Freundinnen der guten Unterhaltung, ich hab unten ein paar sehr wunderbare Lesetipps für Euch. Das hier wird nur ein kurzer, kleiner Kommentar auf die – ja wirklich – Adventskalenderbasteln-Debatte im Netz.
Es geht hoch her in Elternbloggerhausen. Denn wer öffentlich Adventskalender bastelt, übt Druck aus auf andere Eltern. Wer Konsumkritik an 24 kleinen Geschenken ausübt, ist übertrieben und nimmt Heroin – oder ist bestenfalls ironisch. Oder? Da sind Diskussionen, ob man den Text von frau ruth: rotwein, vielleicht ernst nehmen darf oder nicht, oder vielleicht an einzelnen Stellen aber an welchen? Ob dasnuf: #bastelgate lustig ist und Wahrheit spricht oder er bevormundend kritisiert, ob Frau Bruellen: Reibungspunkte entspannt ist oder einfach nur weiter Mommy Wars mit ihrer langen Liste befeuern will und so weiter, die Debatte tobt. Die weiteren Texte (siehe unten) habe ich noch nicht gelesen, das mache ich nach dem Schreiben hier.
Denn vorher muss folgendes raus:
„NICHT EUER ERNST, ODER?“ und „I FEEL YOU!!!“ Ich stehe zwischen allen möglichen Stühlen. Wie so oft. Weil erstens habe ich mich in den letzten vier Jahren regelmäßig damit beschäftigt, ob Adventskalender, gebastelt (sehr schnell klares nein meinerseits), ob 24 kleine Päckchen für 2 Kinder, 48 Päckchen für 2 Kinder oder Schokikalender vom Supermarkt am besten sind. Ich habe auch über das Plätzchenbacken und den Perfektionsimus nachgedacht, um das Thema kurz auszuweiten, denn vom Prinzip her ist es das Gleiche.
Aber was ich eigentlich sagen will
Und zweitens finde ich: Diskutiert, wenn Ihr wollt. Kritisiert, schreit raus, was Euch nervt, macht deutlich, warum es Euch stört, wenn andere öffentlich gefühltes Bullerbü vorleben. Aber lasst sie machen. (Denn vielleicht ist es nur Bullerbü, weil Ihr es so fühlt, nicht, weil es das ist). Beschreibt Euer Gefühl, aber macht andere nicht runter, wenn sie gerne basteln, gerne kochen, backen, die Familie betüddeln, das unter Geborgenheit verstehen, unter Spaß oder einfach nur unter Schokisucht.
Tatsächlich finde ich beispielsweise 24 kleine Geschenke in der Vorweihnachtszeit für 1 Kind leicht bis sehr konsumistisch und ich mag das nicht. Aber ich finde nicht (mehr), dass alle anderen, die das schön finden, in die Konsumfalle tappen. Ich finde nicht, dass Bastelnde neobiedermeiern und Adventskalenderbasteln nur ein Luxusproblem unter finanziell Privilegierten ist. Auch Obstmandalas beeinträchtigen meine Sonntagsruhe nicht mehr, obwohl, vielleicht ein kleines bisschen.
Das Private, das Politische und das Peinliche
Was mir diese Diskussion zeigt. Das Private ist politisch und darum ist es relevant, was hier anlässlich der Adventskalenderbasteldebatte geäußert wird: In allem, was Mütter tun (und ja, hier geht es insbesondere um Mütter und der Druck, der auf ihnen lastet) sind sie kritisierbar. Basteln sie nicht, sind sie lieblos, basteln sie, neobiedermeiern sie und befeuern damit Mommy Wars. Diskutieren sie über das Thema, sind sie unsolidarisch. Und so weiter. Das, was Mütter tun, ist privat und soll es auch bleiben. Kommt es ans Licht, wird es lächerlich gemacht, nicht ernst genommen. Dagegen müssen anscheinend auch die Diskussionsbeiträge in den Blogs und auf Twitter ankämpfen, denn sie versuchen mit Witz, Übertreibungen und Erklärungen dagegen anzuschreiben. Da wird ernst genommen und ermahnt, beruhigt und gestritten, aber es wird auch der Kopf geschüttelt, zwischen den Zeilen und fast wortwörtlich.
Das Private ist politisch, weil der Druck, den ein gebastelter Adventskalender auslösen kann, eine öffentliche Netz-Debatte wird. – Wenn auch ein Sturm im Wasserglas von Elternbloggerhausen. – Immerhin ein Sturm, der es wert ist beachtet und gehört zu werden. Denn was der Sturm für mich sagt, in all seinem Witz, seiner Klugheit, seinen Beruhigungsversuchen: Es macht etwas mit einigen von uns, wenn andere etwas tun. Es bedeutet einigen etwas, wenn andere etwas tun, das sie selbst nicht tun. Sie fühlen sich genötigt zu kritisieren oder sich zu rechtfertigen. Warum ist das so?
Für mich war einer der Selbsterkenntnisse meiner ersten Jahre als Mutter auf Fragen wie diese: Warum fühle ich mich schlecht, wenn Andere liebevolle Wimpelketten über das Babybett basteln, warum fühle ich mich ungenügend, wenn sie liebevoll Fotobücher gestalten und warum überlege ich jedes Jahr aufs Neue, ob dieses Jahr ein Geschenkalender sein soll oder doch lieber nicht?
WEIL wir uns ständig hinterfragen und kritisieren. Weil wir uns nicht zutrauen, richtig und vollwertig zu sein, auch wenn es Andere anders machen. Weil wir Angst haben, Fehler zu machen, falsch zu sein, die eigene Meinung nicht wert zu sein. Ja, das ist überspitzt ausgedrückt, aber im Kern ist es das für mich.
Müssen wir uns rechtfertigen, und wenn ja, vor wem?
Wer Rechtfertigungsdruck verspürt, hat vermutlich Recht damit. Denn Frauen* müssen wir sich ständig rechtfertigen. Wir sind das so gewohnt. Ist der Rock zu kurz, der Ausschnitt zu brav, die Mutti zu geschminkt und gestylt, ist das Kind zu verschmiert oder gar ständig zu schick, wird nicht selbst gekocht oder gar mit Pumps auf dem Spielplatz gegangen? Wenn etwas ist, wir sind es in jedem Fall schuld. Mit der Mutterschaft potenziert sich das noch.
Wer diesen Druck nicht verspürt, herzlichen Glückwunsch. Wirklich. Ich fühle ihn bei Adventskalendern nicht mehr, aber es gibt viele andere Dinge, da merke ich ihn immer wieder.
Das Private ist politisch und das Private ist nicht peinlich. Es sind nicht einzelne, kleine Probleme, die individuell gelagert sind und hinter geschlossenen Türen geregelt werden sollten. Das gilt übrigens auch für die aktuelle #Systemkrank-Debatte. Es ist nicht individuell, es ist nicht nur privat, es ist nicht lächerlich und es ist nicht unwichtig, was Eltern und insbesondere Mütter erleben und denken.
Das Private ist politisch, auch wenn es für manch einen unverständlich, lustig oder gar peinlich ist. Das Private ist politisch, auch wenn es weh tut.
Da das Private politisch ist, weil relevant und wichtig, lasst uns diskutieren, zuhören und stehen lassen, was die Andere sagt. Auch wenn wir es so nicht empfinden. Lasst Kritik nicht persönlich werden, wertet Andere nicht ab, weder im Witz noch konkret. Und bastelt, kauft, verweigert oder sonstwas.
Do what the fuck you wanna do. With love. (Ende der Durchsage).
Und darauf jetzt einen großen Schluck Rotwein, auch wenn die Kinder noch nicht im Bett sind. Das mache ich öfter mal, abends, ich bin nämlich schon erwachsen und darf Rotwein trinken. Ist aber wieder ein anderes Thema.
Cheers!
Die Texte Adventskalender-Debatte
- frau ruth: rotwein, vielleicht
- dasnuf: #bastelgate
- Frau Bruellen: Reibungspunkte
- Cloudette: Machen Sie doch, was Sie wollen. Echt jetzt.
- Infemme: In 10 Schritten weg vom Adventskalenderirrsinn
- Berlinmittemom: adventskalender-showdown unter müttern ::: bastelst du noch oder kokst du schon?
- Auf Zehenspitzen: Bastel-Annleitung zur Politisierung
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Titelbild: Photo by Kira auf der Heide on Unsplash
Word, Schwester!
<3
Super! Mehr mag ich gar nicht sagen. Sehr treffend..
Lg Bianka
Mein Favorit, mit Abstand ;)
Dankeschön
Ganz ehrlich: Chose your battles wisely. Deswegen hab ich zwei Texte dazu gelesen und dann *kopfschüttelnd ab* Man muss nicht jeden Furz ausdiskutieren….
Es gibt übrigens auch Rotwein-Adventskalender. Falls Du für Dich noch was suchst ;-)
Ansonsten: schön gesagt.
Haha – das wäre doch mal was.
Es mag sich überheblich anhören, aber ich verspüre NULL Rechtfertigungsdruck!
Was ich tue, oder eben nicht tue, mache ich für uns und für niemand anderen auf der ganzen Welt! Wie oben schon jemand schrieb, nicht jeder Furz muss diskutiert werden, deshalb lese ich diese ganzen Texte schon lange nicht mehr.
LIebe Sonja,
nachdem ich Deinen Text nun erst im zweiten Anlauf – und nach meinem Twitterkommentar – gelesen habe (ich dachte, das Bild war die Aussage, es wäre auch sehr treffend gewesen!) noch einmal meine Gedanken dazu.
Bei vielem, was Du hier schreibst, kann ich sofort mitgehen. Ich denke nur, und das ist eine für mich sehr wichtige Einschränkung, dass viele von uns immer wieder die gleichen Fehlannahmen machen. Und damit etwas, das sowohl private/ persönliche Aussage ist als auch in unseren gesellschaftlichen Strukturen politisch wirken kann, auf eine emotionale Ebene heben, wo es nicht hingehört. Ich habe versucht, das zu verdeutlichen, Bsp: Adventskalenderbastelei:
Eine Mama/ ein Papa posten einen selbstgebastelten Kalender und sind stolz darauf. Aussage: „Wir haben einen Adventskalender gebastelt“
Eine Zuhörende nimmt die Aussage persönlich und zieht sie zu sich, z.B.: „Die haben einen selbstgemachten Adventskalender, ich sollte das auch für mein Kind tun wollen, sonst bin ich keine vollwertige Mutter“
Nun kommt die Fehlannahme der Zuhörenden:
„Die anderen sind gemein, sie erlegen mir einen Zwang auf und bringen mich in einen Rechtfertigungsdruck, weil ich keinen Kalender bastele“.
Erst nach diesem Fehler beginnt ein Problem, denn das ist reine persönliche Interpretation, und war nie in der ursprünglichen Aussage vorgesehen. Die Aussage war nur: „Wir machen es so und finden es gut“.
Ja, die meisten von uns kennen diesen Rechtfertigungszwang, aus wesentlich expliziteren Kontexten. Aber wenn ich aus Bildern von Selbstgenähtem, Gebackenem, coolen Frühstücksboxen oder Adventskalendern eine Aussage über mich selbst ziehe, sind das Problem nicht die anderen. Ich bin es. Und es kann nicht die Aufgabe der anderen sein, ihre Aktivitäten einzuschränken, um mir nicht ungewollt auf die Füße zu treten und mich unter Rechtfertigungsdruck zu setzen.
Gefühle sollten ernst genommen werden, ohne Zweifel. Aber vor allem von demjenigen, der sie hat. Es gibt tausende Gründe, warum wir in dem Verhalten von anderen eine Aussage über uns selbst sehen. Eigene Zweifel, Unzulänglichkeiten, eine Bezugsperson, die uns in unserer Kindheit nicht lieb hatte, einen Mangel an Anerkennung. Und das ist alles gravierend und sollte mal besprochen werden. Aber nicht, SO GAR NICHT (finde ich), indem aus einer so vermeintlich unkritischen Sache wie dem Basteln oder dem Nicht-Basteln eine emotional geführte Debatte abgeleitet wird, in der niemand mehr hinterfragt, woher eigentlich diese starke Emotionalität kommt – und ob wirklich gerade die anderen daran Schuld sind.
Denn eines ist doch meistens bei uns Konsens: Eigentlich wollen wir den anderen überhaupt gar nichts Böses. Im Gegenteil. Wir haben unterschiedliche und manchmal sehr kontroverse Ansichten, aber alle von uns wissen doch, dass das mit dem Elternsein heute nicht so einfach ist wie sich so einige von uns vorgestellt haben. Wir wollen Zusammenhalt, neue Gedanken und: Anerkennung. Auch für die kleinen Dinge. Und wir wollen Sichtbarkeit des ganz Alltäglichen. Es soll sichtbar sein, dass es Zeit braucht, Kindern gerecht zu werden, zu arbeiten, eine Partnerschaft zu führen – ganz egal wie wir das machen. DAS ist das Politikum, und es SOLL Druck erzeugen – aber nach oben. Um die Strukturen zu schaffen, in denen wir leben/arbeiten/ Kinder erziehen können.
Du hast Deinen Schluss so wunderbar einigend formuliert, und das finde ich sehr gut. Aber diese Einschränkung ist mir wichtig: Wenn ich mich persönlich angegriffen fühle, muss ich untersuchen, woran es liegt. Es ist unfair, meine Befindlichkeit wieder anderen vor die Füße zu knallen, die einfach nur eine Aussage über sich selbst getroffen haben. :)
So, sorry für lang. Aber ich wollte genau klarziehen, was für mich gerade der Wahnsinn an der Debatte war.
Danke für Deinen tollen Kommentar. Ich bin bei allem Deiner Meinung und bilde mir ein, nichts anderes gesagt zu haben. Vielleicht noch mit der Ergänzung, dass diejenigen, die sich unter Druck fühlen, untersuchen können, woran es liegt. Niemand sonst kann das für sie tun. Ich finde es trotzdem gut für die andere Seite zu wissen, dass ein Bild etwas in anderen auslösen kann. Und sie trotzdem so weitermachen können, wie gewünscht.
Ich finde, dass dieses individuelle Problem von Rechtfertigung, Neid oder Selbstzweifel ein strukturelles Problem der Mutterschaft ist. Das mag nicht bei jeder Mutter gleich sein, kommt aber in diesen Diskussionen, (Stillen, Impfen, Elternbett, you name it) immer wieder auf das gleiche hinaus.
Wenn wir als Gesellschaft wollen, dass sich Frauen und Mütter als vollwertigen Teil davon verstehen können, auch wenn sie (gefühlt) alles anders machen als die andern und der idalisierten Norm nicht entsprechen, (lufthol) dann ist es wichtig, diese Probleme und Gedanken anzuerkennen.
HOffe ich hab das nochmal deutlicher gemacht?
Ja, sehr! <3
Sehr interessanter Artikel, dessen inhaltliche Diskussion mir bisweilen im Netz nicht aufgefallen war.
Ich halte es in diesem Falle ganz einfach. Je nachdem, wie viel Zeit ich habe, bastel oder kaufe ich einen Adventskalender. Und je nachdem, wie mir ist, fülle ich diesen selbstgebastelten mit Schoki oder mit selbst gebackenem, gemalten, gesteckten, genähten … oder auch gekauften Dingen.
Der Kreativität einer Mami, mit Ihren Kids gemeinsam (!), ist kaum eine Grenze gesetzt.
Und gerne lass ich mich auch mal von Ideen anderer – auch hier nutze ich bewußt das Wort – inspirieren und nicht unter Druck setzen. Und so ist es bei den kleinen und großen im Hause auch.
Mein Mann mag Adventskalender, die Kinder mögen sie und Ich mag auch und finde es solle jeder halten, wie er möchte.
In diesem Sinne :)