Es gibt eine Menge, das mir in den letzten Tagen seit den Anschlägen in Paris durch den Kopf gegangen ist. Zu viel und zu emotional und auch zu widersprüchlich, als dass ich das in einen Text bringen könnte. Darum versuche ich es erst einmal mit Stichwörtern. Weiter unten komme ich auf die deutsche NoPegida Bewegung zu sprechen und warum ich in diesen Tagen an sie denken muss. Kurzer Vorgriff: Weil Liebe unsere Aufgabe ist.
- Was mir an den meisten Solidariatätscartoons das Karikaturisten dieser Welt missfällt (zu viel Machismus, zu viel Gewalt, zu viel Rede vom Besiegen, vom Verlieren, zu viel schwarz-weiß, zu wenig Liebe. Und nein, die Tatsache, dass ein Bleistift einen Terroristen in Kampfkluft ausradieren will, mit spitzer Mine angreift o.ä. macht es nicht friedvoller.)
- Warum „JesuisCharlie“ nichts mit der Pegida zu tun haben kann (und zwar nicht nur, weil das Satiremagazin ein Teil der angeblichen „Lügenpresse“ war und der versuchte Schulterschluß der Pegida mit der Redaktion von Charlie Hebdo deswegen verlogen ist (was stimmt), sondern vor allem, weil es eine Solidaritätsbekundung für Meinungsfreiheit und gelebte Demokratie ist, die nicht zu Pegida passt. Oder ist das für Euch ein und derselbe Punkt? Für mich nicht ganz, da Pegida genau nicht für gelebte Demokratie steht, sondern für Ausgrenzung.)
- Wie ich „JesuisCharlie“ für mich verstehe (siehe oben und: Ich verstehe den Satz als Meinungsfreiheit für alle und für alles. Für Satire, Kunst und das gesprochene und geschriebene Wort. Ich bin durch das Attentat zumindest auch mental verletzt und möchte Ausgleich und Kommunikation zwischen den Fronten),
- Was Satire und Kunst darf (Alles. Jede Äußerung, jeder Ausdruck, Meinung, Position muß erlaubt sein, darf bezogen werden. Alles andere wäre dressierter Kack und somit unfrei.)
- … oder nicht (Aber. Rosa Luxemburg: Freiheit ist auch immer die Freiheit der Andersdenkenden. Was heißt das für die Meinungsfreiheit? Was darf Satire? Was darf Kunst? Ich finde: Es soll nicht Verstummen machen, aber eine Reflektion über die Andersdenkenden sollte deutlich werden. Deutlich wird sie beispielsweise auch mit dem Gestus der Provokation, weil die Grenzübertretung damit markiert wird. Es darf auch die Meinung der Andersdenkenden kritisiert werden. Verhönen ist halt irgendwann eine Grenze. Aber wann?)
- Und warum es so schwierig ist, das in allen Belangen zufriedenstellend zu beantworten. (Das ist die Frage nach der Grenze, der Definition, der Kontrolle. Niemand macht das für Dich. Jeder muß es selbst entscheiden. DAS macht die Welt so vielfältig, so komplex, so unlösbar und widersprüchlich. Mir persönlich gehen viele der Charlie Hebdo Karikaturen, die ich bisher im Netz finden konnte, zu weit. Ich finde sie ästhetisch eher abstoßend, und auf irgendwie ekelhafte Weise zu menschlich (dieses Gesabber beim Kuß zwischen dem Moslem und einem Redakteur, zum Beispiel). Aber ganz besonders stört mich das Benutzen von rassistischen und auch sexistischen Stereotypen. Ja, die Provokation sehe ich. Und muß der Satiriker Rücksicht auf die Empfindungen einer Person of Colour machen, der oder die tagtäglich solche stereotype Rassismen erleben muß? Irgendwas in mir sagt „ja“. Etwas anderes, im Sinne der Wahrheitsfindung und -Deutlichmachung, sagt „nein“. Aber wo ist die Grenze, wer kontrolliert das? Niemand. Es bleibt eine persönliche Herausforderung.)
- Für mich gibt es für so viele Dinge ein Für, ein Wider und ein Vielleicht. (Darum kann ich die Charlie Hebdo-Kritiker*innen verstehen, die Befürworter*innen ebenso. Das gilt auch für viele andere Fragen, auch außerhalb dieses Themenfeldes.)
Im ersten Text blieb ich also stecken. Vielleicht auch einfach ein winziges bisschen zu viel für einen einzigen Blogartikel. Mittlerweile hat sich die Welt weiter gedreht, ich hatte eine sehr unschöne Unterhaltung mit einer Bekannten über die Pegida, was sie ist, wofür sie steht usw., ich war mit Mann und Kindern auf der Nodügida-Demonstration und nicht zuletzt hat mich die Weisheit meiner fünfjährigen Tochter verstummen lassen vor allzu verschwurbelten Antworten.
In vielen Dingen sehe und anerkenne ich die Widersprüchlichkeit, die Wahrheit auf mehreren Ebenen, auch wenn genau das recht schwer ist auszuhalten. In machen Dingen sehe ich das aber nicht. Momentan wird ein Text vielfach gelobt und geteilt, der sich mit der Schnelllebigkeit dieser Welt auseinander setzt. Es ist eigentlich eher ein Text über die Sau-durchs-Dorf-treiben-Mentalität des Journalismus‘ und von Social Media und der Sucht nach Aufmerksamkeit, nach Empörung, nach Meinung für alles und jedes. Angewendet hat der Autor Stefan Mensch den Text aber auch auf Pegida und Charlie Hebdo. Kurz nach dem Attentat nach Paris, auch heute noch, denn es gibt noch nicht alle Erkenntnisse, verstehe ich, dass man keine „Haltung“ zum Attentat hat. Habe ich auch nicht gänzlich. Aber am Ende des Textes spricht der Autor davon, dass er auch nicht eine endgültige Meinung zu Pegida hat. „Ich habe noch keine “Haltung”, keine abschließende, kluge These zu PEGIDA und dem Anschlag auf Charlie Hebdo.“ Echt? Heute, mehrere Monate nach den ersten Pegida-Demos? Das ist irgendwann keine Frage mehr von Schnelllebigkeit oder Überforderung. Es gibt Fragen und Themen, bei denen eine Haltung nicht allzu schwer fallen sollte. Wohl zu unterscheiden von Meinung, denn es ist nicht notwendig, mit jede Meinung auf jede Aussage der Pegida zu nennen. (die sie ja so nie treffen, es gibt ja nur das bestusste Papier. Standpunkt und Kommunikation ist ja auch was anderes. Aber zurück zum Thema.) Eine Haltung finde ich immer dann auch innerhalb weniger Tage angebracht, immer dann, wenn eine Gruppe von Menschen ausgeschlossen werden soll. Im Fall von Pegida sind das Flüchtlinge, Bedürftige, Asylsuchende. Es ist ein Verlust von Empathiefähigkeit, wenn man heute immer noch keine Meinung zu Pegida hat. Ich unterstelle dem Autor nichts, ich kenne ihn nicht und mir ist angedeutet worden, so haltungslos sei er ggü. der Pegida nicht. Ich beziehe mich auf diesen Text, dessen zweiter Teil mir aus genau dem genannten Gründen gar nicht gefällt. (Den ersten Teil hingegen finde ich sehr treffend.)
Es fand mittlerweile auch dieses Gespräch mit einer Bekannten statt, die mich auf meine Frage, ob sie am Montag zu NoDügida-Demo käme fragte, ob das jetzt die seien, die gegen die Islamisierung seien oder die anderen? In der Fragestellung allein steckte so viel Uninformiertheit, dass ich – gelinde gesagt – sehr erstaunt war. Nun ja. Sie sagte auf meine kleine Erklärung, wer jetzt wofür steht, dass sie auch nicht so viele Moscheen haben möchte und dass sie es schade findet, wenn der St. Martinszug jetzt Laternenumzug heißt. Und: Deutschland wäre ein so fremdenfreundliches Land, nirgendwo auf der Welt wäre man ähnlich prolitcal correct und ähnlich offen für Einwanderer. Uff. Nun, ich muß jetzt nicht das ganze Gespräch widergeben, ich war einigermaßen verzweifelt. Warum wird nicht eingesehen, dass Deutschland 1. die Einwanderer braucht, das 2. Teilen müssen ein menschliches Grundprinzip ist, damit ist dann beispielsweise die Aufnahme von Flüchtlingen und Gewähr von Asyl gemeint und 3. warum wird nicht unterschieden zwischen Islamismus und den gläubigen Moslems, dem Islam? Warum wird (wieder in Deutschland!) eine Religion für bestimmte Probleme im Land verantwortlich gemacht? Merken die denn gar nichts mehr? Danke, Sven Lehmann für die kurze und treffende Formulierung!
[Das Video mit seinem Statement wurde leider aus Youtube entfernt]
Solche Erfahrungen machen mich traurig. Der Mann sagte, nachdem ich ihm die Unterhaltung nacherzählt habe, fassungslos: „Ich verstehe die Menschen nicht, für die Liebe nur ein schönes Gefühl ist. Liebe ist eine Gesinnung, eine Handlungsmaxime, ein Weg. Liebe ist die Lösung.“
Ich hoffe, dass wir genau das an unsere Kinder weitergeben können, insbesondere die Tragweite dieses Satzes. Meine Tochter gibt mir großen Anlass zur Hoffnung:
Ich habe meinen Kindern ein paar Tage vor der NoDügida-Demonstration angekündigt, dass wir dorthin gehen würden. Wie erkläre ich Nopegida und Pegida einem fünfjährigen Kinde? Ich versuchte es über das Bild des Teilens. Es gibt Dinge, die man teilen muß, damit beide etwas davon haben. „Wie bei St. Martin!“ ruft mein agnostisch erzogenes Kind. „Man muß teilen. Auch wenn man dann etwas abgeben muß und weniger hat.“
Dem ist eigentlich nichts hinzuzufügen, oder? Manchmal bringen mir die ganz einfachen, kleinen Wahrheiten mehr, als die große, ganze, weltumspannende Erklärung, warum wie Einwanderer brauchen, der Islam zu Deutschland gehört oder welche Aufgaben Deutschland im globalen Kontext hat und welche Verantwortung da mit rein spielt. Letztendlich geht es um Liebe. Liebe als Maxime, nicht als schönes Gefühl für den Partner, die Kinder oder den Freund. Liebe ist mehr.
Eigentlich ist das hier ein Text in Progress. Ich werde zukünftig vermutlich noch öfter gesammelte, eklektische Gedanken verbloggen. Vielen Dank für die Aufmerksamkeit!
P.S. Ich weiß, dass der Titel leicht pathetisch ist und im schlimmsten Fall an ein Kirchenlied erinnert.
Hello.
Womit du sicherlich Recht hast, die Karikaturen sind oft Macho-Gehabe und zudem auch sehr schnell vergessen. Bis auf die letzten. Persönlich finde ich, es gibt Kriege auf der ganzen Welt. Unschuldige werden getötet, zu Hauf. Kein Wort in der Presse. Dieser Anschlag ist abscheulich. Doch das TamTam drumherum vollkommen übertrieben. Sicherlich ist das förderlich für die Ratlosigkeit unserer Politiker. Die ja nicht unschuldig an dem Desaster sind. Waffenlieferungen und so weiter. Für unsere Politiker ist es förderlich, jetzt können sie bald tun was sie wollen. Alles belauschen, alle Macht der Executive. Jeden einsperren, jeden schlagen, jeden abhören. Damit unser Wohlstand geschützt bleibt.
„Haben ist hier mehr als Sein.“
Danke!
Ich möchte dem nur noch hinzufügen, dass der St. Martinsumzug bei uns (komme aus Berlin) schon immer Laternenumzug hieß und heißt… Vielleicht kannst du deiner Freundin sagen, dass nichts schlimmes ist und nichts mit „Islamisierung“ o.ä. Gedöns zu tun hat und dass sie keine Angst haben muss.
Danke, Christina, das finde ich sehr interessant und wußte ich noch nicht. Ich habe vermutet, weil Eltern vermehrt aus der Kirche ausgetreten sind bzw. atheistisch leben.
Hallo Sonja,
Danke für den Post, gerade weil es ziemlich schwierig ist, seine Gedanken nach diesen Ereignissen zu ordnen.
Ich gebe Dir Recht: auch schon während der Nachdenklichkeit und Stille nach den Terrorakten hörte man schon leise wieder das erste Säbelrasseln. Das wird in den nächsten Tagen und Wochen lauter werden und sich sich auch vermutlich auch in konkrete Aggression verwandeln, seitens der Staaten und auch von Privatpersonen und bestimmten Gruppen. Das deutet diese Kriegsrhetorik einfach an.
Alleine der englische Terminus „war on terror“ ist vollkommen gefährlich. Terror und Terrorbekämpfung sind kein Krieg.
Krieg (intern und extern) ist gerade jetzt aus verschiedenen Gründen eine gute Option.
Es ist immer toll, wenn man von internen Schwierigkeiten ablenken
kann indem man sich einen äußeren Feind sucht, den man bis zum geht-nicht-mehr geistig aufbläst, um gegen ihn loszuschlagen.
Diese inneren Schwierigkeiten der westlichen Gesellschaften sind aus meiner Sicht immens (Geld- und Wirtschaftssystem, soziale Ungleichheit, mangelnde Chanchengleichheit, usw.).
Mir fehlt eine Reflektion des eigenen Systems, des eigenen Handelns, gerade auch gegenüber der islamischen Welt. Sind wir wirklich die moralisch besseren, die sich jede Überheblichkeit erlauben können ?
Ich meine, wir haben auf anderen Kontinenten (im Irak, in Afghanistan, in Syrien und in Lybien) Kriege begonnen oder doch unterstützt und für massenhaft Tote gesorgt. Was haben wir damit erreicht ? Nichts.
Nein, wird immer nur über die anderen: die Islamisten und Terroristen, „die Moslems“. Man soll das ruhig tun, aber was ist denn mit uns ?
Terror ist inakzeptabel und muss abgewehrt werden und darüber muss konzeptionell nachgedacht werden, aber über die politische Motivation des Terrors macht sich niemand Gedanken. Eher schon darüber, wie man alle Bürger mal wieder und noch besser ausspionieren kann (Vorratsdatenspeicherung !).
Ich bin von Natur aus kein optimistischer Mensch, muss ich dazu sagen.
Davon ist meine Wahrnehmung sicherlich gefärbt. Jedoch weiß ich nicht wie die Welt innen- und außenpolitisch nach Charlie Hebdo friedlicher werden kann, ich sehe eher das Gegenteil kommen.
Viele Grüße
Lieben Dank für Deine ausführliche und nachdenkliche Antwort. Eine Bereicherung, mal wieder. Ja, mir macht es auch sehr große Sorge, wohin der öffentliche Diskurs abdriftet. Keine gesellschaftliche Betrachtung sondern endlich politische Nicht-Lösungen, die man in krisenärmeren Zeiten nicht durchgesetzt bekäme -> Vorratsdatenspeicherung.
Danke für deine sehr sinnigen Worte, sie haben mir aus der Seele gesprochen. – Gerade als Mutter habe ich wenig Zeit mich über aktuelle poliische Themen zu informieren und darüber mit anderen (Müttern?) zu sprechen. Doch habe ich mit großer Sorge die PEGIDA Strömungen verfolgt. Mir gingen ähnliche Dinge durch den Kopf, die du in deinem alten Text angebracht hast.
Ich habe mich gefragt was wohl dahinter steckt, und wollte mich mit dem klassischen Nazi nicht zufrieden geben. Irgentwie erschíen mir das zu plakativ. Doch, dass so viele Menschen ihre übergroße Unzufriedenheit mit Rassismus und Intoleranz tilgen, macht mich echt wütend.
Also vielen Dank, und ich werde einige Worte von Dir und Sven Lehmann weiter tragen.
LG Katharina aus Berlin
Lieben Dank für Deinen tollen Kommentar. Gerade Dein letzter Satz freut mich sehr.