leben, der alleine nicht dazu in der Lage wäre. Warum sollte man diese „Beatmung“ nicht auch abschalten dürfen, zumal ja auch noch die Gesundheit der Mutter mit im Spiel ist?
- Egal, ob man seinem Kind beim langsamen Sterben zusieht oder den Zeitpunkt für einen schnelleren Tod mitbestimmt: Unversehrt geht man aus einer solchen Situation nicht heraus. Bitte maßt euch nicht an, darüber zu urteilen, was das größere oder kleinere Trauma wäre. Das ist eine sehr individuelle Sache.
- Was die werdenden Eltern jetzt brauchen, sind Menschen, die sie wirklich unterstützen. Die den Schmerz mit ihnen teilen. Die ihnen Vertrauen aussprechen, dass sie den richtigen Weg für ihre Familie finden werden. Die ihnen – wenn gewünscht – liebevoll helfen, herauszufinden, was sie wollen und was gut für sie ist.
- Was sie nicht brauchen: Menschen, die ihnen zusätzlich ein schlechtes Gewissen machen und damit ihr Leid vergrößern, auch wenn es noch so gut gemeint ist.
- Deshalb: Wenn ihr der Meinung seid, Abtreibung wäre niemals in Ordnung, dann behaltet diese Meinung im Zweifel lieber für euch. Es gibt kein Richtig und kein Falsch bei einer solchen Entscheidung, nur zwei schreckliche Möglichkeiten.
Falls ihr wissen wollt, wie es bei uns ausgegangen ist
Wir haben uns entschieden, das Baby in seinem eigenen Tempo gehen zu lassen. Zwei Tage später haben wir erfahren, dass es schon gestorben war. Wir haben uns gegen eine Einleitung entschieden, aber ob das die richtige Entscheidung war? Ich weiß es nicht. In unserem Fall ging es ja dann sehr schnell, dafür bin ich dankbar. Wie wir es hätten überstehen sollen, wenn sich das Sterben noch sechs, acht oder zehn Wochen hingezogen hätte, das weiß ich nicht. Ich hatte Glück, dass ich es nicht herausfinden musste.
Ein berührender und wichtiger Text. Leider gibt es immer noch viel zu viele Tabus rund um das Thema Elternschaft mit Kindern mit Behinderungen. Das fängt vorgeburtlich an und hört auch nicht auf, wenn man ein behindertes Kind hat.
Zu viele Menschen, sind leider nur dazu in der Lage – und sei es aus Hilfslosigkeit gegenüber der Situation oder Unwissen, RatSCHLÄGE zu verteilen.
Dann lieber mal die Klappe halten.
Ich weiss nicht, was schreiben, aber möchte mich nicht unkommentiert wegklicken.
Mein herzliches Beileid am Familie Lady Bug und danke für diesen offenen, berührenden Text.
<3
Ein sehr schöner Artikel, der mich zurück versetzen lässt. Seit langem überlege ich in meinem Blog von meiner Erfahrung zu schreiben – was mich hindert ist die Angst vor den aufkommenden Gefühlen. All die Kommentare der Verwandten, Bekannten und Freunde…. Sehr mutig von Dir