Eine Elternzeitschrift lässt einen Vater erzählen, dass er gerne mit seiner Tochter über dicke Menschen lästert und dass er findet, es unterstütze das Bonding mit seinem Kind. Die Social Media Welt steht Kopf und das zu Recht.
@nido_magazin Echt jetzt? Bodyshaming? Ihr? 2017? Mega daneben… pic.twitter.com/J5HPtFYfU2
— Okaybritta (@Okaybritta) 20. März 2017
Eigentlich ist dazu auch schon alles gesagt. Aber ich hab noch nicht und will auch. Ich muss erzählen, auf wie vielen Ebenen ich das Lästern mit einem Kind über (Merkmal der Wahl einfügen) schädlich finde.
Ich will auch darüber nachdenken, was der Vater und die Redaktion, die seine Erzählung in einer späteren öffentlichen Nicht-Entschuldigung als einfach nur ehrlich benannte, wohl gedacht haben, was dieses Lästern sei.
Liebe @Okaybritta, hier unsere Stellungnahme: pic.twitter.com/Sk8KqDbkFv
— Nido (@nido_magazin) 21. März 2017
Vermutlich haben der Vater und die Redaktionsmitglieder gemeint, das Lästern sei so etwas wie eine „guilty pleasure“. Etwas, das „man eigentlich nicht macht“, weil es nicht ganz richtig ist, aber dann doch wieder Spaß macht. Dazu später.
Bodyshaming und was es mit Deinem Kind macht
Mein spontaner Tweet dazu:
"Danke, Papa, für das empowernde Frauenbild, daß Du mir vermittelt hast." Vielfalt zeigt d Redaktion damit nicht @nido_magazin #bodyshaming https://t.co/UpFcA2R24a
— Sonja (@Mama_notes) March 21, 2017
und
@berlinmittemom @Nido Total krass, mir tut auch das Teenagermädchen leid. Die wird sich später an ihrem #Lookism abkämpfen müssen, mit anderen und mit sich selbst
— Sonja (@Mama_notes) 21. März 2017
Lästern ist grundsätzlich niederträchtig und respektlos. Immer. Kindern vermittelt es nicht gerade die zwischenmenschliche Interaktion und den Respekt. Etwas, dass ich meinem Kind wahrscheinlich schon gerne vorleben will.
Wer über dicke, dünne oder sonstwie gewachsene Körper lästert, verletzt und beschämt andere. Damit wird nicht nur die gemeinte Person, sondern auch sich selbst und den / die Gesprächspartner’in. Nicht jetzt nur wegen Karmabus. Sondern auch, weil wir Bodyshaming immer auch auf uns selbst beziehen. Vorallem Kinder und Jugendliche tun das. Auch dann, auch wenn sie vermeintlich das Gegenteil dessen darstellen, worüber gerade gelästert wird.
Das Kind fragt sich vielleicht irgendwann: Bin ich vielleicht doch ein bisschen zu dick? Bin ich ebenfalls zum Lästern preisgegeben, wenn ich mal dick werde? Hat mein Vater mich dann weniger lieb?
Bodyshaming bei Kindern und Jugendlichen führt rein logisch schon im Umkehrschluss zu Verunsicherung.
Bodyshaming führt dazu, dass sich das Kind nicht so annehmen können wird, wie es ist. Denn der Körper wird sich verändern, das tun lebende Körper nämlich.
Bodyshaming kann zu Selbstwahrnehmungsstörungen dem eigenen Körper gegenüber, kann zu Essstörungen und weiterem führen. Und das in einer Zeit, in der schon Grundschulkinder ihre Eltern fragen ob sie zu dick seien oder ob sie eine Diät halten müssten.
Und natürlich führt Bodyshaming zu Mobbing. Die Kinder werden über eine andere Gruppe von Kindern lästern. Machen die Erwachsenen ja so vor.
Bodyshaming lässt abstumpfen und lässt Empathie verkümmern.
Bodyshaming schafft Feindbilder.
Der wichtigste Punkt ist für mich hierbei, und darum wiederhole ich das einfach nochmal, dass einem Mädchen eine Verunsicherung über die Würde und den Wert eines Frauenkörpers vermittelt wird, der ihr weder beim Heranwachsen, noch beim späteren Erwachsensein gut tun wird. Im Gegenteil.
Bonding – die besondere Verbindung zum Kind
Bonding ist etwas, mit dem sich meine Elterngeneration besonders beschäftigt. Bonding ist wichtig. Es schafft Vertrauen, eine Verbundenheit, Gemeinsamkeit, Liebe und Geborgenheit. All das, was wohl alle verantwortungsvollen, liebevollen Eltern ihren Kindern vermitteln wollen.
Wie kommt da das Lästern ins Spiel? Wer jetzt also meint, Lästern mit dem Kind schaffe einfach nur Spaß und eine Verbundenheit über das gemeinsame Feindbild, sieht das Ganze auf geradezu naive Weise zu kurz. Gemeinsames Lästern wird das Kind und mich nicht enger zusammen schweißen und ein festeres Band schaffen. Sondern Lästern wird das Kind langfristig verunsichern und somit von mir als Lästermaul entfernen.
Ein gemeinsames Feindbild, um eine Verbindung zum Kind zu schaffen? Wenn es nicht so traurig und hilflos wäre, müsste ich darüber lachen, so wenig Sinn macht das. Letztlich ist es für mich eine billige Entschuldigung für (meinetwegen nicht durchdachtes oder auch bewußt) respektloses und asoziales Verhalten.
Was schafft eine Verbundenheit zum Kind? Ich bin nicht Bondingexpertin, aber das, was mir so spontan einfällt ist folgendes:
- gemeinsames Erzählen
- gemeinsam Essen
- gemeinsam Kochen
- Vorlesen
- Kuscheln
- miteinander spielen
- miteinander singen
- miteinander tanzen
- miteinander Musik hören
- malen bzw über Gemaltes, Gebautes, Gespieltes von den Kindern reden
- sich gegenseitig zeigen, was man gerade macht, wie etwas funktioniert
- Kinder ernst nehmen
- Kinder, die weinen trösten und nicht „Stell Dich nicht so an“ oder so etwas sagen
- Als bockig empfundene Kleinkindern mit so viel Geduld wie möglich begegnen und versuchen zu verstehen, was da gerade los ist.
- Kinder als Kinder anerkennen, die komplett anders ticken als Erwachsene, weil das so sein muss
- Kinder abends liebevoll ins Bett bringen
- Kindern zeigen, was man arbeitet
- Kindern erzählen, wie es früher in der eigenen Jugend so war
- Kinder aus ihrer Babyzeit / von der Schwangerschaft erzählen
- und vieles mehr
Ich glaube letztendlich auch, dass wenn ich meinem Kind vorlebe, anderen Menschen mit Respekt, mit Freundlichkeit und auf Augenhöhe zu begenen, lernt es, wie es geht. – Andere Menschen haben Freundlichkeit und Augenhöhe verdient und ich auch.
Jetzt aber: Guilty Pleasures!
Sorry. Aber grundsätzlich finde ich, dass es keine Guilty Pleasures gibt, sondern nur pleasures. Und grundsätzlich finde ich auch, dass Lästern kein guilty pleasure ist, ob jetzt mit Schuldgefühl oder ohne.
Egal ob ich gerne Schnulzen oder Splatterfilme gucke, Schundromane lese oder täglich Süßigkeiten konsumiere, es gibt keine Schuld. Es gibt Dinge, die wir tun, obwohl wir sie eigentlich nicht wollen. Aber das ist letztendlich eine Entscheidung, die wir vor uns selbst rechtfertigen müssen. Guilty ist vielleicht, wer einen Vorsatz hat, zu dem beispielsweise die eigene Disziplin nicht ausreicht. Aber eigentlich wäre auch das für mich keine Schuldfrage, sondern eher die frage nach den eigenen Regeln und Kategorien.
So weit, so einfach. Trotzdem tun wir manchmal Dinge, die wir eigentlich nicht wollen, uns gefallen Sachen, die wir eigentlich eher ablehnen und wir treiben trotz aller Vorsätze keinen Sport.
Meine guilty pleasures sind auf dem Sofa sitzen, Sport langweilig finden, Serien binge-watchen, Musik mit zweifelhaften Texten und von noch viel zweifelhafteren Musikern super finden, schnulzige Filme mit unrealistischer Handlung und noch viel unrealistischerem Ende mögen, zu viele Süßigkeiten und andere Dinge, die ich jetzt nicht alle öffentlich im Blog erzähle will. Manchmal fühle ich mich ein bisschen guilty, aber wer ist schon perfekt und wer definiert eigentlich, was ok ist und was nicht?
Um ein breites Thema kurz zu machen: Erfreue Dich an den pleasures und gut ist. Der Vater und die Redaktion haben vermutlich das Lästern mit einem Kind für eine guilty pleasure gehalten. Weil halt menschlich und so.
Warum ich finde, dass Lästern mit Kindern kein guilty pleasure ist
Wenn ich mit anderen Erwachsenen lästere, obwohl ich das eigentlich nicht gut finde, kann ich das ja machen. Das ist dann halt scheiße, eigentlich. Aber uneigentlich finden die anderen es auch lustig und alles fühlt sich gut und lustig an. Vielleicht schafft es wirklich kurzfristig eine Art Verbundenheit, einen gemeinsamen Nenner. Aber Lästern und Beschämen sind für mich noch einmal zweierlei Paar Schuhe!
Lästern ohne Beschämen aber in Anwesenheit oder sogar gemeinsam mit einem Kind finde ich vielleicht manchmal menschlich aber aus oben genannten Gründen sehe ich das sehr problematisch.
Lästern, dass einen anderen Menschen beschämt? Bodyshaming gemeinsam mit einem Kind? Gehört für mich nicht zu den verzeihlichen Fehlern, sorry. Das gehört für mich zu den Dingen, über die nicht nachgedacht wurde, die wohl in der eigenen Kindheit und Jugend erlernt aber nie hinterfragt wurden. Egal wie, es gehört letztendlich zu den Dingen, die nicht ok sind. Gar nicht.
Lästern gehört für mich nicht zu den guilty pleasures, weil es ausgrenzt und beschämt. Weil es das Kind letztendlich verunsichert. Weil es niederträchtig ist. Guilty Pleasures mit Kindern können manchmal ganz nett sein. Aber Lästern und Bodyshaming betrifft zu viele Personen, als dass es noch unter irgendeine Form von „pleasure“ fallen könnte. Bodyshaming ist kein verzeihliches Laster.
Ende der Durchsage. Danke für die Aufmerksamkeit.
.
<3
Super! Habe ich noch nie drüber nachgedacht. werde ab heute noch bewusster mit dem Thema umgehen. Danke!
Dankeschön für diese tolle Rückmeldung. <3
Lästern heisst für mich, sich über andere zu erheben. Das zeugt von einem niedrigem Selbstbewusstsein. Denn wenn ich mit mir selbst im Reinen bin, selbstbewusst, stark und zufrieden, muss ich nicht mit dem Finger auf andere vermeintlich Minderwertigere zeigen. Wenn ich meinem Kind Lästereien vorlebe, es sogar dazu animieren, vermittle ich ihm das Gegenteil von Selbstbewusstsein. Das Kind wird irgendwann an sich selbst herunterschauen und sich überlegen, was an ihm selbst „lästernswert“ wäre, weil es sich solchen Lästereien anderer entziehen will. Die Sportschuhe haben eine komische Farbe, die Hose sitzt komisch. Da kommt ein Pölsterchen überm Hosenbund raus. Oder ist die Handtasche vielleicht schon out. Oder das Fahrrad schäbig? Ganz ganz schlimm. Was der Vater da macht, ist ein kleines Samenkorn des mangelnden Selbstbewusstseins in seiner Tochter zu säen.
Was so etwas mit einem anstellen kann, kann ich bei meinem Mann und mir beobachten. Meine Eltern haben zuhause gerne über das Aussehen anderer Menschen gelästert. Meine Schwiegereltern haben über den Besitz und Status anderer Menschen gelästert. Ich bin nun sehr selbstkritisch mit meinem Körper, mein Mann legt übermäßigen Wert auf Statussymbole und zieht daraus (auch) sein Selbstbewusstsein. Wir beide arbeiten hart daran, uns davon zu befreien.
Danke für diesen Kommentar. Ich habe persönlich ähnliche Erfahrungen gemacht und kann es nur bestätigen.
Danke für deinen tollen Beitrag. Ich ertappe mich leider immer wieder, wie ich „Tatsachen“ mit meinen Freunden diskutiere. Kinder beziehe ich dabei glücklicherweise nicht ein. Aber in Zukunft wird definitiv mehr darauf geachtet, dass das nicht passiert!
Liebe Grüße
<3 <3
Bravissima <3
Danke, Du hast das mal wieder auf den Punkt gebracht!
Ich bin immer noch einigermaßen fassungslos, dass ein Elter die Beziehung zu seinem Kind definiert über ein gemeinsames „Feindbild“, hinter dem die äußere Erscheinung eines*r Dritten steht. Bedauernswert.
Gutes Contra, Sonja! Gut hinterfragt, zusammengefasst und argumentiert.
Ich finde es unglaublich, dass dieser Artikel es überhaupt in den Druck geschafft hat. Werde mir bestimmt auf absehbare Zeit keine NIDO Zeitschrift mehr kaufen. Diese Art Journalismus hat meine Unterstützung nicht nötig; ich trage mein Geld lieber woanders hin.
Sehr gute Punkte! Das musste gesagt werden. Vielen Dank.
Ich würde noch ergänzen: Lästern ist auch ohne Kinder scheiße. Es sät den Zweifel auch in uns Erwachsenen und es erzeugt eine höchst zweifelhafte Verbundenheit, nämliche eine, die an äußere, ebenso zweifelhafte Kriterien gebunden ist. Das hast du ja oben sehr gut beschrieben. Lästern desensibilisiert uns für eine Offenheit, die wahre Verbundenheit erst ermöglicht: Der Offenheit für die Andersartigkeit meines Gegenübers. DIE sollten wir trainieren, denn sie ist uns oftmals wesensfremd.
Dabei handelt sich jeweils um sehr tiefsitzende innere Haltungen. Wenn wir das Lästern regelmäßig mit anderen Erwachsenen praktizieren, können wir im Umgang mit unseren Kindern nicht mal eben umschalten. Das funktioniert nicht! Unsere Kinder haben da sehr feine Antennen, denke ich.
Wie siehst du das?
Das sehe ich ganz genauso. Danke für Deinen Kommentar.