Der gleichwürdige Dialog – die Begegnung auf Augenhöhe. Der Kern des Juulschen Erziehungs-Beziehungsansatzes sind für mich der Grund, warum ich ihn großartig finde. Aber wenn ich ganz ehrlich sein soll, so ganz ganz ehrlich, dann bin ich nicht sicher, ob ich es wirklich so mache. Ich bin noch nicht mal sicher, ob ich es wirklich richtig verstanden habe.
Seelenhygieneblogging auf der Meta-Ebene
So fing mein Blogpost an. Und dann habe ich Euch das Zitat von Juul aufgeschrieben und erzählt, wann ich mir nicht so sicher bin, ob ich jetzt gleichwürdig agiere oder ob ich über die Köpfe der Kinder hinweg entscheide und also glaube, im Recht zu sein und es besser zu wissen. Aber dann fiel mir beim Schreiben auf, ich glaube es nicht per se. Also, doch, ich glaube per se, dass ich besser entscheiden kann, aber ich habe gelernt, dass die Kinder trotzdem einen Teil für sich entscheiden können (und dürfen und sollen), obwohl er nicht so richtig ist, wie mein Standpunkt. Aber dass der Standpunkt der Kinder eben trotzdem ok ist und für sie gerade jetzt richtig. Und zwar jetzt genau richtiger als meiner. Und dass das dann wichtig ist.
Also, der Reihe nach. Hier erstmal das Zitat meines Juul-Kalenders von heute, äh vorgstern:
„Das Führen eines gleichwürdigen Dialogs lässt sich schnell lernen, sofern wir gewillt sind, uns offen auf den Gesprächspartner einzulassen, statt per se zu glauben, wir seien im Recht oder wüssten alles besser.“
Juul unterscheidet ja zwischen gleichberechtigt und gleichwürdig. Soll heißen, die Kinder sind nicht gleichberechtigt mit ihren Eltern, denn es gibt Dinge, die können Kinder weder wissen noch entscheiden. Es gibt Dinge, die können sie noch nicht tragen. Dafür sind die Eltern da. Aber es gibt eine Gleichwürdigkeit, die bedeutet, dass die Kinder ihre eigene Persönlichkeit sind, entfalten dürfen und sich einbringen dürfen. Gleichwürdigkeit bedeutet auch, dass die Eltern dann auf dieses Einbringen reagieren und die Kinder mit entscheiden lassen im Familienleben und im Alltag. So weit, so einfach.
Der Juulsche Grundsatz in Theorie und Praxis
Wie so oft, waren es von Anfang an nicht die Klassiker der Erziehungsratgeberliteratur, die mich aus dem Konzept bringen. Also, Süßigkeiten an der Supermarktkasse, ohne Hose in die Kita, keine Winterjacke im Winter. Kriege ich alles hin. Ich bin seit 6 Jahren Mutter, man lernt dazu. Einiges konnte ich von Anfang an („Ich kaufe jetzt keine Süßigkeiten.“ Feddisch), anderes mußte ich erst lernen: ohne Hose zur Kita fahren lassen, keine Jacke im Winter anziehen lassen. Sobald sie drei Jahre alt sind, vielleicht so gar schon eher, merken die Kinder doch selbst, ob es zu kalt ist, oder nicht. Kind2 wollte seine Winterjacke letzten Winter teilweise lieber tragen. Ich ließ ihn, überprüfte natürlich währenddessen seine Temperatur im Nacken, seine Hände. Alles warm. „Dem ist wohl wirklich warm?!“ Joa. Irgendwann zog er die Jacke dann an, als es kälter wurde. Dieses Jahr will er die neue dicke Jacke schon anziehen, weil sie so schick ist. Obwohl er schwitzt. Ich lasse ihn.
Gemüse, Barbie und Familienbett
Aber wie steht es mit Gemüse, Barbie und Familienbett? Das sind meine Knackpunkte, die ich schwierig finde. Ich habe beim ersten Schreiben lang und breit erzählt, warum nicht Barbie, was ich befürchte, wie ich das dem Kind erkläre, wie es sich seit Jahren trotzdem eine Barbie wünscht und wieso ich trotzdem keine kaufe, obwohl ich finde, dass Kinder rosa, Prinzessin und Schmuck basteln wollen dürfen. Und ich schrieb, was sie statt Barbie bekommt. Und dann merkte ich: Äh – joa, super. Ist doch alles gut. Sie hat halt so ne Mutter, die das mit der Barbie voll ernst nimmt. Aber sie hat eine Mutter, die zuhört, ihre Wünsche versteht und versucht, ihnen auf andere Weise zu begegnen. Dahinter kann ich stehen. Selbstzweifel weg gebloggt.
Das Thema Familienbett. Hatten wir in den Babyjahren, dann schliefen die Kinder jahrelang in den eigenen Betten. Sie schliefen gut ein und gut durch. Nur Kind2 kam nachts öfter in unser Bett, was er durfte. Seit ungefähr 6 Monaten will Kind1 das auch öfter, wohl, weil sie Kind2 die extra Elternzeit neidet. Oder auch, weil sie mehr Nähe wünscht. Wir lassen sie, wir finden Kompromisse, wir bitten sie im eigenen Bett zu bleiben, je nachdem. Wir erklären, warum es nicht passt, wenn nicht. Auch damit kann ich leben. Schon wieder Selbstzweifel weg gebloggt.
Ich empfinde mich eher als streng. Sie dürfen Nudeln ohne alles essen, aber das Gemüse wird probiert. Jedes Mal. Andere Eltern sind bestimmt so cool und lassen das Kind so lange Nudeln ohne alles essen, bis es von selbst nach Brokkoli schreit. Ich hingegen finde es nur fair, dass wenn ich mir Mühe mit dem Gemüse, Nudelsauce oder sonstwas bereiten gemacht habe, dass das dann auch probiert wird. Alles andere finde ich voll respektlos meinen Köchinnen-Bemühungen gegenüber. Vermutlich könnte ich die Größe haben, das nicht zu brauchen. Hab ich aber nicht. Und sie müssen auch nur eine Teelöffel-Portion probieren. Ich kann dahinter stehen.
Ja was denn nun. Warum aber hat das Zitat mich zu Widerspruch angetriggert? Was war denn da….?
Ein weiteres Beispiel: Beide Kinder wollen nach Hause, das Wetter ist aber herrlich. Mir fällt selber die Decke auf den Kopf und ich will raus. Ich will auf dem Spielplatz sitzen, Kaffee trinken, die Kinder neben mir oder am Klettergerüst haben. Egal, Hauptsache draußen. Eigentlich ist es zwei gegen einen, aber ich setze meinen Wunsch durch, wir gehen raus.
Ich merke: Ich bin eine Mutter, die am längeren Hebel sitzt und das auch deutlich mach
Behandle ich die Kinder deshalb nicht gleichwürdig? Mal überlegen. Ich tue selten etwas den Kindern zum Gefallen, wenn ich absolut keine Lust darauf habe. Ich bin so nicht. Ich tue sowas auch selten für andere Leute. Weil ich so bin. Ich mache aber so viele Dinge nur für meine Kinder, mein ganzes Leben habe ich auf die Kinder eingestellt und mühe mich nach Leibeskräften, dass sie es so schön wie möglich haben, so gut spielen können wie möglich und sie so frei leben können wie möglich. Ich bin nicht die bemutternste Mutter, ich koche nur so mittel und es sieht auch nur so mittel heititei bei uns zu Hause aus. Ich bin nicht die lockerste Mutter, ich habe Regeln für die Familie, ich kaufe selten Überraschungseier oder Gedöns-Kinderzeitschriften an der Supermarktkasse. Leider haben die Kinder keine Mama, die super spielen kann oder basteln. Ich will nachmittags auch mal was lesen, ich mag keinen Krach im Treppenhaus oder wenn beide gleichzeitig etwas von mir wollen. Aber sie haben eine Mama, die dazu lernen kann, eine die zuhören kann und die Kompromisse sucht und findet, die auf jeden einzelnen eingeht, nacheinander.
Geborgenheit und Gleichwürdigkeit allein kommt nicht nur aus dem perfekten Essen, dem Ambietente oder dass Mama ständig das macht, was sich die Kinder wünschen. Gleichwürdigeit kommt daraus, dass wir etwas machen, das am Ende doch allen gefällt. Gleichwürdigkeit entsteht, wenn wir uns ernst nehmen und respektieren. Wenn sie weinen, tröste ich, egal wie unscheinbar der Stoß aussah. Wenn sie wütend sind, lasse ich sie und stehe für Gespräche bereit. Wenn sie einen Wunsch haben, höre ich zu. Und Krach dürfen sie übrigens im Kinderzimmer machen, wenn die Tür zu ist. Ein Kompromiss.
Es gibt definitiv Eltern, die können viel mehr, besser und feinfühliger auf ihre Kinder eingehen. Ich kann es eben nur so, wie ich es kann. Aber ich bin 100 Prozent präsent, wenn wir zusammen sind und absolut authentisch in meinem Sein, meiner Meinung, meinem Tun. Ich kommuniziere viel mit den Kindern, gebe Rückmeldungen, beantworte Fragen, lasse sie ausreden und nehme sie ernst. Immer.
Nur in einer Sache bin ich wirklich schlecht, und das ist nicht hintenrum doch gut: Wenn sie wütend knatschen und sich dabei nicht mehr an- oder ausziehen können, wenn sie mich gar beschimpfen und anbrüllen. Dann kann ich nicht gut ruhig bleiben. Dann bin ich nicht gut im gleichwürdig sein. Das ist zwar menschlich, hilft aber weder den Kindern und mir weiter. Ich werde dann sauer, werde laut, erteile Verbote, weil ich es nicht aushalten kann. Darin bin ich einfach nicht gut aber ich arbeite dran. Gestern zum Beispiel, war ich voll gut darin. Ich wußte, das Kind ist komplett übermüdet und hatte genug Distanz, um das alles aufzufangen. Ich bin halt nich perfekt. Leider auch nicht in so einem wichtigen Punkt.
Das Ende vom Lied ist wohl vielmehr so: Beim Überlegen, ob ich gleichwürdig genug agiere, mußte ich mich selbst hinterfragen. Ist das ok so wie es läuft? Was könnte ich besser machen? Kann ich bestimmte Dinge gewähren und erlauben? Kann ich bestimmte Dinge erbitten und begründen? Ja, kann ich.
Am Ende muß ich ja auch gleichwürdig mit mir umgehen. Das macht das mit der Erziehung und dem Kinderhaben so schwierig. Es gibt weniger Regeln, weniger Autorität und weniger Disziplin als früher(TM). Dafür mehr Miteinander, mehr Abwägen, mehr in der Situation und mehr Kompromis.
Oder wie seht Ihr das?
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„Es gibt weniger Regeln, weniger Autorität und weniger Disziplin als früher(TM). Dafür mehr Miteinander, mehr Abwägen, mehr in der Situation und mehr Kompromis.“
Jo. Genau so. Und manchmal ist man trotz aller Mühe, die man sich gibt, die blödste Mutter der ganzen Welt. Was ja auch nicht weiter schlimm ist.
Richtiger Text zum perfekten Zeitpunkt! Ich hadere dieser Tage mal wieder sehr mit dem Mini-Jesper auf meiner Schulter. Und oft entgleitet mir der Tag auf der Zielgeraden: von Morgens bis Abends super gleichwürdig Gefühle-spiegelnd ge-„ich-botschaftet“ und dann beim Abendessen/Umziehen/Zähne putzen/random doch noch aus der Spur gefallen und fies rumgebrüllt, Verwünschungen ausgestoßen und zu grob am Arm gezerrt. Das fühlt sich soooo doof an. Aber so ist es halt: oft reicht der Akku noch für 95% aber nicht für 100%. Morgen ist ein neuer Tag!
Ohja, die Abendstunden sind hart….
Jaaa, ich habe mit genau dem gleichen Probleme. Mich beschimpfen lassen oder stur nicht hören und sich in Geschrei reinsteigern – da brennen bei mir auch schnell die Sicherungen durch.
Gleichwürdigkeit schön und gut. Aber ich frage mich schon, ob das überhaupt geht. Die Wünsche gehen hält doch auseinander und nicht jeder Kompromiss ist ein guter Kompromiss. Ich merke zumindest, dass das oft mit dem Konzept der „eigene Grenzen verteidigen“ kollidiert. Wenn ich anfange zu versuchen mehr auf meine Grenzen zu achten, komme ich dann eigentlich dahin, dass ich die Grenzen meiner Kinder verletzen muss. Weil wir einfach in einem Haus wohnen und ich sie noch nicht alleine lassen kann.
Ja, es geht zurück auf das Sich-Selbst-Hinterfragen.
Meine Haltung – Einstellung und die Bedürfnisse sehen.
Dazu ist elementar mich selbst zu sehen -zu kennen -zu erkennen- Selbstreflexion.
Was ist mein Bedürfnis jetzt? Trigger = Emotionen Welches Gefühl ist damit verbunden?
Was sind die Bedürfnisse der anderen?
Unsichtbare Kinder = Erwachsene wollen nicht sehen. Es ist leichter einfach Macht auszuüben.
Nur das hat seinen Preis.
Es ist aber gar nicht so schwer, gleichwürdig zu sein.
Die Kunst der kleine Schritte. Kinder leben uns das vor. So lernen sie sich natürlich zu bewegen.
Gehen, Laufen ist die Basis seine eigenen Wege gehen zu können.
Ja Ermutigung
Fehlerfreundlich sein – zu sich und anderen – Und den Mut Unperfekten. Ja sich selbst treu sein.
Danke für die authentische Offenbarung :-)