Teil 1 der Reihe „Mutterschaft und Macht. Eine Spurensuche“ auf Mama Notes
Frangfrage: Was ist das Fundament unserer Gesellschaft? Na? Genau. Mutterschaft. Wird aber behandelt wie ein privates Hobby mit hohem Nervfaktor. Und trotzdem schreibe ich auch auf, was andere Feministinnen schon so viel besser gesagt haben. Weil ich eine von ihnen bin, von den tausenden wütenden, müden Müttern. Müde in Zeiten, in denen Familienpolitik angeblich ein so wichtiges Thema ist aber niemand ernsthaft hinhört. Und weil ich sehe: Es passiert wieder. Mütter sind erschöpft, Kinder sind belastet. Und niemand hört hin.
Mutterschaft und Kinder bekommen wird maximal als ökonomisches Problem betrachtet. Kinderkriegen als Wirtschaftsfrage, als Rentensicherung, als Bruttosozialprodukt, als Rentenlösung, als Investition in die Zukunft des Landes. Dabei ist es eine soziale Aufgabe für die gesamte Gesellschaft. Das Offensichtliche bleibt bei all dem wieder ungesagt und unsichtbar: Was brauchen Kinder? Was brauchen Familien? Und was genau leisten Frauen als Hauptleistungsträgerinnen, damit diese Bedürfnisse so halbwegs abgedeckt werden können? Bedürnisse, nicht Extrawünsche. Selbstverständlich bleibt das Privatsache und somit sind Kinder und ihre Zukunftsaussichten in einem reichen und hochentwickelten Land davon abhängig, wie arm oder reich ihre Eltern sind.
Es fehlen einfach hunderttausende Kitaplätze, was Mütter in die Teilzeitfalle und noch mehr organisatorisches Zerreissen bringt. Diese unbezahlte Sorgearbeit der Frauen wird komplett ignoriert und Alleinerziehende werden systematisch in Armut gehalten.
Die Politik hingegen gibt vor, Familien zu stärken, übrigens unabhängig von Rot/Grün oder der Merz-Regierung. Es wird nicht genug getan, nicht genug verändert. Das Rückgrat dieser Familien, die Mütter, bleiben ungehört und entwertet. Und ihre Kinder spüren die Folgen mit.
Warum Mütter systematisch nicht gehört werden
Es gibt ein Muster, das sich durch das Leben von vielen Frauen zieht: Sprechen sie öffentlich über ihre Erfahrungen, ihre Überforderung, ihre strukturelle Benachteiligung, werden sie nicht ernst genommen oder absichtlich missverstanden. Sie benennen:
- Unbezahlte Care-Arbeit, die unsere Gesellschaft trägt
- Mental Load, der Frauen chronisch erschöpft
- Lohn- und Rentenlücken, die sie systematisch benachteiligen
- Alleinerziehende, die politisch im Stich gelassen werden und deren Kinder die Folgen mittragen
- Reaktionäre Mutterbilder, die Fortschritt blockieren
- Reproduktive Rechte, über die wieder diskutiert wird – als wären sie verhandelbar
- Rassismus, der sich mit patriarchalen Strukturen überlagert
- Fehlende Repräsentation in Politik, Wirtschaft und Medien
Das sind keine privaten Probleme. Das sind politische Realitäten.
Wenn Frauen öffentlich über ihre Überforderung und wirtschaftliche, existenzielle Ungesichertheit sprechen, wird das sofort privatisiert: „Habt ihr euch doch ausgesucht!“, „Müsst ihr besser organisieren!“.
Diese angeblich „private“ Arbeit von Frauen und Müttern ist tatsächlich systemrelevant, sie wird aber systematisch nicht anerkannt. Dabei ist es halt Kochen, Waschen, Pflegen, Zuhören, Kümmern, was unsere Gesellschaft trägt!
72 Milliarden Stunden leisten Frauen in Deutschland jedes Jahr – unbezahlt. Würde man das entlohnen, läge der Wert bei rund 500 Milliarden Euro. Jedes Jahr! 1 2 3 4 5
Und weil Frauen den Großteil dieser Arbeit übernehmen, landen sie überdurchschnittlich oft in Teilzeit und schlechter bezahlten Jobs. Die Folge: weniger Einkommen, weniger Rente, mehr Abhängigkeit von Partnern, von Sozialleistungen, vom nächsten Auftrag. Altersarmut ist für sehr viele Frauen keine theoretische Gefahr, sondern sehr wahrscheinlich.
Besonders hart trifft es Alleinerziehende
Einelternfamilien sind zu über 80 % Frauen mit ihren Kindern. Fast 700.000 leben in Einkommensarmut. Und das obwohl die meisten arbeiten. Es reicht halt trotzdem oft nicht.
Die unbezahlte Arbeit von Müttern stützt unsere Wirtschaft. Ihre Unsichtbarkeit entlastet unser System. Die Überforderung von Frauen und Müttern ist Teil eines gesellschaftlichen Systems.
Diese Form des Überhörens ist kein Zufall. Sie ist System.
Nicht zu schweigen von Mental Load
Ihr kennt den Begriff Mental Load, oder? Die „Mentale Last“ heißt: ständig an alles denken müssen. Und es trifft vor allem Frauen. Mental Load ist der Kern dieser ganzen Überforderung und das ist wichtig zu verstehen.
Mütter tragen die Verantwortung für das Organisieren, Planen und Erinnern im Alltag. Es ist die immerwährende 24/7- Verantwortung für Arzttermine, veränderte Schulzeiten und wann wer abgeholt werden muss, Elternabende, Geburtstagsgeschenke, Vorräte auffüllen, Schulformulare, usw. Diese Last ist nicht nur organisatorisch, sondern auch psychisch spürbar. Das Problem: Zum Großteil übernehmen Frauen auch diesen Job.
Patricia Cammarata beschreibt in ihrem Buch „Raus aus der Mental Load-Falle“, dass es nicht nur um das Ausführen von Aufgaben geht, sondern wer die Verantwortung für deren Organisation trägt. Auch Laura Fröhlich (Die Frau fürs Leben ist nicht das Mädchen für alles), und Mareice Kaiser (Das Unwohlsein der modernen Mutter) zeigen, wie strukturell veranlagt die Erschöpfung ist und dass sie kein individuelles Problem ist, sondern ein gesellschaftlich gewolltes.
Doch sobald Mütter diese Zusammenhänge benennen, werden sie zurückverwiesen: auf sich selbst, ihre Entscheidungen, ihre Lebensmodelle. Als wäre es eine Frage der Organisation und nicht der politischen Struktur.
Kinder und Jugendliche: Zwei Dekaden zunehmender psychischer Belastung
Übrigens, die Kinder! Als Zahl in der Geburtenrate doch so wichtig für Gesellschaft und Wirtschaft. Wie gehts den Kindern eigentlich? Es geht ihnen nicht gut. Denn Kinder und Jugendliche erleben das alles mit. Die Überforderung, das Gerangel der Geschlechterrollen, den gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Druck auf ihre Eltern.
Laut DAK-Präventionsradar 2024 fühlen sich:
- 55 % der Schüler:innen mindestens einmal pro Woche erschöpft,
- 37 % leiden unter Schlafproblemen
- 31,5 % an Einsamkeit
- 14 % zeigen depressive Symptome
Das ist leider keine Momentaufnahme, sondern eine Entwicklung:
- In 2022 wurden in Deutschland rund 22.600 Kinder und Jugendliche im Alter von 10 bis 17 Jahren wegen Depressione stationär behandelt.(Quelle)
- 2017 wurden rund 5.790 unter 15 Jahren
- 2000 waren es lediglich 410 Fälle. Link
Auch Angststörungen, Essstörungen und psychosomatische Beschwerden haben in den letzten zehn Jahren stark zugenommen: Eine Studie des RKI von 2025 zeigt, dass über 70 % der Kinder und Jugendlichen sich durch die Pandemie psychisch belastet fühlen.
Die Universität Hamburg und das Universitätsklinikum Ulm (2023): 7 von 10 Jugendlichen stehen unter erheblichem psychischem Stress.
Die Zahl der Depressionen und Essstörungen ist gegenüber der Vor-Corona-Zeit deutlich gestiegen.
Was machen wir als Gesellschaft mit diesen Informationen? Welche Maßnahmen ergreift die Politik? Sehr ernst gemeinte Frage. Denn auch dies müssen Frauen im Privaten aushandeln. Abgesehen vom Kümmern und Therapeutensuche bleibt es unsichtbar, wie sehr diese Familien um Therapieplätze bangen, wie lange ihre Kinder auf ärztliche und psychologische Hilfe warten müssen und wie lange Diagnosen andauern, weil die Kapazitäten fehlen.
Gleichzeitig erleben wir einen gefährlichen Backlash
Wir erleben einen bewusster Rückschritt: Frauen sollen wieder in alte Rollen gedrängt werden. Die Soziologin Susanne Kaiser nennt das das „feministische Paradox“: Je sichtbarer Frauen in wichtigen Positionen in der Wirtschaft, der Politik bekleiden, desto mehr Gewalt erfahren sie. Blätter 1 2 3 4 5
Diese Gewalt ist physisch, kulturell, sprachlich und politisch. Öffentlich wirkende Frauen erleiden Hasskommentare; es gibt Internettrends, die Gewalt gegen Mädchen romantisieren, nicht zu schweigen von dem aktuellen politisches Klima, das feministische Forderungen als „spaltend“ abtut. Der Backlash ist real. Und er ist organisiert.
Beispiele:
– AfD: Familie ist für sie Vater, Mutter, Kind. Alles andere ist „Gender-Ideologie“
– AfD Sachsen (Instagram): „traditionelle Frau“ vs. „moderne Feministin“
– CDU: Christoph Ploß gegen Gender-Sprache und Frauenquoten
Der Narrativ des „eigentlich benachteiligten Mannes“:
Sobald Frauen Raum einnehmen, fühlen sich Männer übergangen. Der Reflex: Die eigentliche Benachteiligung betreffe nun Männer. Aber das ist ein gefährliches Ablenkungsmanöver, das die Frauen unsichtbar und ihren Einfluss wegwischen soll.
– Verleger in Österreich kündigt „Männerbuchverlag“ an
– Welt-Artikel: „Es braucht weniger Frauen, die von Mental Load erzählen“
Und was sagen die Väter?!
Ja, was sagen denn die Väter zu den ganzen Ungerechtigkeiten gegenüber ihren Familienmitgliedern?
Tja. Nicht sonderlich viel.
Warum sind es fast ausschließlich Frauen, die öffentlich über strukturelle Ausbeutung sprechen? Warum äußern sich so wenige Männer? Viele sehen die Ungleichheit – und bleiben dennoch leise.
Die Antwort liegt auf der Hand: weil sie davon profitieren. Männer sind die Nutznießer im Patriarchat. Sie haben schlicht weniger Care-Arbeit, mehr Einkommen, mehr Rente, mehr Sichtbarkeit, mehr politischen und wirtschaftlichen Einfluss. Ja, auch die mit wenig Gehalt, unglücklicher Karriere oder unglücklichem Privatleben.
Männer schweigen, weil sie das System gar nicht verändern wollen. Wer zur Ausbeutung der unbezahlten Arbeit von Frauen und Müttern schweigt, wen die Gesundheit der Kinder nicht zu konkreten Forderungen und Maßnahmen treibt, will, dass sie das alles nicht verändert.
Wir merken: Mütter müssen nicht „lauter“ sein oder „unsere Stimme finden“. Wir haben bereits eine Stimme und wir nutzen sie.
Was uns fehlt, ist Gehör, ist Sichtbarkeit. Was uns fehlt ist politischer Einfluss und soziale sowie wirtschaftliche Anerkennung, nicht trotz sondern wegen der Care-Arbeit.
Was fehlt, ist konkretes politisches Handeln.
Es fehlt an Machtverschiebung: weg vom Patriarchat, hin zu echter Gleichstellung.
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