Ist es ein Ferien-Lagerkoller oder war das immer schon da? Ist es ein grundlegender Konflikt oder was ist da los bei uns in den Ferien?
Liegt es nur daran, dass die Kinder seit knapp 10 Tagen zu Hause sind und nicht in den Urlaub fahren können? Hat es damit zu tun, dass der Mann bisher nur einen einzigen Tag frei nehmen konnte und ich alles alleine machen muß? Angefangen bei Haushalt, Einkaufen, Kochen, Ausflüge planen und durchführen, aufräumen und auch noch Arbeiten auf Sparflamme. meine Jobs? Vermutlich hängt wie immer alles zusammen. Es gibt ja keine Konflikte, egal ob in den Ferien oder zu Weihnachten, die nicht eine tiefer gehende und bereits bekannte Ursache hätten.
Dabei genieße ich die Zeit mit den Kindern wirklich sehr. Ich erfreue mich an ihnen, finde sie unsagbar süß und klug, überraschend und bin stolz wie Bolle. Ich fahre gerne auf den Bauernhof oder an den Strand mit ihnen, ich mag die verbummelten Vormittage. Trotzdem bin ich abends komplett durch.
Konflikte entschlüsseln oder begleiten- beides oder etwas anderes?
Dabei hatten der Sohn und ich zwei Tage nur für uns, die Tochter war bei der Oma. Definitiv schon einmal eine Entlastung, und schöne exklusive Mama-Sohn-Zeit. Der Junge war streckenweise zuckersüß, niedlicher kann man kleine Jungs in Kitschfilmen nicht zeigen. Gleichzeitig brachten die zwei Tage auch Konflikte ans Licht, die ich schon ewig kenne, und die ich offensichtlich noch nicht entschlüsselt habe. Oder muß ich sie nicht entschlüsseln und dem Kind einfach die Zeit geben, diese Phase zu durchleben? Genau diese Fragen schwirren nach anstrengenden Tagen durch meinen Kopf.
Und immer wieder die Frage: ist es schlecht so wie es bei uns läuft oder ist es falsch von mir, das schlecht zu finden.
— Sonja (@Mama_notes) August 5, 2015
Der Sohn nörgelt, fordert, schimpft und pöbelt. Er lässt sich durch nichts beruhigen, alles stachelt ihn nur auf. Er bringt mich an meine Grenzen, mittlerweile in erstaunlichen Millisekunden. Er will etwas, weiß aber selbst nicht, was. Leider weiß ich es auch nicht. Was ich in diesen Momenten, die täglich – TÄGLICH – mindestens eine Stunde am Stück dauern und auch gerne im Laufe des Tages in kurz wiederholt werden, ist: schreiende Genervtheit, echte Überforderung, Ratlosigkeit und das übermächtige Gefühl, dieses Kind bzw. das, was es da gerade sagt und tut, abstellen zu wollen.
Keine Erziehung – sondern Beziehung. Aber wie?
Schon währenddessen beginne ich, mich für meine Gefühle zu schämen. Das arme Kind. Warum bin ich so unempathisch? Ich bin doch die Mutter, ich muß doch wissen, was er will! In all dem Schreien und Nörgeln erkenne ich zumindest, was nicht fehlt: Erziehung, Bestrafung oder Manipulation. Ehrlich gesagt habe ich das bereits mehrfach versucht, Auszeiten im Kinderzimmer, Anschreien, mit Konsequenzen androhen oder bis drei zählen. Geklappt hat nichts.
Woran es mir fehlt, ist Verständnis dafür, was das Kind antreibt zu diesem Nörgeln, diesen ewigen und unbschreiblichen Unlogik-Diskussionen, aus denen ich mich nie entwinden kann. Was fehlt ihm, was braucht er von mir und warum kann ich ihm das nicht geben?
Mein schlechtes Gewissen hat High Noon. Bohrende Fragen: Warum kann ich das nicht? Sind es meine eigenen Altlasten, die mich nicht erkennen lassen? Oder sind Kinder überall so laut, so unruhig und Aufmerksamkeitsfordernd und nur ich kann damit nicht umgehen? Bringe ich uns selbst in so einen Teufelskreis?
Oder ist es vielmehr so, dass meine Gefühle, meine Genervtheit, Überforderung und Ratlosigkeit mich an der richtigen Stelle aufmerken lassen? Weil ich hier bemerken soll, dass ich etwas ändern kann. Weil das Kind mir etwas sagen will. Aber was will es mir sagen? Fehlt Kontakt zu mir? Sollte ich mehr spielen, mehr Bücher vorlesen, mehr fehlt gar miteinander reden? Und wann komme ich zu meinen Aufgaben wie Kochen, einkaufen, aufräumen, Ausflüge planen oder gar Geld verdienen? Wann darf ich diese Zeiten für mich einfordern? Und egal wie ich die Zeiten verlagere, das Verhalten bleibt gleich. Auch übrigens, wenn der Sohn und ich gemeinsam einkaufen gehen, er ganz viel helfen darf, ich ganz viel Zeit habe und wir gemeinsam kochen. (Auch egal, zu welcher Uhrzeit). Irgendwann bei Hunger, Müdigkeit und Erschöpfung fängt dieses stressige Verhalten an und dauert mindestens eine Stunde.
Fehlende Bindung ist die Hauptsorge heutiger Eltern, habe ich letztens irgendwo gelesen. Zu diesen Eltern gehöre ich wohl auch. Gerade heute hat das Family Lab einen Text geteilt, in dem es um Jesper Juul geht, der für keine Erziehung sondern vielmehr für Beziehung plädiert, „Das neue Paradigma der Erziehung: keine Erziehung„. Ein Text, der mich gleichzeitig beruhigt und aufschrecken lässt. Beruhigt, weil eine Beziehung aufbauen viel schöner ist, mehr Spaß macht und freiheitlicher ist als Erziehung, und aufschrecken, weil ich mich stellenweise so weit davon entfernt fühle. Aus dem Text folgender Abschnitt, bitte unbedingt lesen. (Hervorhebungen von mir):
Kinder als Spiegel
„Da Kinder vor allem imitieren, zeigt ein schwieriges Kind vor allem schwierige Eltern. Jedes auffällige Verhalten von Kindern und Jugendlichen, so Juul, kann man auf zwei Ursachen zurückführen: Entweder haben Erwachsene die kindliche Integrität verletzt oder die Kinder haben aus Druck überkooperiert und keine eignen Grenzen, kein Selbstwertgefühl entwickelt.
„Wir müssen Kinder heute, in völlig anderer Weise, mit einer anderen Art von Anstrengung großziehen. Wir müssen mehr nach innen schauen, in uns selbst, statt ständig auf die Kinder. Das ist sehr schwierig, weil unsere Werte, die Kinder betreffen, verkrustet sind. Kinder haben in unserer Kultur an Achtung und Respekt verloren. Auch für die Erwachsenen ist das traditionelle Erziehungsverhalten schädlich. Es hält sie in einem Rollenschema fest und verhindert eigenes Wachstum“, so Juul.
Nicht selten werden Kinder uns auch an unsere eigene Kindheit unsere eigenen Wunden erinnern. Mit ihnen können wir lernen wieder mit uns selbst in Kontakt zu kommen.
„Kinder sind am wertvollsten für ihre Eltern, wenn sie schwierig werden. Das ist nämlich der Augenblick, in dem die Eltern aufmerken sollten – Was ist es, was wir jetzt ändern müssen? – statt sich Gedanken darüber zu machen, wie sie das Kind verändern und ‚korrigieren‘, damit es nicht mehr so schwierig ist. Kinder sind keine Dinge, die wir beliebig verändern können, sie sind Menschen, mit denen wir zusammen lernen können.“
Ich bin nicht verantwortlich. Nicht immer und schon gar nicht für alles
Der Witz ist, den Blogbeitrag hatte ich bis hierhin selbst so geschrieben und dieses Juul-Zitat scheint ihn komprimierter wieder zu geben. Die „verkrustete“ Erziehung in mir zu erkennen ist nicht immer einfach, vorallem nicht in der Situation selbst. Nicht unbedingt wende ich sie bei meinen Kindern an, aber ich wende sie auch mir gegenüber an: Ich darf mich nur gut fühlen, wenn alle happy sind. Nur Lächeln, Ruhe, Lachen, Frohsinn und kreatives Chaos sind erlaubt. Bei allen anderen Gemütszuständen meiner Kinder fühle ich mich zuständig. Dann habe ich irgendetwas nicht erkannt, war empathielos, habe keine gute Bindung zum Kind. All das sagen mir meine fiesen inneren Stimmen nach Konfliktsituationen. Est viel später weiß ich wieder, dass ich nicht für alles verantwortlich sein kann, schon gar nicht für jede Laune und jeden Streit. Ich bin nur ein Mensch.
„Der Weg zur Gleichwürdigkeit ist schwierig, emotional wie intellektuell“. Und: “ „Es ist einfach schwer aufzuhören, im ‚Erwachsenen gegen Kind‘-Modus zu denken. Es ist schwer, eine Haltung anzunehmen, die beiden Seiten gleich dient und nicht die Bedürfnisse des einen über die des anderen stellt. Der Fokus muss darauf gerichtet werden, was zwischen den beiden abläuft. Das ist für Familien, Schulen, Betriebe ein komplett neues Terrain. Es ist nicht nur anders als bisheriges Denken, es ist vielmehr komplett neu. Es gibt nichts Geeignetes, aus der Vergangenheit, auf das wir zurückgreifen könnten.“
Das innere Kind, Altlasten und Frieden schließen
Je nachdem wieviel Altlasten wir Erwachsenen in uns tragen oder je nachdem, wie sensibel wir auf sie reagieren, ist es härter und schwieriger, neu zu denken und sich neu zu verhalten.
Vielleicht sollte ich mir einfach selbst verzeihen, ich war schließlich auch mal ein Kind und hatte diese Verantwortung damals nicht zu tragen. Dieses Kind kommt immer wieder hoch in mir, und fühlt sich überfordert, ohnmächtig, und wütend. Vielleicht sollte ich mein inneres Kind spiegeln und seine Gefühle anerkennen und in echter Beziehung zu ihm treten? Vielleicht bewirkt es etwas, vielleicht auch nicht. Aber Beziehung zu meinem inneren Kind wäre vermutlich eh der einzig richtige Weg. Denn es zu erziehen, es zu ignorieren oder es zu bestrafen habe ich schon durch, mein Leben lang. Zeit für etwas Neues.
Das waren meine Mama notes zu diesem wunderbaren Zitat, das mal wieder passt, wie Arsch auf Eimer, um es ganz deutlich zu sagen.
„Eltern müssen es zulassen, dass Kinder ihr Leben bereichern, auch wenn es wehtut.“
Mehr Mama notes on Jesper Juul hier.
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Bisher war ich ja nicht so ein Juul-Fan, aber dein Beitrag heute hat mich überzeugt! Aus welchen Büchern sind denn die längeren Zitate? Oder sind die auch aus dem Kalender?
LG, Micha
Lieben Dank!
Die längeren Zitate sind aus einem Artikel, den ich auch verlinkt habe. Die Originalquelle kenne ich nicht. Buchempfehlungen: Dein kompetentes Kind. Nein aus Liebe. Sowie unzählige Interview. Google mal. :)
Ach so ist das Zitat gemeint? Dass unsere Kinder unser Leben bereichern, indem sie uns zeigen, wie verkorkst wir selbst eigentlich sind, damit wir was daran ändern können?
Ich habe keine Ahnung, ob ich mich verkorkst finden soll oder nicht, und wenn ja, wie sehr. Ein bisschen verrückt sind wir wohl alle! (Sonst wär es ja langweilig.)
Ich finde aber, dass es einen Unterschied gibt zwischen „schwieriges Kind“ und „verhaltensauffälliges Kind“. Und zwischen „schwierigen Eltern“ und „Eltern, die sich schwer tun“. Ich finde mein Kind manchmal schwierig. (Es mich vermutlich auch.) Ist es deshalb schwierig? Bin ich schwierig, weil Ich mich schwer tue, mein Kind davon abzuhalten, seine eigenen Bedürfnisse über meine zu stellen? Denn das tun kleine Kinder von Natur aus, oder?
Tatsache ist doch, dass es im Alltag oft nicht möglich ist, diese schönen Theorien in die Praxis umzusetzen. Um ein bisschen erziehen kommt man doch nicht rum. Und dann denke ich an Dinge wie Verkehrserziehung (welcher Dreijährige guckt immer brav nach lins und rechts, bevor er über die Straße rennt? Darf ich dann kein ernstes Wörtchen mit ihm reden?), Zähne putzen, nicht ohne zu fragen in den Nachbargarten laufen, wenn dort die Pforte offensteht… Manche DInge kann man Kindern nicht durch bloßes Vormachen beibringen, meine ich. Allein schon, weil Situationen, in denen man bestimmte Normen und Werte vorleben kann, vielleicht nicht oft genug eintreten, dass das gewünschte Verhalten beim Kind hängenbleibt.
Mit dem Begriff „Bindung“ kann ich persönlich übrigens nicht so viel anfangen, finde ich ziemlich schwammig.
Aber Jespers schöne Theorie hat mir Stoff zum Nachdenken gegeben. Ich werde also trotzdem (mal wieder) versuchen, herauszufinden, wie ich mit meinen offenbar altlastenbedingten Problemen (u.a. Ungeduld) besser umgehen kann. Und ich werde versuchen, öfter mal auszuhalten (Lärm, Genöle und Off-days des Nachwuchses zum Beispiel).
LG, Kristine
Vielleicht hast du einfach keine Altlasten oder einfach nicht so große Schwierigkeiten mit ihnen, so wie ich? Ob ich verkorkst bin oder nicht möchte ich eigentlich unbeantwortet lassen, das war gar nicht die Frage in meinem Text. ;)
Aber ich verstehe schon, dass dir das sehr theoretisch erscheint und du es schwierig findest, dass alles in etwas konkretes umzusetzen. Das geht mir letztendlich mit solchen Texten auch immer so.
Achso, un wie das Zitat gemeint ist, weiß ich auch nicht. Wie würdest Du es denn verstehen?
Tja, wer kann sagen, ob es sich um Altlasten oder einfach den Charakter handelt? Kann es nicht einfach sein, dass manche Leute (du und auch ich zum Beispiel) kein grundloses Genöle vertragen, weil sie von Natur aus harmoniebedürftig sind? Das muss doch nicht an Altlasten aus der eigenen Kindheit liegen? Ich glaube außerdem nicht, dass man, selbst wenn man Juuls Tipps zu 100% befolgen kann (was also meiner Meinung nach in der Realität nicht wirklich möglich ist), ein ideales Kind bekommt. Manches Verhalten ist einfach Charaktersache, oder? Dann heißt es für die Eltern wohl lernen damit umzugehen und warten, bis das Kind älter wird und auf andere Art seine Gefühle ausdrücken kann.
Im Übrigen wollte ich nicht sagen, dass ich dich verkorkst finde, war auch nicht so negativ gemeint wie es für dich vielleicht klingt! Ich habe jedenfalls auch solche Probleme mit dem kleinen Kaaskop wie du. Es macht mich wirklich wahhhhhnsinnig, wenn er rummault und vor Unzufriedenheit auf der Stelle trippelt aber nicht sagt, was das Problem ist oder was er denn will! Und es bringt mich blitzschnell auf 180, wenn er mich ignoriert. Das endet schnell in beidseitigem Geschrei. Seufz.
Naja. Das Zitat hatte ich übrigens schon auf deinem Instagram-Account gesehen und nicht verstanden. Vielleicht gibt es da nichts zu verstehen.
Mensch, liebe Sonja, ich bin so begeistert von dieser Reihe! Und mit jedem Artikel wirst Du mir noch sympathischer (geht ja fast gar nicht mehr).
Ich selbst habe ständig das Gefühl, dass ich an der Beziehung zu meiner Tochter mehr wachse als ich es in vielen Jahren davor tat. Mein Mann und ich haben stark daran gearbeitet, unsere Familie bindungs- und bedürfnisorientiert, gleichwürdig und eben in Beziehung zu einander zu gestalten, statt zu Erziehen.
Natürlich „erzieht“ jeder jeden in einer Beziehung irgendwie mit. Aber ich definiere Erziehung als bewusste Handlung/Manipulation, um beim Gegenüber ein bestimmtes Verhalten zu erreichen, die zusätzlich mit einem Machtmissbrauch einhergeht. Zum Glück passiert uns das immer seltener unserem Kind gegenüber. Aber es ist ein Prozess und der hat eben so viel mit Selbstreflexion, sich der Werte und Prioritäten bewusst werden und mit viel Empathie und Liebe zu tun.
Gerade Dein Beispiel war (und ist manchmal, aber seltener, noch) ein riesiges Thema für mich. Denn ich kann Quengelei, Ärger, Wut etc. immer nur in einem gewissen Maß ertragen. Zum einen fühle ich mich als Mutter inkompetent, wenn ich das nicht „abschalten“ kann, zum anderen wurde ich (wie die meisten) so erzogen, dass „man“ nicht nervt, quengelt, wütet…
Ich habe selbst also nie gelernt, mit diesen Gefühlen konstruktiv umzugehen und muss das jetzt mühselig nachholen.
Wenn meine Tochter jetzt so eine, auch vollkommen unlogische, Quengelei anfängt, tappe ich nur noch kurz in die „Herausfinden-abschalten-Falle“, die sonst immer mit der „Ich-bin-verärgert-und-verlange-Schluss-jetzt-Kacke endete, und verlagere mich schnell darauf zu benennen: „Du bist müde/hast Hunger/es war heute viel, nicht? Du ärgerst Dich anscheinen sehr/bist traurig. Kann ich Dir irgendetwas Gutes tun?“
Wenn möglich, setze ich mich kurz ruhig daneben und begleite nur. „Ich bin da. Wenn Du magst, kannst du gerne kuscheln kommen. Du darfst auch wütend sein.“ etc. Eben je nach Situation. Und seither merke ich, wie der Druck in mir sinkt, ich einfach sehen kann, wie anstrengend und traurig es gerade für mein Kind ist. Nur, weil ich mich nicht für das Erfassen und Lösen zuständig fühle. Ich biete Trost. Punkt.
Tatsächlich klappt das immer besser. Die alten Muster brechen allerdings noch durch, wenn ich selbst unter Stress stehe oder Zeitdruck habe, total übermüdet bin. Aber das ist mir dann auch bewusst und es ist auch ok. Dann darf ich nämlich auch mich begleiten und trösten und verdammt noch mal auch quängeln! ;-)
Liebe Grüße
Julia