Hallo 2017. Hier bist Du also. Unangetastet liegst Du vor mir. Hoffnung lastet auf Dir, aber auch Resignation und dunkle Vorahnung. Wie meine Freundin aus den USA in ihrer Weihnachtspost schrieb: „Hoffentlich wird 2017 besser als das letzte Jahr. Aber vermutlich nicht.“
Ich weiß, was sie meint und ich fühle mit ihr. Mein momentaner Geisteszustand ist ein „state of switch“: Zeit des Umschalten. Hier mein Rundumschlag über meine Erwartungen an 2017 fast ganz ohne Kinderthemen.
Es liegen natürlich auch schöne Dinge vor mir: die Einschulung des Sohnes, diverse Konzerte, die ich besuchen werde oder auch die Hoffnung auf einen Sommerurlaub mit den Kindern.
2017: Schutzpessimismus
Aber ganz ehrlich, ich habe ich keine wirklich großen Erwartungen an 2017. Oder die nächsten weiteren Jahre. Hoffnung schon, aber … als Schutzpessimistin halte ich mich an ihr fest, denke aber das Schlimmste schonmal an.
Wer jetzt denkt, „Puh, da vermischt sich aber ganz schön viel Weltpolitisches mit Privatem. Die soll das mal auseinanderhalten und froh sein darüber, dass alle gesund sind, es den Kindern gut geht und sie ein Dach über dem Kopf hat!“, der oder die hat natürlich recht.
Dankbarkeit schon
Ich bin froh und dankbar für alles, was wir haben. Uns, unsere Gesundheit, ausreichend zu Essen, eine Heizung und unsere Wohnung. Wir werden in diesem Jahr sogar in eine etwas größere Wohnung umziehen. Auch wenn ich Schiss habe, dass uns das zu teuer wird und uns finanziell das Genick bricht, bin ich dankbar dafür, dass wir dorthin ziehen werden.
Ich habe eine Liste geschrieben. Was an 2016 scheiße war und was gut. Tja, was soll ich Euch sagen? Die Scheiße-Liste war drei Seiten lang. Die Gut-Liste hatte inkl. Dach über den Kopf und familiäre Gesundheit 8 Punkte. Knappe halbe Seite.
Der Trick mit dem „Schau Dir die Obdachlosen an! Die Flüchtlinge! Die Sozialhilfeempfänger! Die Kranken! Genieße Dein Leben und wisse zu schätzen, was Du hast!“ Das macht mich demütig und beschämt, hilft mir aber nicht länger als 5 Minuten weiter.
Continuing Bullerbü?
Ich bin kein Mamablog, der immer das Schöne betonen möchte, die Liebe beschreibt und das Glück, Kinder zu haben. Das interessiert mich gar nicht so, also darüber zu schreiben. Ich kann das vermutlich einfach nicht. Obwohl ich das alles habe die Liebe, das Glück, die Dankbarkeit, ist darüber zu schreiben nicht meine Motivation. Das können andere wirklich besser.
Mein Ansporn, zu bloggen war es, die schwierigen, peinlichen, kleinlichen, verzweifelten, tragikkomischen und katastrophalen Momente festhalten zu können. Der Fokus ist mein Muttersein, aber eben nur die Stelle, an der ich den Leuchtturm aufgestellt habe.
Was an 2016 für mich eigentlich scheiße war
2016 war ein Jahr, dass mich in vielen Bereichen deprimiert hat. Ich habe nicht nur zwei Jobs (Auftraggeber) verloren, zwei Blogger- und Twitterfreunde mussten aus diesem Leben gehen und auch privat war es teilweise holprig, sondern auch und gerade die weltpolitischen Ereignisse haben mich eingeholt. Terror in Nizza und Berlin, Brexit, Trump und all die Befürchtungen, die ich aufgrund seiner bald startenden Präsidentschaft habe. Dazu kommen die Tode von so vielen Künstlern, die mir, zumindest zu einem bestimmten Zeitpunkt in meinem Leben etwas besonderes bedeutet haben: David Bowie, Prince, Zaha Hadid, Leonard Cohen, Alan Rickman, George Michael – so kurios diese Liste klingen mag, so traurig ist es für mich, diese Künstler nicht mehr unter den Lebenden zu wissen. Vielleicht finde ich es auch besonders traurig, weil die Gefahr besteht, dass solche Künstler*innen, so viel Freiheit, Ausprobieren, Veränderung und Kreativität bald nicht mehr „gewünscht“ sind oder gar unmöglich gemacht werden?
So viele Themen schwelen über mir und lassen meine Erwartungen an 2017 nicht gerade steigern: Trump, Brexit, die Gefahr des aufsteigenden Faschismus in der Welt , steigender Rassismus und Rechtsextremismus nahezu überall, die kommende Bundestagswahl, die Wahl in Frankreich und die Gefahr eines politischen Rechtsdrucks in Europa – und all die möglichen Folgen, die das auf das Verhältnis mit Trump-USA, mit Putin, mit der Türkei, mit Syrien, dem Iran und so vielen anderen politischen Akteuren haben kann. Das schwelt über uns allen, ehrlich gesagt. Fürchtet Euch.
Genieße doch und liebe das Leben?
Wenn ich dann eifrig geteilte Facebook-Nachrichten darüber lese, dass irgendjemand Berühmtes oder beliebte und geschätzte Mamabloggerinnen gesagt haben, dass wir das Leben genießen sollen, glücklich sein sollen über das, was wir haben, und einfach mal LEBEN – dann macht mir diese aus dem Kontext gerissene Einstellung gerade einfach nur Bauchschmerzen.
Ja, Lebenslust und Freude sind wichtig und nein, die sollten wir uns so schnell weder nehmen noch verderben lassen. Aber.
Für mich klingen diese Meldungen und Ausrufe aber nach Eskapismus. Ja, das Leben zu genießen ist super. Aber wachsam bleiben und verfolgen, was in der Welt passiert und sich nicht vom alltäglichen Parteien-kleinklein, den übereifrigen Nachrichten oder eben Unterhaltung ablenken zu lassen, das wird unsere Aufgabe in 2017 und den Folgejahren sein. Und nein, das muss sich mit der Lebenslust gar nicht mal widersprechen.
Schon springen Texte auf von Historikerinnen, die Parallelen zum 1930er-Jahre Deutschland ziehen. Und ich sehe diese Parallelen ebenso.
Und jetzt? Hallo 2017!
Was kann ich tun? Flüchtlingshilfe, mit meinen Kindern reden, den Mund aufmachen und Blogtexte schreiben. Soll und kann ich mich politisch engagieren? Wenn ja, dann aber flott. Aber wo, in einer Partei? In welcher?
Was mir bisher nicht gelingt ist es, im Internet auf Hass-Kommentare oder sogar nur die polemisch-populistischen Kommentare einzugehen und mich einer Diskussion zu stellen. Ich habe die Energie nicht dafür. Diese unsäglichen Diskussionen, dieses Derailing, das Wortverdrehen, ich halte sowas kaum aus. Und es kostet Zeit. Sollte ich? Kurz nach der Trump-Wahl kamen viele Texte auf, dass es wichtig ist, miteinander im Gespräch zu bleiben, gerade jetzt vor der Bundestagswahl mit den Rechtspopulisten und Rechtsradikalen in Deutschland. Aber puh…
Wer macht das von Euch und welche Erfahrungen habt Ihr damit gemacht? Engagiert Ihr Euch politisch und wie? Erzählt mir davon!
Was ich tun kann, jetzt und sowieso schon, ist auf der kleinsten Ebene zu wirken. Liebe und Hoffnung zu sähen. Warum klingt das lächerlich, wenn ich vorher Namedropping mit den großen weltpolitischen Gefahren gemacht habe – oder bin das nur ich? Was immer wir sonst nur tun, was wir an Liebe und Hoffnung, an Offenheit und Freundlichkeit in uns haben, können wir teilen und herzeigen. Das ist das mindeste, was ich tun kann. Meinen Kindern Liebe und Hoffnung zu zeigen, mich mit ihnen freuen, ihrem Ärger zuhören und all die kleinen Dinge teilen, die das Leben ausmachen.
Und darum, wenn auch abrupt hier am Ende des Textes, schreibe ich auf, was mich 2017 Schönes, Aufregendes und Spannendes erwartet. Weil, was auch sonst? Mich am Leben erfreuen, meine Lieben lieben, keine Angst haben. Freiheit leben und wachsam bleiben.
Was mich 2017 an Schönem und Guten erwartet – und was ich mir vornehme
- neue Jobs suchen – neue Chancen sehen. Mich ausprobieren.
- dieses sich politisch engagieren in Angriff nehmen
- Haushalt re-organisieren, ausmisten und alten Ballast loswerden, weil:
- Umzug in größere, schönere Wohnung mit Balkon
- Einschulung von Kind2 im Sommer
- Hoffentlich wieder ein Sommerurlaub mit der Familie
- mehr im Moment sein: Job- und Privatleben besser auseinander halten können
- 1 mal im Monat in ein Konzert gehen (Ich habe die Kultur-Vorsätze für 2017 vom wdr gesehen und darin stand das so. Voll gut.)
- mehr Sport, weniger Zucker, gesunder leben. Ja, doch, das kommt hier mit drauf
- weniger Schiss vor dem Bloggen von konfusen Texten haben. Immerhin bin ich nicht im selben Zimmer, wenn Ihr alle über mich lacht ;)
Weil es mir so gut gefällt, verlinke ich noch einen Text von Amanda Palmer darüber, was Trump noch so auslöst: Trump will make Punk great again. Weil Widerstand und Revolte jetzt das sind, was die USA – und vermutlich auch der Rest der Welt – gegen Extremismus, Faschismus, Sexismus und hoffentlich keine nukleare Bedrohung braucht. Punk!
Und noch ein Gedanke, der mir im Dezember auf Twitter begegnet ist und den ich sehr schön fand: In 2016 sind viele Heldinnen und Helden gestorben. Aber wie viele von ihnen in diesem Jahr geboren worden sind, das wissen wir noch nicht.
Maybe 2016 is the year a lot of heroes were born and we don’t know yet.
— Maureen Johnson (@maureenjohnson) 25. Dezember 2016
Als Mama (und Bloggerin) nehme ich das etwas genauer: Die Kinder, die vor ein paar Jahren geboren worden sind, werden vielleicht einmal die Heldinnen von morgen. Lasst sie uns stärken, diese zu werden. Ich finde ja auch kitsch tröstlich. Also: Spread the Love. <3
Liebe Sonja,
ich mag deine ehrlichen Texte und dein Engagement sehr. Auch für mich war das Jahr 2016 nicht immer leicht, dennoch bleibt der Optimismus und die Vorfreude auf 2017 davon unberührt. Ich weiß gar nicht, warum das so ist. Ich habe einfach diesen tiefen Glauben in mir, dass es gut wird. Selbst meinen Schutzpessimismus habe ich inzwischen abgelegt. Im Ernstfall hat dieser nämlich noch nie geholfen. stattdessen gehe ich lieber vom Besten aus und falls es dann doch nichts wird, hake ich es als (irgendwie ja auch positive) Erfahrung ab. In diesem Sinne: Spread the love! :-)
Liebe Grüße,
Patricia
Liebe Patricia, ich danke Dir für diese Antwort. Du hast recht, Schutzpessimismus hilft nicht viel. Ich freue mich für dich, dass Dein Optimismus immer überwiegt. <3
Liebe Sonja, ich bin eine stille Mitleserin größtenteils, und ich mag Deine Artikel besonders gern, in denen Du Statements setzst und Deine Meinung sagst. :-)
Ich weiß auch nicht mehr, wie man angesichts der vielen Dinge in der politischen und gesellschaftlichen Entwicklung noch positiv und gutdrauf sein soll. Und ich mache mir auch viele Sorgen, tags wie nachts. Aber, ich glaube an das Gesetz der Anziehung und auch daran, dass wir jeden Tag in unserer kleinen Welt die Welt besser machen müssen. Sonst macht’s keiner.
In diesem Sinne, frohes Neues und liebe Grüße, Julia