Letztens auf der Portobello Road fiel mir auf, dass alles ein Kreislauf ist. Der Kreislauf der Veränderung nämlich. Und das hat auch etwas damit zu tun, Mutter zu sein.
Vor 22 Jahren lebte ich in London, ich studierte und alles war aufregend und gut. Das war 1995/96, so jetzt isses raus. You do the math.
Oasis waren groß, Britpop war DAS Ding und auf der Portobello Road gab es Plattenläden und Flohmarkt für die Londoner, Mangos, Chilis und Fisch für die Migranten aus der Karibik und die Menschen von der Straße sowie Antikläden für die Touristen. Selbstverständlich gab es schon überteuerte Restaurants mit schickem Essen, auch ein paar Cafés, aber für guten Cappuccino musste man damals noch eher Bescheid wissen, wohin gehen.
Heute ist das natürlich alles anders. Es gibt guten Kaffee auf der Portobello Road, wirklich guten. Und Smoothies. Und Juices. Es gibt noch mehr überteuerte Restaurants und – genau – Mangos, Chilis, Fisch und Gedöns für die Londoner sowie Antikläden für die Touristen. Die Touristen haben mittlerweile auch den Flohmarkt entdeckt und es gibt unzählige Food-Trucks mit Street-Food aus aller Welt für halbwegs bezahlbare Preise an einer Stelle gegenüber, von der ich nicht mehr weiß, was da vorher eigentlich stand. Es gibt noch genau einen Plattenladen, der aber nur noch Vinyl-Cafe heißt. Die Platten dort sind Dekoration. Dafür gibts dort laute Musik und guten Cappuccino.
Was wurde ich gewarnt vor der Portobello Road!
Da ich damals um die Ecke wohnte, was in London alles zwischen einem 10-40 minütigen Fußmarsch bedeuten kann, war mir der Besuch in der Gegend und auf der Portobello Road ein Anliegen. Es habe sich alles verändert, sagte man mir. Sie sei nicht wieder zu erkennen und habe ihren Charme verloren, hieß es. Gentrifizierung! Einself. Die „echte“ Portobello Road gäbe es nicht mehr. Dafür gäbe es jetzt Starbucks (schlechte Kaffee gibts halt immer noch, nur in neuem Gewand) und überhaupt, alles nur noch für die Touristen!
Ich hatte wirklich Respekt davor, meiner sentimentalen Erinnerungen beraubt zu werden und nichts mehr wieder zu erkennen. Es kam aber anders.
Es sieht alles noch haargenau so aus. Haargenau. Nur anders
Die Flohmarktstände bestehen immer noch aus diesen Stahlgerüsten und Plastikfolie obendrauf, es riecht an den Ständen immer noch nach Patchouli, es gibt Ringe im nepalesischen Dekor sowie nach der brandaktuellen Ringmode, die man auch auf Instagram sieht. Es wird entweder von Pakistani verkauft, von schrulligen älteren englischen Ladies oder coolen Szene-Schicksen. Und alle sind freundlich und können verkaufen. Briten halt, you’ve got lo love them.
Ja, ich habe den Starbucks gesehen, auch die überteuerten Klamotten- und Tüddelläden für Mamas und ihre Kinder, die Designerläden, den schicken Schuhladen und die zahlreichen Restaurants und Cafés mit guten Capuccino, für den man wirklich nicht mehr weit gehen muss.
Sentimental erinnern konnte ich mich zuhauf, denn die Leute sahen noch genauso aus, wie damals, die Häuser auch, nur die Plattenläden waren weg. Vermutlich sind genau dort die Restaurants eingezogen.
Cha Cha Cha Changes!
So ist das eben. Changes! Man könnte auch sagen: alles ist im Fluss. Das Leben ist Veränderung. Der Jugend von heute ist es schnurz, ob wir uns damals über die Album-Art in den Vinylplatten gefreut haben, die damals nur „Platten“ hießen. Oder CDs gehört haben, oder schlechten Kaffee tranken und billig einkauften und alles in Gratis-Plastiktüten nach Hause schleppten. Heute verkauft auch Tesco’s Jutebeute und für die Touristen gibt es eine Portobello Road Edition für schlappe 7 Pfund. Der Cappuccino kostet übrigens 2,80.
Die Jugend von heute. Schlimm…
Vermutlich hätten die Beatniks der 60er sich in den 90ern über die CD-Läden geärgert, es unfassbar gefunden, dass sie jetzt auch auf den Flohmarkständen verkauft werden, hätten internationale Kost wie Mango abgelehnt, schließlich haben Baked Beans auch Vitamine und alle Läden jenseits von 1979 für untypisch Portobello Road befunden.
Wisst Ihr, was ich meine? Nur weil die Dinge sich verändern, geht nicht sofort etwas verloren. Etwas zu präservieren ist doch viel eher eine traurige, tote Angelegenheit. Leben ist, wenn es sich verändert, wenn „die Jugend“ neue Dinge tut, die Ältere nicht (sofort) verstehen und auch, wenn die Jugend sich in ganz anderen Gegenden, auf ganz anderen Straßen und an anderen Orten niederlässt. Der Kreislauf ist nicht, dass alles wiederkommt, der Kreislauf ist, das es anders wird. Immer wieder. Der Kreislauf ist die Veränderung und das Neue, für jede Generation neu, manchmal sogar für jede Saison.
Ich mache als Mutter heute Dinge bewußt anders, die meine Eltern noch ganz normal und sogar fortschrittlich fanden. Meine Kinder werden spätestens in der Pubertät Entscheidungen treffen, die ich nicht verstehen kann.
Falten und kulturelle Codes
Die Jugend von heute macht Sachen, die wir nicht mehr lesen können, weil wir entweder die kulturellen Codes nicht kennen. Schlimmstenfalls erkennen wir noch nicht mal, wo welche Codes drin stecken. Noch sind meine Kinder klein und diese Herausforderung ist noch nicht besonders groß. Aber gedanklich rüste ich mich mit dieser Erkenntnis schonmal für die Pubertät. Ich will nicht herummäkeln und mir „Musik von Hand gemacht“ loben, auch wenn ich das Gejaule vermutlich nicht ertragen kann. Ich will auch nicht den Niedergang der Jugendkultur oder den Tod des Punk Rock n Roll erklären, nur weil ich blind und taub für die aktuellen Codes geworden bin. Mark my words – und erinnert mich bitte daran.
Was ich als störende amerikanische Kaffeekette erkenne und als untypisch für die Portobello Road empfinde, trägt vermutlich gar nichts dazu bei, ob sie noch ein Hub an Popkultur, kultureller Fusion, Touristenattraktion und Wochenendrefugium für die Anwohner sein kann – oder auch nicht. Letztendlich ist es sogar egal, ob die Jugend von heute genau die Portobello Road als Ort für sich begreift oder nicht.
Wichtig zu erkennen war für mich auf diesem Spaziergang, dass ich erstens älter geworden bin und Falten habe. Zweitens, dass die Jugend schon immer gemacht hat, was sie will und drittens, dass das auch gut so ist. Und dass ich, viertens, diesen Hub an kultureller Interaktion der Portobello Road – und sei sie auch in bisschen inszenierter als früher – immer noch erkennen konnte. Neue Errungenschaften wie Food Trucks und guter Cappuccino stören mich da wenig. Manch coole Beatniks aus den 60er haben vielleicht noch heute ihren Flohmarkstand, haben meine 90er überlebt und trinken heute, 22 Jahre später, ihren neumodischen Smoothie, den es zu ihrer Zeit noch nicht gab. So bloody what?!
The Making of…
Und da ist sie, die Portobello Road: