Hallo, ich bin Sonja und ich bin wütend. Eltern wie ich leisten gerade jetzt in der Corona-Gesundheitskrise einen wichtigen Beitrag für Gesellschaft und Wirtschaft. Dafür erhalte ich weder Anerkennung, noch politisches Mitspracherecht und schon gar kein Geld.
Na? Wer hat sich auch gestern über die zynisch anmutenden Muttertags-Tweets vom Familien- und Gesundheitsministerium geärgert? Ein Rollenverständnis von 1950, laue Dankbarkeit an einem Tag im Jahr, selbstverständliches Homeschooling zur Corona-Krise aus Mutterliebe. Dazu abwesende Väter, abwesende politische Unterstützung, abwesende Entlohnung für eine zusätzliche Arbeitsleistung wie Betreuung und Homeschooling.
Dass ich mich über den Muttertag und sein grottiges Rollenverständnis aufrege, ist ja nichts Neues. Neu ist es aber, dass wir Eltern, insbesondere sind hier Frauen die Leistungs- und Leidträgerinnen, zur Pandemiezeit ungefragt die Beschulung der Kinder übernehmen müssen.
Die Schulschließungen sind selbstredend wichtig für Unterbrechung der Ansteckungsketten gewesen und ich hielte sie auch noch für weitere Wochen für richtig. Aber das nur nebenbei.
Corona Eltern sind mehrfach überbelastet
Was der Skandal ist: Eltern leisten seit rund 9 Wochen unglaubliches: Erwerbsarbeit im Homeoffice und Beschulung von teilweise mehreren Kindern. Und zwar alles gleichzeitig. Jeden Tag zusätzlich zur eigentlich Kernarbeitszeit Mittagessen kochen, gestiegenes Haushaltsaufkommen abarbeiten und spätabends und nachts den Rest der eigenen Erwerbsarbeit leisten.
Das Private ist politisch, weil …
Pflegearbeit wie Kinderbetreuung und -Erziehung ist eine wichtige Grundlage für alle anderen Wirtschaftsleistungen. Denn Familie ist auch Wirtschaft. Wir Eltern müssen arbeiten gehen können. Kinder werden zu Rentenzahler*nnen, zu Wähler*innen. Die Familie ist die wirtschaftliche Kerneinheit des Staates.
Die Coronakrise zeigt deutlich, wie wenig Frauen und Familien, Kinder und ihre Betreuung dem Staat wert sind. Familien und hier insbesondere Frauen, leiden zwar am meisten unter der Last von Home Office, Homeschooling, gestiegenen Kosten, gesunkenem Gehalt, Existenzsorgen usw., haben aber kein Mitspracherecht im Coronakabinett. Das Familienministerium ist dort nicht zugelassen. Stattdessen werden Subventionen für die sehr starke Automobilbranche und für die Lufthansa besprochen, die Bundeslige wird mit großem Gewese und Sicherheitsmaßnahmen realisiert – und Spargel wird’s geben, ganz wichtig.
In der Coronakrise mussten Eltern von heute auf morgen einspringen und die Betreuungs- und Beschulungsleistung von Kitas und Schulen auf unbestimmte Zeit übernehmen. Gleichzeitig müssen sie aber auch weiterhin der Erwerbsarbeit nachkommen. Regelungen oder Ansagen der Kanzlerin an die Arbeitgeber*innen bezüglich Eltern und deren Verantwortung gab es nicht.
Die Lockerungen machen Eltern nicht lockerer
Die Lockerungen für diverse Wirtschaftszweige und die Schulöffnungen erleichtern es den Eltern kein bisschen. Die Betreuung und Beschulung der Kinder ist nämlich keinesfalls in vollem Umfang wie vor der Coronakrise möglich (aus verständlichen und sinnvollen medizinischen Gründen). Nein, die Schulzeiten sind kürzer und finden nicht an jedem Wochentag statt, um die Lerngruppen klein halten zu können. Wer mehrere Kinder hat, kommt also durch ein rollierendes System und ggf. unterschiedlichen Klassen und Institutionen nicht wirklich zum Arbeiten. Im Zweifel muss noch ein Kind zu Hause zu betreuen werden, während das andere Kind gebracht und abgeholt werden muss.
Nur, falls sich wer gefragt hat, warum für Eltern jetzt nicht alles besser ist.
Mir fehlen überzeugende und durchdachte politische Lösungen
Es sei noch einmal deutlich gesagt, dass sich meine Kritik nicht an Lehrer*innen oder die Schulen richtet. Die leisten größtenteils einen engagierten Job! Meine Kritik richtet sich an die Bildungsministerien der Bundesländer und hier insbesondere auch an die Landesminster*innen. Looking at you, Armin!
Der Staat kann also immer noch nicht seinem Bildungsauftrag nachkommen. Auch gesetzlich garantierte Kitaplätze sind davon nicht ausgenommen. Die Kinder bleiben weiterhin zu Hause und müssen dort beschult werden. Die Schulpflicht wird zu einer Beschulungspflicht für Eltern.
In manchen Schulen sind Elterngespräche gefragt, die dann in Kopie den Jahreszeugnissen der Kinder begeheftet werden sollen. Damit hat der staatliche Bildungsauftrag dann vollends versagt.
Wie lange das noch so geht, kann aus verständnlichen Gründen niemand sagen.
Als Mutter steht die Gesundheit meiner Kinder ganz oben auf der Prioritätenliste. Für mich ist es derzeit keine Lösung, die Schulen noch weiter zu öffnen. Die Virenschleuder von vielen Personen (wenn auch mit kleineren Klassen) ist ein Risiko, von dem auch viele Virolog*innen warnen.
Die Politik hat es versäumt, ihrem Bildungsauftrag nachzukommen und innerhalb der vergangenen zwei Monate stimmige, digitale Bildungsangebote zu entwickeln, die in den nächsten Monaten tragen. Das muss dringend nachgeholt werden.
Die Politik hat es außerdem bisher versäumt, den Familien und vorallem Frauen ein Mitspracherecht an der Bewältigung der Krise einzuräumen.
Backlash des Feminismus? Es reicht. Corona Eltern rechnen ab
Anachronistische Dankestweets zum Muttertag von Ministerien, die eine emsig schaffende Mama und einen abwesenden Vater zeigen, tragen da nur zum Alarmklingeln in meinem Kopf bei: Der Backlash der Rollenzuweisungen ist ganz überdeutlich. Wer sollte nochmal zur Maskenproduktion herhalten, die die Politik bis heute nicht sichergestellt hat: „Die Mami“, so Wortlaut Söder.
Es kann nicht sein, dass Eltern und Kinder, Lehrer*innen und Erzieher*innen das einfach alleine wuppen sollen!
Wir (Karin Hartmann, Rona Duwe von Phönix Frauen und ich) werden daher von heute an dem Staat bzw. unserem Bundesland die zusätzlich erbrachte Betreuung und Beschulung unserer Kinder monatlich in Rechnung stellen.
Das Rechnungsstellen ist unsere Form von Protest, die wir in Zeiten von Corona von unserem Küchentisch aus führen können. Wir machen unseren Protest deutlich in den Blogs und auf Social Media.
Wenn ich als Steuerzahlerin finanzstarken Industriezweigen aus der Krise helfen soll, steht auch mir für meine Krisenleistungen staatliche Unterstützung zu.
Ich lehne jedes Rollenverständnis ab, das Geschlechtern Tätigkeiten zuweist. Ich lehne auch eine Krisenbewältigung ab, die nach dem so genannten „starken Mann“ giert und keine Expertin mehr anhört. Ich lehne aber vorallem politische Entscheidungen ab, die auf dem Rücken der Familien ausgetragen werden und dabei (siehe unüberlegte Schulöffnungen) auf dem Rücken unserer gesundheitlichen Absicherung.
Carearbeit ist immer, nicht nur in Krisenzeiten, ein wesentlicher Teil, der mit zum Bruttoinlandsprodukt beiträgt. Der wird auch üblicherweise unter den Tisch gekehrt. Dass Frauen Angehörige und Kinder unentgeldlich versorgen, darauf fußt unser Wirtschaftssystem. Carearbeit ist eine systemrelevante Leistung, immer, nicht nur in Zeiten von Corona. Würden Frauen diese Arbeit nicht leisten, müssten es andere tun. Aber wer? Und zu welchem Preis? Carearbeit darf nicht kostenlos bleiben. In Zeiten einer Gesundheitskrise und gleichzeitigen Bewältigung von Erwerbsarbeit und Kinderbetreuung wird dieses Missverhältnis besonders deutlich.
Beteiligt Euch! Empört Euch! Stellt Eure Arbeitsleistung in Rechnung!
Wir rufen Euch auf, Euch unter dem Hashtag #CoronaElternRechnenAb an dieser Aktion zu beteiligen! Schreibt von heute an monatlich eine Rechnung an das Kultusministerium (für Schulkinder) und/oder an das Familienministerium (Kitakinder) Eures Bundeslands. Sendet eine Kopie Eurer Rechnung an das jeweilige Bundesministerium.
Bringt Eure Situation und Euren Beitrag für die Bewältigung dieser Krise in Social-Media zum Ausdruck. Nutzt Instagram, Facebook, TikTok oder Twitter (oder wo auch immer Ihr seid) zur Bekanntmachung. Nutzt den Hashtag #CoronaElternRechnenAb!
Zeigt Eure Leistungen und Rechnungen (Beträge können gern geschwärzt werden). Zeigt, wie ihr Eure Briefumschläge in den Postkasten werft, veröffentlicht Videos, in denen Ihr Euren Unmut deutlich macht und Eure Rechnungsstellung ankündigt.
Lasst uns gemeinsam aktiv werden und echte Entlastung und Wertschätzung für Frauen und ihre Familien einfordern!
Eine Rechnung über zusätzlich erbrachte Leistung können alle Bürger*innen stellen. Egal ob Angestellte, Hausman, Hausfrau oder Angestellte.
Weitere Beiträge und Aktionen zu #CoronaElternRechnenAb:
Rona Duwe vom Blog phoenix-frauen.de ist Mitinitiatorin der aktuellen Aktion. Ihren Blogbeitrag „Coronaeltern rechnen ab findet“ Ihr hier. Auf ihrem Instagram-Profil wird sie morgen ihre Rechnung schreiben und abschicken.
Karin Hartmann als weitere Mitinitiatorin hatte die Idee, unsere Leistungen in Rechnung zu stellen. Sie wird hauptsächlich auf Twitter und auf Instagram aktiv sein.
Ich selbst werde neben dem Blog auf Twitter, Facebook und Instagram aktiv sein und mein Rechnungsschreiben begleiten.
Im März hat bereits die Bloggerin Silke Widmer von gut-alleinerziehend eine sehr ähnliche Idee. Wir haben im Nachhinein von ihrer Aktion erfahren, stehen mit ihr im engen Austausch und unterstützen die gemeinsame Sache. Sie hat außerdem auch viele nützliche Tipps und ebenfalls eine Vorlage.
Weitere Blogposts zum Thema:
Mama streikt:#CoronaEltern stellen Rechnungen an die Politik
Frische Brise hat in einem Internettipp auf uns verwiesen.
#CoronaElternrechnenab – denn wir sind nicht nur wirtschaftlich relevant
Familie.de: Corona Eltern rechnen ab. Interview
Mehrarbeit während Corona: Mütter stellen Gehalts-Rechnungen an den Staat
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Serviceteil – Rechnungsstellung
Download einer Rechnungsvorlage zur individuellen Anpassung.
Welchen Stundensatz?
Wir haben hier auch eine Auflistung der Tarifgehälter von Lehrer*innen und Erzieher*innen zur Orientierung.
Ich selbst werde mich an meinem Einkommen orientieren und dies beziffern.
Link zu den Ministerien auf Landesebene.
Liste der Kultusministerien.
Twitteraccounts der Landesministerien für Bildung:
NRW | Ministerium für Schule und Bildung des Landes Nordrhein-Westfalen | @bildungslandNRW
Schleswig-Holstein | Ministerium für Bildung, Wissenschaft und Kultur | @bildung_SH
Sachsen-Anhalt | Ministerium für Bildung in Sachsen-Anhalt | @MBSachsenAnhalt
Thüringen | Thüringer Ministerium für Bildung, Jugend und Sport | @BildungTH
Berlin | Senatsverwaltung für Bildung, Jugend und Familien | @SenBJF
Rheinland-Pfalz | Ministerium für Bildung | @Bildung_RLP
Saarland | Ministerium für Bildung und Kultur | @MBK_Saar
Hamburg | Behörde für Schule und Berufsbildung | @HH_bsb
Bayern |Bayerisches Staatsministerium für Unterricht und Kultus | @KM_Bayern
Hessen | Hessisches Kultusministerium | @RegHessen (kein eigener Account)
Sachsen | Sächsisches Staatsministerium für Kultus | @Bildung_Sachsen
Brandenburg | Ministerium für Bildung, Jugend und Sport |@MBJSBrandenburg
Mecklenburg-Vorpommern | Ministerium für Bildung, Wissenschaft und Kultur des Landes MV | @manuelaschwesig (keine Twitter-Accounts der Ministerien)
Niedersachsen | Niedersächsisches Kultusministerium | @MKNiedersachsen
Bremen | Die Senatorin für Kinder und Bildung | @skb_bremen
Baden-Württemberg | Ministerium für Kultus, Jugend und Sport | @KM_BW