Geständnisse einer Mutter. Es gibt da dieses Lied von Amanda Palmer: „A MOTHER’S CONFESSION“. Ab und an denke ich, jetzt könnte ich es anhören und müsse bestimmt nicht mehr weinen. Manchmal probiere ich das aus. Und dann – NEIN! Ich kann es nicht. Ich muss immer noch weinen.
Was ist da los? Ein Lied über die erste Zeit der Eltern, insbesondere der Mutter, mit ihrem Baby. Was berührt mich an dem jedes Mal so aufs Neue, dass es mich zu Tränen rührt. Und das, obwohl ich schon versuche, mich zusammen zu reißen. Ich glaube ich habe dann schlimm Empathie. Und Flashbacks. Was rüttelt der Song in mir wach und warum tut er mir trotz der ganzen Tränen so gut?
Ich will das mal genauer erörtern und den Text ein bisschen durchgehen. Vielleicht solltet Ihr vorher erstmal das Lied anhören und dem Text lauschen.
Das es ein „Song with footnotes“ ist, verlinke ich euch diese Fußnoten aus Amandas Blogpost. Ich habe das Lied auch ohne Fußnoten verstanden als ich es das erste Mal hörte. Aber sie zu lesen ist auch sehr schön und bringt Gedanken noch ein bisschen weiter.
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“A MOTHER’S CONFESSION” (the lyrics)
our son is four months old1 his name is anthony or ash for short2
and he’s too small to do things by himself3
we were in L.A. over christmas in a rental and we jury-rigged4 a place
to change his diapers on a shelf5
i was peeing in the bathroom and had left him for a second6
cause i thought he couldn’t move and he was safe7
as i came out i saw him falling in slow motion to the floor8
it was probably the worst moment9 of my life
and then i accidentally stole a thing of chapstick10 from the safeway11
i didn’t see it ’til i got out to the car12
i would have usually returned it13 but i was overwhelmed14
and late15 to take the baby to my cousins16 which was far away17
in my defense i’d bought like $8718 worth of groceries
and the chapstick was a $1.9919…
i know it wasn’t the right thing to use20
to use my newborn21 child as an excuse
but it felt like a real reason at the time22
and as i pulled out of the parking lot i cried23
and as i pulled onto the highway i said “right….
at least the baby didn’t die…right?
at least the baby didn’t die….”24
and then we went to sarasota25
to see neil’s cousin helen
for her birthday she just turned ninety-nine26
we were also there for sidney
who was ninety-four two days before
but he was sick27 so mostly it was ash and helen time28
she survived the warsaw ghetto29
and she always30 says “i love you”
when she sees you ’cause she knows you never know
she’d worked for months while i was pregnant
on a gorgeous handmade blanket31
her almost-hundred-year-old hands crocheting every row
i’d been emailing her pictures32 of the baby and the blanket
every day since she had sent it in the mail
but they were of one that someone else had knitted33 34
she was really nice about it
then i went and shoplifted a pair of stupid sunglasses
from goodwill35 (they were on my head36
i’d tried them on and left them there)
but that’s not really bad compared to
when we left the baby in the car37.
at least he wasn’t in there very long.
…and not directly in the sun.
and thank god no-one walking by happened to notice what we’d done.
i’m even scared to put these lyrics in a song.
but
everything is relative38 and everyone’s related39
i can’t do that much right now
but take care of this baby40
i figure everything’s technically all right
if at least this baby doesn’t die.
(i’d also like his dad alive. so honey….careful when you drive41 42).
and then i took a plane43 to washington alone44
so we could visit jason webley who’s his godfather45
he’s playing the accordion46
i couldn’t wait to see him and share tales of my disasters
over dinners in his houseboat when i saw i’d lost my passport47
so i got a rush appointment at the place where you replace them48
and i drove the baby in and on the way i got a speeding ticket49
when the cop came to the window i was shaking and i said i’m sorry50
but you couldn’t hear me that’s how loud the sound of screaming was
cause he was hungry and i think that i was speeding
’cause i panic when i hear him cry51
my god what kind of a mother am i52
and as i pulled out of the breakdown lane i cried
and as i pulled out on the highway i said “right.
at least the baby didn’t die. right?
at least the baby didn’t die.”
while i was waiting for my passport i was hungry so
i twittered for good coffee in the neighborhood53
and there i saw a woman who was sitting at the bar
and it was noon and she was drinking54
and she called across the diner at me “how old is your baby?”
and she smiled at us nursing
and she said she had a daughter who was grown
and then she paused
and said she also had a son55
and when i’d paid and was about to leave
i picked him up and crossed the room and touched her sleeve
i said “hey this baby wanted to say hi.”56
and she held him tight and she started to cry.57
and i’m sorry that this story’s gotten long
and that everybody’s crying in this song.58
and as i got back in the car i turned the radio and heater on
and sat there with the baby in the back.59
and they were talking about syria and climate change and ISIS
and the candidates’ positions on iraq60
i feel so useless in this universe
i know i could be doing worse
i’m trying hard to stay at peace61 inside
i know it’s hard to be a parent
but my flaws are so gigantic62
…i wonder if i should have had a child.63
and as i pulled out of the parking lot i cried
and as i pulled out on the highway i said
“right.
at least the baby didn’t die.
at least the baby didn’t die.
EVERYBODY64:
at least the baby didn’t die!! right?!
at least the baby didn’t die!!
(i may not make it to the passport place on time!65)
at least the baby didn’t die.
(and they might suspend my license for a while!!66)
at least the baby didn’t die.
(and i might get caught for retroactive theft!!67)
at least the baby didn’t die.
(and i might get turned into the DSS!68)
but at least the baby didn’t die69.”
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Geständnisse einer Mutter. Was der Song mit mir macht
Der Text liest sich sehr gut, ein bisschen wie ein in Verse gebrachte Blogpost, oder?
In den ersten paar Verse geht es eigentlich noch, ich muss nur schmunzeln. Mein Baby ist mir nicht vom Wickeltisch gefallen, aber als es 10 Monate alt war, einmal von meinem Bett. Das ist nicht ganz so hoch, ungfähr 40 cm hoch, aber auch ich habe mein Baby in Slow-Motion fallen sehen. Ich war nicht schnell genug, obwohl ich genau neben ihr saß. Ich glaube das war der schlimmste Moment in meinem Leben.
Aber es ging alles gut. So wie bei Amanda und Anthony auch. Passieren uns allen nicht mal solche Unfälle, die schlimm sein können aber doch glücklicherweise zumeist glimpflich ausgehen?
In den nächsten Strophen erinnere ich mich an die Verwirrung, das Unkonzentriert sein, das nicht gut-genug-sein-Gefühl. Auch ich habe aus Versehen etwas gestohlen: Äpfel, beispielsweise. Die Apfeltüte hing an der Kinderwagenbremse und ich zahlte nur die Artikel aus dem Einkaufskorb. Aufgefallen ist mir das ganze erst zu Hause.
Wie gut konnte ich mich an solche Momente, an dieses Gefühl erinnern. Du weinst vor Erschöpfung, weil Du Dich verändert fühlst und ein bisschen die Kontrolle verloren hast. Amanda weint im Auto als sie den Parkplatz verlässt. Ich weinte zu Hause vor den Äpfeln – und eben jetzt beim Lied hören.
Und dann schreibt Amanda – bzw. sing – etwas großartiges. Es ist lustig. Es ist ein sarkastisch. Es ist weise. Es ist etwas, dass ich mir zu dem Zeitpunkt leider noch nicht sagen konnte; was aber für das erste Jahr mit Baby jeden Tag abends gilt und laut gesungen und gefeiert werden sollte:
„At least, the Baby didn’t die!“
Yeah!
Als ich den Song bis dahin das erste Mal gehört hatte, sind die Tränen nur so aus mir heraus geschossen. Weil es witzig ist und genau darum so berührend. Versteht Ihr das?Und auch weil: Das war es, diese kleine Erkenntnis, dieser Galgenhumor und der Sinn für’s Absurde, den ich damals so nötig gehabt hätte.
Amanda erzählt weiter von noch vielen weiteren Situationen voller Verwirrtheit und Fehler. Manche harmlos, manche weniger. So lässt sie einmal das Baby im Auto und traut sich fast nicht davon im Lied zu singen, so schlimm erscheint ihr dieser Fehler. Ich habe das allerdings auch schon öfter gemacht, wenn es nicht Sommer war, nicht warm, das Auto nicht in der Sonne stand, das Baby schlief und ich schnell Brot kaufen wollte. Oder ich hab das Baby mit Babyfon im Auto schlafen gelassen und bin schonmal hoch in die Wohnung gegangen. Aber manchmal werden Kinderbetreuung in den USA auch sehr anders gesehen als in Deutschland. Das weiß ich von meiner Freundin, die seit 17 Jahren in Florida lebt und auch Kinder hat.
Was ich allerdings kenne ist das Gefühl, „Ich habe da etwas total fürchterliches gemacht. Etwas, das „man nicht tun sollte“. Und es ist mir trotzdem passiert. Ich schäme mich so sehr, dass ich mich kaum traue, darüber zu schreiben.“
Könnt Ihr Euch noch daran erinnern, wie es war, wenn Ihr mit dem Baby Auto gefahren seid, das Baby schreit und Ihr könnt nicht rechts ran fahren? Dieser Stress, diese innere Hetze, dieses Mitleiden! Davon erzählt Amanda im Song auch und wie sie deshalb viel zu schnell gefahren ist, was mit Baby im Auto natürlich doppelt verantwortungslos ist und wie sie deshalb von der Polizei angehalten wurde.
O my god what kind of mother am I!
Dieser Gedanke, immer wieder kam er mir. Genauso wie dieser hier: „i wonder if i should have had a child.“ Ja. Habe ich mich auch oft gefragt. Selbstvorwürfe ad ultimo.
Nachdem ich den Song schon mehrmals gehört habe, schaffe ich es meist über diese ersten Strophen hinweg. In Tränen ausbrechen muss ich bei der Begegnung mit der alten, trinkenden Frau im Restaurant, die von ihrem Sohn erzählt, den sie einmal hatte. Und wie die Frau in Tränen ausbricht, als sie das Baby halten darf.
Es ist das Mitleid mit der Frau, das mich zu Tränen rührt. Wie es sich wohl anfühlen muss, wenn man das eigene Kind verliert? Welchen Schmerz die Frau wohl fühlen muss. Aber wie dankbar ich bin, dass ich mein Baby habe!
Freude. Schmerz. Junges Leben. Tod. Vergebung.
Auch ein großer Identifikationsmoment: Wichtige, weltbewegende Dinge werden diskutiert. Und ich habe absolut_keine_Ahnung! Dieses Gefühl von „Was ich schaffe ist Äpfel klauen, ein bisschen Milch geben und den Haushalt verlottern lassen. Ich lese kein Buch, ich führe keine erwachsende Unterhaltung mehr.“ Die Feststellung, keinen einzigen klaren Gedanken mehr fassen zu können, wegen Schlafmangel, wegen Sorgen, wegen dieser neuen Rolle Mutter, die sich so fremd anfühlt. „Meine Fehler so riesig! Ob es wirklich eine gute Entscheidung war, ein Kind zu bekommen?“
Ich bin in solchen Gedanken und Momenten oft versunken und habe es nur mit Verdrängung geschafft, weiter zu machen. Der Song, bzw. Amanda hat die bessere Strategie: Innerlicher Abstand, Sarkasmus, Ironie.
Right. At least the baby didn’t die!
Elternschaft ist hart. Gerade die erste Babyjahre brachten mich bei beiden Kindern an den Rand der Verzweiflung und oft auch an den Rand meiner innerlichen Fassung. Da raus kommst Du nur mit Zeit und Geduld und mit diesem gewissen Sinn für Ironie, für Sarkasmus und das Absurde, von dem auch ich schön öfter mal in meinen Blogposts geschrieben habe.
Amanda beschreibt die Momente voller Fehler, von Verzweiflung und voller nicht genug sein können so gut. Egal ob ich sie so erlebt habe oder anders. Ich weiß, was sie erlebt und gefühlt hat, weil „everything is relative and everyone’s related“.
Alle unsere Gefühle haben miteinander zu tun und auch wenn wir nicht das gleiche erlebt haben, habe ich doch das gleiche gefühlt. Musik und dieser Songtext helfen mir dabei das Universale, das Gemeinsame an den ersten Monaten Elternschaft zu sehen und zu fühlen. Und dann: Comic relief. Denn grundsätzlich ist ja alles in Ordnung. Schließlich ist das Baby nicht gestorben, oder? Galgenhumor rules!
At least the baby didn’t die.
Der Songtext gibt mir einerseits Bestätigung, dass es natürlich ist, Fehler zu machen, fehlerhaft zu sein. Weil es menschlich ist. Er zeigt mir, dass ich nicht die Einzige bin, die ihre Mutterschaft anzweifelte, die sich so unzulänglich, hilflos und nutzlos fühlte.
„A mother’s confession“ lässt mich immer wieder einsehen und mitfühlen, wie herausfordernd Elternschaft ist. Wie umfassend dieser Job ist und wie unsäglich viele Möglichkeiten es gibt, es zu versauen. Aber es ist auch alles ok, weil Fehler machen menschlich ist und weil …
At least the baby didn’t die!
Meine Babys sind jetzt 6 und fast 8 Jahre alt und gehen in die Schule. IN DIE SCHULE!!! Sie können lachen und laufen, streiten und tanzen, malen und ihren Willen durchsetzen. Bis jetzt habe ich also noch nicht total versagt. At least, my babies didn’t die!
Spürt ihr den verblassenden Schmerz, die Dankbarkeit und den comic relief? Ich schon. Immer noch. Jedes Mal, wenn ich diesen Song höre. Ich weine und lache.
Und dann denke ich daran, das fast alle Mütter ab und an weinen müssen, wenn sie sich an die Babyzeit erinnern, im Schönen wie im Schrecklichen. Ich denke daran, dass in allen Eltern immer noch dieses riesige Gefühl von Liebe und Schrecken, von Verzweiflung und Schönheit steckt. Und ich denke, dass wir Eltern diese ganze verdammte Achterbahnfahrt von Gefühlen und Erfahrungen immer wieder durchleben werden, wenn die Kunst oder Erzählungen anderer Eltern uns an sie erinnern. Denn diese wirre Achterbahnfahrt ist sie seit der Geburt unserer Kinder so unabänderlich mit uns verwoben. Es scheint oft nur eines Songs, eines Textes, einer Geschichte oder einer Erzählung zu bedürfen und schon ist alles ist wieder da! Wir haben schlimm Empathie, wie haben schlimm Erinnerung.
Kunst hilft. Musik hilf. Geschichten teilen hilft. Das Erinnern und Nachspüren tut gut und heilt. Denn nach dem Durchleben des alten Schmerzes erinnern wir uns daran, dass wir so furchtbar viel Scheiße gar nicht gebaut haben können, denn: At least the baby didn’t die!!! Richtig.
Ich glaube dieser Trip Mutterschaft hört nie auf! At least my babies didn’t die!
Und jetzt alle! AT LEAST THE BABY DIDN’T DIE!!!!!!
Thank you, Amanda!
—
Wisst Ihr wovon ihr rede? Was macht der Song mit Euch? Nichts? Etwas? Was? Erzählt es mir.
Ganz ganz toll geschrieben! Auch ohne den Song zu kennen, habe ich geweint… So wahr, so echt, so berührend. Danke!
<3