Meine Mama Notizen zu Jesper Juul-Zitate heute: Beziehung ist Geben und Nehmen. Das gilt auch für unsere Beziehung zu unseren Kindern. Ich finde es zumeist großartig, was Juul sagt. Inspirierend. Ich nicke – und dann kommt mir das Leben dazwischen.
„Die Beziehung zu einem Kind ist keine Einbahnstraße. Das Kind soll nicht nur das entgegennehmen, was wir ihm geben wollen. Wir müssen auch bereit sein, das entgegenzunehmen, was unsere Kinder uns geben.“
Was haben mir meine Kinder gegeben? Was haben sie mich gelehrt? Beispielsweise wie es ist, mit Matsch zu spielen oder kleine Ameisen auf dem Boden zu betrachten. Nicht nur das, sie lehrten mich und den Mann, unseren Fokus zu verschieben. Erst als Eltern erhalten andere Dinge Priorität im Leben: die kleinen Momente wahrnehmen, egal ob Ameisen oder das kindliche Ausprobieren, die Natur, was auch immer. Aber auch die großen Dinge werden noch bedeutender: Liebe, Familie, Verantwortung. Das ist schön so. Das sind ganz tiefgehende und wichtige Dinge. Auch Schlaf oder Kaffee erhalten ganz neue Prioritäten im Leben. Ist es das, was Kinder uns geben, und was wir annehmen sollen, wie das Juul-Zitat sagt?
Ja, klar. Aber – und das ist die Flip-Side – was mich meine Kinder hervorragend und präzise jeden Tag aufs Neue lehren: was mich zur Weißglut bringt, wie oft und wie schnell. Es sind die ganz eigenen Baustellen in meinem Leben, die ich eigentlich immer schonmal beackern wollte, auf die meine Kinder treffsicher zusteuern und weiter darin herum baggern. Das ist das Recht der Kinder – quasi ihre Aufgabe. Damit wir Eltern an uns arbeiten, uns überdenken und Verantwortung für unsere Baustellen übernehmen.
Ungeduld? Zu schnell laut werden? Sich zu wenig behaupten? Zu oft mit dem Partner streiten? Nicht nein sagen können? Launisch sein? Zu schnell schulig fühlen? Keine Hilfe annehmen können? Was auch immer die Schwachstelle ist, Kleinkinder treffen sie präzise und ziemlich schnell. Wenn ich die Beziehung zu meinen Kindern als Geben und Nehmen verstehe, kann ich auch mit meinen neu entdeckten alten Schwächen anders umgehen. Anstatt mich zu grämen, kann ich sie bearbeiten. Anstatt Schuldgefühle zu entwickeln, kann ich meine Kinder und mich beobachten und mein Verhalten anpassen. Ich kann lernen. Hurra! :)
Ich weiß ja nicht, wie es Euch geht mit der Aussage dieses Zitats, aber für mich spielt sie inhaltlich eine ganz prägnante Rolle im Verständnis meiner Mutteschaft. Das habe ich aber natürlich nicht von Anfang an gewußt, sondern der Kronleuchter ist mir erst einige Jahre später aufgegangen.
Nicht alles können ist ok. Gemeinsames Lernen ist der Weg
Als ich meine Tochter bekam und das erste Babyjahr mit ihr zu Hause war, gab es unzählige Situationen, in denen ein Gefühl sehr stark war: Ich habe keine, wirklich gar keine Ahnung, wie Mutter-sein geht! Irgendwann wurde das Gefühl schwächer, Liebe, Glück und neues Selbstbewußtsein wurden stärker und so kam Kind2 hinterher. Das ungute Gefühl kam mit der Geburt von Kind2 knapp zwei Jahre später angesichts der Anforderung ein Baby und ein kleines Kleinkind versorgen und gerercht werden zu müssen verstärkt wieder. Es änderte sich erst allmählich mit der Zeit, mit der Erfahrung und mit dem Lernen. In den ersten zwei bzw. drei Jahren meiner Mutterschaft war ich phasenweise durchdrungen von Verunsicherung, Schuldgefühlen (so absurd die auch waren) und allgemeiner emotionaler und physischer Überforderung.
Erst mit der Zeit wurde mir klar, dass meine Kinder die Welt kennen lernen und ich meine Kinder. Dass sie mich kennen lernen und ich die Mutterschaft. Dass sie die Welt erkunden und ich meine eigenen Baustellen wieder besichtige. Und vorallem: Dass wir gemeinsam lernen, gemeinsam wachsen und uns gegenseitig die verschiedensten Dinge beibringen.
Als ich das verstanden hatte, war ich unfassbar erleichtert. Es ist ok, wenn ich nicht weiß, wie Mutter sein geht. Es ist ok, wenn ich mich unsicher fühle, Zeit brauche, mich erstmal reinfühlen muß in neue Anforderungen, wachsende Bedürnisse und neue Situationen. Es ist ok, dass ich keine Ahnung habe. Gendau diese Dingen müssen und dürfen mein Baby auch, der Vater auch, das Kleinkind, das größere Kind wir alle dürfen uns die Zeit nehmen genau hinzuschauen und zu lernen. Das können wir gemeinsam tun und tatsächlich können wir uns gemeinsam dabei helfen.
Wenn ich auch nichts kann, lernen kann ich immer
Ich finde diesen Satz ungemein beruhigend. Denn wie unsicher ich mich auch fühlen mag, wie unfähig oder unperfekt, lernen kann ich immer. Genau hinschauen, zuhören und beobachten, was das Kind mir sagen will, worauf mich sein Verhalten hinweist und welche Rückschlüsse ich über mich erhalte, wenn ich erkenne, wie ich mich in Stresssituationen verhalte. Lernen kann ich immer. Und zu bemerken, dass ich lerne, oder etwas gelernt habe, ist immer wohltuend.
Tatsächlich kam der Satz, der zunächst so viel Beruhigung versprach, wie ein Bumerang auf mich zurück, als ich meine veränderten Mutter-Fähigkeiten beim 2. Kind bemerkte. Dann dachte ich oft, wie ungerecht es doch ist, dass ich für Kind1 nicht eine so sichere und wissende Mutter war, wie im selben Alter beim Geschwisterkind.
Aber, so banal das klingt, so ist das eben. So geht es doch den meisten Eltern! Selbst die besten Naturtalente müssen doch mit der fortschreitenden Zahl ihrer Kinder noch sicherer, besser und wissender werden. Ich bin mir sicher: auch das ältere Kind profitiert von dem fortschreitenden Lernen der Eltern, dem Ablegen ihrer Erziehungsaltlasten beispielsweise, dem Anlegen von mehr Selbstsicherheit und mit einem durch die Erfahrung geschulteren Auge. Und solange ich meinem erstgeborenen Kind in Augenhöhe begegne, es mich weiterhin die Dinge lehrt, die es mir mit seinem Kind-sein lehrt, dann ist das die echteste und aufrichtigste Art von Beziehung, die ich dem Kind geben kann. Ein ernst-nehmen, ein Lernen, ein miteinander wachsen, ein offen sein, Fehler eingestehen können, weiter entwickeln. Das kann doch nur gut sein.
Wie versteht Ihr dieses Zitat? Hattet Ihr auch so einen Aha-Moment mit dem gemeinsamen Geben und Nehmen, mit der Art der Beziehung zu Euren Kindern? Vielleicht assoziiert Ihr mit dem Satz auch etwas ganz anderes? Es würde mich sehr interessieren.
Liebe Sonja,
das ist wirklich der beste Text, den ich seit langem gelesen habe (und ich lese viiieele Blogs), er spricht mir sowas von aus der Seele und ich hatte einen ähnlichen Text auch schon im Kopf, aber es kam nicht raus. Danke für Deine Gedanken, die ich alle genauso empfinde. Auch ich habe mich, vor allem in meinen Schwächen, die vorher viel weniger relevant waren, durch die Kinder völlig neu kennengelernt und beackere meine Baustellen jeden Tag aufs Neue. Das ist anstrengend und gleichzeitig so toll! Ich habe Dinge über mich erfahren, die ich nie für möglich gehalten hätte, erkannte mich in der ersten Zeit nach dem ersten Kind gar nicht mehr wieder und muss auch jetzt mit beiden Kindern jeden Tag mein Potential, meine Bedürfnisse, meine Grenzen neu justieren.
Was mich interessieren würde: ich habe die Erfahrung, dass das, was Du beschreibst, bei Vätern nicht so ausgeprägt bis gar nicht vorhanden ist. Einen Lernprozess, der durchs Kinderhaben ausgelöst wurde und ständig reflektiert wird, sehe ich bei vielen Vätern irgendwie nicht. Was meinst Du dazu, ist das eine mamaspezifische Sache?
Liebe Grüße und danke für diesen wunderbaren Text!
Ich verstehe das Zitat ganz genau so. Kinder geben uns die Chance wieder zu entdecken, wie lernen und wachsen geht. Ich habe in den letzten drei Jahren mehr über mich, Beziehungen und Kommunikation gelernt als vorher im ganzen Leben zusammen, glaube ich.
Das war anstrengend, hat mich an und über Grenzen gebracht, aber genau so lernen auch Kinder. Sie gehen über ihre Grenzen, fallen, stehen auf – und lernen dann laufen, klettern usw.
Für mich ist das die Essenz der Elternschaft und das größte Geschenk!
Liebe Grüße
Julia
Liebe Julia, liebe Frühlingskindermama, ich freue mich wirklich sehr über Eure beiden Kommentare. Bei mir war es übrigens auch so. Ich hatte berufsbedingt immer schon mit Kommunikation zu tun, aber das wirkliche Arbeiten an Kommunikation und ihren vielen Ausprägungen, auch gewaltfreie Kommunikation, lerne ich erst, seitdem ich Kinder habe.
Und ob es Vätern auch so geht? Gute Frage. Ich glaube, dadurch, dass in den schwierigen ersten Jahren gerade die Mütter bei den Kindern sind und die meisten Väter immer noch Vollzeit arbeiten, tragen die Mütter auch die größte Arbeit. Aber wenn man das als Geben und Nehmen, als Wachsen und Lernen versteht, erhalten die Mütter auch die größere Herausforderung und das größere Geschenk.
(Was aber die Gesellschaft bitte nicht davon abhalten soll. gleiche Chancen, gleiche Wiedereinstiege und gleiche Gehälter für Frauen zu realisieren. Männer dürfen gerne auch mit und ihren Kindern wachsen. Just sayin‘. ;))