Meine NetNotes sind an diesem denkwürdigen Tag dem Mauerfall gewidmet, der sich heute zum 25. Mal jährt. Dieser Tag, der 9. November, an dem ich auch immer mit Trauer an die Reichsprogromnacht denke. Beides richtungsweisenden Ereignisse an einem Tag, merkürdig. Ich habe keine Ahnung, ob diese NetNotes nicht eigentlich mit Links angereichertes Tagebuch-Gedenksblogging ist. Es könnte sein, dass das hier niemanden außer mich interessiert.
An diesem 9. November 1989 lag ich sträflicherweise im Bett, ich war 17 Jahre alt, ging noch zu Schule. Jedenfalls kann ich mich an keinen Fernsehmarathon des nachts erinnern. Mir kommt es seltsam vor, denn ich hatte die Wochen zuvor alles aufgesaugt, was an Nachrichten aus der DDR kam. Mein Vater hatte beruflich viel mit der Situation im Osten zu tun, um das mal so zu umschreiben und dementsprechend emotional verbunden erzählte er uns von seinen Erlebnisse von „drüben“. Wie nervenaufreibend jede Grenzüberquerung war, wie streng und bestechlich aber immer auch gefährlich die Grenzer und wie groß der Wunsch nach Freiheit, Selbstbestimmung, Kultur und selbstgewählten Biografien bei den Menschen.
An diesem Tag war mein Vater jecoch verreist und meine Mutter und ich haben anscheinend nicht bis tief in die Nacht geschaut. Ich meine mich an die Tagesthemen zu erinnern, in denen ja schon vor dem wirlichen Öffnen der Mauer der Mauerfall vorhergesagt wurde. So habe ich es vor einigen Tagen in der ARD im Spielfilm „Bornholmer Straße“ wieder entdeckt. Ein Film, der mir persönlich zu klamaukig war, dennoch aber wohl recht gut recherchiert und nach Interviews mit den Zeitzeugen geschrieben wurde. Hier ein Interview mit Harald Jäger, dem Mann, der als erster die Grenze , die Mauer, öffnete.
Meine persönliche Erinnerung setzt genau einen Tag später wieder ein. Ich wunderte mich über das geringe Interesse die Mitschüler*innen und Lehrer*innen in der Schule. Ich kann mich an keine größere Aufregung in der Schule erinnern, was mich aber auch verwundert. Ob ich es vergessen habe? Ich müßte mal meine alten, lieben Freundinnen von früher fragen, ob sie sich erinnern.
„Wo warst Du, als die Mauer fiel?“
3Sat erinnert sich so und ist ergänzend zu „Bornholmer Straße“ ganz hilfreich. Woran ich mich genau erinnere, ist, wie ich mit meiner Mutter und meinem Bruder am Nachmittag des 10. November vor dem Fernseher saß und Kohl, Brandt und Momper das Deutschlandlied singen hörte. Anscheinend hatte ich es da erst so richtig begriffen? Meine Mutter weinte und ich erinnere mich an meinen dicken Kloß im Hals. Nicht wegen des schlechten Singens, übrigens. Wir waren sehr sehr ergriffen, eine richtig große Freude und Erleichterung.
Es ist merkwürdig, dass ich mich nicht genauer erinnere, denn ich weiß dafür noch sehr genau, wie ich die letzten Wochen und Monate aufmerksam die Nachrichten hörte und alles mit großem Interesse aufnahm, was man so aus dem Osten hörte. Eine Gruppe von Leuten aus der Oberstufe war vor dem Mauerfall in der DDR, ich weiß nicht mehr wieso und keinen Zusammenhang. Denn eigentlich gab es ja keinen Austausch, es muß wohl ein länger geplanter Verwandtenbesuch oder so etwas gewesen sein? Jedenfalls gab es schon die Montagsdemonstrationen, die meine Freunde und ich mit Spannung und Ehrfurcht wahrnahmen. Und dieser Bekannte, der „drüben“ war, erzählte, wie sie durch die DDR fuhren und im Auto „Talking about a revolution“ von Tracy Chapman hörten. Und wie unwirklich das gewesen sei. Und ich erinnerte mich, wie sehr ich mir wünschte, dass es in der DDR eine Revolution geben möge.
Neben dem tränenreichen Fernsehnachmittag erinnere ich mich an eine Illustration aus der Rheinischen Post. Die Buchstaben „BRD“ und „DDR“ waren aus lauter kleinen Männchen geformt, die sich gegenüberstehenden Ds lösen sich gerade auf und die Männchen laufen sich lächelnd in die Arme. Ich mußte weinen, bei dem Bild. Leider konnte ich es im Netz nicht finden.
Dann erinnere ich mich, wie meine beiden besten Freundinnen und ich auf dem Schulhof beschlossen zur Kusine einer der beiden nach Berlin zu fahren. Eine Woche nach dem Mauerfall waren wir dort! Abgesehen davon, dass bei drei 17jährigen Mädchen allerlei denkwürdiges auf Reisen passiert, war dennoch der Mauerfall der Grund, das Ziel und die allumfassende Stimmung dieser Reise. Wir klopften uns Steine aus der Mauer, versuchten sie hochzuklettern, standen vor dem noch eingemauerten Brandenburger Tor, (oben im Bild noch mit Mauer und Ü-Wagen). Wir ließen uns vom amerikanischen Soldat auf der Ostseite nach Westen guckend fotografieren und reisten, noch mit Stempel im Reisepass und zwangsgetauschter Ostmark nach Ostberlin. Ich erinnere mich an den plötzlichen Farbwechsel von farbig in schwarz-weiß, ohne zu wissen, dass er später so etwas wie ein geflügeltes Wort werden würde. Ich erinnere mich an den – sorry – unappetitlichen Geschmack der Bratwurst und der Schokolade, die wir uns von dem zwangsgetauschten Geld gekauft haben und wie wir nicht wußten, was wir nun mit dem restlichen Geld anfangen sollten. Ich erinnere mich an die faschistoid-sozialistischen Reliefs an den Häusern, an deren Arbeiterromantik und an den bronzefarbenen Palast der Republik.
Wahnsinn!
Wir waren auch im Mauermuseum und ich erinnere mich an das Wort „Wahnsinn“. Wir sagten es selber die ganze Zeit, etwas besseres fiel uns nicht ein. Den anderen anscheinend auch nicht, wir hörten es öfter und es schien uns ganz natürlich, was bitte, soll man sonst sagen? Die Mauer ist weg! Wir können da durch und die Trabis fuhren von hüben nach drüben!
Wie wahnsinnig hätten wir es gefunden, wenn wir damals schon gewußt hätten, dass heute ein russischer, ein amerikanischer und ein deutscher Astronaut eine Botschaft von Frieden und Zusammenarbeit aus dem Weltall senden?
In den letzten Tagen hat mich die Erzählung ihres persönlichen Mauerfalls der lieben Carola von Frische Brise ganz besonders berührt. Ein Tagebuch eines Teenagers, Alltag und Weltpolitk so nah zusammen. Vielen Dank, liebe Carola, für so viele interessante Einblicke in die letzten Tage DDR, Dein erstes Mal in West-Berlin und die bestimmt sehr schwierige Zeit des „Umzugs“. Ich finde gerade die „kleinen“ Einblicke von echten Menschen zeigen, was wirklich passiert ist.
Andere Töne gibt es hier in einem Text von „Der Freitag“, der auf die immer noch fortwährende Trennung der Kulturen, des Denkens und Empfindens der Ost- und Westdeutschen aufmerksam macht: „Brief an die Westdeutschen“ von Jana Hensel. Lesenswert finde ich auch die Erinnerungen einer fast gleichaltrigen, Halina Wawzyniak, die bei dem Mauerfall etwas ganz anders fühlte als ich.
Was ich übrigens nach dem Schauen von „Bornholmer Straße“ und im Nachlesen von Wikipedia,der DW und weiterer Texte besonders bemerkenswert finde, ist die Medienbeteiligung des Mauerfalls. Dieser Aspekt ist mir bis dahin ganr nicht so aufgefallen. Nach der PK und dem „nach meiner Kenntnis sofort“, hatten zuerst die Tagesthemen quasi jubilierend mit „Superlativen“ vom Mauerfall und der Reisefreiheit berichtet. Erst dann entstand genug Druck auf die Grenzsoldaten, um die die Mauer an der Bornholmer Straße wirlich zu öffnen. Ein interessanter Aspekt, gerade im Hinblick auf die Macht der Öffentlichkeit, die „nur mal gucken“ wollte. Wie ungeheuer nicht harmlos ist Neugier, nur mal Gucken wollen, nur mal Präsenz zeigen und ein paar laute Rufe in die Nacht. Unfassbar, immer noch. Ein Glücksfall an Tüddeligkeit und Nicht-Denkens von Schabowskis auf der PK, (hier übrigens in spannendes Interview mit dem Mann, der die entscheidende Frage auf der PK stellte: Und ab wann gilt das?“), von mal gucken kommenden Menschen, ihrem Rufen, ihrem Fordern.
Was ich mich ja immer fragte, wie kam es zu dieser verrückten Formulierung, die DDR Bürger dürften jetzt nur mit Personalausweis ausreisen und warum wußte niemand was, warum fiel kein Schuss und warum gingen die Obersten der DDR in dieser Nacht schlafen? Ein Online-Interaktions-Dings (wie heißt sowas?) von Spiegel Online kann da erhellen: „War der Fall der Mauer das größte Versehen der deutschen Geschichte?“ fragt Cordt Schnibben auf Spiegel Online namens „Mauerkomödie. Wie drei Kommunisten den Sozialismus retten wollten und dabei die DDR versenkten“.
Oder wie Götz Alsmann in den Mini-Statemetns des MDR (hier noch mehrere) sagt, „So hö?!“ Schabowski wußte es nicht und gab, vorschnell eigentlich, eine Antwort. Ein Fehler, ein Missverständnis. Wie verrückt! Und wie schön, dass es so ein menschlicher Zug ist, der diesen Mauerfall begründet und kein generalstabsmäßiger Putsch oder keine wilde, blutige Revolution. Das ist das Schönste daran.